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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 29.10.2004
Aktenzeichen: XI B 99/02
Rechtsgebiete: FGO, StBerG


Vorschriften:

FGO § 65 Abs. 2 Satz 2
FGO § 62 Abs. 3 Satz 3
FGO § 62 Abs. 3 Satz 6
FGO § 79b
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
FGO § 119 Nr. 3
FGO § 126 Abs. 4
StBerG § 3 Nr. 1
StBerG § 3 Nr. 2
StBerG § 3 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Prozessbevollmächtigte erhob Klage für die ausweislich der Klageschrift in Italien wohnhafte Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin). Er führte aus, "meine Klage richtet sich gegen die Ablehnung der Änderung des Einkommensteuerbescheides 1997 und daraus resultierender Verlustrücktrag und gegen die Ablehnung der Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung 1998. Die ausführliche Klagebegründung werde ich bis spätestens 25.07.01 nachreichen". Eine weitere Klagebegründung erfolgte nicht.

Unter dem 31. August 2001 forderte der Berichterstatter beim Finanzgericht (FG) auf, bis 20. September 2001 die Prozessvollmacht der Klägerin vorzulegen und den Gegenstand des Klagebegehrens (§ 65 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) zu bezeichnen. Beide Fristen wurden mit ausschließender Wirkung gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO bzw. § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO gesetzt. Ferner wies das FG darauf hin, dass die Klage zur Zeit auch deshalb noch unzulässig sei, weil das Klageziel nicht hinreichend deutlich zu erkennen sei. Die Anordnung wurde dem Prozessbevollmächtigten am 5. September 2001 zugestellt.

Nachdem die Fristen ungenutzt verstrichen waren, erging am 8. Oktober 2001 ein Gerichtsbescheid, gegen den der Prozessvertreter Antrag auf mündliche Verhandlung stellte. Er trug vor, die Fristen seien durch einen Fehler seiner sonst zuverlässigen Büroangestellten nicht gewahrt worden. In der mündlichen Verhandlung beantragte er Wiedereinsetzung in die versäumte Ausschlussfrist und stellte weiter --so das Protokoll-- "den Antrag aus der Klageschrift vom 22. Juni 2001".

II. Die Beschwerde ist begründet.

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 116 Abs. 2 FGO) und begründet (§ 116 Abs. 3 FGO). Die Klägerin hat Verfahrensfehler dargelegt, auf denen das Urteil des FG beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegen vor. Das FG hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG-- i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO) verletzt, indem es die Klage als unzulässig abgewiesen hat.

Nach der ständigen Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes stellt es einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, wenn über eine in Wahrheit zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. März 2003 VII B 196/02, BFH/NV 2003, 1007; vom 12. Februar 1999 III B 29/98, BFH/NV 1999, 1109; vom 17. Oktober 1996 V B 75/96, BFH/NV 1997, 415, jeweils m.w.N.). Das angefochtene Urteil beruht auf dieser Rechtsverletzung. Das folgt aus § 119 Nr. 3 FGO. Die dort verankerte Vermutung, dass eine Versagung des rechtlichen Gehörs für das später ergangene Urteil ursächlich ist, gilt zwar nicht ausnahmslos. Sie wird aber nur dann durchbrochen, wenn das Gehör nur hinsichtlich einzelner Feststellungen verletzt wurde, auf die es unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ankommt (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 119 Rz. 11, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 14. Mai 2003 X B 168/02, BFH/NV 2003, 1205). Im Streitfall hat das FG demgegenüber zur Sache nicht entschieden und keine Feststellungen getroffen.

3. Zutreffend rügt die Klägerin Verfahrensfehler des FG. Das FG hat im angefochtenen Urteil die Regelungen in § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO sowie in § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO fehlerhaft angewandt. Es hat deshalb zu Unrecht die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Einschränkung des rechtlichen Gehörs durch eine unzutreffende Anwendung einer Präklusionsvorschrift stellt einen Verfahrensmangel dar (BFH-Beschluss vom 17. Januar 2002 VI B 114/01, BFHE 198, 1, 3, BStBl II 2002, 306, m.w.N.).

a) Die vom FG gesetzte Ausschlussfrist zur Vorlage einer Prozessvollmacht im Original ist unwirksam. Dem FG war bekannt, dass die Klägerin mittlerweile in Italien wohnhaft war; die Ausschlussfrist von lediglich 15 Tagen war deshalb unangemessen kurz und damit unwirksam (vgl. BFH-Beschluss vom 17. November 2003 XI B 213/01, BFH/NV 2004, 514). Hinzu kommt, dass nach § 62 Abs. 3 Satz 6 FGO in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung das FG den Mangel der Vollmacht bei Bevollmächtigten i.S. des § 3 Nr. 1 bis 3 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) nicht mehr von Amts wegen zu berücksichtigen braucht. Tritt demnach als Bevollmächtigter eine Person i.S. des § 3 Nr. 1 bis 3 StBerG auf, so kann eine Vollmacht unter Setzen einer Ausschlussfrist nur noch bei begründeten Zweifeln an der Bevollmächtigung angefordert werden (vgl. grundlegend BFH-Urteil vom 11. Februar 2003 VII R 18/02, BFHE 201, 409, BStBl II 2003, 606, m.w.N.). Für die Annahme derartiger Zweifel an einer Bevollmächtigung, die bei dem Auftreten von Personen i.S. von § 3 Nr. 1 bis 3 StBerG die Anforderung einer Vollmacht rechtfertigen können, müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen (BFH-Beschluss vom 28. November 2003 III B 75/03, BFH/NV 2004, 523). Für derartige Zweifel ist im Streitfall nichts ersichtlich.

b) Ebenso war die Frist zur Aufforderung der Bezeichnung des Klagebegehrens unangemessen kurz und unwirksam (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 514). Außerdem war der Gegenstand des Klagebegehrens bereits mit dem Klageantrag hinreichend bezeichnet. Dies ergibt sich zum einen aus dem Schreiben des Berichterstatters beim FG vom 28. November 2001 an den Prozessbevollmächtigten. Darin heißt es am Ende: "... Hierzu haben sie innerhalb der Zweiwochenfrist vorgetragen, es seien ihrer Mandantin nachträgliche Betriebsausgaben 1998 entstanden, die zu einem Verlust führten, der in den Veranlagungszeitraum 1996 zurückgetragen werden solle. Dieser Vortrag lässt bislang nicht erkennen, warum Sie sich für die Veranlagungszeiträume 1998 und 1997 zur Einkommensteuer beschwert fühlen, welche(n) Steuerbescheid(e) Sie angreifen und welche Klageanträge Sie stellen." Dass aber bereits die Klageschrift vom 22. Juni 2001 --auch nach Auffassung des FG-- hinreichend klare Klageanträge enthielt, ergibt sich aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung, in dem hinsichtlich des gestellten Antrags lediglich auf den in der Klageschrift vom 22. Juni 2001 gestellten verwiesen wird. Die vom Berichterstatter aufgeworfenen Fragen betrafen demgegenüber die Frage, ob es im Streitfall am allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis mangeln könnte.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Regelung in § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO als Präklusionsvorschrift strengen Ausnahmecharakter hat, weil die Versäumung der Ausschlussfrist einschneidende Folgen für den säumigen Beteiligten nach sich zieht. Nur diese Auslegung trägt dem aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften Rechnung (vgl. dazu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 29. Oktober 1975 2 BvR 630/73, BStBl II 1976, 271). Den rechtzeitigen Eingang einer minimalen Klagebegründung zu gewährleisten, ist --allein-- Zweck des § 79b FGO (BFH in BFHE 198, 1, BStBl II 2002, 306, m.w.N.).

4. Die Aufhebung des FG-Urteils und die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung beruht auf § 116 Abs. 6 FGO.

a) Zwar sind im Rahmen der Prüfung, ob die Revision wegen des Vorliegens eines Verfahrensmangels zugelassen werden soll, in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 4 FGO auch die Erfolgsaussichten einer künftigen Revision zu berücksichtigen, um im Interesse der Prozessökonomie zu vermeiden, dass eine Revision zugelassen wird, von der ohnehin feststeht, dass sie im Ergebnis keinen Erfolg haben kann. Das gilt im Falle des Verfahrensfehlers einer Verletzung des rechtlichen Gehörs allerdings nur, sofern dieser nur einzelne tatsächliche Feststellungen betrifft, auf die es in revisionsrechtlicher Hinsicht nicht ankommt (vgl. dazu Gräber/Ruban, a.a.O., § 126 Rz. 9, § 119 Rz. 11). Wird der Klägerin jedoch --wie hier-- die Möglichkeit genommen, sich überhaupt zum entscheidungserheblichen Sachverhalt zu äußern, so kann das Revisionsgericht das angefochtene Urteil auf seine sachliche Richtigkeit nicht überprüfen (vgl. BFH-Urteil vom 5. Dezember 1979 II R 56/76, BFHE 129, 297, BStBl II 1980, 208).

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