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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 15.12.1999
Aktenzeichen: XI R 53/99
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG 1990, EStDV


Vorschriften:

AO 1977 § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
AO 1977 § 175 Abs. 2
AO 1977 § 177 Abs. 1
EStG 1990 § 10 Abs. 5
EStG 1990 § 51 Abs. 1 Nr. 3
EStDV § 30
EStDV § 31
BUNDESFINANZHOF

§ 177 AO 1977 findet bei der Berechnung der Nachsteuer nach § 10 Abs. 5 EStG keine --auch keine entsprechende-- Anwendung (Änderung der Rechtsprechung).

AO 1977 § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 175 Abs. 2, § 177 Abs. 1 EStG 1990 § 10 Abs. 5, § 51 Abs. 1 Nr. 3 EStDV § 30, § 31

Urteil vom 15. Dezember 1999 - XI R 53/99 -

Vorinstanz: Niedersächsisches FG (EFG 1995, 42)


Gründe

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr 1991 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Bei einem zu versteuernden Einkommen von ... DM ergab sich als Einkommensteuer ein Betrag von ... DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) versteuerte im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung außerdem die den Klägern 1991 vor Ablauf der Sperrfrist zurückgezahlten Bausparbeiträge gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes 1990 in der für das Streitjahr 1991 geltenden Fassung (EStG 1990), §§ 30, 31 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 1990 (EStDV) nach und errechnete für die Jahre 1983 bis 1990 Nachsteuer in Höhe von ... DM, darunter für 1983 bis 1985 im Einzelnen ... DM, ... DM und ... DM. Unter Einbeziehung der Nachsteuer setzte das FA die Einkommensteuer 1991 auf ... DM fest.

Mit ihrer Klage machten die Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren u.a. geltend, die Einkommensteuer 1991 sei herabzusetzen, da bei der Berechnung der Nachsteuer die nachträgliche Erhöhung der Kinderfreibeträge nach § 54 EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 1991 (StÄndG 1991) vom 24. Juni 1991 (BGBl I 1991, 1322) für die Jahre 1983 bis 1985 zu berücksichtigen sei.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage in dem vorliegend noch streitigen Punkt ab, weil die nachträgliche Erhöhung der Kinderfreibeträge bei der Ermittlung der Nachsteuer nicht zu berücksichtigen sei.

Nach Zulassung durch den Bundesfinanzhof (BFH) legten die Kläger Revision wegen der Verletzung materiellen Rechts ein. Weder aus § 10 Abs. 5 EStG 1990 noch aus §§ 30, 31 EStDV ergebe sich, dass bei der Berechnung der Nachsteuer die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Zahlungsjahres nicht berücksichtigt werden dürften. Mit den Steuerbescheiden 1983 bis 1985 seien lediglich die Steuerbeträge, nicht jedoch die einzelnen Besteuerungsgrundlagen bestandskräftig festgesetzt worden. Auch wenn § 10 Abs. 5 EStG 1990 eine Spezialregelung des in § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) fixierten Rechtsgedankens darstelle, handele es sich bei der Nachsteuer nicht um eine Änderung der ursprünglichen Steuerbescheide, sondern um eine erstmalige Festsetzung, die in der für die einzelnen Veranlagungszeiträume zutreffenden Höhe zu erfolgen habe. Da der Gesetzgeber es unterlassen habe, die Nachsteuer durch Änderung der ursprünglichen Steuerfestsetzungen zu erheben, sei es verfehlt, sie als eine Steueränderung aufzufassen. Die mit §§ 30, 31 EStDV verfolgte Verwaltungsvereinfachung rechtfertige keine Vereinfachung in materieller Hinsicht zum Nachteil des Steuerpflichtigen.

Da die Nachsteuer erstmals 1992 festgesetzt worden und diese Festsetzung somit am 28. Juni 1991 noch nicht bestandskräftig gewesen sei, seien bei der fiktiven Steuerberechnung nach §§ 30, 31 EStDV die erhöhten Kinderfreibeträge gemäß § 54 Abs. 1 EStG i.d.F. des StÄndG 1991 zu berücksichtigen. Diese Auslegung entspreche der Intention des § 54 EStG i.d.F. des StÄndG 1991, wonach die als verfassungswidrig zu niedrig erkannten Kinderfreibeträge nicht mehr neu festgesetzt werden sollten. Andernfalls käme es vorliegend zu einer verfassungswidrig festgesetzten Nachsteuer.

Da es sich nicht um eine Änderungsvorschrift handele, bedürfe es auch nicht des § 177 AO 1977, der es ermögliche, im Rahmen einer punktuell geänderten neuen Steuerfestsetzung andere materielle Rechtsfehler zu korrigieren. Sollte § 10 Abs. 5 EStG 1990 aber doch als Änderungsvorschrift angesehen werden, so sei § 177 AO 1977 zu berücksichtigen und die nach § 54 EStG i.d.F. des StÄndG 1991 erhöhten Kinderfreibeträge somit gleichfalls anzusetzen.

Die Kläger beantragen, die Einkommensteuer 1991 unter Aufhebung des FG-Urteils und Abänderung des Einkommensteuerbescheides auf ... DM herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision der Kläger als unbegründet zurückzuweisen.

Nach Auffassung des FA stellt die vorzeitige Verfügung über Bausparguthaben ein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 AO 1977 dar. Daher handele es sich bei § 10 Abs. 5 EStG 1990 um eine Änderungsvorschrift, die sich allerdings ausschließlich auf Änderungen bei den Sonderausgaben beschränke und die Steuerbescheide 1983 bis 1985 im Übrigen unberührt lasse.

II.

1. Die Revision der Kläger ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht bei der Berechnung der Nachsteuer für die Jahre 1983 bis 1985 gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 EStG 1990 die nach § 54 Abs. 1 EStG i.d.F. des StÄndG 1991 erhöhten Kinderfreibeträge des § 32 Abs. 8 EStG nicht steuermindernd berücksichtigt.

a) Gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG in der für die Jahre 1983 bis 1989 bzw. für 1990 geltenden Fassung sind Beiträge an Bausparkassen zur Erlangung eines Bauspardarlehens als Sonderausgaben in voller Höhe --bzw. in 1990 zu 50 %-- abziehbar. Werden vor Ablauf von zehn Jahren seit Vertragsabschluss die geleisteten Beiträge ganz oder zum Teil zurückgezahlt, so ist gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 EStG 1990 i.d.F. des StÄndG 1992 vom 25. Februar 1992 (BGBl I, 297, 301, vgl. § 52 Abs. 13 a Satz 7 EStG 1990 i.d.F. des StÄndG 1992) eine Nachversteuerung durchzuführen. Nach der hierzu aufgrund der Ermächtigung in § 51 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1990 erlassenen Rechtsverordnung ist die Nachversteuerung für den Veranlagungszeitraum durchzuführen, in dem der steuerschädliche Tatbestand i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 3 EStG 1990 verwirklicht ist. Zu diesem Zweck ist die Steuer zu berechnen, die festzusetzen gewesen wäre, wenn der Steuerpflichtige den Beitrag nicht geleistet hätte. Der Unterschiedsbetrag zwischen dieser und der festgesetzten Steuer ist als Nachsteuer zu erheben (§ 31 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 30 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStDV).

b) Die Nachversteuerung nach § 10 Abs. 5 EStG 1990 i.V.m. §§ 30, 31 EStDV, die ihrem Begriff nach voraussetzt, dass für das Jahr der Beitragszahlung bereits eine bestandskräftige Veranlagung vorliegt (vgl. BFH-Urteil vom 1. Dezember 1964 VI R 160/63, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1965, 263), stellt eine Spezialregelung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zugrunde liegenden Rechtsgedankens dar (vgl. BFH-Urteile vom 1. Juni 1994 X R 90/91, BFHE 175, 64, BStBl II 1994, 849, und vom 26. August 1986 IX R 6/81, BFHE 148, 240, BStBl II 1987, 164; Stephan in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, Stand Januar 1999, § 10 EStG Anm. 303; von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Vor § 172 AO 1977 Rz. 58; Szymczak in Koch/ Scholz, Abgabenordnung, 5. Aufl., Vor § 172 Rz. 5). Ohne sie wären im Falle einer steuerschädlichen Verwendung die Veranlagungen der Jahre nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu ändern, in denen die entsprechenden Beiträge verausgabt worden sind.

c) Die Sonderregelung in § 10 Abs. 5 EStG 1990, §§ 30, 31 EStDV sieht demgegenüber vor, eine Nachversteuerung für den Veranlagungszeitraum durchzuführen, in dem der steuerschädliche Tatbestand verwirklicht worden ist. Dabei werden ohne Durchbrechung der Bestandskraft der jeweiligen Steuerbescheide die Veranlagungsjahre der entsprechenden Beitragsleistungen rein rechnerisch wieder aufgerollt und es wird im Jahr der Nachversteuerung die entsprechende Nachsteuer erhoben. Daraus, dass der Gesetzgeber in den in § 10 Abs. 5 EStG 1990 aufgeführten Fällen ausdrücklich die Erhebung einer Nachsteuer vorgesehen hat --und nicht eine Änderung der früheren Steuerbescheide nach den allgemeinen Änderungsvorschriften der Abgabenordnung-- folgt, dass er für die der Nachversteuerung unterworfenen Sachverhalte ein von den Änderungsvorschriften der seinerzeitigen Reichsabgabenordnung (AO) bzw. der heute geltenden AO 1977 abweichendes Verfahren für sachgerecht erachtet hat. Bereits der Begriff Nachversteuerung zeigt, dass die Steuerfestsetzungen nur insoweit nachzuholen sind, als die seinerzeit steuermindernd geltend gemachten Beiträge nicht mehr als Sonderausgaben abgezogen werden dürfen. Hierzu bedarf es keiner Überprüfung der im ursprünglichen Bescheid enthaltenen weiteren Besteuerungsgrundlagen. Dies ergibt sich auch aus dem Zweck der Regelung, das Verfahren der Rückgängigmachung von Steuerminderungen, die sich im Nachhinein als zu Unrecht gewährt erweisen, zu erleichtern (BFH-Urteile in BFHE 148, 240, BStBl II 1987, 164; HFR 1965, 263; Blümich/ Hutter, Einkommensteuergesetz, Stand Mai 1999, § 10 Rz. 420). Diese Verfahrensvereinfachung beinhaltet damit notwendigerweise auch eine Vereinfachung in materieller Hinsicht. Dementsprechend sind gemäß § 30 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStDV die früheren Steuerfestsetzungen lediglich zur Berechnung der Nachsteuer heranzuziehen. Dabei handelt es sich zwar im Ergebnis um eine Korrektur der bestandskräftigen Steuerfestsetzungen für die Jahre, in denen die Beiträge geleistet worden sind, eine Änderung der betreffenden Steuerfestsetzungen unterbleibt aber. Die vom Gesetzgeber angeordnete punktuelle Berichtigung der steuermindernden Auswirkung der seinerzeit als Sonderausgaben abgezogenen Beiträge rechtfertigt es nicht, die Nachversteuerung einer formellen und materiellen Durchbrechung der Bestandskraft der seinerzeitigen Steuerfestsetzungen gleichzusetzen. Die Nachversteuerung ist ein vereinfachtes ("summarisches") Verfahren, das darauf beschränkt ist, die Steuerminderung durch die in früheren Veranlagungszeiträumen abgezogenen Beiträge rückgängig zu machen. Die bestandskräftig gewordenen Bescheide der früheren Jahre bleiben von der Erhebung der Nachsteuer unberührt; für eine --wenn auch nur entsprechende-- Anwendung des § 177 AO 1977 ist kein Raum.

Der Senat weicht mit dieser Entscheidung vom Urteil des X. Senats in BFHE 175, 64, BStBl II 1994, 849 ab. Eine Anfrage beim X. Senat ist nicht erforderlich, da der Senat seit dem 1. Januar 1999 für Einkommensteuer betreffend Sonderausgaben gemäß § 10 EStG --von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen-- ausschließlich zuständig ist.

d) Im Rahmen der Ermittlung der Nachsteuer für die Jahre 1983 bis 1985 können nach den vorstehenden Rechtsgrundsätzen bei der entsprechend § 30 EStDV vorzunehmenden Berechnung der Steuer, die festzusetzen gewesen wäre, wenn die Kläger die Bausparbeiträge nicht geleistet hätten, die später nach § 54 EStG i.d.F. des StÄndG 1991 erhöhten Kinderfreibeträge des § 32 Abs. 8 EStG nicht zugunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden.

Da sich die Frage einer Berücksichtigung von Kinderfreibeträgen bei der Berechnung der Nachsteuer bereits dem Grunde nach nicht stellt, kann es auch nicht zu einem Ansatz von verfassungswidrig zu niedrigen Kinderfreibeträgen kommen. Verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich nach Auffassung des Senats hinsichtlich dieser Gesetzeslage nicht.

Ende der Entscheidung

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