Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 14.05.2003
Aktenzeichen: XI R 37/99
Rechtsgebiete: EStG, FGO, AO 1977, VwZG


Vorschriften:

EStG § 10d
FGO § 68
FGO a.F. § 68
FGO a.F. § 68 Satz 2
AO 1977 § 122 Abs. 2
VwZG § 9
VwZG a.F. § 9 Abs. 2
VwZG a.F. § 9 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), die als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, sind an verschiedenen Gesellschaften beteiligt. Nach mehreren Änderungen der Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 1980 und 1981 änderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) diese erneut in der Weise, dass er geringere Verlustabzüge nach § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) berücksichtigte. Dagegen wandten sich die Kläger zunächst mit dem Einspruch und anschließend mit ihrer Klage vor dem Finanzgericht (FG). Zu ihrer Vertretung vor dem FG erteilten die Kläger dem Wirtschaftsprüfer und Steuerberater A Prozessvollmacht.

Während des Klageverfahrens erließ das FA am 16. Januar 1995 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 1981, den es an die "A + Partner GmbH" adressierte. Diesen Bescheid erklärte der Prozessbevollmächtigte fristgerecht zum Gegenstand des Verfahrens.

Mit Schreiben vom 5. September 1996 an das FG bat der Prozessbevollmächtigte um Fristverlängerung für eine weitere Stellungnahme im finanzgerichtlichen Verfahren. Das Schreiben erging unter dem Briefkopf der "A + B Partnerschaft" und enthielt am Schluss den nachrichtlichen Hinweis, "daß die bisherige Wirtschaftsprüfer- und Steuerberatersozietät A/B in eine Partnerschaftsgesellschaft mit den gleichen Beteiligten umgewandelt wurde".

Am 25. November 1996 erließ das FA Einkommensteuer-Änderungsbescheide für 1980 und 1981, die es an die "A u. B Partnerschaft" adressierte. Auf einen fernmündlichen Hinweis des Berichterstatters am 14. März 1997, es sei gegen diese Bescheide bislang weder Einspruch eingelegt noch ein Antrag nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestellt worden, teilte der Prozessbevollmächtigte der Kläger dem FG am 25. März 1997 mit, dass die Bescheide ihm nicht bekannt gegeben worden seien. Die an die Partnerschaftsgesellschaft adressierten Bescheide seien der für die Kläger zuständigen Sachbearbeiterin der mit der Partnerschaft verbundenen "A + Partner GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft" vorgelegt und von dieser an die Kläger weitergeleitet worden. Vorsorglich ("für den Fall der Wirksamkeit der Bescheide") beantragte der Prozessbevollmächtigte die Wiedereinsetzung in die Antragsfrist des § 68 FGO. Nachdem die Kläger die Bescheide zurückgegeben hatten, hat der Prozessbevollmächtigte diese am 28. April 1997 erhalten.

Das FG wies die Klage wegen fehlender Beschwer als unzulässig ab. Die Einkommensteuerbescheide 1980 und 1981 seien wirksam bekannt gegeben und weder durch Einspruch angefochten noch fristgerecht zum Gegenstand des Verfahrens erklärt worden. Die Bescheide seien an den Prozessbevollmächtigten der Kläger in der von diesem gewünschten Form gerichtet und adressiert gewesen. Der Steuerberater A sei zwar auch nach seinem Schreiben vom 5. September 1996 an das FG noch alleiniger Prozessbevollmächtigter der Kläger geblieben. In diesem Schreiben habe der Prozessbevollmächtigte jedoch mitgeteilt, dass an ihn gerichtete Bescheide künftig ausreichend adressiert seien, wenn im Anschriftenfeld allein die "A u. B Partnerschaft" aufgeführt werde. Das FA habe deshalb die streitgegenständlichen Bescheide "in die Konsequenzen des § 68 FGO auslösenderweise" an die Partnerschaft adressieren dürfen. Abgesehen davon sei auch deshalb von einer wirksamen Bekanntgabe auszugehen, weil die Änderungsbescheide tatsächlich in den Machtbereich des Prozessbevollmächtigten gelangt seien. Dieser hätte sicherstellen müssen, dass er für ihn bestimmte und bei der Partnerschaft eingehende Post auch tatsächlich erhalte.

Dagegen wenden sich die Kläger mit der Revision. Zur Begründung legen sie im Wesentlichen dar, dass die Änderungsbescheide wegen unrichtiger Adressierung nicht wirksam bekannt gegeben worden seien und dass eine Heilung des Bekanntgabemangels nicht möglich sei.

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils der Klage stattzugeben, hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die während des finanzgerichtlichen Verfahrens ergangenen Änderungsbescheide vom 25. November 1996 mangels Einspruchs oder rechtzeitigen Antrags nach § 68 FGO in der für die Streitjahre geltenden Fassung (FGO a.F.) bestandskräftig geworden seien und deshalb das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage gegen die ursprünglich angefochtenen Einkommensteuerbescheide 1980 und 1981 entfallen sei.

1. Entgegen der Auffassung des FG ist die Frist für den Antrag nach § 68 FGO a.F. im Streitfall noch nicht abgelaufen; sie ist mangels wirksamer Bekanntgabe der Änderungsbescheide an den Prozessbevollmächtigten der Kläger noch nicht einmal in Lauf gesetzt.

a) Nach § 68 FGO a.F. wird ein Steuerbescheid, der einen angefochtenen Steuerbescheid nach Klageerhebung ändert, nur auf Antrag des Klägers Gegenstand des Verfahrens (Satz 1); der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des neuen Bescheids zu stellen (Satz 2). Aus dieser Regelung ergibt sich, dass die prozessuale Frist des § 68 Satz 2 FGO a.F. nur dann in Gang gesetzt wird, wenn der Änderungsbescheid wirksam bekannt gegeben wurde. Fehlt es an der wirksamen Bekanntgabe und tritt eine Heilung des Bekanntgabemangels nicht ein, so kann der Änderungsbescheid keinerlei Wirkung entfalten.

b) Im Streitfall sind die Änderungsbescheide vom 25. November 1996 nicht wirksam bekannt gegeben worden. Da die Bescheide während des finanzgerichtlichen Verfahrens ergangen sind und die Kläger in diesem Verfahren durch einen Prozessbevollmächtigten ordnungsgemäß vertreten waren, hätten die Änderungsbescheide dem Prozessbevollmächtigten bekannt gegeben werden müssen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. Oktober 1997 X R 37/95, BFHE 184, 232, BStBl II 1998, 266; vom 5. Mai 1994 VI R 98/93, BFHE 174, 208, BStBl II 1994, 806). Prozessbevollmächtigter war nach der von den Klägern erteilten Prozessvollmacht vom 3. September 1990 der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater A persönlich. Das FA hat die Änderungsbescheide hingegen nicht dem Steuerberater A, sondern der "A und B Partnerschaft" bekannt gegeben; diese Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft, an der der Steuerberater A beteiligt ist, ist als Bekanntgabeadressat in den für die Kläger bestimmten Änderungsbescheiden aufgeführt.

Die Partnerschaft ist eine Personengesellschaft (vgl. § 1 des Partnerschaftsgesellschaftsgesetzes), die einer juristischen Person weitgehend angenähert ist; für sie gelten dieselben Grundsätze wie für Steuerberatungsgesellschaften in der Rechtsform einer Personenhandelsgesellschaft (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Februar 1999 XI R 66/97, BFHE 188, 13, BStBl II 1999, 363). Demnach muss im Rechtsverkehr zwischen dem Auftreten der Gesellschaft, vertreten durch einen oder mehrere Partner, und dem Auftreten der Partner im eigenen Namen unterschieden werden. Das gilt auch für die Bekanntgabe von Steuerbescheiden. Mit der Adressierung der Änderungsbescheide an die "A und B Partnerschaft" und deren Zugang bei dieser ist somit eine Bekanntgabe an den Steuerberater A als Prozessbevollmächtigten nicht erfolgt.

c) Entgegen der Auffassung des FG kann etwas anderes auch nicht aus dem Schreiben des Steuerberaters A an das FA vom 5. September 1996 abgeleitet werden. Der Senat lässt es dahinstehen, ob --wie das FG meint-- durch eine schriftliche Erklärung des Prozessbevollmächtigten gegenüber dem FA ein anderer Bekanntgabeadressat überhaupt in wirksamer Weise hätte benannt werden können oder welche weiteren Voraussetzungen dafür ggf. hätten erfüllt sein müssen. Denn eine dahin gehende Erklärung enthält das Schreiben vom 5. September 1996 offensichtlich nicht. In diesem Schreiben hat der Steuerberater A --unter erneutem Hinweis auf seine persönliche Prozessbevollmächtigung-- um Fristverlängerung für eine weitere Stellungnahme gebeten. Am Ende des Schreibens hat er lediglich "nachrichtlich" darauf hingewiesen, dass "die bisherige Wirtschaftsprüfer- und Steuerberatersozietät A/B in eine Partnerschaftsgesellschaft mit den gleichen Beteiligten umgewandelt wurde".

d) Entgegen der Auffassung des FG kann eine wirksame Bekanntgabe der Änderungsbescheide auch nicht mit der Begründung angenommen werden, dass der Prozessbevollmächtigte als Beteiligter an der "A und B Partnerschaft" jederzeit die Möglichkeit gehabt habe, von dem Zugang der Bescheide Kenntnis zu nehmen. Zwar hat der BFH stets anerkannt, dass ein durch die Post übermitteltes Schriftstück bereits dann i.S. des § 122 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) "zugegangen" ist, wenn es derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter Ausschluss unbefugter Dritter von dem Schriftstück Kenntnis nehmen und diese Kenntnisnahme nach den allgemeinen Gepflogenheiten auch von ihm erwartet werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 9. Dezember 1999 III R 37/97, BFHE 190, 292, BStBl II 2000, 175, m.w.N.). Diese Rechtsprechung setzt jedoch voraus, dass das Schriftstück den richtigen Adressaten ausweist. Fehlt es bereits wegen unrichtiger Adressierung an einer wirksamen Bekanntgabe, so kann dieser Bekanntgabemangel nicht dadurch geheilt werden, dass das Schriftstück in den Machtbereich des richtigen Empfängers gelangt.

e) Die Frist des § 68 FGO a.F. ist auch nicht zu dem Zeitpunkt in Lauf gesetzt worden, als der Prozessbevollmächtigte die Bescheide nach deren zwischenzeitlicher Weitergabe an die Kläger erhalten hat (28. April 1997). Zwar wendet der BFH in ständiger Rechtsprechung den Rechtsgedanken des für die Heilung von Mängeln der (förmlichen) Zustellung geltenden § 9 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) auch auf "Bekanntgabemängel" an (vgl. BFH-Urteile vom 19. Mai 1976 I R 154/74, BFHE 119, 219, BStBl II 1976, 785; vom 8. Dezember 1988 IV R 24/87, BFHE 155, 472, BStBl II 1989, 346, und vom 4. Oktober 1989 V R 39/84, BFH/NV 1990, 409, 411, m.w.N.). Der für den Streitfall geltende § 9 Abs. 2 VwZG a.F. schloss die Zustellungsfiktion des § 9 Abs. 1 VwZG a.F. ("... in dem Zeitpunkt ..., in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat") jedoch aus, wenn mit der Zustellung bzw. Bekanntgabe eine Klage- oder Rechtsmittelfrist begann; die Vorschrift war sinngemäß auch dann anzuwenden, wenn die Antragsfrist des § 68 FGO a.F. in Lauf gesetzt worden wäre (vgl. BFH-Urteil in BFHE 184, 232, BStBl II 1998, 266). Dies hat zur Folge, dass die Frist des § 68 FGO a.F. auch nicht zu dem Zeitpunkt zu laufen begann, als der allein Empfangsberechtigte, der Prozessbevollmächtigte A, die Änderungsbescheide tatsächlich erhalten hatte.

2. Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache wird an das FG zurückverwiesen, damit es über das Begehren der Kläger auf Änderung der angefochtenen Bescheide entscheidet.



Ende der Entscheidung

Zurück