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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 19.10.2005
Aktenzeichen: XI R 24/04
Rechtsgebiete: EStG, FGO
Vorschriften:
EStG § 2 Abs. 1 | |
EStG § 3 Nr. 9 | |
EStG § 24 Nr. 1 | |
EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a | |
EStG § 34 | |
EStG § 34 Abs. 1 | |
EStG § 34 Abs. 2 | |
EStG § 34 Abs. 2 Nr. 2 | |
FGO § 100 Abs. 2 Satz 2 | |
FGO § 121 Satz 1 |
Gründe:
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr 1992 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war seit 1990 stellvertretender Chefredakteur. Sein Vertrag war bis zum 28. Februar 1993 fest abgeschlossen und sollte sich jeweils um ein Jahr verlängern, solange er nicht mindestens 12 Monate vor Vertragsablauf schriftlich gekündigt werde. Nach § 13 des Anstellungsvertrags war der Verlag berechtigt, den Kläger ohne Einhaltung einer Frist von seiner Position abzuberufen. In diesem Fall sollte der Kläger eine andere hervorgehobene Aufgabe erhalten oder der Vertrag zum nächstmöglichen Zeitpunkt beendet werden; bis dahin hatte der Kläger Anspruch auf Fortzahlung der vereinbarten Bezüge für die ursprünglich vorgesehene Vertragszeit. Mit Schreiben vom 23. Juli 1992 wurde er als stellvertretender Chefredakteur abberufen; der Vertrag sollte damit zum 28. Februar 1994 enden. Im Rahmen einer Klage vor dem Arbeitsgericht wurde ein Aufhebungsvertrag geschlossen, demzufolge das Arbeitsverhältnis bereits zum 31. August 1992 endete und der Kläger mit Rücksicht darauf, dass die Vertragsauflösung vom Verlag veranlasst worden sei, eine Abfindung in Höhe von 565 000 DM erhielt.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) versagte im Streitjahr 1992 die Anwendung der begünstigten Besteuerung gemäß § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für einen Teilbetrag in Höhe von 473 216 DM. Die Abfindung stelle insoweit Erfüllung des ursprünglichen Vertrags dar und beruhe nicht auf einer neuen Rechtsgrundlage. Auf Grund des Vertrags habe der Kläger noch Gehaltszahlungen bis zum 28. Februar 1994 (= 18 Monate) beanspruchen können, wenn es nicht zu der vorzeitigen Aufhebung gekommen wäre.
Das Finanzgericht (FG) folgte dem FA. Die ursprüngliche Rechtsgrundlage sei durch die Abfindungsvereinbarung nicht weggefallen. Durch den Vergleich werde das bisherige Schuldverhältnis nicht ersetzt. Der Kläger habe aus dem Arbeitsvertrag Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge bis zum 28. Februar 1994 gehabt; die Zahlung eines Betrages von 465 216 DM stelle sich deshalb als Erfüllung der aus dem Anstellungsvertrag geschuldeten Ansprüche des Klägers dar.
Die Kläger machen mit ihrer Revision geltend, das FG sei von der Rechtsprechung abgewichen. Dem Kläger habe das Recht zugestanden, sich gegen die vom Arbeitgeber ausgehende Kündigung zu wehren. Der Aufhebungsvertrag sei eine eigenständige Vereinbarung, die verschiedene Elemente --u.a. auch Verschwiegenheit, Wettbewerbsverbot, Altersversorgung-- umfasse und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf den 31. August 1992 festlege. Die als Gesamtbetrag vereinbarte Abfindung sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht aufzuteilen; sie beruhe auf dem Aufhebungsvertrag als neuer Rechtsgrundlage. Die Wahl des Beendigungszeitpunktes stehe den Parteien frei; nach dem 31. August 1992 könne das aufgehobene Arbeitsverhältnis für Zahlungen keine Rechtsgrundlage mehr sein. Die einheitliche Vereinbarung lasse sich auch nicht in "alte" und "neue" Elemente aufteilen.
Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung sowie den Einkommensteuerbescheid 1992 vom 28. März 1995 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 22. November 1995 aufzuheben und die Abfindung als Entschädigung begünstigt gemäß § 34 Abs. 2, § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG zu besteuern.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Selbst wenn durch den Aufhebungsvertrag eine neue Rechtsgrundlage geschaffen worden sein sollte, scheitere eine Begünstigung daran, dass der Kläger das Schadensereignis der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch seine Kündigungsschutzklage selbst verursacht habe. Er habe sich angesichts seiner Lohnzahlungsansprüche in keiner Zwangslage befunden und den Einnahmeausfall bzw. den daraus resultierenden geballten Zufluss selbst zu verantworten. Die Parteien hätten eine reine Abfindung in Höhe von 99 784 DM vereinbaren können.
II. Die Revision der Kläger ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu Unrecht hat das FG für einen Teilbetrag der vom Arbeitgeber gezahlten Entschädigung die ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 EStG versagt.
1. a) Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist nach § 34 Abs. 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung die darauf entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen. Nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG kommen als außerordentliche Einkünfte u.a. Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 EStG in Betracht. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH sind außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 EStG grundsätzlich nur gegeben, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen (BFH-Urteil vom 6. September 2000 XI R 19/00, BFH/NV 2001, 431). Der zusammengeballte Zufluss wird nur für die zu begünstigenden Leistungen gefordert.
Gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gehören zu den Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 EStG Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden. Zahlungen, die nicht an die Stelle weggefallener Einnahmen treten, sondern bürgerlich-rechtlich Erfüllungsleistungen des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses sind, sind keine Ersatzleistungen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG (vgl. BFH-Urteil vom 20. März 1987 VI R 61/84, BFH/NV 1987, 498). Mithin muss für die Annahme einer Entschädigung in diesem Sinne die an die Stelle der bisherigen Einnahmen tretende Ersatzleistung auf einer neuen Rechts- oder Billigkeitsgrundlage beruhen; es reicht nicht aus, wenn die bisherige vertragliche Basis bestehen geblieben ist und sich nur Zahlungsmodalitäten geändert haben (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 16. April 1980 VI R 86/77, BFHE 130, 168, BStBl II 1980, 393).
b) Für die Frage, ab wann vertragliche Ansprüche nicht mehr auf der alten Rechtsgrundlage entstehen können, ist von dem Zeitpunkt auszugehen, zu dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer das Dienstverhältnis wirksam beendet haben (BFH-Urteil vom 18. Dezember 1981 III R 133/78, BFHE 135, 66, BStBl II 1982, 305, unter 2. a der Gründe, m.w.N.). Werden in einer Abfindungsvereinbarung neben Entschädigungen für künftig entgehende Einnahmen auch Zahlungen einbezogen, die bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses zustanden, so sind diese, selbst wenn sie noch nicht fällig sein sollten, als nicht tarifermäßigte Einnahmen von den Entschädigungen zu trennen. Unter Auflösung des Dienstverhältnisses ist die nach bürgerlichem (Arbeits-)Recht wirksame Auflösung zu verstehen; die Beteiligten haben es dabei --bis an die Grenze des Gestaltungsmissbrauchs-- in der Hand, durch vertragliche Vereinbarung zu bestimmen, in welchem Umfang gemäß § 3 Nr. 9 EStG steuerfreie Abfindungen an die Stelle von steuerpflichtigen Lohnansprüchen treten. Dies gilt insoweit auch für Entschädigungen gemäß § 24 Nr. 1 EStG (BFH-Urteil vom 15. Oktober 2003 XI R 17/02, BFHE 203, 490, BStBl II 2004, 264, m.w.N.).
2. Danach ist die gezahlte Entschädigung im Ganzen gemäß § 34 Abs. 1 EStG ermäßigt zu besteuern.
a) Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde durch die Vereinbarung zum 31. August 1992 wirksam beendet. Ab diesem Zeitpunkt konnten keine vertraglichen Ansprüche mehr auf der alten Rechtsgrundlage entstehen. Die Zahlung der Entschädigung beruhte damit auf einer neuen Rechtsgrundlage. Dass die Vereinbarung nur deshalb zustande kam, weil der Kläger mehr oder weniger begründete Ansprüche geltend machen konnte, ist bei Entschädigungen für den Verlust eines Arbeitsplatzes regelmäßig der Fall (vgl. § 9, § 10 des Kündigungsschutzgesetzes). Zahlt der Arbeitgeber dem früheren Arbeitnehmer für die Zeit nach Auflösung des Dienstverhältnisses Beträge, auf die dieser bei Fortbestand des Dienstverhältnisses einen Anspruch gehabt hätte, der aber durch die Auflösung zivilrechtlich weggefallen ist, so handelt es sich um Entschädigungen für entgehende Einnahmen (vgl. auch BFH-Urteil vom 11. Januar 1980 VI R 165/77, BFHE 129, 479, BStBl II 1980, 205).
Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass in die Vereinbarung Beträge einbezogen wurden, die dem Kläger bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses zustanden (vgl. etwa BFH-Urteil in BFHE 203, 490, BStBl II 2004, 264; BFH-Beschluss vom 1. April 2004 XI B 128/02, BFH/NV 2004, 1251); das FA geht selbst davon aus, dass der die entgehenden Einnahmen übersteigende Betrag eine Entschädigungszahlung sei. Ob die Beteiligten --wie das FA vorträgt-- das Arbeitsverhältnis auch erst zum 28. Februar 1994 hätten beenden und eine geringere Abfindung vereinbaren können, ist unerheblich; der Besteuerung ist der verwirklichte Sachverhalt zugrunde zu legen (BFH-Urteil vom 12. Februar 1992 XI R 21/90, BFH/NV 1992, 516).
b) Dem FA kann auch nicht darin gefolgt werden, der Kläger habe das schädigende Ereignis selbst herbeigeführt. Es stand ihm vielmehr frei, von seinem Recht als Arbeitnehmer, Kündigungsschutzklage zu erheben, Gebrauch zu machen. Mit Urteil vom 10. November 2004 XI R 64/03 (BFHE 207, 336, BStBl II 2005, 181) hat der Senat zudem entschieden, im Regelfall könne davon ausgegangen werden, dass bei Zahlung einer Abfindung der Arbeitgeber die Auflösung veranlasst habe (vgl. auch BFH-Urteil vom 10. November 2004 XI R 14/04, BFH/NV 2005, 1247).
Die Berechnung der Steuer überträgt der Senat gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem FA.
Ende der Entscheidung
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