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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 15.11.2006
Aktenzeichen: XI R 46/05
Rechtsgebiete: EStG, GmbHG


Vorschriften:

EStG § 2 Abs. 4
EStG § 10 Abs. 3 Nr. 2
EStG § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2
EStG § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a
EStG § 10c Abs. 3 Nr. 1
EStG § 10c Abs. 3 Nr. 2
EStG § 26b
GmbHG § 29
GmbHG § 72
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind miteinander verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Die Kläger sind beteiligt an der X-GmbH (GmbH). Die Klägerin hält 75 v.H. der Gesellschaftsanteile und der Kläger 25 v.H. Die Kläger sind zugleich die alleinigen Geschäftsführer der GmbH und erzielen aus dieser Tätigkeit jeweils Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Beide unterlagen im Streitjahr nicht der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht.

Die GmbH hat den Klägern Pensionszusagen erteilt, wonach sie nach Ablauf entsprechender Wartezeiten jeweils einen Anspruch auf eine Alters- und Invalidenrente von monatlich 1 000 DM haben.

Im Streitjahr hatten die Kläger Aufwendungen für Krankenversicherungen in Höhe von 8 948,50 DM, für eine Unfallversicherung in Höhe von 109 DM, für eine Haftpflichtversicherung in Höhe von 84 DM und für eine vom Kläger abgeschlossene Lebensversicherung in Höhe von 18 249 DM; diese Aufwendungen machten sie als (beschränkt abziehbare) Sonderausgaben geltend. Bei der Veranlagung kürzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) den Vorwegabzug für Vorsorgeaufwendungen gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a i.V.m. § 10c Abs. 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) um 9 310 DM (16 v.H. sämtlicher Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit) auf 2 690 DM.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte u.a. aus: Die Anwartschaftsrechte aus den Altersversorgungszusagen der GmbH hätten weder die Klägerin noch der Kläger ausschließlich durch eigene Beiträge erworben. Dies werde bereits daran deutlich, dass für beide Kläger gleichwertige Pensionszusagen erteilt worden seien, die Kläger jedoch nicht gleichwertig am Gesellschaftsvermögen beteiligt seien. Bei dieser Konstellation führe die Pensionszusage an einen der Gesellschafter zwingend dazu, dass der gesellschaftsrechtliche Anspruch des anderen Gesellschafters tangiert werde. Dabei komme dem Umstand, dass es sich bei den Gesellschaftern um Eheleute handele, die für das Streitjahr die Zusammenveranlagung gewählt hätten, keine Bedeutung zu.

Mit der Revision tragen die Kläger vor, dass sie keinen Ehevertrag geschlossen hätten und damit für sie die gesetzlichen Regelungen, die den Vermögenszuwachs gleichmäßig verteilen, gelten würden. Sie machen geltend:

Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) komme es auch bei mehreren Gesellschafter-Geschäftsführern für die Kürzung des Vorwegabzugs darauf an, wer den Finanzierungsaufwand wirtschaftlich trage. Bei der Beantwortung der Frage, ob ein Gesellschafter-Geschäftsführer den Aufwand für seine Pensionszusage wirtschaftlich selbst trage, sei darauf abzustellen, ob sein Gewinnkonto vor Abzug der ihn betreffenden Pensionsrückstellung diese abdecke oder übersteige. Das FG hätte daher im Streitfall feststellen müssen, wie die Gewinnverteilung tatsächlich unter den Klägern geregelt gewesen sei, und ob die GmbH in der Lage gewesen sei, Gewinne auszuschütten.

Das angefochtene Urteil des FG verstoße auch gegen Art. 6 des Grundgesetzes (GG). Das FG habe verkannt, dass der Staat durch Art. 6 GG verpflichtet werde, Ehe und Familie durch geeignete Maßnahmen zu fördern. Gesellschafter-Geschäftsführer, die nicht miteinander verheiratet seien, könnten es so einrichten, dass zumindest einer von ihnen Sozialversicherungsschutz erlange. Bei Verheirateten bestehe diese Gestaltungsmöglichkeit nicht, sofern --wie hier-- beide Eheleute gleichberechtigt leitend tätig seien. Zum Ausgleich dieses Nachteils dürfe der Vorwegabzug bei Ehegatten als Gesellschafter-Geschäftsführern nicht gekürzt werden. Zudem lägen bei Ehegatten die Gesellschaftsanteile faktisch in einer Hand und seien auch deshalb rechtlich als Einheit zu behandeln. Hinzu komme, dass die von einer Ehegatten-GmbH jedem Ehepartner zugesagte Altersversorgung der gemeinsamen Sorge der Ehegatten füreinander entspringe. Auch aus diesem weiteren Grund sei die Gewährung des ungekürzten Vorwegabzugs geboten.

Die Kläger beantragen sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Einkommensteuer 1999 auf den Betrag festzusetzen, der sich bei Berücksichtigung des ungekürzten Vorwegabzugs von 12 000 DM ergibt.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Das FG habe zu Recht entschieden, dass bei gleich hohen Pensionszusagen an nicht gleich hoch am Gesellschaftsvermögen beteiligte Gesellschafter der gesellschaftsrechtliche Anspruch des jeweils anderen berührt sei. Hierbei spiele es keine Rolle, dass die Kläger Ehegatten seien, denn im Rahmen ihrer Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer handelten sie nicht als Eheleute, sondern als Gesellschafter. Aus diesem Grund liege auch kein Verstoß gegen das Recht auf besonderen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG vor.

II. Die Revision der Kläger ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Kürzung des Vorwegabzugs in dem vom FA vorgenommenen Umfang rechtmäßig ist.

1. Nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG steht Ehegatten im Fall der Zusammenveranlagung für Vorsorgeaufwendungen ein Sonderausgaben-Vorwegabzug von 12 000 DM zu. Dieser ist um 16 v.H. der Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit zu kürzen, wenn der Steuerpflichtige zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört. Zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG gehören Arbeitnehmer, die während des ganzen oder eines Teils des Kalenderjahrs nicht der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterliegen, eine Berufstätigkeit ausgeübt und im Zusammenhang damit aufgrund vertraglicher Vereinbarungen Anwartschaftsrechte auf eine Altersversorgung ganz oder teilweise ohne eigene Beitragsleistung erworben haben.

In Fällen, in denen eine GmbH mehreren Gesellschafter-Geschäftsführern eine Altersversorgung zugesagt hat, erlangt der einzelne Gesellschafter sein Anwartschaftsrecht auf Altersversorgung nach dem Urteil des erkennenden Senats vom 23. Februar 2005 XI R 29/03 (BFHE 209, 256, BStBl II 2005, 634) nicht ganz oder teilweise ohne eigene Beitragsleistung i.S. des § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG, wenn er bei typisierender und wirtschaftlicher Betrachtung und vorausschauender Berechnung sein Anwartschaftsrecht ausschließlich durch eine seiner Beteiligungsquote entsprechende Minderung seiner gesellschaftsrechtlichen Ansprüche i.S. der §§ 29, 72 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) erwirbt.

Bei der Zusage einer Altersversorgung gegenüber mehreren Gesellschafter-Geschäftsführern erwirbt der einzelne Gesellschafter-Geschäftsführer sein Anwartschaftsrecht auf Altersversorgung ausschließlich durch eine seiner Beteiligungsquote entsprechende Minderung seiner gesellschaftsrechtlichen Ansprüche, wenn der quotale Aufwand der GmbH für die Altersversorgung dieses Gesellschafter-Geschäftsführers bei typisierender Betrachtung und vorausschauender Berechnung dessen Beteiligungsquote entspricht oder niedriger ist. Um das feststellen zu können, ist der auf die Altersversorgungszusage an den einzelnen Gesellschafter-Geschäftsführer entfallende Anteil am Gesamtaufwand der GmbH für die Altersversorgungszusagen an alle Gesellschafter-Geschäftsführer typisierend und vorausschauend zu ermitteln und zu vergleichen mit der Beteiligungsquote desselben Gesellschafter-Geschäftsführers. Während die Ermittlung der Aufwandsquote periodenübergreifend zu erfolgen hat, ist der Vergleich mit der Beteiligungsquote veranlagungszeitraumbezogen vorzunehmen. Stimmen im jeweiligen Veranlagungszeitraum beide Quoten überein oder ist die Aufwandsquote niedriger als die Beteiligungsquote, so kommt der betreffende Gesellschafter-Geschäftsführer für seine Versorgung wirtschaftlich betrachtet selbst auf, sodass ihm der Vorwegabzug nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG ungekürzt zusteht.

2. Die vorausschauende Berechnung zur Ermittlung, in welcher Höhe ein Verzicht auf gesellschaftsrechtliche Ansprüche vorliegt, ist typisierend vorzunehmen. Es bedarf also --entgegen der Ansicht der Kläger-- keiner konkreten Berechnung des jeweiligen Anspruchs des einzelnen Gesellschafter-Geschäftsführers auf Gewinn i.S. von § 29 GmbHG und auf Auskehrung des Liquidationsguthabens i.S. von § 72 GmbHG bei gedachter Auflösung der GmbH und Umsetzung ihres Vermögens in Geld in dem dem betrachteten Veranlagungszeitraum entsprechenden Wirtschaftsjahr. Ebenso wenig muss ermittelt werden, ob die GmbH in dem jeweiligen Wirtschaftsjahr einen die Höhe der Belastung aus den Altersversorgungszusagen erreichenden Gewinn erzielt hat und in dieser Höhe eine Gewinnausschüttung an die Gesellschafter-Geschäftsführer hätte vornehmen können. Vielmehr genügt für die Gewährung des ungekürzten Vorwegabzugs bereits die Feststellung, dass bei Zugrundelegung der im betrachteten Veranlagungszeitraum bekannten Beteiligungsverhältnisse und Entwicklung des Gesamtaufwands der GmbH für die Altersversorgungszusagen an alle Gesellschafter-Geschäftsführer sowie des hiervon auf die Altersversorgung des einzelnen Gesellschafter-Geschäftsführers entfallenden Aufwands die jeweilige Aufwandsquote nicht höher als die entsprechende Beteiligungsquote ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 209, 256, BStBl II 2005, 634).

3. Entgegen der Ansicht der Kläger gebietet Art. 6 Abs. 1 GG nicht die Gewährung des ungekürzten Sonderausgaben-Vorwegabzugs trotz festgestellter (teilweiser) Finanzierung der Altersversorgungszusage des einen Gesellschafter-Geschäftsführers durch den anderen.

a) Soweit die Kläger bei von Ehegatten gehaltenen GmbH-Anteilen unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 GG eine Zusammenrechnung befürworten, könnte dadurch in Fällen, in denen --wie hier-- beiden Ehegatten jeweils eine selbständige Altersversorgungszusage erteilt wurde, von einer Kürzung des Sonderausgaben-Vorwegabzugs nur dann abgesehen werden, wenn die Ehegatten auch hinsichtlich ihrer Altersversorgungszusagen als Einheit behandelt würden, d.h. bei der Anwendung von § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a i.V.m. § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG das Bestehen voneinander unabhängiger Altersversorgungsanwartschaften ignoriert würde. Eine dahingehende Verpflichtung der Finanzbehörden und -gerichte, von den Ehegatten selbst geschaffene Fakten bei der rechtlichen Würdigung außer Acht zu lassen, lässt sich aus Art. 6 Abs. 1 GG jedoch nicht herleiten. Dieser den Schutz von Ehe und Familie garantierende Grundrechtsartikel verbietet nur eine Diskriminierung von Ehegatten gegenüber Unverheirateten, verlangt aber keine Besserstellung der Ehegatten gegenüber Unverheirateten, solange nicht --was im Streitfall ausscheidet-- spezifische Belastungen auszugleichen sind (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 23. August 1999 GrS 2/97, BFHE 189, 160, BStBl II 1999, 782, unter C.IV.1.c. ff, m.w.N.). Auch nicht verheiratete Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH, die dafür gesorgt haben, dass ihnen jeweils voneinander unabhängige Altersversorgungszusagen von der GmbH erteilt worden sind, würden bei der Anwendung von § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a i.V.m. § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG an dieser von ihnen gewählten Gestaltung festgehalten.

b) Aus der Zusammenveranlagung von verheirateten Gesellschafter-Geschäftsführern einer GmbH zur Einkommensteuer gemäß § 26b EStG lässt sich entgegen der Ansicht der Kläger das von ihnen gewünschte Ergebnis ebenfalls nicht herleiten.

Nach § 26b EStG werden, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, Ehegatten nach Zusammenrechnung ihrer Einkünfte gemeinsam als Steuerpflichtiger behandelt. Sonderausgaben einschließlich des Vorwegabzugs nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG sind zwar nach § 2 Abs. 4 EStG vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen, also auf einer Ermittlungsstufe, auf der zusammenveranlagte Eheleute bereits als ein Steuerpflichtiger mit einer Berechnungsgrundlage gelten. Für die vorgelagerte Frage, ob der Sonderausgaben-Vorwegabzug zu kürzen ist, ist jedoch jeder Ehegatte einzeln zu betrachten; insoweit bilden die Ehegatten keine Einheit. Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Norm des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG über die Kürzung des Vorwegabzugs, der die darin enthaltene Regelung zugleich als eine solche qualifiziert, die "etwas anderes" i.S. von § 26b EStG vorschreibt (vgl. Senatsurteil vom 3. Dezember 2003 XI R 11/03, BFHE 204, 461, BStBl II 2004, 709).

c) Soweit die Kläger meinen, nicht verheiratete Gesellschafter-Geschäftsführer hätten bei gleichen Verhältnissen, d.h. gleichberechtigter leitender Tätigkeit beider Gesellschafter-Geschäftsführer, "Gestaltungsmöglichkeiten" zur Erlangung von Sozialversicherungsschutz, die verheiratete Gesellschafter-Geschäftsführer nicht haben, kann die Richtigkeit dieser Ansicht dahingestellt bleiben. Denn das Fehlen von "Gestaltungsmöglichkeiten" einer bestimmten Gruppe auf der Ebene des Sozialversicherungsrechts könnte jedenfalls keine Rechtfertigung für die Schaffung systemwidriger Ausnahmen zugunsten derselben Gruppe auf der Ebene des Steuerrechts sein.

4. Das FG wird unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze im zweiten Rechtsgang zum einen den auf die Altersversorgungszusage des Klägers und zum anderen den auf die Altersversorgungszusage der Klägerin jeweils entfallenden Anteil am Gesamtaufwand der GmbH für beide Alterversorgungszusagen zu ermitteln haben. Ergibt ein Vergleich der für die Klägerin ermittelten Aufwandsquote mit deren Beteiligungsquote, dass diese niedriger ist als die Beteiligungsquote, darf der Vorwegabzug im Hinblick auf die Klägerin nicht gekürzt werden.

Die nicht entscheidungsreife Sache wird zur Nachholung der entsprechenden Feststellungen an das FG zurückverwiesen.

Ende der Entscheidung

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