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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 21.01.2004
Aktenzeichen: XI R 22/03
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, EStG, GG


Vorschriften:

AO 1977 § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
FGO § 126 Abs. 2
EStG § 24 Nr. 1
EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a
EStG § 34
EStG § 34 Abs. 1
EStG § 34 Abs. 2
EStG § 34 Abs. 2 Nr. 2
GG Art. 20 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Streitig ist die Änderung des Einkommensteuerbescheides für das Streitjahr 1993 wegen einer nachträglichen Aufzahlung.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind miteinander verheiratet und werden zusammen veranlagt. Der 1931 geborene Kläger war leitender Angestellter bei der M-AG. Der Bruttoarbeitslohn im Jahr 1992 betrug 242 401 DM. Nach 40 Dienstjahren wurde das Arbeitsverhältnis vor Erreichen der Regelaltersgrenze einvernehmlich zum 30. Juni 1993 beendet. Der Bruttoarbeitslohn im Streitjahr 1993 betrug noch 171 820 DM. Der Kläger erhielt eine Sozialabfindung in Höhe von 215 000 DM. Ein Betrag von 36 000 DM wurde als steuerfrei behandelt, der restliche Betrag von 179 000 DM wurde gemäß §§ 24, 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nach Erklärung und in Übereinstimmung mit den Angaben auf der Lohnsteuerbescheinigung mit dem ermäßigten Satz besteuert (Bescheid vom 6. September 1994).

Im Jahr 1994 bezog der Kläger vom 1. August an eine Firmenrente und eine Altersrente. In der im Mai 1995 eingereichten Steuererklärung für das Jahr 1994 wies der Kläger erneut eine ermäßigt zu besteuernde Entschädigung aus. Beigefügt war ein Schreiben der M-AG vom 14. Juli 1994, nach dem an den Kläger "wie ....nach mehreren Gesprächen vereinbart" eine Aufzahlung zur Abfindung in Höhe von 85 000 DM im Juli 1994 ausgezahlt werden sollte. In einem weiteren --im Einspruchsverfahren vorgelegten-- Schreiben bestätigte die M-AG gegenüber dem Kläger, "dass die im Jahr 1994 zur Auszahlung gekommene Aufzahlung zur Abfindung in Höhe von 85 000 DM nach mehreren Verhandlungsgesprächen erfolgte, da bei der ursprünglichen Festlegung versehentlich die monetäre Auswirkung des früheren Ausscheidens auf die Altersversorgung nicht berücksichtigt worden war".

Im (bestandskräftigen) Bescheid vom 22. Juni 1995 für den Veranlagungszeitraum 1994 unterwarf das FA auch diese Zahlung dem ermäßigten Steuersatz.

Mit nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Bescheid vom 22. Dezember 1998 änderte das FA die Steuerfestsetzung 1993, indem es die Entschädigung in Höhe von 179 000 DM nunmehr mit dem regulären Steuersatz erfasste. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt; die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 775 veröffentlicht. Das FG hielt die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 für gegeben, war aber der Auffassung, dass die Entschädigung ermäßigt zu besteuern sei, weil es sich bei der Aufzahlung, die nur rd. 40 % der Hauptleistung betrage, um eine sog. Entschädigungszusatzleistung gehandelt habe.

Mit der Revision rügt das FA:

1. Die Zusatzleistungen müssten der sozialen Fürsorge entspringen. Das sei nicht der Fall. Vielmehr sei die Hauptleistung mittels einer weiteren Rate erhöht worden. Die Aufzahlung von 85 000 DM stelle im Verhältnis zur Hauptleistung von 215 000 DM keine ergänzende Zusatzleistung dar. Die Zuzahlung liege betragsmäßig noch deutlich über dem Steuervorteil für das Streitjahr.

2. Zumindest wären weitere Ermittlungen notwendig gewesen. Der Schluss, dass Zahlungen zum Zwecke des Ausgleichs von Nachteilen bei der Altersversorgung von vornherein sozial motiviert seien, greife zu kurz. Offenbar habe der Kläger angesichts erkennbarer finanzieller Einbußen eine weitere Zahlung gefordert.

Das FA beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

1. Entgegen der Auffassung des FA liege im Streitfall ein Ausnahmetatbestand im Sinne der Rechtsprechung vor.

2. Die Aufzahlung habe ausschließlich einem Nachteilsausgleich im Hinblick auf ein Defizit der Altersversorgung gedient.

II. Die Revision ist gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) unbegründet.

1. Gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG kommen als außerordentliche und nach § 34 Abs. 1 EStG ermäßigt zu besteuernde Einkünfte Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 EStG in Betracht. Die dem Kläger im Hinblick auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlte Sozialabfindung stellt eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG dar. Die einheitlich zu beurteilende Entschädigung (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. Juli 2002 XI R 80/00, BFHE 199, 395, BFH/NV 2002, 1645, m.w.N.) umfasst vorliegend neben den im Jahr 1993 gezahlten 215 000 DM auch die 1994 geleistete "Aufzahlung zur Abfindung" in Höhe von 85 000 DM.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urteil in BFHE 199, 395, BFH/NV 2002, 1645) sind außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG nur gegeben, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen. Die ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG bezweckt, die Härten auszugleichen, die sich aus der progressiven Besteuerung der Entschädigung ergeben. Dementsprechend sind Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG grundsätzlich nur dann außerordentliche Einkünfte, wenn die Entschädigung für entgangene oder entgehende Einnahmen, die sich bei normalem Ablauf auf mehrere Jahre verteilt hätten, vollständig in einem Betrag gezahlt wird oder wenn die Entschädigung nur Einnahmen eines Jahres ersetzt, sofern sie im Jahr der Zahlung mit weiteren Einkünften zusammenfällt und der Steuerpflichtige im Jahr der entgangenen Einnahmen keine weiteren (nennenswerten) Einnahmen gehabt hat. Bei einer Entschädigungszahlung, die sich auf zwei oder mehr Veranlagungszeiträume verteilt, ist eine Zusammenballung nicht gegeben; eine Anwendung des § 34 EStG kommt grundsätzlich nicht in Betracht.

3. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hält der Senat --wie er in seinem Urteil vom 14. August 2001 XI R 22/00 (BFHE 196, 500, BStBl II 2002, 180) ausgeführt hat-- in solchen Fällen für geboten, in denen --neben der Hauptentschädigungsleistung-- in späteren Veranlagungszeiträumen aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit Entschädigungszusatzleistungen gewährt werden. Dies sind beispielsweise solche Leistungen, die der Arbeitgeber dem entlassenen Arbeitnehmer zur Erleichterung des Arbeitsplatz- oder Berufswechsels oder als Anpassung an eine dauerhafte Berufsaufgabe und Arbeitslosigkeit erbringt. Sie setzen keine Bedürftigkeit des entlassenen Arbeitnehmers voraus. Soziale Fürsorge ist allgemein im Sinne der Fürsorge des Arbeitgebers für seinen früheren Arbeitnehmer zu verstehen. Ob der Arbeitgeber zu der Fürsorge arbeitsrechtlich verpflichtet ist, ist unerheblich. Derartige ergänzende Zusatzleistungen, die Teil der einheitlichen Entschädigung sind, sind unschädlich für die Beurteilung der Hauptleistung als einer zusammengeballten Entschädigung. Die Unbeachtlichkeit von ergänzenden Zusatzleistungen beruht auf einer zweckentsprechenden Auslegung des § 34 EStG unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit; dieser aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes abgeleitete Grundsatz enthält neben den Elementen der Eignung und der Erforderlichkeit auch das Element der Angemessenheit. § 34 EStG bezweckt, die sich aus dem zusammengeballten Zufluss von Einnahmen durch den progressiv gestalteten Steuertarif ergebenden Härten zu mildern; dabei sind grundsätzlich alle Zahlungen zu berücksichtigen. Es wäre aber nach Auffassung des Senats unangemessen, ergänzende Zusatzleistungen, die in anderen Veranlagungszeiträumen gezahlt werden, als schädlich zu beurteilen, wenn diese sozialer Fürsorge entspringen und ihrer Höhe nach die Zusammenballung der Hauptleistung nicht in Frage stellen.

4. Die im Streitfall geleistete Nachzahlung ist ebenfalls als ergänzende Zusatzleistung zu beurteilen. Bei der ursprünglichen Festlegung war versehentlich die Auswirkung des früheren Ausscheidens auf die Altersversorgung nicht berücksichtigt worden. Die Nachzahlung hatte den Zweck, diesen Fehler auszugleichen. Dabei ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass die Zahlung aus sozialen Gründen veranlasst war und sie auch der Höhe nach noch im Rahmen einer Zusatzleistung lag. Dass die Zusatzleistung erst nachträglich vereinbart worden war, ist unschädlich.

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