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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 17.02.2003
Aktenzeichen: XI B 62/00
Rechtsgebiete: FGO, ZPO, AO 1977, GG


Vorschriften:

FGO § 76 Abs. 3
FGO § 79b Abs. 3
FGO § 93 Abs. 3 Satz 2
FGO § 155
ZPO § 227 Abs. 1
ZPO § 227 Abs. 2
AO 1977 § 364b
GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die einen Sprachendienst betreibt. Nach der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen für das Jahr 1996 reichte die Klägerin im Einspruchsverfahren die Feststellungserklärung ein. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) forderte die Klägerin zunächst erfolglos auf, die Sonderbetriebsausgaben der Gesellschafter aufzulisten, zu erläutern und zu belegen, und setzte dann gemäß § 364b der Abgabenordnung (AO 1977) eine Ausschlussfrist zur Vorlage der angeforderten Unterlagen. Nach ergebnislosem Ablauf der Frist erließ das FA einen geänderten Feststellungsbescheid, in dem es die Sonderbetriebsausgaben nicht ansetzte.

Während des Klageverfahrens listete die Klägerin die Sonderbetriebsausgaben auf und legte Nachweise vor.

Die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 22. Februar 2000 wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 3. Februar 2000 zugestellt. Am 18. Februar 2000 bat Rechtsanwalt A die Vorsitzende Richterin des Finanzgerichts (FG) telefonisch um Verlegung der mündlichen Verhandlung, weil er an diesem Tag bereits einen anderen Termin wahrzunehmen habe. Die Vorsitzende Richterin forderte A auf, seine Verhinderung durch die Vorlage geeigneter Unterlagen glaubhaft zu machen. In der mündlichen Verhandlung am 22. Februar 2000 war die Klägerin nicht vertreten. Am 29. Februar 2000 ging beim FG ein Schreiben vom 18. Februar 2000 ein, in dem A u.a. die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung mit der Begründung beantragte, dass er am gleichen Tag einen Termin in einer arbeitsrechtlichen Anlegenheit in X wahrzunehmen habe. Unterlagen dazu waren dem Schreiben nicht beigefügt.

Am 10. März 2000 wurde das finanzgerichtliche Urteil den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt. Das FG berücksichtigte darin die geltend gemachten Sonderbetriebsausgaben nur in geringem Umfang und wies im Übrigen die Klage mit der Begründung ab, dass die Klägerin für die weiteren Sonderbetriebsausgaben die betriebliche Veranlassung nicht dargelegt und nachgewiesen habe. Dabei ließ es dahingestellt, ob die Klägerin die Ausschlussfrist schuldhaft versäumt hat. Rechtliches Gehör sei der Klägerin ausreichend gewährt worden. Der fernmündlich gestellte Antrag auf Terminsverlegung habe abgelehnt werden müssen, weil der Bevollmächtigte seine Verhinderung trotz Aufforderung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht glaubhaft gemacht habe. Auch das Schreiben vom 18. Februar 2000, das dem Gericht erst am 29. Februar 2000 vom FA übersandt worden sei, enthalte keinen hinreichenden Grund für eine Terminsverlegung. Soweit darin neuer Sachvortrag und Beweisunterlagen enthalten seien, könnten diese nicht berücksichtigt werden, weil kein Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gegeben sei. Der Bevollmächtigte habe keine Tatsachen vorgetragen, die die verspätete Vorlage von Erläuterungen und Nachweisen entschuldigen könnten. Falls das Schreiben vom 18. Februar 2000 irrtümlich an das FA gefaxt worden sei, sei dieser Irrtum nicht unverschuldet.

Mit der dagegen eingelegten Beschwerde beantragt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels. Das FG habe zu Unrecht die mündliche Verhandlung nicht wiedereröffnet und ihr dadurch nicht in ausreichendem Maße rechtliches Gehör gewährt.

II. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet. Das FG hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör nicht dadurch verletzt, dass es die mündliche Verhandlung nach dem verspäteten Eingang des Schreibens des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 18. Februar 2000 nicht wieder eröffnet hat.

1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) wird verletzt, wenn das Gericht Ausführungen und Anträge eines Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 2. Dezember 1969 2 BvR 320/69, BVerfGE 27, 248, 252). Zwar werden Schriftsätze, die erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereicht werden, grundsätzlich nicht mehr berücksichtigt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. November 1973 IV R 221/69, BFHE 111, 21, BStBl II 1974, 115). Allerdings kann das FG zur Berücksichtigung nachträglich eingereichter Schriftsätze die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beschließen (§ 93 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Wie sich aus § 93 Abs. 3 Satz 2 FGO ergibt, steht die Wiedereröffnung zwar im Ermessen des Gerichts ("kann"). Dieses Ermessen kann jedoch nach der Rechtsprechung sämtlicher obersten Bundesgerichte (zu § 156 der Zivilprozessordnung --ZPO-- bzw. § 104 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung --VwGO-- bzw. § 121 des Sozialgerichtsgesetzes --SGG-- bzw. § 64 Abs. 6 des Arbeitsgerichtsgesetzes) auf Null reduziert sein, wenn durch die Ablehnung einer Wiedereröffnung wesentliche Prozessgrundsätze verletzt würden (vgl. BFH-Urteil vom 4. April 2001 XI R 60/00, BFHE 195, 9, BStBl II 2001, 726, m.w.N.). Das Gericht ist dann zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung verpflichtet. In jedem Fall muss das FG von Amts wegen beschließen, ob es aufgrund eines nachträglich eingereichten Schriftsatzes die mündliche Verhandlung wiedereröffnet oder die Wiedereröffnung nicht für geboten hält; dabei muss es auch die Erwägungen für seine Entscheidung in nachprüfbarer Weise zum Ausdruck bringen (vgl. BFH-Urteil vom 29. November 1985 VI R 13/82, BFHE 145, 125, BStBl II 1986, 187).

2. Das FG hat in den Gründen seines Urteils dargelegt, dass und warum es aufgrund des nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schreibens der Klägerin vom 18. Februar 2000 keinen Anlass für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gesehen hat. Diese Ermessensentscheidung des FG lässt nach Auffassung des erkennenden Senats Ermessensfehler nicht erkennen. Insbesondere war das FG weder aufgrund des neuen Sachvortrags der Klägerin noch wegen des in dem Schreiben enthaltenen Antrags auf Verlegung der mündlichen Verhandlung verpflichtet, diese nachträglich wieder zu eröffnen.

a) Eine Pflicht zur Berücksichtigung des neuen Sachvortrags durch Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung könnte allenfalls dann gegeben sein, wenn das FG die mündliche Verhandlung ohne ausreichende Sachaufklärung geschlossen hätte (vgl. BFH-Urteil in BFHE 111, 21, BStBl II 1974, 115). Diese Annahme verbietet sich im Streitfall schon wegen der hier eingreifenden gerichtlichen Präklusionsregelungen nach § 76 Abs. 3 i.V.m. § 79b Abs. 3 FGO. Da die Klägerin bereits die vom FA gemäß § 364b AO 1977 gesetzte Ausschlussfrist zur Erläuterung und zum Nachweis der geltend gemachten Sonderbetriebsausgaben der Gesellschafter hatte verstreichen lassen, bestand jedenfalls insoweit keine Verpflichtung des FG mehr zu einer weiteren Sachverhaltsaufklärung (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 76 FGO Rz. 133).

b) Aus dem in dem Schreiben vom 18. Februar 2000 enthaltenen Antrag auf Verlegung der mündlichen Verhandlung könnte sich eine Pflicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung allenfalls dann ergeben, wenn --unabhängig von der Frage, ob der Klägerin ein eventuelles Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an dem verspäteten Eingang des Vertagungsantrags zuzurechnen ist-- bei einer rechtzeitigen Antragstellung ein Rechtsanspruch auf Verlegung bestanden hätte. Ein solcher Rechtsanspruch kann gegeben sein, wenn ein Beteiligter oder sein Bevollmächtigter einen bereits früher anberaumten anderweitigen Gerichtstermin wahrnehmen muss (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, § 91 Rz. 4, m.w.N.); es liegt dann ein erheblicher Grund i.S. des § 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO vor. Hat aber --wie im vorliegenden Fall-- die Vorsitzende Richterin des FG entsprechend § 227 Abs. 2 ZPO vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin ausdrücklich verlangt, die erheblichen Gründe für eine Verlegung durch die Vorlage geeigneter Unterlagen glaubhaft zu machen, besteht ein Rechtsanspruch auf Verlegung nur, wenn der Prozessbevollmächtigte diesem Verlangen auch nachgekommen ist. Das ist im Streitfall aber nicht geschehen. Denn das Schreiben vom 18. Februar 2000 enthält zur Begründung nur, dass der Prozessbevollmächtigte wegen eines anderen Termins in X "nicht abkömmlich" sei. Dabei wird nicht dargelegt, ob dieser andere Termin ein Gerichtstermin ist, der bereits vor dem finanzgerichtlichen Termin anberaumt worden war. Bei dieser Sachlage hätte das FG dem schriftlichen Antrag auf Terminsverlegung auch dann nicht entsprechen müssen, wenn ihm dieser rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung vorgelegen hätte. Damit kann aber aus dem später eingegangenen Antrag eine Pflicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht abgeleitet werden.

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