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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 02.11.2004
Aktenzeichen: XI B 142/03
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977, FGO, InvZulG 1991


Vorschriften:

EStG § 7k
EStG § 7k Abs. 2 Nr. 5
AO 1977 § 118
AO 1977 § 157
AO 1977 § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
AO 1977 § 175 Abs. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative
InvZulG 1991 § 2 Satz 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betrieb in B und O einen Lebensmitteleinzelhandel. Den Teilbetrieb in O gab sie im Kalenderjahr 1991 auf; der betriebliche Grundstücksteil wurde zu Buchwerten in das Privatvermögen überführt.

Nach einer Außenprüfung gelangte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) zu der Auffassung, dass die Voraussetzungen für eine Entnahme zum Buchwert (gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- in der bis zum 31. Dezember 1992 geltenden Fassung) nicht vorgelegen hätten; die Voraussetzungen des § 7k EStG seien nicht erfüllt. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage gegen den geänderten Feststellungsbescheid für 1991 ab. Der bestandskräftige Bescheid habe gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geändert werden dürfen, da gesetzlich angeordnete zeitliche Voraussetzungen für die Gewährung der Steuervergünstigung nicht eingehalten worden seien. Da die Voraussetzungen des § 7k EStG nicht während des gesamten Verwendungszeitraums von zehn Jahren erfüllt worden seien (Nichtvorlage der jährlich notwendigen Bescheinigung), entfalle die Entnahmemöglichkeit zum Buchwert rückwirkend mit der Folge, dass ein bestandskräftiger Bescheid geändert werden könne. Dabei bleibe es auch dann, wenn die Bescheinigung von Anfang an nicht vorgelegen habe. Treu und Glauben seien nicht heranzuziehen, da die Klägerin offenbar selbst unzutreffende Angaben gemacht habe.

Mit der Beschwerde macht die Klägerin geltend:

1. Das FG-Urteil weiche ab von den Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 4. November 1998 IV B 146/97 (BFH/NV 1999, 589), vom 26. Oktober 1988 II R 55/86 (BFHE 154, 493, BStBl II 1989, 75), vom 12. Juli 1989 X R 8/84 (BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957), vom 27. September 1988 VIII R 432/83 (BFHE 155, 83, BStBl II 1989, 225, 228), vom 20. Dezember 2000 III B 43/00, BFH/NV 2001, 744) und vom Urteil des FG Nürnberg vom 6. November 2002 V 375/1999.

2. Der ursprünglich rechtmäßig ergangene Verwaltungsakt müsse aufgrund eines nachträglichen Ereignisses rechtswidrig geworden sein. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 greife nicht ein, wenn das FA das Vorliegen oder den Wegfall eines nachträglich eingetretenen Tatbestandsmerkmals bei der Steuerfestsetzung --ob irrtümlich oder aufgrund einer Erklärung des Steuerpflichtigen-- angenommen habe. Ändere sich der Sachverhalt nicht, könne die Änderung nur in einer geänderten rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts liegen.

In dem Beschluss in BFH/NV 2001, 744 habe der BFH angenommen, dass ein rückwirkendes Ereignis vorliege, wenn die Voraussetzungen der Investitionszulage, der Einsatz der angeschafften Fahrzeuge, zu keinem Zeitpunkt vorgelegen habe. Aus Gründen der Abschnittsbesteuerung könne der gesamte Tatbestand nicht in einer einheitlichen Verwaltungsentscheidung vorgenommen werden. Allein aufgrund einer geänderten Bewertung sei eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 nicht möglich.

Das FG unterstelle dagegen, dass die Voraussetzungen für die Gewährung der Steuervergünstigungen ursprünglich gegeben, später aber weggefallen seien. Grund für die Korrekturbedürftigkeit sei die Tatsache, dass der Steuerbescheid bereits von Anfang an rechtswidrig gewesen sei, nicht die Tatsache, dass er erst rechtswidrig geworden sei. Das FA hätte die Bescheinigung als Nachweis bei der ursprünglichen Steuerfestsetzung anfordern müssen.

3. Eine höchstrichterliche Entscheidung sei dringend erforderlich. Das FG-Urteil führe zu einer Ausweitung der Korrekturvorschriften und missachte den Amtsermittlungsgrundsatz.

4. Eine derart fehlerhafte Rechtsanwendung sei geeignet, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen.

5. Die Sache habe auch grundsätzliche Bedeutung. Es sei zu klären, ob ein Bescheid gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 i.V.m. § 175 Abs. 2 AO 1977 geändert werden könne, wenn die Voraussetzungen zur Gewährung einer Steuervergünstigung zu keiner Zeit vorgelegen hätten, das FA allerdings bei der ursprünglichen Steuerfestsetzung zu Unrecht von deren Vorliegen ausgegangen sei. Die aufgeworfene Frage sei höchstrichterlich noch nicht entschieden. Die Entscheidung in BFH/NV 2001, 744 beruhe auf den Besonderheiten der Investitionszulage.

Das FA hat von einer Stellungnahme abgesehen.

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert.

a) Dieses Tatbestandsmerkmal erfasst die sog. Divergenzrevision nach altem Recht, aber auch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung der FG (BFH-Beschluss vom 14. August 2001 XI B 57/01, BFH/NV 2002, 51). Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung "erfordert" dann eine Entscheidung des BFH, wenn ein FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Rechtsauffassung vertritt als der BFH, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, ein anderes oberstes Bundesgericht oder ein anderes FG.

b) Im Streitfall sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Das FG ist nicht von der bisherigen Rechtsprechung abgewichen.

Nach dem Urteil in BFHE 154, 493, BStBl II 1989, 75 setzt § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 voraus, dass das nachträgliche Ereignis zu einer Änderung des Sachverhalts geführt habe, welcher vom FA bei der Steuerfestsetzung zugrunde gelegt worden sei. Ebenso muss nach der Entscheidung in BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957 das Ereignis nachträglich --d.h. für den Fall einer beantragten Aufhebung oder Änderung nach Erlass des Steuerbescheids-- eingetreten sein; es müsse den Sachverhalt verändern und dabei steuerlich derart in die Vergangenheit zurückwirken, dass ein Bedürfnis bestehe, eine schon endgültig (bestandskräftig) getroffene Regelung i.S. der §§ 118, 157 AO 1977 an die Sachverhaltsänderung anzupassen. Dementsprechend ist nach dem Beschluss in BFH/NV 1999, 589 eine Änderung der in steuerlichen Verwaltungsanweisungen vertretenen Rechtsauffassung kein "rückwirkendes Ereignis" i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977. Und nach dem Beschluss in BFH/NV 2001, 744 kann ein Investitionszulagenbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 AO 1977 geändert werden, wenn die Verbleibensvoraussetzungen des § 2 Satz 1 Nr. 2 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1991 nicht eingehalten werden. Werde die Voraussetzung des Verbleibens in mehreren der erforderlichen Verbleibensjahre nicht eingehalten, beginne die Festsetzungsfrist am Ende eines jeden Kalenderjahres, in dem dieses Ereignis eingetreten sei, jeweils neu zu laufen.

Zu diesen Entscheidungen steht das anzufechtende Urteil nicht in Widerspruch. Das FG ist davon ausgegangen, dass es bei der Beurteilung, ob ein rückwirkendes Ereignis eingetreten sei, auf den vom FA bei der Veranlagung zugrunde gelegten Sachverhalt ankomme. Auch zu der Entscheidung in BFH/NV 2001, 744 besteht kein Widerspruch, da gerade aus dieser Entscheidung hervorgeht, dass jeder nachfolgende Veranlagungszeitraum separat zu betrachten ist.

2. Nach ständiger Rechtsprechung hat eine Sache grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung des Rechts berührt. Es muss sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und im Streitfall klärungsfähig sein (BFH-Beschluss vom 1. August 2002 XI B 138/01, BFH/NV 2002, 1455).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Angesichts der eindeutigen Rechtslage ist eine weitere Entscheidung des BFH nicht geboten. Neben dem Wegfall einer Voraussetzung für eine Steuervergünstigung (wie es z.B. hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals "Dienen zu fremden Wohnzwecken" gemäß § 7k Abs. 2 Nr. 4 EStG gegeben sein könnte; vgl. von Groll in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 175 AO 1977 Rz. 401) erfasst der Tatbestand des § 175 Abs. 2 AO 1977 entsprechend der Gesetzesbegründung (BTDrucks 363/81, 76) auch die Fälle, in denen Voraussetzungen nicht eintreten (vgl. auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 175 AO 1977 Tz. 53). Im Fall des § 7k Abs. 2 Nr. 5 EStG muss für jedes Jahr aufs Neue eine Bescheinigung vorgelegt werden. Der Umstand, dass das FA schon in früheren Jahren zur Änderung berechtigt gewesen war, nimmt ihm nicht die Befugnis, wegen des Fehlens der Bescheinigung in einem späteren Jahr --als neuem rückwirkenden Ereignis-- die Änderung des Steuerbescheides herbeizuführen. Die jeweilige Nichtvorlage einer Bescheinigung ist jeweils ein neues nachträgliches Ereignis, das zur Änderung berechtigt; das Unterlassen früher möglicher Änderungen führt nicht zu einem "Änderungsverbrauch".

Ende der Entscheidung

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