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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 22.10.2001
Aktenzeichen: XI B 16/00
Rechtsgebiete: FGO, AO 1977


Vorschriften:

FGO § 60 Abs. 6
FGO § 60 Abs. 3
AO 1977 § 47
AO 1977 § 174
AO 1977 § 174 Abs. 5
AO 1977 § 174 Abs. 4
AO 1977 § 175 Abs. 1 Nr. 2
AO 1977 § 174 Abs. 5 Satz 2
AO 1977 § 174 Abs. 5 Satz 1
AO 1977 § 174 Abs. 4 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb zusammen mit dem Beigeladenen eine Gemeinschaftspraxis in der Rechtsform einer GbR. Der Kläger kündigte das Gesellschaftsverhältnis, woraufhin der Beigeladene die Übernahme der Gesellschaftsanteile des Klägers am 21. November 1989 erklärte. Auf Grund eines am 9. März 1992 geschlossenen Abfindungsvergleichs zahlte der Beigeladene an den Kläger eine Abfindung in Höhe von ... DM.

In der von beiden Gesellschaftern unterschriebenen Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 1989 für die GbR wurde die Beendigung der Praxisgemeinschaft nicht erwähnt. Nachdem der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) hiervon Kenntnis erhielt, wurde der Abfindungsbetrag nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) im Änderungsbescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 1989 vom 10. August 1993 als Veräußerungsgewinn des Klägers angesetzt. Eine erneute Ausfertigung des geänderten Feststellungsbescheids wurde dem Kläger am 13. März 1995 zugestellt, da ihn die erste Ausfertigung nach seinen Angaben nicht erreicht hatte. Zum Einspruchsverfahren zog das FA den Beigeladenen nach § 174 Abs. 5 AO 1977 hinzu, um bei ihm mögliche steuerliche Folgen für AfA-Beträge berücksichtigen zu können. Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Mit seiner Klage trägt der Kläger vor, dem Änderungsbescheid stehe Verjährung entgegen, weil die Beendigung der Praxisgemeinschaft dem FA bereits 1989 bekannt gewesen sei. Die Vergleichszahlung aus dem Jahre 1992 könne nicht dem Jahre 1989 --auch nicht als rückwirkendes Ereignis-- zugerechnet werden. Außerdem seien ihm ein Verlust in Höhe von ... DM (unter Berücksichtigung von Ausgleichspositionen von ... DM und Verlust des anteiligen ideellen Wertes von ... DM) und weitere Kosten aus der Auseinandersetzung entstanden.

Das Finanzgericht (FG) hat auf Antrag des FA den ehemaligen Mitgesellschafter des Klägers nach § 174 Abs. 4 und 5 AO 1977 beigeladen. Für eine Beiladung genüge es, dass die Möglichkeit einer Änderung der Besteuerungsgrundlagen bestehe und nicht feststehe, dass eine Berührung der Interessen des Beteiligten ausscheide. Es sei nicht auszuschließen, dass die Ermittlung des Veräußerungsgewinns Einfluss auf die beim Beigeladenen anzusetzenden Wertansätze habe.

Mit seiner Beschwerde macht der Kläger geltend, der ehemalige Mitgesellschafter habe nicht beigeladen werden dürfen. Die Beiladung führe zu einer Verzögerung des Verfahrens. Der ehemalige Mitgesellschafter werde zudem als Zeuge benötigt, um festzustellen, dass das Anlagevermögen der GbR zum 31. Dezember 1989 wesentlich höher gewesen sei, als es vom FA in dem Bescheid zugrunde gelegt worden sei. Die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 AO 1977 seien nicht gegeben; es gehe nicht um die irrige Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts, sondern um die Feststellung des Sachverhalts selbst und dessen richtige Beurteilung durch das FA. Dass das FA mit der Beiladung die Möglichkeit verfolge, bisher gegenüber dem Beigeladenen unterlassene und u.U. mittlerweile verjährte Schritte nachzuholen, dürfe nicht zu Lasten des Klägers gehen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat zu Recht die Voraussetzungen einer Beiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 angenommen mit der Folge, dass dem Beigeladenen die Rechtsstellung eines notwendig Beigeladenen i.S. von § 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zukommt.

§ 174 Abs. 4 AO 1977 sieht vor, dass nach einer vom Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten bewirkten Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheids --wie dies vom Kläger verfolgt wird-- aus dem Sachverhalt nachträglich die richtigen steuerlichen Folgen gezogen und dazu Steuerbescheide erlassen oder geändert werden können. Die Folgeänderung kann grundsätzlich auch vollzogen werden, wenn der Steuerbescheid des Beigeladenen nach den allgemeinen Vorschriften nicht mehr abänderbar ist und wenn die Festsetzungsfrist für die zu ändernde Steuer bereits abgelaufen ist. Diese Rechtsfolgen gelten gemäß § 174 Abs. 5 AO 1977 auch für Dritte, wenn sie an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des ursprünglichen fehlerhaften Steuerbescheids geführt hat, beteiligt waren; ihre Beiladung zu diesem Verfahren wird deshalb nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 für zulässig erklärt (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25. April 1986 IV B 126/85, BFH/NV 1988, 69).

a) Im Streitfall besteht die Möglichkeit, dass der Kläger mit seiner Auffassung durchdringt, die geleistete Abfindungszahlung stelle ganz oder zum Teil keinen Veräußerungsgewinn dar. Es besteht dann weiterhin die Möglichkeit, dass dies zu Änderungen bei den Wertansätzen der Wirtschaftsgüter des Beigeladenen führen kann. Das FG musste bei dieser Sachlage dem Beiladungsbegehren des FA folgen, selbst wenn das FA mit der Beiladung die Möglichkeit verfolgte, wie der Kläger vorträgt, bisher gegenüber dem Beigeladenen unterlassene und u.U. mittlerweile verjährte Schritte nachzuholen.

Sachverhalt i.S. des § 174 AO 1977 ist der einzelne einheitliche Lebensvorgang, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft (Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 174 Rz. 1; BFH-Urteil vom 24. November 1987 IX R 158/83, BFHE 152, 203, BStBl II 1988, 404); im Streitfall ist dies die Beendigung der GbR. Ob der Sachverhalt möglicherweise in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht seitens des FA irrig beurteilt wurde, ist unerheblich (Klein/Rüsken, a.a.O., § 174 Rz. 53, m.w.N.). Der Kläger kann daher mit seinem Vorbringen keinen Erfolg haben, es gehe vorliegend nicht um die irrige Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts, sondern um die Feststellung des wirklichen Sachverhalts, der vom FA noch nicht gewürdigt worden sei.

Das FG brauchte nicht zu prüfen, ob es tatsächlich zu steuerlichen Auswirkungen beim Beigeladenen kommen werde. Für die gerichtliche Beiladung genügt vielmehr, dass die Möglichkeit einer Folgeänderung nicht von der Hand zu weisen ist (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1988, 69, m.w.N.).

b) Aus der Zusammenschau der Vorschriften des Abs. 5 einerseits und des Abs. 4 Satz 3 des § 174 AO 1977 andererseits sowie unter Berücksichtigung der Wirkung des Ablaufs der Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 1 Satz 1, § 47 AO 1977) ergibt sich zwingend, dass der Erlass oder die Änderung eines Steuerbescheids gegenüber dem Dritten nur dann möglich ist, wenn dieser vor Ablauf der Festsetzungsfrist hinzugezogen oder beigeladen wurde (BFH-Beschluss vom 22. September 1993 II B 67/93, BFH/NV 1994, 216; BFH-Urteil vom 5. Mai 1993 X R 111/91, BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817). Eine Beiladung des Dritten i.S. von § 174 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 174 Abs. 4 AO 1977 kann deshalb nur dann unterbleiben, wenn dessen Interessen durch den Ausgang des anhängigen Rechtsstreits eindeutig nicht berührt sein können, etwa weil dem Erlass der auf § 174 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 gestützten erstmaligen oder geänderten Steuerbescheide (Steuermessbescheide, Feststellungsbescheide) zweifelsfrei der Ablauf der Festsetzungsfrist (Feststellungsfrist) entgegenstünde.

Das ist im Streitfall indes nicht der Fall. Das FA hat den Abfindungsvergleich zwischen den Beteiligten als rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 angesehen. Hiervon ausgehend begann die vierjährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977) mit Ablauf des Jahres 1992. Die Hinzuziehung des Beigeladenen zum Einspruchsverfahren erfolgte am 28. November 1995 und damit vor Ablauf der Festsetzungsfrist. Danach steht zumindest nicht eindeutig und zweifelsfrei fest, dass etwaige "Folgeänderungen" gegenüber dem Beigeladenen wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr vorgenommen werden könnten (vgl. BFH-Beschluss vom 30. Januar 1996 VIII B 20/95, BFH/NV 1996, 524). Die Beiladung darf die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen (BFH-Urteil vom 22. September 1993 X R 20/91, BFH/NV 1994, 523). Ob alle rechtlichen Voraussetzungen einer Folgeänderung gemäß § 174 Abs. 4, 5 AO 1977 tatsächlich vorliegen, ist nicht im Beiladungsverfahren, sondern im Folgeänderungsverfahren zu entscheiden (BFH-Beschluss vom 20. April 1989 V B 153/88, BFHE 156, 389, BStBl II 1989, 539).

c) Bei der Vorschrift des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 handelt es sich um eine eigenständige Änderungsnorm, die nicht auf die Fälle der alternativen Erfassung eines bestimmten Sachverhalts beschränkt ist, wie der Kläger in seiner Beschwerde vorträgt; sie setzt nicht eine rechtliche Abhängigkeit der "Folgeänderung" voraus. Es genügt, dass ein und derselbe Sachverhalt sowohl beim Steuerpflichtigen als auch beim Dritten erfasst und dabei irrig beurteilt worden ist (BFH-Beschluss in BFHE 156, 389, BStBl II 1989, 539).

Der Kläger kann sich schließlich auch nicht darauf berufen, dass der Beigeladene das Verfahren durch Einwendungen verzögern und gegen etwaige zugunsten des Klägers ergehende Entscheidungen Rechtsmittel einlegen werde; diese Beeinträchtigung ist vom Gesetzgeber, wie sich auch aus § 60 Abs. 6 FGO ergibt, im Rahmen des § 174 Abs. 5 AO 1977 im Interesse einer richtigen Besteuerung hingenommen worden. Die Einvernahme des Beigeladenen als Zeugen bleibt möglich (§ 84 FGO).



Ende der Entscheidung

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