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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 18.10.2006
Aktenzeichen: XI R 45/05
Rechtsgebiete: EStG, FGO


Vorschriften:

EStG § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
EStG § 10 Abs. 3 Nr. 2
EStG § 19
EStG § 19 Abs. 1
EStG § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
EStG § 19 Abs. 2
EStG § 19 Abs. 2 Satz 1
EStG § 19 Abs. 2 Satz 2
EStG § 22 Nr. 4
EStG § 22 Nr. 4 Satz 4 Buchst. b
EStG § 24a
EStG § 24 Nr. 2
FGO § 126 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind miteinander verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war neben seiner freiberuflichen Anwaltstätigkeit ab 1. August 1957 für das Unternehmen A --inzwischen A GmbH & Co. KG-- (Unternehmen A) als juristischer Berater tätig. Durch einen Beratervertrag vom 30. April 1962 wurden die bis dahin geltenden Vereinbarungen ersetzt. Abschn. 1 des Beratervertrags lautet: "Herr Rechtsanwalt ... übernimmt es, die Firma A laufend in allen ihren Rechtsangelegenheiten zu beraten"; Abschn. 2 lautet: "Für die Beratungstätigkeit erhält Herr ... ein monatlich nachträglich am Ende eines Kalendermonats zu zahlendes Pauschalhonorar in Höhe von DM 1.500".

Am 20. September 1976 schlossen der Kläger und das Unternehmen A einen Pensionsvertrag, nach dem der Kläger im Hinblick auf dessen langjährige Tätigkeit als "freiberuflicher ständiger Rechtsberater" eine "Versorgungszusage" des Inhalts erhält, dass das Unternehmen A dem Kläger "beginnend mit der Aufgabe seiner Tätigkeit für die Firma A nach Vollendung des 65. Lebensjahres oder vorher eintretender Berufsunfähigkeit eine lebenslängliche monatliche Altersrente in Höhe von DM 2.500" zahlt.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) hat der Kläger seine Tätigkeit für das Unternehmen A wie folgt beschrieben: Er habe sich nie als Arbeitnehmer des Unternehmens betrachtet. In dem Unternehmen habe er keine Büroräume oder einen fest zugewiesenen Arbeitsplatz gehabt. Er sei nicht weisungsgebunden und nicht in die Betriebsstruktur eingebunden gewesen. Er habe noch weitere Auftraggeber gehabt, für die er gegen ein laufendes Pauschalhonorar gearbeitet habe. Auf Anforderung oder sonst auch ohne Anforderung sei er etwa ein- bis zweimal die Woche für durchschnittlich zwei bis drei Stunden bei dem Unternehmen A gewesen, wobei er dabei die Möglichkeit gehabt habe, in einem Zimmer an einem Schreibtisch des Unternehmens zu arbeiten bzw. Besprechungen durchzuführen. Er habe den Warenzeichenbestand des Unternehmens juristisch betreut und bei Bedarf auch Verträge ausgearbeitet. Diese Arbeiten habe er, wie es sich gerade ergeben habe, entweder in den Räumen des Unternehmens oder im eigenen Büro erledigt. Die Klausel in § 4 des Pensionsvertrags sei nicht so zu verstehen, dass er wie ein Arbeitnehmer habe versorgt werden sollen, sondern sei dahin zu verstehen, dass die Regelungen des zitierten Gesetzes auf ihn als Selbständigen entsprechend angewendet werden sollten. Im Übrigen sei er viele Jahre im Gesellschafterbeirat des Unternehmens A gewesen.

Nach dem Schreiben des Unternehmens A vom 30. Dezember 1992 beendete der 1925 geborene Kläger zum 31. Dezember 1992 seine Tätigkeit für das Unternehmen und erhielt "ab Januar 1993 eine monatlich lebenslang .... zahlbare Betriebsrente in Höhe von brutto dreitausendsechshundert DM".

In den Einkommensteuererklärungen für 2000 und 2003 erklärte der Kläger neben Einkünften aus selbständiger Arbeit als Rechtsanwalt u.a. in der Anlage SO als "andere wiederkehrende Bezüge" die Zahlungen des Unternehmens A in Höhe von 44 064 DM bzw. 22 529 € als "Einkünfte i.S. § 24 Nr. 2 EStG" und beantragte für das Jahr 2000 im Einspruchsverfahren und für das Jahr 2003 in einem Begleitschreiben, für diese Einkünfte den Versorgungs-Freibetrag gemäß § 19 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu gewähren. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte in den Einkommensteuerbescheiden für 2000 und 2003 vom 22. Oktober 2001 und 8. September 2004 die Zahlungen des Unternehmens A in voller Höhe als "andere wiederkehrende Bezüge" an und gewährte den Versorgungs-Freibetrag nicht.

Die Einsprüche wies das FA zurück. Auch die Klage hatte keinen Erfolg. Bei der Versteuerung der Einkünfte des Klägers aus dem Pensionsvertrag vom 20. September 1976 sei ein Versorgungs-Freibetrag gemäß § 19 Abs. 2 EStG nicht zu berücksichtigen. Die Entscheidung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 39 veröffentlicht.

Mit der Revision machen die Kläger geltend:

1. § 19 Abs. 2 EStG beziehe sich nicht nur auf Einkünfte gemäß § 19 Abs. 1 EStG. Dass dies nicht der Fall sei, folge auch aus § 22 Nr. 4 EStG. Die Nichtgewährung des Versorgungs-Freibetrags verletze Art. 3 des Grundgesetzes (GG). Eine unterschiedliche Behandlung von Versorgungsbezügen sei nicht gerechtfertigt, eine verfassungskonforme Auslegung möglich.

2. Die Entscheidung des Senats vom 22. März 2006 XI R 60/03 (juris Nr: STRE200650612) sei zu einem anderen Sachverhalt ergangen. In jenem Fall sei die Zahlung eher als Kaufpreisrente zu qualifizieren, nicht aber --wie im Streitfall-- als Gegenleistung für eine jahrzehntelange Dienstleistung. Die Gründe, mit denen in der Entscheidung in juris Nr: STRE200650612 die Möglichkeit der analogen Anwendung des § 19 EStG verneint würden, seien nicht tragfähig.

3. Das angeführte Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6. März 2002 2 BvL 17/99 (BVerfGE 105, 73, BStBl II 2002, 618) betreffe nicht den vorliegenden Fall, jedenfalls nicht unmittelbar. Der Gesetzgeber habe auch nur die unterschiedliche Besteuerung von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und von Beamtenbezügen behoben.

Die Kläger beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Änderung der Einkommensteuerbescheide für 2000 und 2003 vom 12. Juli 2002 und 8. September 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 22. November 2002 und 13. Dezember 2004 für die Bezüge des Klägers aus dem Pensionsvertrag vom 20. September 1976 gemäß § 19 Abs. 2 EStG Freibeträge von 6 000 DM bzw. 3 072 € anzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der Kläger sei gegenüber dem Unternehmen A selbständig tätig gewesen; § 19 Abs. 2 EStG sei insoweit nicht anwendbar. Auch eine entsprechende Anwendung komme nicht in Betracht. Von einer möglichen Verfassungswidrigkeit könne der Kläger nicht profitieren.

II. Die Revision ist gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) unbegründet; das angefochtene Urteil ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

1. Von den Einnahmen des Klägers aus seiner früheren selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwalt ist kein Versorgungs-Freibetrag abzuziehen. Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 EStG bleibt von Versorgungsbezügen ein Betrag in Höhe von 40 v.H. dieser Bezüge, höchstens jedoch insgesamt ein Betrag von 6 000 DM im Veranlagungszeitraum 2000 bzw. 3 072 € im Veranlagungszeitraum 2003, steuerfrei (Versorgungs-Freibetrag). § 19 EStG trägt die Überschrift "Nichtselbständige Arbeit". Nach § 19 Abs. 2 Satz 2 EStG sind Versorgungsbezüge "Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstleistungen". Die Vorschrift knüpft damit an § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG an, wo bestimmt ist, dass zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit u.a. "Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstleistungen" gehören. Danach bezieht sich der in § 19 Abs. 2 EStG geregelte Versorgungs-Freibetrag nur auf Einnahmen aus einer früheren nichtselbständigen Arbeit. Er kann mithin nur gewährt werden, wenn die früheren Dienstleistungen in einem Arbeitsverhältnis erbracht worden sind und der Arbeitnehmer aus dem aktiven Dienst ausgeschieden ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- in juris Nr: STRE200650612). Dies trifft für den Kläger nicht zu, da er selbständig und nicht als Arbeitnehmer tätig war. Soweit sich die Kläger darauf berufen, dass ganz allgemein "Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstleistungen" erfasst seien, verkennen sie, dass § 19 EStG --wie auch aus § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG zu entnehmen ist-- nur und ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit regelt.

2. Ein Versorgungs-Freibetrag kann nicht in analoger Anwendung des § 19 Abs. 2 EStG für Einnahmen aus einer Betriebsrente wegen einer früheren selbständigen Tätigkeit gewährt werden. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift kann nur bei einer Gesetzeslücke in Betracht kommen; eine solche liegt jedoch nicht vor (vgl. im Einzelnen BFH-Urteil in juris Nr: STRE200650612). Eine altersbedingte steuerliche Entlastung für Bezüge, die nicht (nur) mit dem Ertragsanteil besteuert werden und die keine Versorgungsbezüge i.S. des § 19 Abs. 2 EStG sind, soll ausschließlich durch den Altersentlastungsbetrag gemäß § 24a EStG erfolgen.

3. Die Kläger können sich nicht mit Erfolg auf § 22 Nr. 4 Satz 4 Buchst. b EStG berufen. In diesem Fall wird die entsprechende Anwendung des § 19 Abs. 2 EStG für Einkünfte dieser Art ausdrücklich angeordnet. Für Einkünfte, wie sie der Kläger bezogen hat, hat der Gesetzgeber eine vergleichbare Regelung nicht getroffen.

4. Der Senat kann --entgegen der Auffassung der Kläger-- offenlassen, ob die Besteuerung der Versorgungsrente des Klägers gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen hat. Denn selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, wäre ein solcher Verstoß in den Streitjahren 2000 und 2003 noch hinzunehmen gewesen. Mit Urteil in BVerfGE 105, 73, BStBl II 2002, 618 hat das BVerfG dem Gesetzgeber aufgegeben, spätestens mit Wirkung zum l. Januar 2005 eine Neuregelung zu treffen und sich für die Zukunft vor dem Hintergrund des breiten Spektrums der seit langem aufbereiteten Reformalternativen für ein Lösungsmodell zu entscheiden und dieses folgerichtig auszugestalten (vgl. Urteil in BVerfGE 105, 73, BStBl II 2002, 618, unter D.II. der Gründe). Daraus folgt, dass der Kläger während der Zeitspanne, die das BVerfG dem Gesetzgeber für die Neuregelung eingeräumt hatte, eine eventuelle Benachteiligung bei der Besteuerung seiner Altersbezüge hinnehmen muss (vgl. BFH-Urteil in juris Nr: STRE200650612). Entgegen der Auffassung der Kläger bezog sich der Auftrag zur Neuregelung auf den gesamten Bereich der Besteuerung der Alterseinkünfte, also auch auf den Versorgungs-Freibetrag. Dementsprechend hat der Gesetzgeber auch eine Regelung getroffen, nach der der Versorgungs-Freibetrag schrittweise abgeschafft wird (vgl. Schmidt/Drenseck, EStG, 25. Aufl., § 19 Rz 51).

Im Übrigen ist im Hinblick auf die Gleichbehandlung des Klägers mit den Empfängern von Versorgungsbezügen i.S. des § 19 Abs. 2 EStG zu berücksichtigen, dass der Kläger stets den ungekürzten Vorwegabzug des § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG in der für die Streitjahre maßgebenden Fassung in Anspruch nehmen konnte.

Ende der Entscheidung

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