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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 22.04.1998
Aktenzeichen: XI R 28/97
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 16 Abs. 3
BUNDESFINANZHOF

Die Bestellung von Erbbaurechten an (allen) zugehörigen Grundstücken führt nicht zur Aufgabe eines gewerblichen Grundstückshandels.

EStG § 16 Abs. 3

Urteil vom 22. April 1998 - XI R 28/97 -

Vorinstanz: FG Düsseldorf


Gründe

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden für das Streitjahr 1984 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger betreibt einen landwirtschaftlichen Betrieb und Handel mit Milchprodukten. Zur landwirtschaftlichen Nutzfläche gehörte eine Parzelle "G". Im Zuge einer Umlegung und Erschließung ergab sich daraus Bauland, das wiederum in zehn Parzellen aufgeteilt wurde. Davon verkaufte der Kläger 1978 und 1982 insgesamt vier Grundstücke. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erfaßte diese Vorgänge als gewerblichen Grundstückshandel. Die Steuerbescheide sind bestandskräftig.

Auf den verbliebenen sechs Grundstücken bestellte der Kläger 1984 für die Dauer von 99 Jahren Erbbaurechte zugunsten einer Frau S. Diesen Vorgang behandelte das FA als (begünstigte) Betriebsaufgabe i.S. des § 16 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit der Folge der Erfassung eines Aufgabegewinns. Die von Frau S geleistete Vergütung wurde den Einkünften der Kläger aus Vermietung und Verpachtung zugeordnet.

Demgegenüber machten die Kläger geltend, der gewerbliche Grundstückshandel bestehe fort, da die Absicht verfolgt worden sei, die Grundstücke nicht sofort, sondern aus Versorgungsgründen zeitlich "gestreckt" zu verkaufen. Zwei Erbpachten seien zudem infolge Konkurses wieder gelöscht und die Grundstücke anschließend veräußert worden. Diese Einnahmen seien auch versteuert worden.

Die Klage hatte insoweit Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, das FA sei zu Unrecht von einer Betriebsaufgabe infolge der Bestellung der Erbbaurechte ausgegangen. Eine Aufgabeerklärung des Klägers liege nicht vor. Die Erklärung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung reiche dazu nicht aus. Der Kläger habe nicht den Entschluß gefaßt, den Grundstückshandel aufzugeben und habe auch keine entsprechenden Handlungen vorgenommen. Er habe später zurückgefallene Parzellen auch verkauft. Die Bestellung der Erbbaurechte sei so lediglich ein Geschäftsvorfall innerhalb des bestehenden Gewerbebetriebs gewesen. Die Belastung eines Grundstücks mit einem Erbbaurecht stelle auch nicht dessen Entnahme dar. Die bestellten Erbbaurechte hätten nach der Ausgestaltung der Verträge, wie die spätere Entwicklung erweise, die Nutzung substantieller Vermögenswerte nicht gehindert. Der Erbbauvertrag habe neben Vorkaufsrechten für die Erbbauberechtigten auch Heimfallrechte für den Fall des Konkurses oder von Zahlungsverzögerungen seitens der Erbbauberechtigten und das Erfordernis der Zustimmung des Eigentümers bei Verfügungen des Erbbauberechtigten über das Erbbaurecht enthalten.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung von §§ 4, 16 Abs. 3, 34 Abs. 1 und 2 EStG.

Für einen gewerblichen Grundstückshandel sei charakteristisch, daß mit ihm die Ausnutzung substantieller Vermögenswerte --der Grundstücke-- als Umlaufvermögen angestrebt werde. Dies setze voraus, daß zur Veräußerung bestimmte Grundstücke vorhanden seien. Daher sei von einer Betriebsaufgabe auszugehen, wenn sämtliche Grundstücke eines gewerblichen Grundstückshandels ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr zur Veräußerung bestimmt seien, sondern einer Fruchtziehung aus zu erhaltenden Vermögenswerten zugeführt würden. In diesem Falle komme es zur Verselbständigung einer Vermögensverwaltung. Dies sei gegeben, wenn sich der Gewerbetreibende entschließe, sämtliche Grundstücke durch Bestellung von Erbbaurechten als Einkunftsquelle in Form der Fruchtziehung zu nutzen.

Zwar begründe die Belastung eines Grundstücks mit einem Erbbaurecht nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht dessen Entnahme. Anders sei dies indessen zu beurteilen, wenn an sämtlichen noch im Umlaufvermögen befindlichen Grundstücken Erbbaurechte (für die Dauer von 99 Jahren) bestellt würden. Dies begründe eine nachhaltige Nutzungsänderung, die mit einer langfristigen Vermietung bzw. Verpachtung zu vergleichen sei. Die für eine Betriebsverpachtung im Ganzen geltenden Grundsätze könnten andererseits auf den Streitfall nicht übertragen werden.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger treten der Revision, im wesentlichen unter Hinweis auf die Vorentscheidung, entgegen.

II.

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht eine Betriebsaufgabe verneint.

1. Unter einer Betriebsaufgabe i.S. des § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG ist ein Ereignis zu verstehen, bei dem aufgrund eines Entschlusses des Steuerpflichtigen, den Betrieb aufzugeben, in einem einheitlichen Vorgang innerhalb kurzer Zeit die wesentlichen Grundlagen des Betriebs an verschiedene Abnehmer veräußert oder ganz oder teilweise in das Privatvermögen überführt werden (BFH-Beschluß vom 7. Oktober 1974 GrS 1/73, BFHE 114, 189, BStBl II 1975, 168, m.w.N.). Gleichermaßen als Betriebsaufgabe ist ein Vorgang anzusehen, der einen Betrieb in seiner ertragsteuerrechtlichen Einordnung so verändert, daß die Erfassung der stillen Reserven nicht mehr gewährleistet ist (BFH-Urteile vom 16. März 1967 IV 72/65, BFHE 88, 129, BStBl III 1967, 318; vom 28. April 1971 I R 55/66, BFHE 102, 374, BStBl II 1971, 630; vom 13. Oktober 1976 I R 261/70, BFHE 120, 225, BStBl II 1977, 76; BFH-Beschluß in BFHE 114, 189, BStBl II 1975, 168). Die Aufgabemaßnahme (Entnahmehandlung) wird dann durch das Einwirken außersteuerrechtlicher Normen auf den steuerrechtlich relevanten Sachverhalt ersetzt (BFH-Urteile vom 13. Dezember 1983 VIII R 90/81, BFHE 140, 526, BStBl II 1984, 474; vom 6. März 1997 XI R 2/96, BFHE 183, 85, BStBl II 1997, 460). Keine dieser Voraussetzungen liegt im Streitfall vor.

2. Der Kläger hat seinerseits nicht die Aufgabe des Betriebs erklärt. Eine dahingehende Erklärung hätte gegenüber den Finanzbehörden ausdrücklich, d.h. klar und eindeutig erfolgen müssen (BFH-Urteile vom 14. Dezember 1993 VIII R 13/93, BFHE 174, 503, BStBl II 1994, 922, 925; vom 26. März 1991 VIII R 104/87, BFH/NV 1991, 671, 672). Aus der bloßen Angabe von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in der Steuererklärung kann nach ständiger Rechtsprechung regelmäßig noch nicht auf eine konkludente Betriebsaufgabeerklärung geschlossen werden (BFH-Urteil vom 19. Oktober 1995 IV R 111/94, BFHE 179, 388, BStBl II 1996, 188, 189, m.w.N.).

Der Kläger hat auch weder die wesentlichen Grundlagen seines gewerblichen Grundstückshandels veräußert noch veräußern wollen. Er ist vielmehr Eigentümer der Grundstücke geblieben. Die Bestellung von Erbbaurechten räumt dem Erbbauberechtigten zwar das Recht ein, auf oder unter der Oberfläche des Grundstücks ein Bauwerk zu errichten (§ 1 der Verordnung über das Erbbaurecht --ErbbauV--). Ihm wird damit das Grundstück --in Form eines Sondereigentums am zu erstellenden Bauwerk-- zur Nutzung überlassen. Dem entspricht der wirtschaftliche Nutzen des (erbbauverpflichteten) Eigentümers in Form der Erzielung des Erbbauzinses. Unbeschadet der durch das Erbbaurecht bedingten Grenzen verbleibt dem Eigentümer daneben weiterhin das Recht zur Veräußerung und weiteren Belastung des Grundstücks. Dieses Verfügungsrecht darf grundsätzlich auch nicht eingeschränkt werden (dazu etwa von Oefele in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Aufl. 1997, ErbbauV § 1 Rn. 4 ff., 24). Dem Eigentümer steht auch der (unter bestimmten Bedingungen i.S. des § 2 Nr. 4 ErbbauV) entstehende Heimfallanspruch gemäß § 3 ErbbauV zu. Vorliegend waren diese Bedingungen Konkurs oder Zahlungsverzug des Erbbauberechtigten.

3. Der Betrieb des Klägers ist durch die Bestellung der Erbbaurechte auch nicht in seiner ertragsteuerrechtlichen Einordnung so verändert worden, daß die Erfassung der stillen Reserven nicht mehr gewährleistet ist.

a) Auch in bilanzrechtlicher Sicht wird das Erbbaurecht wie ein befristetes Nutzungsrecht behandelt. Seinem Leistungsinhalt nach steht das Erbbaurechtsverhältnis damit einem entgeltlichen rein schuldrechtlichen Nutzungsverhältnis wie Miete oder Pacht nahe und wird dementsprechend auch bilanzrechtlich als schwebendes Geschäft gewertet (BFH-Urteile vom 20. Januar 1983 IV R 158/80, BFHE 138, 53, BStBl II 1983, 413; vom 7. April 1994 IV R 11/92, BFHE 174, 407, BStBl II 1994, 796). In Übereinstimmung damit wird angenommen, daß wirtschaftlicher Eigentümer des mit dem Erbbaurecht belasteten Grundstücks im Regelfall, von dem auch im Streitfall auszugehen ist, nicht der Erbbauberechtigte, sondern der (rechtliche) Eigentümer des belasteten Grundstücks ist (BFH-Urteile vom 2. Mai 1984 VIII R 276/81, BFHE 141, 498, BStBl II 1984, 820; in BFHE 174, 407, BStBl II 1994, 796).

b) In der Bestellung der Erbbaurechte liegt auch keine zur Betriebsaufgabe führende Entnahme. In der Rechtsprechung des BFH wurde weder in der Belastung eines betrieblichen Grundstücks mit einem entgeltlich eingeräumten Erbbaurecht noch in der anschließenden Bebauung mit einem privat genutzten Wohnhaus durch den Erbbauberechtigten eine Entnahme gesehen (BFH-Urteile vom 26. Februar 1970 I R 42/68, BFHE 98, 486, BStBl II 1970, 419; vom 26. November 1987 IV R 171/85, BFHE 152, 95, BStBl II 1988, 490; vom 10. April 1990 VIII R 133/86, BFHE 161, 438, BStBl II 1990, 961; vgl. auch Hoffmann in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, 1998, §§ 4, 5 EStG Rn. 208 "Erbbaurecht"; Wacker in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 15. Aufl., § 4 EStG Anm. 196 "Erbbaurecht"). Dies gilt gleichermaßen für die Bestellung einer Mehrzahl von Erbbaurechten (BFH-Urteil vom 10. Dezember 1992 IV R 115/91, BFHE 170, 141, BStBl II 1993, 342). Eine andere Beurteilung ist nicht gerechtfertigt, wenn --wie vorliegend-- auf allen verbleibenden Grundstücken eines gewerblichen Grundstückshandels Erbbaurechte bestellt werden.

Allerdings kann nach Auffassung des IV. Senats des BFH "geduldetes" Betriebsvermögen i.S. von § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG nur in einem Umfang zulässig sein, der den Charakter des Betriebs selbst nicht derart beeinträchtigt, daß dieser durch eine Vermögensverwaltung verdrängt wird (Urteile in BFHE 170, 141, BStBl II 1993, 342; vom 6. Februar 1986 IV R 133/85, BFHE 146, 244, BStBl II 1986, 666). Die den genannten Entscheidungen zugrundeliegenden Streitfälle betrafen aber Grundstücke als gewillkürtes oder "geduldetes" Betriebsvermögen eines landwirtschaftlichen Betriebs. Im Streitfall handelt es sich dagegen um Grundstücke als notwendiges Betriebsvermögen eines neben dem landwirtschaftlichen Betrieb unterhaltenen gewerblichen Grundstückshandels. Die Bestellung von Erbbaurechten führt daher nicht zur Verselbständigung einer Vermögensverwaltung, die zu einer Entnahme der dazu dienenden Flächen aus dem landwirtschaftlichen Betrieb zwingen würde.

4. Somit hat das FG zutreffend die Einräumung der Erbbaurechte durch den Kläger als Geschäftsvorfall im Rahmen des weiterbestehenden gewerblichen Grundstückshandels gewertet. An die Stelle des reinen Grundstückshandels ist ein Grundstückshandel mit vorangestellter Nutzung durch Bestellung von Erbbaurechten getreten. Diese zusätzliche Nutzung der Grundstücke ist auch geeignet, dem Betrieb durch die Erzielung von Erbbauzinsen zu dienen (BFH-Urteil in BFHE 161, 438, BStBl II 1990, 961).



Ende der Entscheidung

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