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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 28.08.2001
Aktenzeichen: XI B 110/01
Rechtsgebiete: FGO, StBerG, ZPO


Vorschriften:

FGO § 94 a
FGO § 68
FGO § 62 a
StBerG § 3 Nr. 1
StBerG § 3 Nr. 2
StBerG § 3 Nr. 3
ZPO § 78 b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Antragsteller erhob mit Schriftsatz vom 6. August 2000 Klage wegen Einkommensteuer 1994 (festgesetzt zuletzt mit Bescheid vom 28. September 1999 auf 364 DM). Er beantragte zugleich das Ruhen des Klageverfahrens wegen Verhandlungen mit dem Beklagten und Antragsgegner (Finanzamt --FA--).

Am 30. August 2000 erging ein Einkommensteueränderungsbescheid für 1994, wonach die Einkommensteuer auf 136 DM, die Zinsen zur Einkommensteuer auf -1 802 DM und die Sparzulage auf -94 DM festgesetzt wurden. Der Antragsteller wurde darauf hingewiesen, dass er den Änderungsbescheid zum Gegenstand des Klageverfahrens machen könne. Dieser legte jedoch Einspruch gegen den Änderungsbescheid ein, den das FA mit Einspruchsentscheidung vom 9. Oktober 2000 als verspätet verwarf.

Am 28. März 2001 entschied das Finanzgericht (FG) ohne mündliche Verhandlung nach § 94a der Finanzgerichtsordnung (FGO) und wies die Klage als unzulässig ab. Der Antragsteller sei durch den ursprünglich angefochtenen Bescheid seit Ergehen des Änderungsbescheides vom 30. August 2000 nicht mehr beschwert. Gegen den Änderungsbescheid sei weder Klage erhoben noch Antrag nach § 68 FGO gestellt worden. Das Urteil wurde am 24. April 2001 durch Niederlegung zugestellt.

Mit Schreiben vom 31. Mai 2001, eingegangen beim Bundesfinanzhof (BFH) am 1. Juni 2001, beantragte der Antragsteller "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand infolge Abwesenheit". Er habe --wegen einer längeren Abwesenheit bei seiner erkrankten Mutter-- das Urteil erst am 19. Mai 2001 bei der Post in Empfang nehmen können. Er habe sofort versucht, über die "Gelben Seiten" des Telefonbuchs einen Prozessbevollmächtigten zu finden. In Anbetracht des baldigen Ablaufs der Rechtsmittelfrist habe sich jedoch niemand zur Übernahme des Mandats bereit erklärt. Der Antragsteller habe sich dann in seiner Not an die zuständige Steuerberaterkammer gewandt, die ihm Adressen von sechs Rechtsanwälten benannt habe, die jedoch sämtlich die Übernahme des Mandats abgelehnt hätten, da nur noch drei Tage für die Bearbeitung zur Verfügung gestanden hätten. Zwei Anwälte hätten ihm den Rat erteilt, wegen des bevorstehenden Ablaufs der Rechtsmittelfrist vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen, da ihm wegen des vor dem BFH bestehenden Vertretungszwangs weitere Verfahrenshandlungen nicht möglich seien. Seine Rechtsschutzversicherung habe ihm Deckungszusage erteilt.

II. Im Interesse einer möglichst umfassenden Rechtsschutzgewährung versteht der erkennende Senat den Antrag des Antragstellers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) als Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts (§ 155 FGO i.V.m. § 78b der Zivilprozeßordnung --ZPO--).

1. Nach § 62a FGO muss sich jeder Beteiligte vor dem BFH durch eine Person i.S. des § 3 Nr. 1 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG), ggf. durch Gesellschaften i.S. des § 3 Nrn. 2 und 3 StBerG vertreten lassen. Für einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fehlt dem Antragsteller daher die Postulationsfähigkeit (vgl. z.B. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 62 Rdnr. 78, m.w.N.). Für einen Antrag auf Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten besteht hingegen kein Vertretungszwang (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 23. Mai 2000 IX S 5/00, BFH/NV 2000, 1134).

2. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Beiordnung eines Notanwalts liegen jedoch nicht vor, da ein Rechtsmittel gegen das Urteil des FG keine Aussicht auf Erfolg hat.

Nach § 78b ZPO hat das Prozessgericht einer Partei auf ihren Antrag für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen, soweit eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, wenn sie einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint. Diese Vorschrift ist im finanzgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden (§ 155 FGO).

Der Senat kann dahingestellt lassen, ob der Antragsteller hinreichend glaubhaft gemacht hat, dass zumindest sechs von der Steuerberaterkammer benannte Rechtsanwälte die kurzfristige Übernahme des Mandats abgelehnt haben (vgl. hierzu z.B. BFH-Beschluss vom 8. Mai 2000 III S 3/00, BFH/NV 2000, 1133) und ob in Anbetracht der Fristversäumnis eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich wäre (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 26. Juli 1995 XI S 14/95, BFH/NV 1996, 157). Da das FG nach § 94a FGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, keine Anhaltspunkte für eine Prozessunfähigkeit des Antragstellers vorlagen und die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des FG nicht in Frage steht, könnte ein Rechtsmittel gegen das Urteil keinen Erfolg haben:

a) Nach § 94a FGO kann das Gericht sein Verfahren nach billigem Ermessen bestimmen, wenn der Streitwert bei einer Klage, die eine Geldleistung betrifft, 1 000 DM nicht übersteigt. Unter den bezeichneten Voraussetzungen kann daher ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, wenn der Antragsteller --wie hier-- weder ausdrücklich noch konkludent Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt hat (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 21. Januar 2000 II B 15/99, BFH/NV 2000, 864). Eine vorherige Ankündigung, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, ist nicht geboten (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 26. März 1996 XI B 132/95, BFH/NV 1996, 696).

Der Streitwert lag offensichtlich unter 1 000 DM. Die streitgegenständliche Einkommensteuer 1994 war zunächst zwar auf 5 057 DM festgesetzt worden. Sie wurde jedoch mit Bescheid vom 28. September 1999 bereits auf 346 DM herabgesetzt. Während des Klageverfahrens erging ein weiterer Einkommensteueränderungsbescheid am 30. August 2000, in dem die Einkommensteuer noch niedriger festgesetzt wurde. Auch wenn der Senat davon ausgeht, dass mangels fristgerechter Antragstellung nach § 68 FGO der Änderungsbescheid vom 30. August 2000 nicht Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist, lag der Streitwert aufgrund des Bescheides vom 28. September 1999 unter 1 000 DM. Die Frage, ob ggf. die nach den Steuerbescheiden vom 28. September 1999 und 30. August 2000 zu erstattenden Beträge tatsächlich erstattet wurden oder noch zu erstatten sind, ist nicht Gegenstand des hier anhängigen Steuerfestsetzungsverfahrens.

b) Der Vortrag des Antragstellers, er sei vom Vorsitzenden des 2. Senats des FG, einen anderen Veranlagungszeitraum betreffend, wegen "Medikamentenabhängigkeit" als prozessunfähig "anerkannt" worden, und er sei damit sinngemäß nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten gewesen (§ 119 Nr. 4 FGO), ist unschlüssig, denn der 2. Senat des FG hat unter Mitwirkung seines Vorsitzenden das hier vom Antragsteller beanstandete Urteil gefällt.

Der Senat hat im Übrigen nach Aktenlage, insbesondere unter Berücksichtigung des Vortrags des Antragstellers in diesem Verfahren keine Anhaltspunkte dafür, von dessen Prozessunfähigkeit auszugehen. Der Antragsteller hat, abgesehen von seiner Medikamentenabhängigkeit, nichts vorgetragen, was den Schluss zuließe, dass er sich nicht durch Verträge verpflichten könnte (vgl. § 52 ZPO).

c) Zu Recht hat das FG die Klage als unzulässig abgewiesen, weil der Änderungsbescheid vom 30. August 2000 nicht Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist.

Gerichtskosten sind keine entstanden, da es sich bei dem Verfahren zur Beiordnung eines Rechtsanwalts um ein unselbständiges Zwischenverfahren handelt (BFH-Beschluss vom 29. Oktober 1991 VIII S 15/90, BFH/NV 1992, 623).

Ende der Entscheidung

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