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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 06.07.2005
Aktenzeichen: XI R 43/04
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 169 Abs. 1
AO 1977 § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
AO 1977 § 170 Abs. 1
AO 1977 § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
AO 1977 § 171 Abs. 10
AO 1977 § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
AO 1977 § 179
AO 1977 § 180
FGO § 126 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) --im Streitjahr 1993 zusammenveranlagte Eheleute-- sind an der Firma X-GmbH & Co. KG (KG) und an der Z-GbR (GbR) beteiligt. Wegen Nichtabgabe der Einkommensteuererklärung 1993 schätzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Beteiligungseinkünfte auf jeweils 25 500 DM aus der KG und auf jeweils 20 000 DM aus der GbR (Einkommensteuerbescheid 1993 vom 27. Februar 1995).

Mit Feststellungsbescheid vom 12. Juni 1995 schätzte das FA die GbR-Einkünfte auf jeweils 15 000 DM. Das FA änderte im Einkommensteuerbescheid 1993 fälschlicherweise den Ansatz der KG-Einkünfte.

Im endgültigen Feststellungsbescheid vom 23. November 1995 für die KG wurden laufende Einkünfte in Höhe von jeweils 13 000 DM und ein Veräußerungsgewinn von jeweils 133 000 DM festgestellt. Eine Änderung des Einkommensteuerbescheides 1993 unterblieb.

Unter dem 9. April 1998 wurde der GbR-Feststellungsbescheid aufgehoben. Das FA setzte anstelle der bisher erfassten 15 000 DM nunmehr 0 DM an (Einkommensteuerbescheid 1993 vom 29. Mai 1998).

Mit KG-Feststellungsbescheid vom 3. April 2000 wurden die laufenden Einkünfte jeweils mit 13 140 DM --insoweit setzte das FA zwischenzeitlich erlassene Grundlagenbescheide um-- und der Veräußerungsgewinn mit jeweils 133 000 DM festgestellt. Diese Feststellungen wurden mit Einkommensteuerbescheid 1993 vom 22. März 2001 übernommen. Der Einspruch der Kläger wurde zurückgewiesen (Einspruchsentscheidung vom 9. Juli 2001).

Auf die Klage änderte das Finanzgericht (FG) den Einkommensteuerbescheid 1993; der in dem KG-Feststellungsbescheid festgestellte Veräußerungsgewinn sei außer Ansatz zu lassen; die Entscheidung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1341 veröffentlicht. Die Festsetzungsfrist des Einkommensteuerbescheides 1993 sei bereits zum 31. Dezember 2000 abgelaufen gewesen. Die Hemmung nach § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung (AO 1977) für die Übernahme des Veräußerungsgewinns habe bereits im Jahr 1997 geendet; der Feststellungsbescheid vom 3. April 2000 habe die bereits getroffene Feststellung lediglich wiederholt und könne die zweijährige Ablaufhemmung nicht erneut auslösen. Entgegen der Auffassung des FA beginne die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 10 AO 1977 nicht erst mit dem Ablauf der Festsetzungsfrist des Folgebescheides.

Mit der Revision macht das FA geltend, dass die regulär zum 31. Dezember 2000 abgelaufene Festsetzungsfrist aufgrund der Ablaufhemmung des § 171 Abs. 10 AO 1977 um weitere zwei Jahre verlängert worden sei.

1. Der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Folgesteuer sei im Ausmaß der Bindungswirkung des Grundlagenbescheides gehemmt, soweit und solange in offener Feststellungsfrist ein Feststellungsbescheid, der für die Festsetzung einer Steuer bindend sei, noch zulässig ergehen könne (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12. August 1987 II R 202/84, BFHE 150, 319, BStBl II 1988, 318, 319, und vom 17. Februar 1993 II R 15/91, BFH/NV 1994, 1). Der Fristablauf werde unabhängig davon gehemmt, ob der Grundlagenbescheid bereits ergangen sei.

2. Hinsichtlich der Feststellung des Veräußerungsgewinns sei keine Teilbestandskraft eingetreten. Der Grundlagenbescheid vom 3. April 2000 enthalte die (negative) Feststellung, dass trotz der Veränderung des laufenden Gewinns der Veräußerungsgewinn in gleicher Höhe bestehen bleibe. Das FA habe den Feststellungsbescheid vom 3. April 2000 in vollem Umfang auswerten dürfen.

3. Das BFH-Urteil vom 19. Januar 2005 X R 14/04 (BFHE 208, 410, BStBl II 2005, 242) betreffe einen anderen Sachverhalt.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

1. Entgegen der Auffassung des FA handele es sich bei der Feststellung des Veräußerungsgewinns um eigenständige Regelungen.

2. Die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 seien bezüglich des Veräußerungsgewinns nicht gegeben; das Tatbestandsmerkmal "Bestätigung" fehle in der Aufzählung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977.

II. Die Revision ist gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) unbegründet. Die Entscheidung des FG ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Das FA war nicht berechtigt, den in den Bescheiden vom 23. November 1995 und vom 3. April 2000 festgestellten Veräußerungsgewinn in den Einkommensteuerbescheid 1993 vom 22. März 2001 zu übernehmen.

Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 kann ein Bescheid erlassen, aufgehoben oder geändert werden, soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird.

a) Der Feststellungsbescheid vom 3. April 2000 enthält hinsichtlich des Veräußerungsgewinns keine Änderung; er wiederholt lediglich die bereits im Bescheid vom 23. November 1995 getroffene Feststellung und berechtigt nicht zur Änderung eines Folgebescheides. Hinsichtlich des Veräußerungsgewinns liegt der Erlass, die Aufhebung oder Änderung eines Bescheides damit nicht vor. Die Kläger weisen zu Recht darauf hin, dass die Bestätigung eines Bescheides in § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 nicht aufgeführt ist.

Entgegen der Auffassung des FA kann nicht darauf abgestellt werden, dass der Feststellungsbescheid in anderen Punkten geändert wurde. Die einzelnen Feststellungen sind selbständiger Natur und enthalten selbständig anfechtbare Regelungen. Im Rahmen einer einheitlichen und gesonderten Feststellung nach §§ 179, 180 AO 1977 ist jede einzelne festgestellte Besteuerungsgrundlage als eigenständiger Regelungsgegenstand anzusehen. Der Feststellungsbescheid bildet eine Zusammenfassung einzelner Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen, die auch selbständiger Gegenstand eines Klageverfahrens sein können, soweit sie eine rechtlich selbständige Würdigung beinhalten (BFH-Beschluss vom 30. September 2003 IV B 23/02, BFH/NV 2004, 457; BFH-Urteil vom 10. Februar 1988 VIII R 352/82, BFHE 152, 414, BStBl II 1988, 544; Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, 8. Aufl., 2003, § 179 Rz. 5).

Berechtigt ein einen Grundlagenbescheid lediglich wiederholender Bescheid nicht zur Änderung des Folgebescheides, kann durch den nur wiederholenden Bescheid auch der Fristablauf gemäß § 171 Abs. 10 AO 1977 nicht gehemmt werden (BFH-Urteile vom 13. Dezember 2000 X R 42/96, BFHE 194, 305, BStBl II 2001, 471, 475; in BFHE 208, 410, BStBl II 2005, 242; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Stand Oktober 2002, § 171 AO 1977 Tz. 86a; Balke, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1987, 652, 653; Söhn, Deutsche Steuerzeitung --DStZ-- 2002, 811, 812).

b) Die Übernahme der im Feststellungsbescheid vom 23. November 1995 getroffenen Feststellungen scheitert daran, dass insoweit bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist; der Einkommensteuerbescheid 1993 vom 22. März 2001 durfte hinsichtlich des Veräußerungsgewinns nicht mehr ergehen. Die Festsetzungsfrist endete gemäß § 169 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 mit Ablauf des 31. Dezember 2000.

aa) Entgegen der Auffassung des FA ist der Ablauf der Festsetzungsfrist nicht gemäß § 171 Abs. 10 AO 1977 bis zum 31. Dezember 2002 gehemmt gewesen. Nach dieser Vorschrift endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheides.

Soweit sich das FA auf die Entscheidung des II. Senats in BFH/NV 1994, 1, beruft, missversteht es dessen Ausführungen. Diese Äußerungen sind in dem Sinne zu verstehen, dass der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Folgesteuer im Ausmaß der Bindungswirkung des Grundlagenbescheides dauerhaft gehemmt ist, soweit und solange in offener Feststellungsfrist ein Feststellungsbescheid, der für die Festsetzung einer Steuer bindend sei, noch zulässig ergehen kann (vgl. auch Cöster, in Pahlke/ Koenig, Abgabenordnung, 2004, § 171 Rz. 146). Eine Änderung kommt danach auch dann in Betracht, wenn ein zunächst nicht oder fehlerhaft ausgewerteter Grundlagenbescheid später geändert wird; ein "Verbrauch" der Möglichkeit, den Folgebescheid anzupassen, tritt nicht ein. Das ändert aber nichts an dem Umstand, dass die Zweijahresfrist des § 171 Abs. 10 AO 1977 an die Bekanntgabe des (geänderten) Grundlagenbescheides anknüpft und dass nach ergangenem Grundlagenbescheid § 171 Abs. 10 AO 1977 eine maximale Auswertungsfrist von zwei Jahren einräumt (BFH-Urteil in BFHE 208, 410, BStBl II 2005, 242).

bb) Im Streitfall ist der maßgebliche Feststellungsbescheid bereits im November 1995 ergangen; die dadurch ausgelöste Ablaufhemmung endete im November 1997. Der KG-Feststellungsbescheid ist hinsichtlich der hier maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen nicht später geändert worden. Die dort getroffenen Feststellungen hätten zwar --bei Vorliegen entsprechender Änderungsnormen-- noch bis zum Ablauf der Feststellungsfrist geändert werden können. Das aber ist nicht geschehen; der Veräußerungsgewinn ist im Feststellungsbescheid vom 23. November 1995 auf jeweils 133 000 DM festgestellt worden. Ohne Änderung des Grundlagenbescheides ist eine erneute Anpassungspflicht nicht begründet worden; damit konnte auch die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 10 AO 1977 nicht erneut ausgelöst werden (BFH-Urteil in BFHE 208, 410, BStBl II 2005, 242).

Ende der Entscheidung

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