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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 10.03.1999
Aktenzeichen: XI R 26/98
Rechtsgebiete: EStG, FGO, HGB
Vorschriften:
EStG § 4 Abs. 4 | |
EStG § 24 Nr. 2 | |
FGO § 126 Abs. 2 | |
HGB § 149 |
Gründe
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb eine fachärztliche Einzelpraxis in gemieteten Praxisräumen. Zur Finanzierung eines Umbaus der Praxisräume und -ausstattung nahm er ein Darlehen in Höhe von 730 000 DM auf. Mit Vertrag vom 11. Juni 1991 gründeten der Kläger und ein anderer Arzt (im folgenden B) eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) mit je hälftiger Vermögens- und Gewinnbeteiligung zum Betrieb einer Gemeinschaftspraxis ab 1. Juli 1991. Der Kläger brachte seine Einzelpraxis zu Buchwerten in die GbR ein. B zahlte zum Ausgleich zum 1. Juli 1991 370 000 DM an den Kläger auf das bisherige betriebliche laufende Konto des Klägers. Diesen Betrag legte der Kläger als (nichtbetriebliches) Festgeld an und verwendete ihn später zur Begleichung persönlicher Steuerschulden und zum Bau eines Einfamilienhauses. Zur Zeit der Betriebsaufnahme der GbR belief sich das Darlehen noch auf 730 000 DM. Im September 1991 wurde es aus den Mitteln eines vom Kläger bei der A-Bank aufgenommenen Kredits von 788 400 DM umgeschuldet. Die GbR erfaßte das Darlehen im (negativen) Sonderbetriebsvermögen des Klägers und machte in ihrer Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte für das Streitjahr 1992 Zinsen von 51 266 DM als Sonderbetriebsausgaben des Klägers geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) ließ den Abzug der Zinsen als Betriebsausgaben nur zur Hälfte zu. Der von B gezahlte Kaufpreis habe vom Kläger zur Tilgung der ihm verbleibenden Darlehensschuld verwandt werden müssen.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 1045 veröffentlicht. Das Darlehen sei weder ganz noch teilweise zu außerbetrieblichen Zwecken verwandt worden. Der Eintritt des B habe zu keiner Beendigung des Betriebs und zu keiner Liquidationslage geführt. Ebenso wie der Inhaber eines werbenden Betriebs nicht gezwungen sei, eigene Mittel zur Finanzierung einzusetzen, könne dem Kläger nicht vorgehalten werden, daß er den Kredit bei der A-Bank durch Verwendung der Mittel aus der Ausgleichszahlung habe vermeiden können.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) könnten Zinsen für fortbestehende Betriebsschulden ganz oder teilweise nicht mehr als Betriebsausgaben abgezogen werden, wenn der Steuerpflichtige den Erlös aus dem Verkauf nicht zur Tilgung der betrieblichen Verbindlichkeiten, sondern für private Zwecke verwende. Die private Verwendung des Erlöses sei dafür ursächlich, daß weiterhin Zinsen zu zahlen seien. Im Rahmen eines fortbestehenden Betriebs verlange die Rechtsprechung dagegen im Regelfall nicht, daß die laufenden Betriebseinnahmen zur Tilgung der Betriebsschulden verwendet werden müßten. Entgegen der Auffassung des FG sei der Vorgang der Praxiseinbringung in eine Sozietät der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils gleichzustellen; die Einbringung auf Rechnung eines Dritten sei ein Veräußerungsvorgang. Der Rechtsgedanke, daß der Steuerpflichtige beliebig das vorhandene Eigenkapital aus dem Betrieb herausziehen dürfe, versage in den Fällen der Betriebsveräußerung im ganzen, aber auch, wenn ein Mitunternehmeranteil veräußert werde. Nach Einbringung führe der bisherige Praxisinhaber diese Praxis nur noch anteilig selbst fort. Für die Zulässigkeit des weiteren Zinsabzugs müsse verlangt werden, daß der Veräußerungserlös für den neu geschaffenen Mitunternehmeranteil (bzw. die Miteigentumsanteile an den einzelnen Wirtschaftsgütern) zur Tilgung der anteiligen Praxisschulden verwendet werde.
Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Das Unternehmen sei fortgeführt worden; Aktiva und Passiva seien Betriebsvermögen geblieben. Der Übergang auf die Gemeinschaftspraxis sei zu Buchwerten erfolgt. Stille Reserven seien nicht aufgedeckt worden. Der betriebliche Zusammenhang habe sich nicht gelöst. Die Kreditmittel seien ausschließlich zur Begleichung von betrieblichen Schulden verwendet worden (Hinweis auf BFH-Urteil vom 4. März 1998 XI R 64/95, BFHE 186, 46, BStBl II 1998, 511). Die Auffassung des FA, der Veräußerungserlös müsse zur Tilgung der zuvor entstandenen Praxisschulden verwendet werden, sei durch den Beschluß des Großen Senats vom 8. Dezember 1997 widerlegt worden. Die nicht wahrgenommene Tilgungsmöglichkeit stelle auch keinen Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten dar (BFH-Urteil vom 19. März 1998 IV R 110/94, BFHE 186, 57, BStBl II 1998, 513).
II. Die Revision ist gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) unbegründet; die Entscheidung des FG ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Die Aufnahme eines Sozius' in eine Einzelpraxis bedeutet die Gründung einer Personengesellschaft, bei der der bisherige Praxisinhaber seinen Betrieb als Einlage in die Gesellschaft einbringt und zugleich einen Teil des Betriebs veräußert; die Einbringung auf Rechnung eines Dritten ist ein Veräußerungsvorgang (BFH-Urteil vom 8. Dezember 1994 IV R 82/92, BFHE 176, 392, BStBl II 1995, 599).
2. a) Nach dem Beschluß des Großen Senats vom 4. Juli 1990 GrS 2-3/88 (BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817) ist die nach § 4 Abs. 4 EStG für den Betriebsausgabenabzug erforderliche betriebliche Veranlassung für Schuldzinsen gegeben, wenn die Zinsen für eine Verbindlichkeit geleistet werden, die durch den Betrieb veranlaßt ist und deshalb zum Betriebsvermögen gehört. Ob eine Darlehensverbindlichkeit zum Betriebsvermögen gehört, bestimmt sich danach, ob mit den Darlehensmitteln betrieblich veranlaßte Aufwendungen getätigt werden. Der Große Senat des BFH hat mit Beschluß vom 8. Dezember 1997 GrS 1-2/95 (BFHE 184, 7, BStBl II 1998, 193) diese Ausführungen dahingehend ergänzt, daß es dem Unternehmer freistehe, zunächst dem Betrieb Barmittel ohne Begrenzung auf einen Zahlungsmittelüberschuß zu entnehmen und im Anschluß hieran betriebliche Aufwendungen durch Darlehen zu finanzieren. Der Steuerpflichtige sei frei, wie er Eigenkapital und Fremdkapital verwende; seine tatsächlich durchgeführte Entscheidung sei der Besteuerung zugrunde zu legen (so auch BFH-Urteil in BFHE 186, 46, BStBl II 1998, 511).
b) Zinszahlungen für Verbindlichkeiten, die von einem Einzelgewerbetreibenden bis zur Beendigung seines Gewerbebetriebs trotz Verwertung des Aktivvermögens dieses Betriebs nicht getilgt werden konnten, können gemäß § 4 Abs. 4, § 24 Nr. 2 EStG nachträgliche Betriebsausgaben sein. Hat der Steuerpflichtige aber den für betriebliche Zwecke aufgenommenen Kredit nach Aufgabe seines Betriebs nicht getilgt, obwohl ihm hierfür ausreichende Mittel aus der Abwicklung des Betriebsvermögens zur Verfügung gestanden haben, kann er die auf den Kredit entfallenden Zinsen nicht als Betriebsausgaben abziehen. Diese Zinszahlungen sind nicht mehr betrieblich veranlaßt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 23. Januar 1991 X R 37/86, BFHE 163, 376, BStBl II 1991, 398 unter 2.a der Gründe; vom 13. Februar 1996 VIII R 18/92, BFHE 180, 79, BStBl II 1996, 291; vom 12. November 1997 XI R 98/96, BFHE 184, 502, BStBl II 1998, 144).
Hiervon ist auch auszugehen, wenn eine Gesellschaft es im Rahmen der Liquidation unterläßt, die aktiven Wirtschaftsgüter des Gesellschaftsvermögens zur Begleichung der Gesellschaftsschulden einzusetzen bzw. dies von den Gesellschaftern verhindert wird; die verbleibenden Schulden sind in Höhe des unterlassenen Ausgleichs nicht mehr durch die Tätigkeit der Gesellschaft veranlaßt (BFH-Urteil in BFHE 180, 79, BStBl II 1996, 291, m.w.N.).
Auch bei Ausscheiden eines Mitunternehmers aus einer Mitunternehmerschaft sind Schuldzinsen für betrieblich begründete zurückbehaltene Verbindlichkeiten nur insoweit nachträgliche Betriebsausgaben, als der Veräußerungserlös und der Verwertungserlös aus zurückbehaltenen Aktivwerten nicht zur Schuldentilgung ausreicht (BFH-Urteil vom 27. November 1984 VIII R 2/81, BFHE 143, 120, BStBl II 1985, 323).
3. Die (vorrangige) Tilgung von Verbindlichkeiten durch die Erlöse aus den Aktivwerten --wie sie von der Rechtsprechung verlangt wird-- wird von dem Gedanken der Liquidation bestimmt. Mit der Verwertung aller aktiven Wirtschaftsgüter ist der eingestellte Gewerbebetrieb voll beendet. Das gilt auch dann, wenn Verbindlichkeiten aus Erlösen des Aktivvermögens nicht getilgt worden sind (so BFH-Urteil vom 11. Dezember 1980 I R 119/78, BFHE 133, 22, BStBl II 1981, 460). Zweck einer Liquidation ist die Vollbeendigung; dazu gehört auch die Befriedigung der Gläubiger (vgl. § 149 des Handelsgesetzbuches --HGB--). Das Unterlassen einer möglichen Schuldentilgung und bewußte "Stehenlas- sen" einer betrieblich begründeten Verbindlichkeit ist objektiv nicht mehr durch den Abwicklungszweck gedeckt und deshalb keine betrieblich veranlaßte Tätigkeit mehr. Folglich liegt eine von Gesetzes wegen zugelassene, nämlich vom Liquidationszweck geforderte "Zwangsentnahme" vor. Der subjektive Wille des Steuerpflichtigen, eine betrieblich begründete Schuld trotz möglicher Tilgung als Betriebsschuld aufrechtzuerhalten, ist unbeachtlich (Söhn in Kirchhof/Söhn, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 4 Rdnr. E 300 -Stand August 1993-).
4. Legt man diese Grundsätze der Beurteilung des Streitfalls zugrunde, so hat der Kläger zwar einen Teil seines Betriebs veräußert. Er hat ihn aber nicht eingestellt und vollbeendet, sondern ist weiterhin am Betrieb beteiligt. Der Eintritt des B hat zu keiner Beendigung des Betriebs und zu keiner Liquidation geführt. Der Schuldzinsenabzug ist daher nach allgemeinen Grundsätzen vorzunehmen; der Abzug ist nicht insoweit eingeschränkt, als der Verbindlichkeit der Veräußerungserlös gegenüberstand.
Im Fall des BFH-Urteils in BFHE 143, 120, BStBl II 1985, 323 hatte der Steuerpflichtige --im Unterschied zum Streitfall-- seinen Anteil vollständig veräußert und war ganz aus dem Betrieb ausgeschieden. In diesem Fall hat der BFH zutreffend entschieden, daß Veräußerungserlös und nicht getilgte Verbindlichkeiten zu verrechnen sind.
Ende der Entscheidung
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