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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 11.11.1998
Aktenzeichen: XI R 38/96
Rechtsgebiete: AO 1977, UStG, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 163
AO 1977 § 4
AO 1977 § 42
AO 1977 § 227
AO 1977 § 168
AO 1977 § 164 Abs. 1
AO 1977 § 164 Abs. 2 Satz 1
AO 1977 § 164 Abs. 4 Satz 2
AO 1977 § 170 Abs. 2 Nr. 1
AO 1977 § 171 Abs. 5
AO 1977 § 171 Abs. 4
AO 1977 § 208
AO 1977 § 169 Abs. 2 Satz 2
AO 1977 § 173
UStG § 9
UStG § 15
FGO § 126 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hatte im Rahmen einer Bauherrengemeinschaft, der er Ende 1981 beigetreten war, in X zwei Wohnungen mit Garagenplätzen errichtet. Beim Beitritt zur Bauherrengemeinschaft hatte der Kläger von der Z-KG (KG) eine Mietgarantie über eine monatliche Miete von 1 244 DM bzw. 972 DM für fünf Jahre erhalten. Mit Schreiben vom 22. Juli 1983 teilte die KG dem Kläger mit, die garantierte Miete lasse sich am Markt nicht realisieren. Sie schlug vor, die Monatsmiete auf 996 DM bzw. 796 DM zu senken und den abgezinsten Unterschiedsbetrag für einen Zeitraum von fünf Jahren durch eine Einmalzahlung zu vergüten. Dieser Verfahrensweise stimmte der Kläger zu. Die KG vermietete die Wohnung an private Endmieter.

Nach dem Verzicht auf die Steuerbefreiung der Grundstücksvermietung zog der Kläger die ihm berechnete Umsatzsteuer für die Herstellung der Wohnungen als Vorsteuer ab und erklärte für das Streitjahr 1982 einen negativen Umsatzsteuerbetrag. Die Umsatzsteuererklärung hatte der Kläger im Jahr 1984 eingereicht. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) stimmte der Steueranmeldung zu.

Bereits in den Jahren 1981/1982 hatte die Oberfinanzdirektion (OFD) eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung bei den von der KG betreuten Bauherrengemeinschaften durchgeführt und im Bericht vom 23. April 1982 (maßgebend auch für die in dem Ergänzungsbericht vom 15. Juli 1982 bezeichneten Bauherren der Bauherrengemeinschaft, der der Kläger angehörte) die Auffassung vertreten, die von der KG vorgetragenen Gründe für die Gestaltung der Zwischenvermietung rechtfertigten die umsatzsteuerrechtliche Anerkennung der Zwischenmietverhältnisse nicht. Außerdem ist dort ausgeführt: "Nach dem Ergebnis der Schlußbesprechung sollen für die Bauherren ... keine Folgerungen gezogen werden, weil diese sich auf das bisher von der Finanzverwaltung nicht beanstandete Konzept der KG verlassen konnten. Insoweit sind daher dem Grunde nach die den Eigentümern mit den Werbungs- und Herstellungskosten in Rechnung gestellten Umsatzsteuern als Vorsteuern anzuerkennen. Das gilt aber nicht, soweit andere, insbesondere in der Person einzelner Eigentümer liegende Gründe gleichwohl zu einer Versagung des Vorsteuerabzugs führen können. Diese Gründe könnten z.B. in verwandtschaftlichen oder beruflichen Beziehungen des Eigentümers zum Endmieter (z.B. Angestellte des Eigentümers als Endmieter) oder in Mietkaufangeboten des Eigentümers an den Endmieter liegen."

Mit geändertem Bescheid vom 18. Dezember 1990 setzte das FA die Umsatzsteuer für 1982 auf 0 DM fest. Das FA hatte einen Bericht des FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung A vom 17. Mai 1989 ausgewertet, der den Kläger und die Bauherrengemeinschaft betraf, an der er sich beteiligt hatte. Darin war ausgeführt worden, die ursprüngliche Monatsmiete sei nur zur Vortäuschung einer Rohgewinnmarge gemindert worden. Weil durch die Ausgleichszahlung nur ein anderer Zahlungsmodus gewählt worden sei, habe diese Gestaltung lediglich dem Zweck gedient, dem Anleger den Steuerabzug zu sichern. Die Einschaltung der KG als Zwischenvermieter habe keinen anderen Sinn gehabt.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gegen den Änderungsbescheid vom 18. Dezember 1990 gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt und hob die angefochtenen Steuerfestsetzung auf.

Zur Begründung führte das FG im wesentlichen aus: Das FA habe den Bescheid nicht ändern dürfen, weil es daran durch eine Zusage gehindert gewesen sei. Die OFD habe zugesagt, die Umsatzsteuer unter Anerkennung des Abzugs der den Bauherren berechneten Vorsteuerbeträge festzusetzen. Die in dem Prüfungsbericht der OFD enthaltene Zusage habe für die Bauherren einen Vertrauenstatbestand geschaffen. Diese hätten darauf vertrauen können, daß die im Anschluß an eine Außenprüfung von der für das FA vorgesetzten Behörde vorgenommene Beurteilung als Billigkeitsmaßnahme auch für die Besteuerung maßgebend bleibe. Die Bindung sei auch nicht wegen einer wesentlichen Abweichung des später verwirklichten Sachverhalts von dem bei der Beurteilung zugrunde gelegten Sachverhalt entfallen. Weil die Rohgewinnmarge für den Ausspruch der Billigkeitsmaßnahme erkennbar keine Bedeutung gehabt habe, beseitige ihre Erhöhung durch die Mietherabsetzung die Bindungswirkung nicht.

Im übrigen habe das FA dadurch, daß es der eingereichten Umsatzsteuererklärung nach dem Ergehen des Umsatzsteuer-Sonderprüfungsberichts zugestimmt habe, die in dem bezeichneten Bericht der OFD ausgesprochene Billigkeitsmaßnahme nach § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) auch umgesetzt. Aus der maßgebenden Sicht der Empfänger habe das FA die Billigkeitsentscheidung äußerlich mit der Steuerfestsetzung verbunden. Da die Billigkeitsentscheidung ein Grundlagenbescheid sei, bestehe die Bindungswirkung für die Steuerfestsetzung fort, was das FA bei der Änderung nicht beachtet habe.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung der §§ 4, 42 AO 1977 und der §§ 9, 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Entgegen der Auffassung des FG habe es keine Billigkeitsentscheidungen nach §§ 163, 227 AO 1977 getroffen, sondern habe in dem Steuerbescheid die einvernehmlich im Sinne von Treu und Glauben gefundene materiell-rechtliche Beurteilung umgesetzt. Darin liege auch keine tatsächliche Verständigung. Das könne aber dahingestellt bleiben, weil dem Kläger wegen der späteren Manipulation des Sachverhalts ein Vertrauensschutz ohnehin nicht zustehe.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision des FA ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Im Ergebnis zutreffend hat das FG die Änderung der Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr wegen Nichtanerkennung der Zwischenvermietung als rechtswidrig beurteilt.

1. Das FG hat zu Unrecht angenommen, daß eine Änderung aufgrund der bindenden Zusage einer Billigkeitsmaßnahme (steuerliche Anerkennung der Zwischenvermietung trotz mißbräuchlicher Gestaltung) ausgeschlossen gewesen sei. Der Senat folgt insoweit der Auffassung des V. Senats im Urteil vom 12. März 1998 V R 17/96 (BFH/NV 1998, 1076), dem ein gleichgelagerter Fall zugrunde liegt. Auf die Begründung dieser Entscheidung, die den Beteiligten übersandt worden ist, wird verwiesen.

2. Das FA war jedoch aus verfahrensrechtlichen Gründen gehindert, den angefochtenen Änderungsbescheid für das Streitjahr 1982 zu erlassen.

a) Die ursprüngliche Umsatzsteuerfestsetzung 1982 war --anders als im Urteilsfall in BFH/NV 1998, 1076-- nicht vorläufig ergangen, sondern stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§§ 168, 164 Abs. 1 AO 1977); der Kläger hatte eine Steueranmeldung abgegeben, der das FA zugestimmt hatte. Diese Steuerfestsetzung konnte, solange der Vorbehalt wirksam war, ohne weitere Voraussetzungen geändert werden (§ 164 Abs. 2 Satz 1 AO 1977). Der Vorbehalt der Nachprüfung war jedoch bereits entfallen, als der Änderungsbescheid erging.

Nach § 164 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 entfällt der Vorbehalt der Nachprüfung, wenn die Festsetzungsfrist abläuft; dabei ist § 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 nicht anzuwenden (§ 164 Abs. 4 Satz 2 AO 1977). Letzteres bedeutet, daß die für die Wirkungsdauer des Vorbehalts maßgebliche Festsetzungsfrist sich auch im Falle einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung nicht verlängert. Maßgeblich bleibt insoweit immer die für die betreffende Steuerart vorgeschriebene allgemeine Festsetzungsfrist.

Die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer beträgt vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977). Die Frist für die Festsetzung der Umsatzsteuer 1982 hat im Streitfall wegen der Abgabe der Umsatzsteuererklärung im Jahr 1984 am 1. Januar 1985 zu laufen begonnen (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977) und ist am 31. Dezember 1988 abgelaufen.

b) Wie sich aus der Einspruchsentscheidung des FA ergibt, auf die das FG in seinem Urteil Bezug genommen hat, war gegen den Kläger am 13. September 1988 ein Steuerstrafverfahren wegen des Verdachts der Verkürzung von Umsatz- und Einkommensteuer 1982 bis 1985 eingeleitet worden. Ob und wann die Einleitung dieses Vefahrens dem Kläger bekanntgegeben worden ist, kann den Feststellungen der Vorinstanz ebensowenig entnommen werden, wie ein eventueller Beginn von Ermittlungen durch die Steuerfahndung. Das kann hinsichtlich der Umsatzsteuer 1982 auch offenbleiben, weil selbst im Falle einer Bekanntgabe der Einleitung des Steuerstrafverfahrens bzw. des Beginns von Ermittlungen vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist eine Hemmung der Verjährung des Umsatzsteueranspruchs des Jahres 1982 dadurch nicht eingetreten sein kann.

Nach § 171 Abs. 5 AO 1977 wird die Festsetzungsfrist gehemmt, wenn vor ihrem Ablauf die Steuerfahndung (Zollfahndung) beim Steuerpflichtigen mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen beginnt (Satz 1) oder wenn dem Steuerpflichtigen die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens (Bußgeldverfahrens) bekanntgegeben wird (Satz 2). Anders als im Fall des § 171 Abs. 4 AO 1977 umfaßt diese Ablaufhemmung aber nicht den gesamten Steueranspruch; vielmehr tritt die Hemmung nur in dem Umfang ein, in dem sich die Ergebnisse der Ermittlungen auf die Höhe der festzusetzenden Steuer auswirken. Der Senat schließt sich dieser ganz überwiegend im Schrifttum vertretenen Auffassung an (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 171 AO 1977 Tz. 72; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 171 AO 1977 Rz. 72 f.; Klein/Rüsken, Abgabenordnung, § 171 Anm. 6; Hartmann in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 171 AO 1977 Rz. 61; a.A. Baum in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 171 Rz. 28). Der eingeschränkte Umfang der Ablaufhemmung ergibt sich aus der besonderen Zielsetzung und dem speziellen Aufgabenbereich der Fahndungsermittlungen (vgl. § 208 AO 1977). Die allgemeine Außenprüfung, die den Erlaß einer Prüfungsanordnung voraussetzt, dient einer umfassenden Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse eines Steuerpflichtigen (vgl. § 194 Abs. 1 Satz 1, § 199 Abs. 1 AO 1977); der Ablauf der Festsetzungsfrist ist deshalb nach § 171 Abs. 4 AO 1977 "für die Steuern" gehemmt, die in der Prüfungsanordnung angegeben sind und "auf die sich die Außenprüfung erstreckt" hat. Demgegenüber hat die Steuerfahndung die Aufgabe, bestimmte straf- oder bußgeldrechtlich relevante Vorgänge sowie unbekannte Steuerfälle aufzudecken und zu ermitteln (vgl. § 208 Abs. 1 Satz 1 AO 1977); § 171 Abs. 5 AO 1977 läßt "insoweit" die Festsetzungsfrist nicht ablaufen, "bevor die auf Grund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind". Der Fristablauf soll danach erkennbar nur gehemmt werden, soweit und damit die Ergebnisse der Ermittlungen der Festsetzung der betreffenden Steuern zugrunde gelegt werden können.

Im Streitfall war --wie aus der Einspruchsentscheidung hervorgeht-- gegen den Kläger ein Steuerstrafverfahren eingeleitet worden, weil der Verdacht bestand, daß er die im Zusammenhang mit der Herabsetzung der Zwischenmieten im Jahr 1983 erhaltenen Einmalzahlungen weder als Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung noch als steuerpflichtige Umsätze erklärt hatte. Die Steuerfahndungsstelle des FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung A hat dazu im Bericht vom 17. Mai 1989 lediglich festgestellt, daß der Kläger und die KG in einem neuen Mietvertrag die bisherigen Mieten herabgesetzt und daß der Kläger dafür eine Ausgleichszahlung in Höhe von 22 494 DM erhalten hatte. Lediglich insoweit --also nur hinsichtlich der steuerlichen Berücksichtigung dieser Ausgleichszahlung-- kann eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 AO 1977 eintreten. Da die Ausgleichszahlung aber im Jahr 1983 geleistet worden ist, ist die Umsatzsteuerfestsetzung 1982 von diesen Ermittlungen nicht betroffen. Der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer 1982 ist somit nicht gehemmt worden. Eine Änderung der Steuerfestsetzung nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 war demnach wegen des Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr zulässig.

c) Der angefochtene Änderungsbescheid für 1982 ließ sich auch nicht auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 stützen.

Dabei kann der Senat offenlassen, ob die Änderung nach Ablauf der regulären Festsetzungsfrist wegen deren Verlängerung auf zehn Jahre (vgl. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977) möglich war. Denn eine Änderung wäre jedenfalls an der erforderlichen Rechtserheblichkeit der maßgeblichen Tatsache gescheitert.

Für die Anwendbarkeit der Vorschrift des § 173 AO 1977 ist entscheidend, daß die Unkenntnis von Tatsachen oder Beweismitteln für die ursprüngliche Veranlagung ursächlich war (vgl. Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. November 1987 GrS 1/86, BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180). Das setzt voraus, daß das FA den Sachverhalt bei Kenntnis der nachträglich bekanntgewordenen Tatsache anders gewürdigt hätte (vgl. BFH-Urteil vom 11. Juni 1997 X R 242/93, BFHE 183, 427, BStBl II 1997, 612). Dies erscheint im Streitfall ausgeschlossen, weil das FA bereits ohne Kenntnis von der Herabsetzung der Zwischenmieten davon ausgegangen war, daß die Zwischenvermietungen einen Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 AO 1977 darstellten.

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