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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 21.01.2004
Aktenzeichen: XI R 38/02
Rechtsgebiete: EStG
Vorschriften:
EStG § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a | |
EStG § 3 Nr. 62 |
Gründe:
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war bis zum 30. September 1996 in der ... Gemeinschaftspraxis ... als angestellte Ärztin tätig. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1996 trat die Klägerin aufgrund eines sog. Kooperationsvertrags als freie Mitarbeiterin in die Gemeinschaftspraxis ein. Die regelmäßig zu zahlende monatliche Vergütung betrug 9 166,67 DM. Für Steuern, Alters- und sonstige Versicherungen hatte die Klägerin selbst aufzukommen.
Die Klägerin erklärte für das Streitjahr --den Veranlagungszeitraum 1997-- einen Gewinn aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 96 727 DM und Vorsorgeaufwendungen von 29 711 DM. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) behandelte die Einkünfte als solche aus nichtselbständiger Tätigkeit und versagte den Vorwegabzug gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Mit der Klage machte die Klägerin geltend, dass sie zwar Arbeitnehmerin gewesen sei, dass aber die Voraussetzungen für eine Kürzung des Vorwegabzugs nicht vorlägen; für sie seien keine Zukunftssicherungsleistungen erbracht worden. Das FA vertrat demgegenüber die Auffassung, dass der Arbeitgeber gehalten sei, die ihm gesetzlich auferlegten Leistungen nachzuentrichten.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2003, 846). § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a EStG setze voraus, dass Leistungen für die Zukunftssicherung erbracht würden. Der Vorwegabzug solle solchen Steuerpflichtigen einen zusätzlichen Höchstbetrag einräumen, die ausschließlich durch eigene Aufwendungen für die Zukunft vorsorgen müssten. Die vom Bundesfinanzhof (BFH) in dem Urteil vom 14. Juni 2000 XI R 57/99 (BFHE 192, 304, BStBl II 2001, 28) entwickelten Grundsätze gälten auch im Streitfall.
Mit der Revision macht das FA geltend:
1. Das Urteil verletze § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a EStG. Das "Erbringen" von steuerfreien Zukunftssicherungsleistungen sei schon durch die Gesetzespflicht zur Beitragsabführung erfüllt; insoweit unterscheide sich der Streitfall von dem Fall des BFH-Urteils in BFHE 192, 304, BStBl II 2001, 28.
2. Bei der Rechtsauffassung des FG unterbliebe eine Kürzung des Vorwegabzugs in allen Fällen, in denen ein unselbständiges und sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zum Schein in ein selbständiges Beschäftigungsverhältnis gekleidet werde. Es habe dem Gesetzgeber sicherlich fern gelegen, einen solchen Personenkreis mit dem Vorwegabzug zu begünstigen.
3. Nach dem Urteil vom 6. Juni 2002 VI R 178/97 (BFHE 199, 524, BStBl II 2003, 34) gehörten Arbeitgeberanteile zur gesetzlichen Sozialversicherung nicht zum Arbeitslohn. Dies müsse auch für § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a EStG gelten. Demnach könne es für die Frage der Kürzung des Vorwegabzugs nicht auf die tatsächliche Entrichtung der Sozialbeiträge durch den Arbeitgeber ankommen. Vorliegend sei unstreitig, dass zur Bemessung des Anteils des Arbeitgebers der Klägerin an dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag seines Betriebs auch die beitragspflichtige Lohnsumme der Klägerin gehöre. Dadurch allein erfülle sich der Kürzungstatbestand beim Vorwegabzug, unabhängig von der Erfüllung der Beitragsabführungspflicht.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
1. Das FG habe zu Recht auf den Wortlaut der Regelung abgestellt.
2. Folge der BFH der Auffassung des FA, wäre es systemgerecht, die Kürzung im Jahr der Beitragsnachzahlung vorzunehmen.
II.
Die Revision des FA ist gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) unbegründet.
1. Vorsorgeaufwendungen können gemäß § 10 Abs. 3 EStG nur im Rahmen bestimmter Höchstbeträge abgezogen werden. Der Höchstbetrag errechnet sich aus dem Grundhöchstbetrag und dem Vorwegabzug. Der Vorwegabzug ist gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG um 16 v.H. der Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit zu kürzen, wenn für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden.
2. Im Streitfall sind die Voraussetzungen für eine Kürzung des Vorwegabzugs nicht erfüllt.
a) Die Klägerin erzielte zwar Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit gemäß § 19 EStG (vgl. Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 22. Aufl., 2003, § 19, Rz. 4 f.). Der Senat schließt sich insoweit den --auch zwischen den Beteiligten unstreitigen-- Ausführungen des FG an. Die Klägerin war auch nach Abschluss des sog. Kooperationsvertrags gegenüber den Gesellschaftern der Gemeinschaftspraxis weisungsabhängig, wurde unter deren Leitung tätig, war in den Betrieb eingegliedert und trug kein unternehmerisches Risiko.
b) Für die Zukunftssicherung der Klägerin sind aber keine Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht worden. In Übereinstimmung mit der Auffassung des FG spricht bereits der Wortlaut der Regelung dafür, dass es auf die tatsächlich erbrachten Leistungen ankommt. Entscheidend ist danach, ob tatsächlich Zukunftssicherungsleistungen erbracht wurden und ob der Arbeitgeber seine Beitragsabführungsverpflichtung erfüllt hat. Ist auch die Höhe der vom Arbeitgeber erbrachten Zukunftssicherungsleistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG für den Umfang der Kürzung des Vorwegabzugs ohne Bedeutung (BFH-Urteil vom 16. Oktober 2002 XI R 61/00, BFHE 200, 540, BStBl II 2003, 183), so müssen jedoch Leistungen für den Arbeitnehmer erbracht worden sein. Zahlt der Arbeitgeber tatsächlich nicht, ist der Vorwegabzug berechtigt.
c) Nach den Grundsätzen des BFH-Urteils in BFHE 192, 304, BStBl II 2001, 28 soll der Vorwegabzug i.S. des § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG solchen Steuerpflichtigen einen zusätzlichen Höchstbetrag einräumen, die ausschließlich durch eigene Aufwendungen für die Zukunft vorsorgen müssen. Diese Überlegungen liegen sämtlichen Kürzungsvorschriften des § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG zugrunde. Im Streitfall hat der Arbeitgeber keine Leistungen erbracht; die Klägerin hat ausschließlich durch eigene Aufwendungen vorgesorgt. Für eine Kürzung des Vorwegabzugs besteht daher kein Anlass.
d) Werden später Beiträge für einen bestimmten Zeitraum nachentrichtet, so ist dieser Vorgang ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977); der Vorwegabzug ist zu korrigieren.
Ende der Entscheidung
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