Judicialis Rechtsprechung
Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:
Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 11.07.2007
Aktenzeichen: XI R 1/07
Rechtsgebiete: FGO
Vorschriften:
FGO § 56 Abs. 3 | |
FGO § 62 Abs. 3 Satz 5 | |
FGO § 72 Abs. 2 |
2. War für das Klageverfahren ein Prozessbevollmächtigter bestellt, beginnt die Frist ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe des Einstellungsbeschlusses an den Bevollmächtigten zu laufen.
Gründe:
I.
Im Namen der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erhob Rechtsanwalt Dr. Z ausweislich der Klageschrift mit dem Zusatz "aus der Kanzlei X, Dr. Z & Kollegen" am 25. September 2001 Klage gegen die Einkommensteueränderungsbescheide für 1988 bis 1993 und machte Festsetzungsverjährung geltend. Die ihm von der Klägerin erteilte Prozessvollmacht lautete auf ihn persönlich. Die Sozietät, der Rechtsanwalt Dr. Z nach seinem Vortrag bis 30. September 2003 angehörte, trat im Klageverfahren zu keinem Zeitpunkt als Prozessbevollmächtigte auf.
Mit Verfügung vom 24. September 2003 bestimmte das Finanzgericht (FG) Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme auf den 16. Oktober 2003. Durch die Beweisaufnahme sollten die Umstände der steuerlichen Nichterfassung von Zuzahlungsbeträgen geklärt werden. Das persönliche Erscheinen der Klägerin wurde angeordnet. Die Ladung war adressiert an "X, Dr. Z und Kollegen" und wurde laut Postzustellungsurkunde dem "Adressaten" zugestellt.
Am 29. September 2003 fand zwischen dem Einzelrichter (§ 6 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und einem Dr. P ein Telefongespräch statt, über dessen Inhalt die daran Beteiligten unterschiedliche Angaben machen. Jedenfalls nahm die Klägerin im Anschluss an dieses Gespräch am selben Tag per Telefax die Klage persönlich zurück. Mit Schreiben ebenfalls vom 29. September 2003 übersandte das FG eine Kopie der Klagerücknahme an die Rechtsanwaltskanzlei "X, Dr. Z und Kollegen" und stellte mit Beschluss vom 30. September 2003 das Verfahren gemäß § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO ein. Der Beschluss sollte mit einfachem Brief "an - Prozessbevollmächtigte(n)" und der Klägerin übersandt werden, was ausweislich der FG-Akte am 2. Oktober 2003 geschah.
Mit Schriftsatz vom 15. April 2005 machte die Klägerin die Unwirksamkeit der Klagerücknahme geltend. Sie habe seinerzeit die Klage unter falschen Voraussetzungen zurückgenommen. Erst nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) mit Schreiben vom 19. Januar 2005, also 15 Monate nach Klagerücknahme rückständige Einkommensteuer für 1988 bis 1993 angemahnt habe, sei ihr bewusst geworden, dass die Angelegenheit entgegen der Auskunft des Einzelrichters noch nicht erledigt gewesen sei. Dieser habe damals Dr. P mitgeteilt, dass das FA die Steuerschulden 1988 bis 1993 nicht weiter verfolge, und angefragt, ob sie, die Klägerin, daher die Klage nicht zurücknehmen wolle. Das habe sie daraufhin getan. Sie beantragte, Dr. P und Rechtsanwalt Dr. Z als Zeugen zu vernehmen.
Hätte das FA pflichtgemäß die Aussetzung der Vollziehung (AdV) zeitnah beendet, dann hätte sie sich innerhalb der Jahresfrist nach § 72 Abs. 2 Satz 3 FGO auf die Unwirksamkeit der Rücknahme berufen können. Die fristgerechte Geltendmachung der Unwirksamkeit sei daher allein infolge höherer Gewalt unterblieben.
Das FG hat den Einstellungsbeschluss vom 30. September 2003 aufgehoben und durch Urteil erkannt, dass die Klage zurückgenommen sei. Die Klägerin habe die Jahresfrist für die Geltendmachung der Unwirksamkeit der Klagerücknahme nicht eingehalten. Ein Fall höherer Gewalt liege nicht vor: Zwar könne nach höchstrichterlicher Rechtsprechung höhere Gewalt vorliegen, wenn ein Verfahrensbeteiligter durch ein Verhalten der Verwaltungsbehörde oder des Gerichts von einer fristgerechten Prozesshandlung abgehalten werde. Allerdings entschuldige mangelnde Rechtskenntnis eine Fristversäumnis in der Regel nicht. Den Bürger treffe vielmehr die Pflicht, sich sachkundig zu machen und ggf. juristischen Rat einzuholen. Dementsprechend wäre es der Klägerin möglich gewesen, innerhalb der Jahresfrist des § 56 Abs. 3 FGO die Unwirksamkeit der Klage geltend zu machen. Die Klägerin habe gewusst bzw. hätte wissen müssen, dass die Einkommensteueränderungsbescheide noch wirksam gewesen seien. Ihr damaliger Prozessbevollmächtigter habe seinerzeit beim FA in ihrem Namen AdV beantragt, die bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung gewährt worden sei. Sie hätte daher wissen müssen, dass die entsprechenden Einkommensteuerbeträge bereits im September 2001 fällig geworden seien. Dass das FA auf die Fälligkeit erst mit Schreiben vom 19. Januar 2005 hingewiesen habe, sei unbeachtlich.
Selbst wenn das Verhalten des FA als höhere Gewalt zu beurteilen wäre, hätte die Klägerin die Unwirksamkeit der Klagerücknahme zu spät geltend gemacht. Da das FA der Klägerin die Beendigung der AdV mit Verfügung vom 19. Januar 2005 gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) am 24. Januar 2005 bekanntgegeben habe, wäre die Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO am 7. Februar 2005 abgelaufen. Der Schriftsatz der Klägerin, mit der sie die Unwirksamkeit der Klagerücknahme geltend gemacht habe, sei bei Gericht aber erst am 19. April 2005 eingegangen.
Die Klägerin rügt mit ihrer Revision Verletzung von § 62 Abs. 3 Satz 5, § 72 Abs. 2 FGO und § 169 AO. Die Frist zur Geltendmachung der Unwirksamkeit der Klagerücknahme sei nicht abgelaufen gewesen. Ihr damaliger Prozessbevollmächtigter sei am 30. September 2003 mit seiner Kanzlei umgezogen und habe trotz Nachsendeantrags den Einstellungsbeschluss nie erhalten, was dieser schriftlich bestätigt habe. Im Übrigen sei Festsetzungsverjährung eingetreten, weil sie keine Steuerhinterziehung begangen habe, sich vielmehr u.a. stets auf ihren Steuerberater verlassen habe, der zudem mittlerweile ihr gegenüber zum Schadensersatz verurteilt worden sei.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und ihre Einkünfte aus selbständiger Arbeit unter Abänderung der geänderten Einkommensteuerbescheide 1988 vom 7. Dezember 1999, 1989 vom 2. August 2000 und 1990 bis 1993 vom 29. November 1999 auf ... herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Entgegen der Auffassung des FG lässt sich nicht feststellen, dass im Streitfall die Frist für den Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens nach § 72 Abs. 2 Satz 3 FGO im Zeitpunkt der Geltendmachung der Unwirksamkeit der Klagerücknahme bereits abgelaufen war. Sie lief erst mit Bekanntgabe des Einstellungsbeschlusses an den für das Klageverfahren bestellten Prozessbevollmächtigten an.
1. Eine fehlerhafte Feststellung im FG-Urteil, eine Klage sei zurückgenommen, ist ein Verfahrensmangel.
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die unrichtige Beurteilung von Sachentscheidungsvoraussetzungen ein Verfahrensfehler (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 78, m.w.N.). Im Streitfall hat das FG zwar die Klage nicht ausdrücklich wegen Fehlens einer Sachentscheidungsvoraussetzung abgewiesen. Der Ausspruch, dass die Klage zurückgenommen sei, ist dem aber gleichzustellen. Das Fehlen einer Klagerücknahme (§ 72 FGO) ist eine (negative) Sachentscheidungsvoraussetzung (Gräber/von Groll, a.a.O., Vor § 33 Rz 5). Bejaht das FG die Wirksamkeit der Klagerücknahme, beschränkt sich die Entscheidung des FG darauf, die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung zu verneinen.
2. Nach § 72 Abs. 2 FGO hat die Rücknahme der Klage bei Klagen, deren Erhebung an eine Frist gebunden ist, den Verlust der Klage zur Folge. Wird die Klage zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluss ein. Wird nachträglich die Unwirksamkeit der Klagerücknahme geltend gemacht, so gilt § 56 Abs. 3 FGO sinngemäß, d.h. die Unwirksamkeit einer Klagerücknahme ist, vom Fall höherer Gewalt abgesehen, innerhalb der Jahresfrist geltend zu machen.
Im Schrifttum ist umstritten, ob die sinngemäß geltende Jahresfrist des § 56 Abs. 3 FGO ab Bekanntgabe des Einstellungsbeschlusses (so Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 72 FGO Rz 149; Gräber/Koch, a.a.O., § 72 Rz 43; Stöcker in Beermann/Gosch, FGO, § 72 Rz 55) oder ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem die Rücknahmeerklärung wirksam wird, also bei Eingang der Erklärung beim FG oder ggf. nach Eingang der gemäß § 72 Abs. 1 Satz 2 FGO notwendigen Einwilligung des Beklagten (so Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 72 FGO Rz 33; Haarmann/Schmieszek/ Albert, Rechtsschutz in Steuer- und Abgabensachen, F. 66101 Rz 228). Der erkennende Senat schließt sich im Sinne einer rechtsschutzgewährenden Auslegung von Verfahrensnormen (vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6. Mai 2005 XI B 189/04, BFH/NV 2005, 1608, m.w.N.) und aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit der erstgenannten Auffassung an.
a) Nach allgemeiner Meinung entfällt zwar unmittelbar mit der Klagerücknahme rückwirkend die Rechtshängigkeit (BFH-Beschlüsse vom 14. Oktober 1992 IV R 123/92, BFH/NV 1993, 488; vom 21. März 2005 XI R 53/04, nicht veröffentlicht, juris; Gräber/Koch, a.a.O., § 72 Rz 30); der nach § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO zu erlassende Einstellungsbeschluss hat danach "nur" deklaratorischen Charakter. Das bedeutet aber nicht, dass der Einstellungsbeschluss keine Bedeutung hat oder sonst minderer Rechtsqualität ist. Dagegen spricht, dass das Gesetz ausdrücklich einen förmlichen Beschluss nach Klagerücknahme vorschreibt. Dementsprechend hat der BFH im Beschluss vom 9. Mai 1972 IV B 99/70 (BFHE 105, 246, BStBl II 1972, 543) dem Einstellungsbeschluss "das Gepräge einer gerichtlichen Entscheidung" beigemessen. Die die Rechtslage klärende Funktion des Einstellungsbeschlusses (vgl. z.B. Birkenfeld in HHSp, § 72 FGO Rz 149) wird besonders deutlich in den Fällen, in denen die Rechtsfolgen der Klagerücknahme gerade nicht im Zeitpunkt des Eingangs der Rücknahmeerklärung beim FG eintreten, sondern erst nach Einwilligung des Beklagten (§ 72 Abs. 1 Satz 2 FGO). Dementsprechend war bis zum Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) nach allgemeiner Meinung der Einstellungsbeschluss mit der Beschwerde anfechtbar (z.B. BFH-Urteil vom 6. Juli 2005 XI R 15/04, BFHE 210, 4, BStBl II 2005, 644; Gräber/Koch, a.a.O., 4. Aufl., § 72 Rz 44), d.h. als "Entscheidung des Finanzgerichts" i.S. des § 128 Abs. 1 FGO anerkannt. An dem "Gepräge einer gerichtlichen Entscheidung" hat sich aber nichts geändert, denn nunmehr wird die Beschwerdemöglichkeit gegen diese "Entscheidung" ausdrücklich ausgeschlossen (§ 128 Abs. 2 FGO). Die Bedeutung des Einstellungsbeschlusses liegt bzw. lag auch nicht allein in der Kostenentscheidung, denn die Kostenfolge ergibt sich unmittelbar aus § 136 Abs. 2 FGO und in Streitigkeiten über Kosten war die Beschwerde nie gegeben (§ 128 Abs. 4 FGO).
b) Der erkennende Senat teilt nicht die Auffassung im Schrifttum (vgl. z.B. Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 72 FGO Rz 33), dass es "sinnvoll" sei, auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Rücknahmeerklärung abzustellen. Insbesondere in den Fällen, in denen ein Kläger trotz Bevollmächtigung die Klage persönlich zurücknimmt, erscheint es im Hinblick auf den von § 62 Abs. 3 Satz 5 FGO verfolgten Zweck geradezu geboten, die Frist für die Geltendmachung der Unwirksamkeit der Klagerücknahme mit der Bekanntgabe des Einstellungsbeschlusses an den Prozessbevollmächtigten anlaufen zu lassen.
Nach § 62 Abs. 3 Satz 5 FGO sind Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an den Prozessbevollmächtigten zu richten. Mitteilungen und Zustellungen an den Beteiligten sind nach Bestellung eines Prozessbevollmächtigten grundsätzlich unwirksam; insbesondere beginnen Rechtsmittelfristen nicht zu laufen (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 3. Oktober 1972 VII B 152/70, BFHE 107, 163, BStBl II 1973, 84; vom 25. August 2004 VI B 180-183/03, BFH/NV 2005, 224; so auch Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 62 FGO Rz 46). Dadurch soll verhindert werden, dass Prozessbevollmächtigte "ausgeschaltet" werden. Auch wenn es sich bei § 72 Abs. 2 Satz 3 FGO nicht um eine Rechtsmittelfrist im eigentlichen Sinne handelt, muss in Anbetracht der erheblichen Rechtswirkungen der Klagerücknahme dasselbe gelten wie bei Rechtsmittelfristen. Letztendlich bestellen die Beteiligten gerade deswegen (steuer-) rechtskundige Prozessbevollmächtigte, weil sie sich persönlich nicht in der Lage sehen, ihre Interessen im Klageverfahren in materieller und/oder prozessualer Hinsicht sachgerecht wahrzunehmen. Zwar können --entgegen der Auffassung der Klägerin-- die Kläger nach ständiger Rechtsprechung des BFH die Klage auch dann persönlich zurücknehmen, wenn sie einen Prozessbevollmächtigten bestellt haben (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 14. Juli 1976 VIII R 52/76, BFHE 119, 233, BStBl II 1976, 630). Umso wichtiger ist es dann aber, den Prozessbevollmächtigten über die vom Steuerpflichtigen erklärte Klagerücknahme zu unterrichten. Denn gerade bei rechtsunkundigen Klägern ist die Gefahr, dass sie aus ihrer Sicht (§ 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) Belehrungen oder Anregungen des Gerichts missverstehen oder die Unrichtigkeit einer Belehrung nicht erkennen (vgl. so z.B. BFH-Urteil in BFHE 210, 4, BStBl II 2005, 644) besonders groß. So hat beispielsweise die Klägerin vorgetragen, sie habe von dem erfolgreichen Antrag ihres damaligen Prozessbevollmächtigten auf AdV der angefochtenen Bescheide für das Einspruchsverfahren keine Kenntnis gehabt und sei daher der Auffassung gewesen, keine Einkommensteuer für die Streitjahre mehr zahlen zu müssen. Aus ähnlichen Gründen und im Sinne eines sachgerechten Rechtsschutzes hat der BFH die Bekanntgabe von Änderungsbescheiden während des Klageverfahrens an die Kläger persönlich als ermessensfehlerhaft beurteilt, sofern ein Prozessbevollmächtigter für das Klageverfahren bestellt war (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 5. Mai 1994 VI R 98/93, BFHE 174, 208, BStBl II 1994, 806; vom 24. Februar 2005 IV R 28/00, BFH/NV 2005, 1062).
c) Für die Maßgeblichkeit der wirksamen Bekanntgabe des Einstellungsbeschlusses nach § 62 Abs. 3 Satz 5 FGO spricht ferner, dass aufgrund des 2.FGOÄndG Beschlüsse über die Einstellung des Verfahrens nach Klagerücknahme nicht mehr mit der Beschwerde angefochten werden können. Bleibt damit dem Kläger nur noch die Möglichkeit, bei Unwirksamkeit der Klagerücknahme nach § 72 Abs. 2 FGO die Fortsetzung des Verfahrens zu beantragen, entspricht es dem Grundsatz der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit, die Jahresfrist wie vormals die Beschwerdefrist mit der Bekanntgabe des Einstellungsbeschlusses anlaufen zu lassen. Auch die Übergangsregelung in Art. 4 des 2.FGOÄndG stellt für die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs auf die Verkündung bzw. Zustellung der gerichtlichen Entscheidung ab.
d) Es wäre zudem prozessrechtlich ungewöhnlich, eine gesetzliche Frist mit Prozesshandlungen der Beteiligten anlaufen zu lassen. Verfahrensrechtlich erhebliche Fristen knüpfen regelmäßig an die Bekanntgabe von Verwaltungsakten, gerichtlichen Entscheidungen oder richterlichen Anordnungen an. In diesem Sinne entsprach (z.B. nach Gräber/Koch, a.a.O., 4. Aufl., § 72 Rz 43), so lange gegen Einstellungsbeschlüsse noch die Beschwerde eröffnet war, der Ablauf der Beschwerdefrist am ehesten dem Ende der "versäumten Frist" i.S. des § 72 Abs. 2 i.V.m. § 56 Abs. 3 FGO. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit dem Wegfall der Beschwerdemöglichkeit der Verweisung in § 72 Abs. 2 Satz 3 FGO einen gänzlich anderen Inhalt geben wollte. Mit dem Ausschluss der Beschwerdemöglichkeit sollte die Rechtslage nur an die des § 92 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angepasst werden (Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages, BTDrucks 14/4549, S. 12). Dem können weitergehende Einschränkungen der Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Klagerücknahme nicht entnommen werden, zumal § 92 VwGO überhaupt keine Frist für die Geltendmachung der Unwirksamkeit vorsieht (vgl. z.B. Clausing in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 92 Rz 77).
3. Die Frage, ob, ggf. wann dem damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin, Rechtsanwalt Dr. Z der Einstellungsbeschluss vom 30. September 2003 bekanntgegeben wurde, bedarf weiterer Klärung.
a) Prozessbevollmächtigter der Klägerin im Klageverfahren 7 K 3864/01 war Rechtsanwalt Dr. Z. Die Klägerin hatte ausweislich der beim FG eingereichten Prozessvollmacht ausschließlich diesen zur Prozessführung bevollmächtigt. Dieser hatte die Klage auch nicht namens der Sozietät, der er seinerzeit angehörte, erhoben, sondern als Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt Dr. Z "aus der Kanzlei ..." angegeben, die Klage in Ich-Form formuliert und nur in seinem Namen unterzeichnet (so zur vergleichbaren Problematik des Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs z.B. BFH-Beschluss vom 4. Oktober 2000 VIII B 12/00, BFH/NV 2001, 201, m.w.N.). Die Voraussetzungen für eine wirksame Bekanntgabe des Einstellungsbeschlusses an andere Mitglieder der Sozietät (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 28. Januar 2005 VIII B 117/03, BFH/NV 2005, 1110, m.w.N.) lagen danach im Streitfall nicht vor.
b) Nach Aktenlage lässt sich nicht feststellen, dass Rechtsanwalt Dr. Z den Einstellungsbeschluss vom 30. September 2003, der an die Sozietät adressiert war und am 2. Oktober 2003 vom FG abgesandt worden war, tatsächlich erhalten hat. Nach dem von Rechtsanwalt Dr. Z bestätigten Vorbringen der Klägerin war dieser nämlich mit seiner Kanzlei am 30. September 2003 umgezogen. In Anbetracht des noch bestehenden Aufklärungsbedarfs macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurückzuverweisen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 25. April 2006 VIII R 46/02, BFH/NV 2006, 2037; vom 11. Dezember 2001 VI R 19/01, BFH/NV 2002, 651).
Ende der Entscheidung
Bestellung eines bestimmten Dokumentenformates:
Sofern Sie eine Entscheidung in einem bestimmten Format benötigen, können Sie sich auch per E-Mail an info@protecting.net unter Nennung des Gerichtes, des Aktenzeichens, des Entscheidungsdatums und Ihrer Rechnungsanschrift wenden. Wir erstellen Ihnen eine Rechnung über den Bruttobetrag von € 4,- mit ausgewiesener Mehrwertsteuer und übersenden diese zusammen mit der gewünschten Entscheidung im PDF- oder einem anderen Format an Ihre E-Mail Adresse. Die Bearbeitungsdauer beträgt während der üblichen Geschäftszeiten in der Regel nur wenige Stunden.