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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 12.02.2007
Aktenzeichen: XI B 123/06
Rechtsgebiete: FGO, StBerG, AO


Vorschriften:

FGO § 62a
FGO § 76
FGO § 90
FGO § 90 Abs. 1
FGO § 90 Abs. 2
FGO § 96
FGO § 115 Abs. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
FGO § 116 Abs. 6
FGO § 119 Nr. 4
StBerG § 3 Nr. 1
StBerG § 3 Nr. 2
StBerG § 3 Nr. 3
AO § 44 Abs. 1 Satz 1
AO § 356
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Beschwerdeführer zu 1. und 2. (Kläger) wurden in den Streitjahren als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Der Kläger zu 1. (Kläger) war bis 1995 als Rechtsanwalt, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Mitgesellschafter einer Wirtschaftsprüfer- und Steuerberatersozietät.

Bei einer Steuerfahndungsprüfung im Jahr 1996 wurde festgestellt, dass der Kläger in den gemeinsamen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre nicht sämtliche Einkünfte aus selbständiger Arbeit, aus Vermietung und Verpachtung und aus Kapitalvermögen erklärt hatte.

Ein zuständiger Vertreter des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) und der Kläger unterschrieben am 11. Oktober 1999 eine schriftliche tatsächliche Verständigung. Im Anschluss daran wurden den Klägern geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1987 bis 1995 bekannt gegeben. Danach unterschrieben die Kläger für sie vorbereitete Empfangsbekenntnisse und Erklärungen, dass sie in Kenntnis der Bescheidinhalte auf die Möglichkeit des Einspruchs verzichten (§ 354 der Abgabenordnung --AO--).

Die gegen die Einkommensteuerbescheide eingelegten Einsprüche der Kläger wurden als unzulässig verworfen.

Gegen die Einspruchsentscheidung erhob der Kläger im eigenen und im Namen seiner Ehefrau Klage (vgl. Betreff des Schriftsatzes vom 14. September 2001).

Mit Schriftsatz vom 4. November 2002 erklärte er nur im eigenen Namen, dass er mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden sei. Der Vertreter des FA erklärte ebenfalls sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.

In seiner Sitzung vom 28. Juni 2006 wies das Finanzgericht (FG) die Klage hinsichtlich beider Kläger ohne mündliche Verhandlung ab. Im Urteilstatbestand stellte das FG fest, dass die Beteiligten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einverstanden erklärt hätten.

Die Klägerin zu 2. (Klägerin) begründet ihre Nichtzulassungsbeschwerde mit Verfahrensfehlern des FG. Insbesondere macht sie geltend, dass das FG das angegriffene Urteil unter Verstoß gegen § 90 FGO ohne mündliche Verhandlung erlassen habe. Sie habe kein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Der Kläger begründet seine Nichtzulassungsbeschwerde ebenfalls mit Verfahrensfehlern des FG. Außerdem beruft er sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO sowie die Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

II. 1. Die Beschwerde der Klägerin ist begründet. Sie führt gemäß § 116 Abs. 6 FGO zur Aufhebung des Urteils der Vorinstanz, soweit es die Klägerin betrifft, und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.

a) Die Beschwerde ist für die Klägerin ordnungsgemäß erhoben worden. Das Erfordernis, dass sich nach § 62a FGO vor dem BFH jeder Beteiligte --ausgenommen juristische Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden-- durch eine Person i.S. des § 3 Nr. 1 bis 3 des Steuerberatungsgesetzes vertreten lassen muss, ist erfüllt. Die vom FA bezweifelte Bevollmächtigung von X seitens der Klägerin ist während des Beschwerdeverfahrens durch Vorlage einer inhaltlich ordnungsgemäßen schriftlichen Prozessvollmacht im Original nachgewiesen worden (vgl. § 62 Abs. 3 FGO).

b) Die Rüge der Klägerin, das FG habe ihr Recht auf Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO), ist begründet.

aa) Das FG hat der Klägerin das Recht auf Gehör verweigert, indem es ohne mündliche Verhandlung entschieden hat.

Zwar können die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklären (§ 90 Abs. 2 FGO). Das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung muss als Prozesshandlung aber ausdrücklich, klar, eindeutig und vorbehaltlos erklärt werden (BFH-Urteil vom 5. November 1991 VII R 64/90, BFHE 166, 415, BStBl II 1992, 425, m.w.N.). Im vorliegenden Fall hat die Klägerin --entgegen der Auffassung des FG-- keine solche Einverständniserklärung abgegeben.

Offenbar ist das FG davon ausgegangen, die vom Kläger im Schriftsatz vom 4. November 2002 abgegebene Einverständniserklärung gelte auch für die Klägerin. Eine solche Auslegung lässt dieser Schriftsatz jedoch nicht zu. Denn anders als in der Klageschrift vom 14. September 2001 und im Schriftsatz vom 16. November 2001, in denen der Kläger in der Betreffzeile zusätzlich zu ihm selbst jeweils auch die Klägerin aufgeführt hat, enthält die Betreffzeile des Schriftsatzes vom 4. November 2002, ebenso wie die Kopfzeile und die Unterschriftszeile, nur den Namen des Klägers. Im Text selbst spricht der Kläger ebenfalls nur von sich selbst. Dementsprechend heißt es in der letzten Zeile des Schriftsatzes lediglich: "Mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bin ich einverstanden." Auch im weiteren Verlauf des FG-Verfahrens brachte die Klägerin zu keiner Zeit ihr Einverständnis mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung zum Ausdruck.

Im Falle einer vollständigen Verweigerung rechtlichen Gehörs, wie dies bei einem im schriftlichen Verfahren erlassenen Urteil aufgrund eines vom FG irrtümlich angenommenen allseitigen Verzichts auf mündliche Verhandlung geschieht, bedarf es keiner weiteren Ausführungen des Beschwerdeführers dazu, was bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden wäre und dass dieser Vortrag die Entscheidung des Gerichts hätte beeinflussen können (vgl. grundlegend Beschluss des Großen Senats des BFH vom 3. September 2001 GrS 3/98, BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802; außerdem z.B. BFH-Beschluss vom 8. Juni 2005 X B 54/04, BFH/NV 2005, 1620).

bb) Der Erlass eines Urteils unter Verstoß gegen § 90 Abs. 1 und 2 FGO ohne mündliche Verhandlung führt zugleich dazu, dass der Beteiligte im Verfahren nicht i.S. von § 119 Nr. 4 FGO "nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war" (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 2. Dezember 1992 II R 112/91, BFHE 169, 311, BStBl II 1993, 194; vom 29. April 1997 VII R 109/96, BFH/NV 1998, 32; vom 5. Mai 1999 XI R 44/98, BFH/NV 1999, 1485, alle m.w.N.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 19; Lange in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 119 FGO Rz 208; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rz 96, § 119 FGO Rz 68). Auch die mangelnde Vertretung nach Vorschrift des Gesetzes i.S. von § 119 Nr. 4 FGO stellt einen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 86; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 115 FGO Rz 96).

Für die schlüssige Rüge des Verfahrensfehlers mangelnder Vertretung nach Vorschrift des Gesetzes musste ebenfalls nicht dargelegt werden, dass das angegriffene Urteil auf diesem Verfahrensfehler beruhen kann. Denn da die mangelnde Vertretung nach Vorschrift des Gesetzes gemäß § 119 Nr. 4 FGO ein absoluter Revisionsgrund ist, wird auch im Beschwerdeverfahren unwiderleglich vermutet, dass das Urteil auf diesem Fehler beruht (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 97, m.w.N.; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 115 FGO Rz 116).

c) Die Sache geht an das FG zurück, damit dieses die von der Klägerin begehrte mündliche Verhandlung durchführen kann.

2. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig, weil der Kläger die sich aus § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO i.V.m. § 115 Abs. 2 FGO ergebenden Anforderungen an die Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes nicht erfüllt hat.

a) Der erkennende Senat ist nicht schon deshalb gehindert, über die Beschwerde des Klägers anders als über die der Klägerin zu entscheiden, weil die als Ehegatten zusammenveranlagten Kläger gemeinsam Klage gegen die zusammengefassten Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre erhoben und gemeinsam Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision gegen das klageabweisende Urteil eingelegt haben.

Die durch § 44 Abs. 1 Satz 1 AO vorgeschriebene Gesamtschuldnerschaft schließt die Möglichkeit verschiedener Steuerfestsetzungen gegenüber zusammenveranlagten Ehegatten nicht aus (BFH-Urteil vom 12. Mai 1992 VIII R 33/88, BFH/NV 1992, 793, m.w.N.). Ergeht ein zusammengefasster Bescheid gegenüber zusammenveranlagten Ehegatten, liegen rechtlich zwei selbständig anfechtbare Verwaltungsakte vor. Bei der gemeinsamen Klageerhebung der Ehegatten gegen den zusammengefassten Bescheid handelt es sich deshalb um zwei Klagen (subjektive Klagenhäufung), über die keine einheitliche Entscheidung geboten ist (BFH-Urteile vom 11. April 1989 VIII R 219/84, BFH/NV 1989, 755, m.w.N., und in BFH/NV 1992, 793). Dementsprechend braucht auch keine einheitliche Entscheidung über die von beiden Ehegatten eingelegte Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision gegen das klageabweisende Urteil zu ergehen.

b) Der Kläger hat weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO noch die Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO hinreichend dargelegt.

Bei den Zulassungsgründen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO sind substantiierte Angaben dazu erforderlich, weshalb eine Entscheidung des Revisionsgerichts über eine bestimmte, im Streitfall klärbare Rechtsfrage aus Gründen der Rechtsklarheit, der Rechtsfortbildung oder der Einheitlichkeit der Rechtsprechung im allgemeinen Interesse liegt, insbesondere auch, warum auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung die Rechtsfrage nicht beantwortet werden kann (Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 32, 40, m.w.N.).

Im Streitfall hat der Kläger in Bezug auf den sog. "...-Vorgang" bereits keine Rechtsfrage im vorgenannten Sinne bezeichnet. Auch fehlt es an Ausführungen, weshalb eine höchstrichterliche Entscheidung über die materiell-rechtliche Beurteilung des Streitfalls hinaus für die Allgemeinheit Bedeutung hat.

c) Der Vortrag des Klägers genügt auch nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Darlegung eines Verfahrensfehlers i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.

Verfahrensfehler in diesem Sinne sind Verstöße gegen das Gerichtsverfahrensrecht, die das Gericht bei der Handhabung seines Verfahrens begeht und die zur Folge haben, dass eine ordnungsgemäße Grundlage für die Entscheidung im Urteil fehlt (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 76 ff.), z.B. ein Verstoß gegen § 76 FGO (Verletzung der Sachaufklärungspflicht) oder gegen § 96 FGO (Verletzung des rechtlichen Gehörs). Eine Verletzung des § 356 AO durch das FA wäre daher kein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.

Soweit der Kläger vorträgt, das FG habe unter Verletzung der Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 GG die Klage wegen des streitigen Einspruchsverzichts als unzulässig abgewiesen, ist sein Vortrag betreffend die Streitjahre 1990, 1991 und 1992 unschlüssig. Das FG hat insoweit die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnis (§ 40 Abs. 2 FGO) abgewiesen, weil die Einkommensteuer für diese Jahre mit 0 DM festgesetzt war. Ähnliches gilt für das Streitjahr 1995. Auch insoweit hat sich der Kläger mit der Urteilsbegründung nicht auseinandergesetzt. Für die verbleibenden Streitjahre hat das FG die Klage nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abgewiesen. Im Kern rügt der Kläger mit seinen Einwendungen gegen die Beurteilung des Einspruchsverzichts fehlerhafte Sachverhaltswürdigung und tatrichterliche Überzeugungsbildung des FG und damit materiell-rechtliche Mängel der Vorentscheidung. Solche Mängel rechtfertigen jedoch die Zulassung der Revision nicht (vgl. z.B. Gräber/ Ruban, a.a.O., § 115 Rz 76 und 82, m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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