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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 03.09.1998
Aktenzeichen: XI B 209/95
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 126 Abs. 1 Nr. 3
AO 1977 § 162 Abs. 1
AO 1977 § 162
FGO § 96 Abs. 1 Satz 1
FGO § 118 Abs. 2
FGO § 115 Abs. 3 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betrieb in den Streitjahren eine Gaststätte. Bei einer Betriebsprüfung für die Streitjahre versagte der Betriebsprüfer wegen formeller und materieller Mängel die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung. Eine zusammen mit der Klägerin erstellte Nachkalkulation führte zu Differenzen, die nicht aufgeklärt werden konnten. Der Prüfer nahm deshalb Hinzuschätzungen von 54 900 DM (1979), 76 400 DM (1980) und 36 000 DM (1981) vor, wobei er von einem durchschnittlichen Aufschlagsatz von 140 % ausging. Außerdem erhöhte er den Eigenverbrauch um 4 416 DM (1979 und 1980) und 3 070 DM (1981).

Die Klage gegen die entsprechend geänderten Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuermeßbescheide blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, daß der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) dem Grunde nach zur Schätzung berechtigt gewesen sei, weil die Buchführung formelle und materielle Fehler aufweise, die ihre Richtigkeit --wie die Nachkalkulation ergeben habe-- in Frage stelle. Auch der Höhe nach sei die Schätzung nicht zu beanstanden. Die Nachkalkulation sei eine anerkannte Schätzungsmethode. Der Prüfer habe die Grundsätze für die Nachkalkulation bei Handelsbetrieben beachtet und zu Recht einen einheitlichen Aufschlagsatz von 140 % angewendet. Daß die Zuschätzungen nicht irreal und willkürlich seien, zeige ein äußerer Betriebsvergleich anhand der Richtsatzsammlung. Eine "Bestätigung" der Zuschätzungen durch eine Geldverkehrsrechnung bzw. Vermögenszuwachsrechnung sei nicht notwendig gewesen. Auf einen Verfahrensfehler wegen unterlassener Schlußbesprechung könne die Klägerin sich nicht berufen, da ausweislich des Arbeitsbogens des Prüfers eine Vorbesprechung mit dem jetzigen Prozeßbevollmächtigten und eine Schlußbesprechung stattgefunden hätten. Selbst wenn keine Schlußbesprechung stattgefunden hätte, wäre dieser Verfahrensmangel hier geheilt, weil die Klägerin Gelegenheit erhalten habe, sich in der Stellungnahme zum Betriebsprüfungsbericht zu äußern.

Die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde stützt die Klägerin auf Divergenz, grundsätzliche Bedeutung und Verfahrensmangel.

Divergenz

Das FG-Urteil weiche vom Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. Oktober 1983 VIII R 190/82 (BFHE 139, 350, BStBl II 1984, 88) ab.

Aus der tragenden Begründung des FG-Urteils lasse sich folgender Rechtssatz herausstellen:

"(1) Formelle Mängel einer Buchführung rechtfertigen Hinzuschätzungen nach Maßgabe einer Nachkalkulation.

(2) Allein das Ergebnis einer Nachkalkulation kann zu sachlichen Mängeln führen. Bei sachlichen Mängeln ergibt sich die Berechtigung zu Zuschätzungen. Diese Zuschätzungen haben in Höhe des Ergebnisses der Nachkalkulation zu erfolgen."

In dem o.g. BFH-Urteil heiße es hingegen:

"Das Unterschreiten des untersten Rohgewinnsatzes (Aufschlagsatz) der Richtsatzsammlung rechtfertigt bei formell ordnungsmäßiger Buchführung eine Schätzung nur dann, wenn das FA (der Betriebsprüfer) zusätzliche konkrete Hinweise auf die sachliche Unrichtigkeit des Buchführungsergebnisses geben kann oder der Steuerpflichtige selbst Unredlichkeiten zugesteht."

Zu dem o.g. BFH-Urteil bestehe ferner insoweit eine Divergenz, als das FG ausführe: "Die im Streitfall vorgenommenen Zuschätzungen waren auch nicht durch eine Geldverkehrsrechnung bzw. durch eine Vermögenszuwachsrechnung zu bestätigen." Hingegen sei nach dem BFH-Urteil eine Schätzung nur dann gerechtfertigt, "wenn das FA (der Betriebsprüfer) zusätzliche konkrete Hinweise auf die sachliche Unrichtigkeit des Buchführungsergebnisses geben kann".

Grundsätzliche Bedeutung

Das FG-Urteil werfe folgende bedeutsame und für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage auf: "Wenn für ein FA mehrere Methoden oder Verfahren für die Kontrolle eines Betriebsergebnisses oder für die Ermittlung von Zuschätzungen existieren, hat es dann substantiiert die Auswahl und ggf. die evtl. Gewichtung des Ergebnisses aus der Anwendung verschiedener Methoden oder Verfahren in nachvollziehbarer Weise zu begründen?" Diese Rechtsfrage sei klärungsbedürftig, da das FG bezüglich der Nachkalkulation von einer eigenständigen Schätzungsmethode ausgehe, die keiner Bestätigung durch andere Methoden bedürfe. Wäre die o.g. Frage zu bejahen, könnte das Urteil des FG keinen Bestand haben. Die Klärung habe über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung, weil in Betriebsprüfungen eine Reihe unterschiedlicher Schätzungs- und Verprobungsmethoden zur Anwendung kommen könnten. Der Prüfer habe insoweit eine rationale und für Dritte nachprüfbare (Auswahl-)Entscheidung zu treffen. Die Klärung liege auch im Interesse der Allgemeinheit. Falls nämlich die Angabe der Auswahlkriterien bei der Wahl von Methoden oder Verfahren zur Ermittlung des Gewinns bzw. von Zuschätzungen entfalle, werde jede Schätzung beliebig und die Besteuerung willkürlich.

Das Urteil werfe folgende weitere Frage von grundsätzlicher Bedeutung auf: "Ergibt sich die Rechtswidrigkeit von Steuerfestsetzungen, wenn eine Schlußbesprechung im Rahmen einer Betriebsprüfung nicht stattgefunden hat?"

Diese Frage sei klärungsbedürftig, da das FG davon ausgegangen sei, daß eine Nachholung i.S. des § 126 Abs. 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) darin liege, daß die Klägerin Gelegenheit erhalten habe, sich zum Betriebsprüfungsbericht zu äußern. Werde die Frage bejaht, müsse die Vorentscheidung aufgehoben werden. Im Streitfall habe eine Schlußbesprechung nicht stattgefunden. Offensichtlich habe der Prüfer eine Besprechung mit dem Steuerberater (ohne Sachgebietsleiter) bereits für eine solche gehalten.

Verfahrensfehler

Im Streitfall sei der Sachverhalt unvollständig ermittelt worden. Die Prüfung habe erst nach Schließung der Gaststätte wegen Konkurses stattgefunden. Die Klägerin habe die Höhe der vom Prüfer ermittelten Kalkulationsgrundlagen bestritten und eine Verprobung durch Vermögenszuwachsrechnung und Geldverkehrsrechnung sowie eine Überprüfung durch einen Sachverständigen gefordert. Dies sei nicht erfolgt. Der Sachverhalt sei vom FG überhaupt nicht ermittelt, sondern vom FA übernommen worden. Die tatsächliche Entwicklung des Betriebs, insbesondere die Eröffnung des Konkursverfahrens in zeitlicher Nähe zur Prüfung, hätte das FG jedoch zum Anlaß nehmen müssen, den Sachverhalt weiter aufzuklären.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision gegen das Urteil des FG zuzulassen.

Das FA beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

Nach Auffassung des FA richtet sich die Beschwerde gegen den falschen Beschwerdegegner, da in der Beschwerdeschrift nicht das FA A-I, sondern das FA A-II genannt sei. Zudem sei der Streitgegenstand unklar. Bezeichnet sei als solcher in der Beschwerdeschrift die Umsatzsteuer 1979 bis 1981 sowie die Einkommensteuer 1979 bis 1981, wobei auf ein Klageverfahren mit dem Aktenzeichen 10 K 1958/87 Bezug genommen sei. Dieses Verfahren des FG betreffe jedoch lediglich die Umsatzsteuer und den Gewerbesteuermeßbetrag 1979 bis 1981. Darüber hinaus könne die Nichtzulassungsbeschwerde auch insoweit keinen Erfolg haben, als sich die Klägerin auf angebliche Divergenz, grundsätzliche Bedeutung und Verfahrensfehler berufe.

II. Die Beschwerde ist zwar zulässig, jedoch nicht begründet.

1. Aus der Beschwerdeschrift geht zweifelsfrei hervor, daß die Klägerin sich mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des FG vom 28. August 1995 mit dem Aktenzeichen 10 K 1958/87 wendet, soweit dieses zur Umsatzsteuer 1979 bis 1981 und zur Einkommensteuer 1979 bis 1981 ergangen ist. Beklagter in diesem Verfahren ist das FA A-I. Daß die Klägerin statt dessen als Verfahrensbeteiligten das FA A-II benannt hat, ist für den Senat ebenso als offensichtliches Versehen erkennbar wie die Angabe nur eines der beiden Aktenzeichen des angefochtenen Urteils (10 K 1958/87, 10 K 1959/87).

2. Die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

a) Eine Abweichung der vorinstanzlichen Entscheidung von dem BFH-Urteil in BFHE 139, 350, BStBl II 1984, 88 kann schon deshalb nicht angenommen werden, weil in dem vom BFH entschiedenen Fall die Buchführung formell ordnungsgemäß war, während nach den Feststellungen des FG im Streitfall die Buchführung der Klägerin formelle Mängel aufweist. Damit unterscheidet sich aber der vom FG beurteilte Sachverhalt in so wesentlicher Weise von dem Sachverhalt der BFH-Entscheidung, daß durch den vom BFH aufgestellten Rechtssatz der Sachverhalt des FG nicht als "mitentschieden" angesehen werden kann.

b) Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob das anhand einer Schätzungsmethode gewonnene Ergebnis durch die Anwendung einer weiteren Schätzungsmethode begründet oder bestätigt werden müsse, hat keine grundsätzliche Bedeutung, weil sich diese Frage ohne weiteres aus dem Gesetz und der vorliegenden Rechtsprechung des BFH beantworten läßt. Unter diesen Umständen besteht kein Bedürfnis an der Klärung dieser Frage durch eine Revisionsentscheidung (vgl. BFH-Beschluß vom 13. September 1991 IV B 105/90, BFHE 165, 469, BStBl II 1992, 148).

Gemäß § 162 Abs. 1 AO 1977 hat die Finanzbehörde unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände die Besteuerungsgrundlagen, die sie nicht ermitteln oder berechnen kann, zu schätzen. § 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 162 AO 1977 gibt dem FG eine eigene Schätzungsbefugnis. Dabei ist es grundsätzlich Sache der Tatsacheninstanz, welcher Schätzungsmethode sie sich bedienen will, wenn diese geeignet ist, ein vernünftiges und der Wirklichkeit entsprechendes Ergebnis zu erzielen (vgl. BFH-Urteile vom 19. Juni 1962 I 150/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1963, 60; vom 24. November 1988 IV R 150/86, BFH/NV 1989, 416). Es steht auch im pflichtgemäßen Ermessen des FG, sich der vom FA angewendeten Schätzungsmethode anzuschließen oder eine andere Schätzungsart zu wählen (vgl. BFH-Urteil vom 23. Januar 1964 IV 448/60, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 217, Rechtsspruch 61). Der Steuerpflichtige selbst hat keinen Anspruch auf die Anwendung einer bestimmten Schätzungsmethode (vgl. Heuer in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 5 EStG Anm. 44 a). Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, daß das Finanzamt und das FG grundsätzlich nicht verpflichtet sind, das aufgrund der von ihnen gewählten Schätzungsmethode erzielte Ergebnis noch durch die Anwendung einer weiteren Schätzungsmethode zu überprüfen oder zu untermauern.

Für die weitere von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob eine unterlassene Schlußbesprechung zur Rechtswidrigkeit der Steuerfestsetzungen führt, fehlt es an der Klärungsfähigkeit in einem eventuellen Revisionsverfahren. Denn nach den Feststellungen der Vorinstanz, an die der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, hat im Streitfall eine Schlußbesprechung stattgefunden.

c) Den Verfahrensfehler der mangelnden Sachaufklärung hat die Klägerin nicht ausreichend bezeichnet (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO).

Wird als Verfahrensmangel unzureichende Sachaufklärung wegen Nichterhebung angebotener Beweise geltend gemacht, so sind darzulegen (vgl. BFH-Beschluß vom 4. März 1992 II B 201/91, BFHE 166, 574, BStBl II 1992, 562):

- die ermittlungsbedürftigen Tatsachen,

- die angebotenen Beweismittel und die dazu angegebenen Beweisthemen,

- die genauen Fundstellen (Schriftsatz mit Datum und Seitenzahl, Terminprotokolle), in denen die Beweismittel und die Beweisthemen angeführt worden sind,

- das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme,

- inwiefern das Urteil des FG aufgrund dessen sachlich-rechtlicher Auffassung auf der unterbliebenen Beweisaufnahme beruhen kann,

- daß die Nichterhebung der Beweise vor dem FG rechtzeitig gerügt worden ist oder aufgrund des Verhaltens des FG nicht mehr vor diesem gerügt werden konnte.

Sofern die Klägerin hat geltend machen wollen, das FG hätte auch ohne Vorliegen eines Beweisantrages aufgrund seiner Amtsermittlungspflicht den Sachverhalt näher aufklären müssen, wäre zur Erfüllung der Begründungspflicht gemäß § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO --anstelle des Hinweises auf den Beweisantritt-- die Darlegung erforderlich gewesen, aufgrund welcher Anhaltspunkte im schriftsätzlichen Vorbringen oder sonst in den Akten des FG die Beweiserhebung sich dem FG hätte aufdrängen müssen. Hierzu sind eingehende Darlegungen anhand der Aktenlage erforderlich (vgl. BFH-Beschluß vom 23. April 1992 II B 174/91, BFH/NV 1993, 243). Das FG kann nämlich davon ausgehen, daß die Beteiligten selbst auf die Wahrung ihrer Interessen bedacht sind und deshalb die erforderlichen Tatsachen und Beweismittel in das Verfahren einführen (vgl. BFH-Urteil vom 6. Februar 1991 II R 87/88, BFHE 163, 471, BStBl II 1991, 459).

Diesen Anforderungen wird die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde in keiner Weise gerecht.

Ende der Entscheidung

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