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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 22.04.1998
Aktenzeichen: XI R 10/97
Rechtsgebiete: EStG
Vorschriften:
EStG § 18 | |
EStG § 15 Abs. 2 Satz 1 |
Zur Frage der Gewinnerzielungsabsicht bei langjährigen Verlusten aus einer freiberuflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt.
EStG § 18, § 15 Abs. 2 Satz 1
Urteil vom 22. April 1998 - XI R 10/97 -
Vorinstanz: FG München
Gründe
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist seit 1971 selbständig als Rechtsanwalt tätig. In den Streitjahren 1978 bis 1981 erlitt er aus dieser Tätigkeit Verluste (I978: 57 4I8 DM; 1979: 249 116 DM; 1980: 145 570 DM; 1981: 128 101 DM), die er mit positiven Einkünften aus seiner Beteiligung an der Firma A verrechnen wollte. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) versagte den Abzug der Verluste.
Die nach erfolglosem Einspruch eingelegte Klage hatte keinen Erfolg. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) hatte der Kläger in den Jahren 1971 bis 1992 folgende Ergebnisse erzielt:
Einnahmen Ausgaben Gewinn/Verlust DM DM DM 1971 ./. 7 976 1972 ./. 21 230 1973 ./. 19 550 1974 ./. 39 164 1975 ./. 18 730 1976 ./. 1 290 1977 113 935 124 899 ./. 10 964 1978 107 046 164 464 ./. 57 418 1979 125 259 374 375 ./. 249 116 1980 119 715 265 285 ./. 145 570 1981 135 818 260 920 ./. 128 101 1982 164 479 269 570 ./. 105 091 1983 259 314 282 284 ./. 22 969 1984 315 288 306 128 9 159 1985 314 732 307 407 7 324 1986 186 937 284 742 ./. 97 803 1987 168 858 272 202 ./. 103 343 1988 219 868 297 142 ./. 77 274 1989 296 411 286 312 10 098 1990 417 108 311 615 105 493 1991 317 796 330 821 ./. 13 024 1992 338 855 338 332 473
Gesamtverlust 1971 bis 1992 ./. 986 066
Das FG ging davon aus, daß trotz der langjährigen Verluste der Beweis des ersten Anscheins für eine Gewinnerzielungsabsicht des Klägers spreche, weil dieser die Rechtsanwaltstätigkeit hauptberuflich ausgeübt habe. Da jedoch nicht festgestellt werden könne, daß die vom Kläger "durchaus unter vollem persönlichen Einsatz ausgeübte Tätigkeit" nach der Art und Weise der Kanzleiführung geeignet sei, in absehbarer Zeit zu einem positiven Gesamtergebnis zu führen, sei der Anscheinsbeweis erschüttert. Die objektive Beweislast für das Vorliegen der Gewinnerzielungsabsicht liege damit beim Kläger. Das Gericht sei der Überzeugung, daß der Kläger "die von den Umsätzen her in den meisten Jahren des Beurteilungsspielraums durchaus gewinnversprechende Betätigung als Rechtsanwalt gleichwohl nicht mit Gewinnerzielungsabsicht geführt" habe, "weil er die betrieblich veranlaßten Aufwendungen nicht in dem betriebswirtschaftlich gebotenen Rahmen gehalten" habe. Gegen eine nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ausgerichtete Tätigkeit spreche auch, daß der Kläger wegen der nicht unerheblichen Einkünfte aus seiner Beteiligung an der A in der Lage sei, die aus der repräsentativen Kanzleiführung jährlich anfallenden Verluste zu tragen. Darin sei ein Umstand zu sehen, der die persönliche Lebensführung berühre (Hinweis auf die Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. Juli 1982 IV R 74/79, BFHE 136, 459, BStBl II 1983, 2, und vom 21. August 1990 VIII R 25/86, BFHE 163, 524, BStBl II 1991, 564). Nachdem der Kläger positive Einkünfte mit den Verlusten aus seiner selbständigen Tätigkeit ausgleichen wolle, gehe die Unerweislichkeit der betriebswirtschaftlichen Führung der Rechtsanwaltskanzlei und damit der Gewinnerzielungsabsicht in den Streitjahren zu seinen Lasten.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision, zu deren Begründung er im wesentlichen vorträgt: Das FG habe zu Unrecht die Rechtsprechung des BFH zur Erschütterung des Anscheinsbeweises, die zu typischen Nebenberufen oder "Hobbyberufen" ergangen sei, auf die hauptberufliche Tätigkeit des Klägers übertragen. Demgegenüber müsse in diesem Fall mit dem Urteil des Niedersächsischen FG vom 13. Februar 1997 IX 251/96 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 661) davon ausgegangen werden, daß die objektiven Umstände --wie Umfang der Tätigkeit und Ausstattung der Kanzlei-- im Sinne eines Indizienbeweises dafür sprächen, daß der freiberufliche Betrieb mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben werde. Das FG habe letztlich allein die Tatsache von Verlustperioden für die Annahme von persönlichen Neigungen und Interessen des Klägers an der Fortführung seiner Kanzlei und damit für die Verneinung der Gewinnerzielungsabsicht ausreichen lassen. Es habe aber keine konkreten Tatsachen festgestellt, aus denen sich ein privates Motiv ergibt. Daß der Kläger nicht darauf angewiesen gewesen sei, seinen regelmäßigen Lebensunterhalt aus der Kanzlei zu erwirtschaften, reicht dazu nicht aus. Das FG habe die Regeln des Anscheinsbeweises verkannt und damit gegen die Grundsätze der Beweiswürdigung nach § 93 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verstoßen. Darüber hinaus habe es den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt (Verstoß gegen § 76 FGO). Das FG hätte auch die Jahre 1993 und 1994 in die Beurteilung der Entwicklung der Kanzleierträge mit einbeziehen müssen. Es hätte dann festgestellt, daß für 1993 zwar nur ein geringer Gewinn, bereits für die erste Hälfte 1994 aber ein Gewinn von 68 936,58 DM zu verzeichnen gewesen sei. Außerdem habe das FG keine Prognose für die Entwicklung der Kanzlei ab 1995 vorgenommen. Der Kläger hätte dann nachgewiesen, daß er durch die Einleitung einer kompletten Umstrukturierung (Einstellung einer weiteren Rechtsanwältin und Anmietung größerer Büroräume) mit der Aufarbeitung der bisherigen Verluste und der Erzielung eines Totalgewinns realistisch habe rechnen können.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Einkommensteuer für die Streitjahre niedriger festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das FG sei unter Berücksichtigung der Besonderheiten im Streitfall zu dem Ergebnis gelangt, daß aufgrund der Art und Weise der Kanzleiführung in absehbarer Zeit nicht mit einem Totalgewinn gerechnet werden könne. Aus diesen Umständen habe es zu Recht auf das Fehlen der Gewinnerzielungsabsicht geschlossen. Nach dem Urteil des BFH vom 19. November 1985 VIII R 4/83 (BFHE 145, 375, BStBl II 1986, 289) reiche es zur Entkräftung des Anscheinsbeweises für eine Gewinnerzielungsabsicht aus, wenn das FA die ernsthafte Möglichkeit darlege, daß im konkreten Einzelfall nicht das Streben nach Gewinn, sondern persönliche Beweggründe für die Fortführung der Tätigkeit bestimmend gewesen seien. Diese Entscheidung, die nicht zu einem "Hobbyberuf" oder Nebenberuf, sondern zu einem Getränkegroßhandel ergangen sei, sei auch auf den Streitfall anwendbar. Ein objektives Beweisanzeichen für das Fehlen der Gewinnerzielungsabsicht sei, daß der Kläger die Kanzlei trotz anhaltender Verluste in gleichbleibender Form weiterbetrieben und den Verlusten nicht mit geeigneten Maßnahmen entgegengewirkt habe. Vielmehr habe er trotz der hohen Verluste hohe Aufwendungen für die Ausstattung und Erweiterung der Kanzlei getätigt. Diese Verhaltensweise lasse die Schlußfolgerung zu, daß dem Kläger aus persönlichen Gründen daran gelegen gewesen sei, eine repräsentative Anwaltskanzlei zu betreiben. Nicht gefolgt werden könne der Auffassung des Klägers, das FA habe die Feststellungslast für das Nichtvorliegen der Gewinnerzielungsabsicht. Das vom Kläger zitierte Urteil des Niedersächsischen FG sei auf den Streitfall nicht anwendbar, weil dort die ersten vier Jahre einer Wohnmobilvermietung zu beurteilen waren. Die vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen seien unbegründet.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Entscheidung in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, daß der Kläger die Anwaltstätigkeit ohne die Absicht, daraus Gewinne zu erzielen, betrieben hat.
1. Ebenso wie bei der Einkunftsart "Gewerbebetrieb", bei der die Absicht der Gewinnerzielung zu den ausdrücklich erwähnten Tatbestandsmerkmalen gehört (vgl. § 15 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes ab 1984 --EStG--), ist auch bei der Einkunftsart "selbständige Arbeit" eine Gewinnerzielungsabsicht Voraussetzung für das Vorliegen einer einkommensteuerrechtlich relevanten Tätigkeit. Nach dem Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25. Juni 1984 GrS 4/82 (BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, 766) ist die Gewinnerzielungsabsicht wie jede innere Tatsache anhand äußerer Merkmale zu beurteilen. Aus objektiven Umständen muß auf das Vorliegen oder das Fehlen der Absicht zur Gewinnerzielung geschlossen werden, wobei einzelne Umstände einen Anscheinsbeweis liefern können.
Beweisanzeichen für das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht kann eine Betriebsführung sein, bei der der Betrieb nach seiner Wesensart und der Art seiner Bewirtschaftung auf die Dauer gesehen dazu geeignet und bestimmt ist, mit Gewinn zu arbeiten. Dies fordert eine in die Zukunft gerichtete und langfristige Beurteilung, wofür die Verhältnisse eines bereits abgelaufenen Zeitraums wichtige Anhaltspunkte bieten können. Wenn dauernde Verluste auf das Fehlen einer Gewinnabsicht hindeuten, kann dies allein nicht ausschlaggebend sein. Bei längeren Verlustperioden muß aus weiteren Anzeichen die Feststellung möglich sein, daß der Steuerpflichtige die verlustbringende Tätigkeit nur aus im Bereich seiner Lebensführung liegenden persönlichen Gründen oder Neigungen ausübt (BFH-Beschluß in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, unter C. IV. 3. c bb (1)).
2. a) Im Streitfall spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, daß der Kläger seine Rechtsanwaltskanzlei in der Absicht betrieben hat, Gewinne zu erzielen; denn ein Unternehmen dieser Art ist regelmäßig nicht dazu bestimmt und geeignet, der Befriedigung persönlicher Neigungen oder der Erlangung wirtschaftlicher Vorteile außerhalb der Einkommenssphäre zu dienen (vgl. BFH-Urteil vom 19. November 1985 VIII R 4/83, BFHE 145, 375, BStBl II 1986, 289).
b) Die ernsthafte Möglichkeit, daß ein jahrelang ausschließlich mit Verlusten arbeitender Betrieb nicht in der Absicht der Gewinnerzielung geführt wird, ist gegeben, wenn feststeht, daß der Betrieb nach seiner Wesensart und der Art seiner Bewirtschaftung auf die Dauer gesehen nicht nachhaltig mit Gewinn arbeiten kann. Der Senat vermag bereits nicht zu erkennen, daß das FG dieses Merkmal zutreffend ausgelegt hat. Denn es setzt voraus, daß der Betrieb aus objektiven Gründen nicht zur Erzielung von Gewinnen geeignet erscheint. Diese Auslegung liegt auch der Entscheidung des VIII. Senats des BFH zum Getränkegroßhandel (in BFHE 145, 375, BStBl II 1986, 289) zugrunde, in der die Vorinstanz die objektive Unmöglichkeit der Erwirtschaftung von Gewinnen aus der Tatsache abgeleitet hatte, daß außergewöhnliche Verlustursachen nicht ersichtlich waren. Mit der im Streitfall getroffenen Wertung, aufgrund der Art und Weise der Kanzleiführung durch den Kläger ("weil er die betrieblich veranlaßten Aufwendungen nicht in dem betriebswirtschaftlich gebotenen Rahmen gehalten hat") sei in absehbarer Zeit ein positives Gesamtergebnis nicht zu erwarten, bescheinigt das FG dem Kläger aber lediglich subjektiv eine schlechte Betriebsführung, stellt die Geeignetheit des Betriebs, Gewinne zu erzielen, jedoch nicht in Frage. Im Gegenteil geht es aufgrund der erzielten Umsätze gerade davon aus, daß der Kläger bei vernünftiger Reduzierung der Ausgaben keine Verluste, sondern Gewinne erzielt hätte. Bei --aus betriebswirtschaftlicher Sicht-- zu hohen Ausgaben kann sich aber allenfalls die Frage stellen, ob einzelne Aufwendungen die Lebensführung des Steuerpflichtigen oder anderer Personen berühren und deshalb nach § 4 Abs. 5 Nr. 7 EStG ganz oder teilweise vom Betriebsausgabenabzug ausgeschlossen sind.
c) Darüber hinaus hat das FG keine persönlichen Gründe oder Motive festgestellt, die den Kläger trotz überwiegender Verluste zur Weiterführung seiner Anwaltskanzlei bewogen haben könnten. Der Umstand allein, daß der Kläger wegen anderweitiger hoher Einkünfte in der Lage war, die aus der "repräsentativen Kanzleiführung" jährlich anfallenden Verluste zu tragen, begründet kein solches persönliches Motiv. Angesichts der Tatsache, daß der Kläger seine Kanzlei hauptberuflich betrieben und ständig mindestens zwei Arbeitnehmer beschäftigt hat, sowie --nach der ausdrücklichen Feststellung durch die Vorinstanz-- die Anwaltstätigkeit "mit vollem persönlichen Einsatz" ausgeübt hat, ist ein derartiges persönliches Motiv auch nicht naheliegend. Eine Rechtsanwaltstätigkeit aus Gründen der Liebhaberei kann hier nicht angenommen werden. Die aus der freiberuflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt erlittenen Verluste des Klägers sind im Rahmen der Veranlagungen für die Streitjahre zu berücksichtigen.
Ende der Entscheidung
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