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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 26.02.2004
Aktenzeichen: XI R 54/03
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 10 Abs. 3
Erzielt ein Steuerpflichtiger aus mehreren Beschäftigungsverhältnissen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sind bei der Kürzung des Vorwegabzugs für Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG) nur die Einnahmen aus solchen Beschäftigungsverhältnissen in die Bemessungsgrundlage "Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit" einzubeziehen, in deren Zusammenhang der Arbeitgeber Zukunftssicherungsleistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht hat oder bei denen der Steuerpflichtige (Arbeitnehmer) zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört.
Gründe:

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte im Streitjahr 1999 gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb einer Handelsvertretung. Die Klägerin bezog Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aus zwei verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen. Als Geschäftsführerin der E-GmbH, deren einzige Gesellschafterin die Klägerin war, erhielt sie einen nicht sozialversicherungspflichtigen Arbeitslohn in Höhe von 49 052 DM. Außerdem bezog sie aus einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis im Unternehmen des Klägers Arbeitslohn in Höhe von 42 624 DM.

Bei der Einkommensteuerveranlagung 1999 machten die Kläger Versicherungsbeiträge in Höhe von 45 488 DM als Vorsorgeaufwendungen geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte im Rahmen der Höchstbetragsberechnung nach § 10 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr 1999 geltenden Fassung (EStG) lediglich 7 830 DM. Dabei bezog das FA in die Berechnungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG die Einnahmen der Klägerin aus beiden Arbeitsverhältnissen (insgesamt 91 676 DM) ein, so dass kein Vorwegabzug verblieb.

Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage, mit der die Kläger die Gewährung des ungekürzten Vorwegabzugs in Höhe von 12 000 DM begehrten, insoweit statt, als es die Kürzung des Vorwegabzugs lediglich um 6 819 DM (16 v.H. der Einnahmen der Klägerin aus dem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis) auf 5 181 DM zuließ. Die Einnahmen der Klägerin aus dem nicht sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis als Geschäftsführerin der E-GmbH seien in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs nicht einzubeziehen. Dies ergebe sich aus einer Auslegung der Kürzungsregelung unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens des Gesetzgebers.

Dagegen wendet sich das FA mit seiner Revision. Es ist weiterhin der Auffassung, dass in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des gemeinsamen Vorwegabzugs die Einnahmen der Klägerin aus beiden Beschäftigungsverhältnissen einzubeziehen sind. Zur Begründung trägt es im Wesentlichen vor, dass die Auslegung der Kürzungsvorschrift durch das FG dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes sowie der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) widerspreche. Voraussetzung für die Kürzung des Vorwegabzugs sei allein die Tatsache, dass der Arbeitgeber überhaupt Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbringe. Dies komme in § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG klar zum Ausdruck; das Gesetz spreche entgegen der Auffassung des FG nicht von "soweit", sondern von "wenn". Dementsprechend habe der BFH auch entschieden, dass mit der Bezugnahme auf § 3 Nr. 62 EStG nicht die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs umschrieben wird, sondern der betroffene Personenkreis.

Das FA beantragt,

das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.

Sie halten die vom FG vorgenommene Gesetzesauslegung für zutreffend.

II.

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, dass der den Klägern gemeinsam zustehende Vorwegabzug von 12 000 DM lediglich um 6 819 DM (16 v.H. des Arbeitslohns der Klägerin aus dem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis im Unternehmen des Klägers) zu kürzen ist. Die Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit, die die Klägerin aus dem Beschäftigungsverhältnis als Geschäftsführerin der E-GmbH bezogen hat, sind nicht in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs einzubeziehen.

1. Nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG beträgt der Vorwegabzug für Vorsorgeaufwendungen im Fall der Zusammenveranlagung von Ehegatten 12 000 DM. Dieser Betrag ist gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG um 16 v.H. der Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 19 EStG ohne Versorgungsbezüge i.S. des § 19 Abs. 2 EStG zu kürzen, wenn für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden oder der Steuerpflichtige zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört. Die in dieser Bestimmung enthaltene Kürzungsregelung ist dahin gehend auszulegen, dass in die Bemessungsgrundlage "Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit" nur die Einnahmen aus solchen Beschäftigungsverhältnissen einzubeziehen sind, in deren Zusammenhang

- entweder der Arbeitgeber Aufwendungen für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbringt (sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse) oder

- der Arbeitnehmer zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG zu zählen ist (nicht sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mit Anspruch auf Alterversorgung ohne eigene Beitragsleistung).

Das gilt auch für die Fälle, in denen ein Steuerpflichtiger aus mehr als einem Beschäftigungsverhältnis Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit erzielt. Es bilden dann nur die Einnahmen die für die Kürzung des Vorwegabzugs maßgebliche Bemessungsgrundlage, die die oben genannten Voraussetzungen erfüllen.

2. Diese Auslegung, die sich insbesondere an der historischen Entwicklung der gesetzlichen Kürzungsnorm orientiert, liegt bereits dem Urteil des Senats vom 3. Dezember 2003 XI R 11/03 (zur Veröffentlichung bestimmt) zu Grunde. Wie der Senat dort ausgeführt hat, sollte die Kürzung nicht Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit schlechthin erfassen. Vielmehr richtete sich nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG in der bis einschließlich 1992 geltenden Fassung die Kürzung des Vorwegabzugs nach dem Arbeitslohn aus der Beschäftigung, "mit der die Alters- oder Krankenversorgung zusammenhängt". Diesen Zusammenhang zwischen den Einnahmen und den Zukunftssicherungsleistungen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis hat der Gesetzgeber durch die Neufassung der Kürzungsregelung in § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG in der ab 1993 geltenden Fassung nicht aufgehoben. Hätte der Gesetzgeber damals eine grundlegende Änderung der bisherigen Rechtslage beabsichtigt, wäre dies in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gekommen. Tatsächlich ist der Gesetzesbegründung aber lediglich zu entnehmen, dass die Vereinfachungsregelung (einheitlicher prozentualer Kürzungssatz; Verzicht auf zeitanteilige Berechnung) eingeführt wurde, weil wegen der Anwendung verschiedener Kürzungssätze auf Bemessungsgrundlagen, die auf Grund von Höchstgrenzen und zeitanteiligen Berechnungen wiederum unterschiedlich hoch sein konnten, die erforderliche Datenerfassung für die Finanzverwaltung zu umfangreich und zu kompliziert geworden war (vgl. BTDrucks 12/5764).

3. Die Klägerin hat im Streitjahr Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit aus zwei verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen bezogen. Aus dem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis im Unternehmen des Klägers bezog sie einen Arbeitslohn in Höhe von 42 624 DM. Allein diese Einnahmen bilden die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs, weil der Kläger als Arbeitgeber für die Klägerin Zukunftssicherungsleistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht hat. Die Einnahmen der Klägerin aus dem nicht sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis als Geschäftsführerin der E-GmbH sind in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung nicht einzubeziehen. Im Zusammenhang mit diesen Einnahmen hat die Klägerin keine vertraglichen Anwartschaftsrechte auf eine Altersversorgung ganz oder teilweise ohne eigene Beitragsleistung erworben. Bezogen auf dieses Arbeitsverhältnis gehörte sie damit auch nicht zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG.

Das FG hat zwar keine Feststellungen darüber getroffen, ob die E-GmbH der Klägerin eine Altersversorgung zugesagt hat. Dies kann indes dahinstehen. Denn selbst wenn die E-GmbH der Klägerin als ihrer Alleingesellschafterin neben dem Geschäftsführergehalt eine Altersversorgung zugesagt haben sollte und dies steuerrechtlich als verdeckte Gewinnausschüttung zu beurteilen wäre, würde die Klägerin als Gesellschafter-Geschäftsführerin nicht zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG gehören. Sie hätte in diesem Fall die Anwartschaftsrechte auf eine Altersversorgung wirtschaftlich nämlich durch eine Verringerung ihrer gesellschaftsrechtlichen Ansprüche --mithin durch eigene Beitragsleistung i.S. des § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG-- erworben (vgl. Senatsurteil vom 16. Oktober 2002 XI R 25/01, BFHE 200, 554, BFH/NV 2003, 252).

4. Entgegen der Auffassung des FA kann aus der bisherigen Rechtsprechung des BFH zur Kürzung des Vorwegabzugs nicht abgeleitet werden, es sei für eine Einbeziehung sämtlicher Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit ausreichend, dass überhaupt Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden, wenn auch nur aus einem von mehreren Arbeitsverhältnissen.

Der BFH hatte bislang noch keinen Fall zu entscheiden, in dem ein Steuerpflichtiger Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit aus zwei --im Hinblick auf die Voraussetzungen für eine Kürzung des Vorwegabzugs unterschiedlich zu beurteilenden-- Beschäftigungsverhältnissen bezogen hat. Auch in den Fällen, die den Urteilen vom 16. Oktober 2002 XI R 71/00 (BFHE 200, 544, BStBl II 2003, 343) und XI R 61/00 (BFHE 200, 540, BStBl II 2003, 183) zu Grunde liegen, bezogen die Kläger nur aus einem Beschäftigungsverhältnis Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit. Die in den jeweiligen Urteilsgründen getroffene Aussage des erkennenden Senats, der Gesetzgeber habe bei der Kürzung des Vorwegabzugs nicht auf die Höhe der Leistungen nach § 3 Nr. 62 EStG abgestellt, sondern "auf den Umstand, dass überhaupt solche Leistungen erbracht worden sind", bezieht sich deshalb auf das einzelne zu beurteilende Beschäftigungsverhältnis. Diese Aussage kann deshalb nur dahin gehend verstanden werden, dass es im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses für eine Kürzung des Vorwegabzugs nicht auf die Höhe der in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum vom Arbeitgeber erbrachten Zukunftssicherungsleistungen ankommt. Gleiches gilt für die Aussage des Senats im Urteil vom 16. Oktober 2002 XI R 23/00 (BFH/NV 2003, 463), das Gesetz umschreibe mit der Bezugnahme auf Zukunftssicherungsleistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG "den Personenkreis, der von der Kürzung des Vorwegabzugs betroffen ist, nicht die Bemessungsgrundlage für die Kürzungsregelung". Auch in diesem Fall, in dem eine sozialversicherungsfreie Entlassungsentschädigung als Einnahme aus nichtselbständiger Arbeit in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs einbezogen wurde, ging es um Einnahmen aus einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis.

Bezieht ein Steuerpflichtiger --wie die Klägerin im Streitfall-- aus mehreren Beschäftigungsverhältnissen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, ist für jedes Beschäftigungsverhältnis gesondert zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Kürzung des Vorwegabzugs erfüllt sind. Trifft das für ein Beschäftigungsverhältnis zu, sind sämtliche Einnahmen aus diesem Beschäftigungsverhältnis in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs einzubeziehen, ohne dass es auf die Höhe der erbrachten Zukunftssicherungsleistungen ankommt. Der Umstand, dass ein Beschäftigungsverhältnis eines Steuerpflichtigen die Voraussetzungen für eine Kürzung des Vorwegabzugs erfüllt, kann aber nicht dazu führen, dass auch die Einnahmen aus einem anderen Beschäftigungsverhältnis desselben Steuerpflichtigen, das für sich gesehen diese Voraussetzungen nicht erfüllt, in die Bemessungsgrundlage einbezogen werden.

5. Die gegenteilige Auslegung der Kürzungsregelung in § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG würde dem in Art. 3 des Grundgesetzes normierten Gleichbehandlungsgebot zuwider laufen. Sie würde nämlich dazu führen, dass die Klägerin als Bezieherin von sozialversicherungspflichtigem Arbeitslohn im Rahmen des Sonderausgabenabzugs nur deshalb schlechter gestellt würde, weil sie statt weiterer Einkünfte aus einer anderen Einkunftsart weitere nicht sozialversicherungspflichtige Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen hat. Die systematische Unterscheidung der Einkunftsarten in § 2 Abs. 1 EStG allein kann jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Ungleichbehandlung in den Rechtsfolgen nicht rechtfertigen (vgl. dazu bereits BFH-Urteil vom 3. Dezember 2003 XI R 11/03, zur Veröffentlichung bestimmt, m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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