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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 26.04.2004
Aktenzeichen: XI R 62/03
Rechtsgebiete: FGO
Vorschriften:
FGO § 56 |
Gründe:
I.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) wies Einsprüche der Kläger und Revisionskläger (Kläger) mit Einspruchsentscheidungen vom 12. April 2002 ab, die mit einfachem Brief zur Post gegeben wurden. Hiergegen erhoben die Kläger mit Schriftsatz vom 15. Mai 2002 Klage, die beim Finanzgericht (FG) am 16. Mai 2002 einging. Gleichzeitig beantragten sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, der Klageschriftsatz vom 15. Mai 2002, auf dem "vorab per Fax" vermerkt sei, sei vom Büro ihres Prozessbevollmächtigten versehentlich nicht mehr am 15. Mai 2002 an das FG gefaxt worden. Der Ablauf der Klagefrist zum 15. Mai 2002 sei zwar ordnungsgemäß in den Termin- und Fristenkalender eingetragen worden. Auch sei die am 15. Mai 2002 gefertigte Reinschrift der Klageschrift vom Prozessbevollmächtigten dessen zuverlässiger Kanzleiangestellten Frau A mit dem ausdrücklichen Hinweis übergeben worden, dass die Klagefrist am selben Tag ablaufe und daher der Schriftsatz noch am selben Tag per Fax dem FG zu übermitteln sei. Frau A habe noch am selben Tag Kopie der Klageschrift den Klägern und deren Steuerberater per Fax übermittelt und die Klageschrift im Original und eine Durchschrift an die Rechtsschutzversicherung versandt. Das sei im Postausgangsbuch vermerkt worden. Aus unerklärlichen Gründen habe sie aber die Klageschrift nicht vorweg an das FG gefaxt. Das Versäumnis sei erst am 16. Mai 2002 beim Weglegen der Akte aufgrund des Fehlens des Faxsendeberichts bemerkt worden. Sowohl der Prozessbevollmächtigte als auch Frau A bestätigten diese Angaben durch ebenfalls am 16. Mai 2002 bei Gericht eingegangene eidesstattliche Versicherungen. Mit Schriftsatz vom 13. September 2002 ließen die Kläger noch hilfsweise darauf hinweisen, dass ihr Prozessbevollmächtigter sein Büro in einer Weise organisiert habe, die eine Versäumung von Fristen im Grundsatz ausschließe.
Das FG hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Klage sei einen Tag nach Ablauf der Klagefrist erhoben worden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) scheide aus. Wären in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigen die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung für eine ordnungsgemäße Büroorganisation aufgestellten Grundsätze, insbesondere zur Fristenkontrolle beachtet worden, wäre das Versäumnis am Abend des 15. Mai 2002 und damit noch rechtzeitig bemerkt worden. Wie dem Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. August 2001 VII B 6/01 (nicht veröffentlicht --n.v.--, juris StRE200151269) zu entnehmen sei, reiche es für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aus, dass der Prozessvertreter eine Einzelanweisung erteilt habe, die bei Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte. Die Kanzleiangestellte habe im Streitfall --anders als im Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 6. Juli 2000 VII ZB 4/00 (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2000, 2823)-- die Klagefrist auch nicht im Fristenbuch gestrichen. Der Vortrag der Kläger im Schriftsatz vom 13. September 2002 zur ordnungsgemäßen Organisation der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten sei nach Ablauf der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO eingegangen und damit verspätet.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger insbesondere unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH Verletzung des § 56 FGO (BGH-Beschlüsse vom 11. Februar 2003 VI ZB 38/02, Betriebs-Berater --BB-- 2003, 707; in NJW 2000, 2823). Danach komme es auf die allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen für die Fristwahrung in einer Anwaltskanzlei nicht entscheidend an, wenn im Einzelfall eine konkrete Anweisung erteilt worden sei, die bei Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte. Ein Rechtsanwalt dürfe grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Angestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen habe, Einzelanweisungen befolge; es bestehe keine Verpflichtung, sich anschließend über die Ausführung zu vergewissern.
Das FG habe zudem den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör verletzt, weil es ihren Vortrag im Schriftsatz vom 13. September 2002 wegen angeblicher Verfristung nicht mehr zur Kenntnis genommen habe. Die Kläger hätten bereits im Schriftsatz vom 16. Mai 2003, also innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist, auf die ordnungsgemäße Büroorganisation ihres Prozessbevollmächtigten hingewiesen. In dem späteren Schriftsatz seien lediglich ergänzende Ausführungen hierzu gemacht worden.
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Der Streitfall sei mit den Sachverhalten, über die der BGH entschieden habe, nicht vergleichbar. Die Auffassung der Kläger stehe im Widerspruch zum BFH-Beschluss vom 27. August 2001 VII B 6/01 (n.v.).
II.
Die Revision der Kläger ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das FG hat die Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu Unrecht unter Hinweis auf den BFH-Beschluss vom 27. August 2001 VII B 6/01 (n.v.) versagt. Den Klägern ist Wiedereinsetzung zu gewähren.
1. Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 FGO). Das Verschulden eines Prozessbevollmächtigten ist der Partei zuzurechnen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung --ZPO--). Fristversäumnisse, die durch Angestellte eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters auf Grund eines sog. Büroversehens verschuldet sind, sind der Prozesspartei nicht zuzurechnen (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. z.B. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 56 Rdnr. 20 "Büroversehen", m.w.N.). Angehörige rechts- und steuerberatender Berufe müssen allerdings, um eigenes Verschulden auszuschließen, für eine Büroorganisation sorgen, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen durch ihr Büropersonal auszuschließen geeignet ist. Ferner müssen sie durch regelmäßige Belehrung und Überwachung ihrer Bürokräfte für die Einhaltung der Anordnungen Sorge tragen (vgl. z.B. Gräber/Koch, a.a.O., § 56 Rdnr. 20 "Büroorganisation", m.w.N.).
Beruft sich ein durch einen Prozessbevollmächtigten vertretener Beteiligter auf ein sog. Büroversehen, so muss er innerhalb der Antragsfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO darlegen, dass kein Organisationsfehler vorliegt, insbesondere muss er vortragen, durch welche Maßnahmen er gewährleistet hat, dass in seinem Büro die Fristen entsprechend seinen Anordnungen notiert und kontrolliert werden und wann bzw. wie er seine Bürokräfte entsprechend belehrt und wie er die Einhaltung dieser Belehrungen überwacht hat (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 24. Juli 2002 VII B 150/02, BFH/NV 2002, 1489; vom 3. August 2001 VIII R 9/99, BFH/NV 2002, 43). Die Anforderungen an die Darlegungen dürfen allerdings nicht überspannt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gebührt bei Beurteilung der Zulässigkeit eines Wiedereinsetzungsantrags im Zweifel derjenigen Gesetzesinterpretation der Vorzug, die dem Bürger den Zugang zu den Gerichten eröffnet (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom 2. September 2002 1 BvR 476/01, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2003, 74, m.w.N.).
2. Der Senat kann offen lassen, ob --wie das FG meint-- die Ausführungen der Kläger zur Büroorganisation in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 13. September 2002 wegen Verfristung unberücksichtigt bleiben müssen und ob die innerhalb der Antragsfrist dargelegten Wiedereinsetzungsgründe den von der Rechtsprechung des BFH aufgestellten Anforderungen vollumfänglich entsprechen. Den Klägern ist mangels eines Verschuldens ihres Prozessbevollmächtigten Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu gewähren, weil ihr Prozessbevollmächtigter eine zuverlässige Kanzleikraft konkret angewiesen hat, den Klageschriftsatz nach Unterzeichnung dem FG per Telefax zu übermitteln und bereits dem Wiedereinsetzungsantrag vom 16. Mai 2002 zu entnehmen ist, dass in der Kanzlei ihres Prozessvertreters u.a. ein Postausgangsbuch geführt wird.
a) Nach der Rechtsprechung des BGH zu § 233 i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO ist Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn ein Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt hat, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen oder Anweisungen kommt es dann nicht an. Ein Rechtsanwalt oder Steuerberater darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine zuverlässige Büroangestellte seinen konkreten Anweisungen folgt. Einer nochmaligen Rückfrage, ob der Anweisung Folge geleistet wurde, bedarf es daher ebenso wenig wie einer Überprüfung des Sendeprotokolls durch den Rechtsanwalt oder Steuerberater (vgl. z.B. Bundesarbeitsgericht --BAG--, Urteil vom 21. September 2000 2 AZR 163/00, BAGE 95, 365; BGH-Beschlüsse vom 1. Juli 2002 II ZB 11/01, NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht --NJW-RR-- 2002, 1289, m.w.N.; vom 20. April 2000 VII ZB 11/00, Versicherungsrecht --VersR-- 2001, 214; in BB 2003, 707; vom 1. Februar 2001 I ZB 39/00, Mitteilungen der deutschen Patentanwälte 2002, 380; vom 17. Juni 1998 VIII ZB 14/98, NJW-RR 1998, 1444). Dies gilt auch bei der (konkreten) Anweisung, einen Schriftsatz an das Gericht per Telefax zu übermitteln (vgl. BGH in BB 2003, 707; Beschlüsse vom 23. April 1997 XII ZB 56/97, NJW 1997, 1930; in NJW 2000, 2823, m.w.N.; in NJW-RR 2002, 1289). Ein festgestellter Organisationsmangel ist danach im Allgemeinen nicht ursächlich für die Fristversäumnis, wenn eine diesen Mangel ausgleichende konkrete Einzelanweisung an Bürobedienstete erteilt, jedoch von diesen nicht befolgt wird (BFH-Beschluss vom 4. November 1999 X B 81/99, BFH/NV 2000, 546; BFH-Urteil vom 7. Dezember 1988 X R 80/87, BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266, unter 3.).
b) Einer Wiedereinsetzung in die Klagefrist steht im Streitfall nicht die Rechtsprechung des VII. Senats des BFH entgegen. Dieser hat zwar die Auffassung vertreten, dass einen Angehörigen der rechtsberatenden Berufe bei einer konkreten, auf die Eilbedürftigkeit hinweisenden Anweisung an eine zuverlässige Kanzleikraft, einen Schriftsatz per Telefax an das Gericht zu senden, nur dann kein Verschulden trifft, wenn das Büroversehen allein für die Fristversäumnis ursächlich war. Danach kann trotz einer konkreten, die Fristversäumnis ausschließenden Einzelanweisung Wiedereinsetzung nur bei einer ordnungsgemäß organisierten Ausgangskontrolle gewährt werden, wenn diese das Versäumnis nicht aufgedeckt hätte (BFH-Beschluss vom 19. März 1996 VII S 17/95, BFH/NV 1996, 818; bestätigt durch Beschluss vom 5. August 1997 VII B 74/97, BFH/NV 1998, 192).
Der erkennende Senat lässt offen, ob er der Auffassung des VII. Senats folgen könnte, ohne den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes anzurufen (vgl. § 2 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes). Den genannten Entscheidungen des VII. Senats des BFH lagen Sachverhalte zugrunde, in denen in der Kanzlei des Prozessvertreters die Ausgangskontrolle nicht durch organisatorische Maßnahmen sichergestellt war. In Übereinstimmung sowohl mit der Rechtsprechung des BGH als auch der des VII. Senats des BFH kann daher jedenfalls dann eine Wiedereinsetzung gewährt werden, wenn ein Angehöriger der beratenden Berufe einer zuverlässigen Bürokraft unter Hinweis auf den bevorstehenden Fristablauf ausdrücklich die Anweisung erteilt, an das Gericht vorweg einen Schriftsatz zu faxen, dies aber trotz institutionell eingerichteter Ausgangskontrolle letztlich unterbleibt.
Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des FG auch nicht aus dem BFH-Beschluss vom 27. August 2001 VII B 6/01 (n.v.), denn dort war die Wiedereinsetzung damit begründet worden, dass die Einzelanweisung befolgt worden sei (ebenso BFH-Beschluss vom 24. Februar 2000 VII B 132/99 n.v., juris StRE200050562).
3. Nach dem glaubhaften Vortrag der Kläger liegen im Streitfall die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in die Klagefrist vor.
Ihr Prozessbevollmächtigter hat einer zuverlässigen Angestellten die ausdrückliche Anweisung erteilt, den Klageschriftsatz wegen der am 15. Mai 2002 ablaufenden Klagefrist dem FG per Telefax zu übermitteln. Das wurde durch übereinstimmende eidesstattliche Versicherungen des Klägervertreters und seiner mit der Absendung beauftragten Angestellten glaubhaft gemacht. Zudem befindet sich auf dem Klageschriftsatz vom 15. Mai 2002 der ausdrückliche Hinweis "an das FG ... vorab per Fax ...". Bestätigt wird die Anweisung zudem dadurch, dass jeweils eine Klagedurchschrift nach dem Faxprotokoll vom 15. Mai 2002 an einen mit dem Streitfall befassten Steuerberater und nach eidesstattlicher Versicherung der Angestellten noch am selben Tag den Klägern übermittelt wurde.
Nach dem Vortrag der Kläger innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist verfügte die Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten auch über eine wirksame Ausgangskontrolle. So haben sie dargelegt, dass die Streitsache bei Eingang im Termin- und Fristenkalender "ordnungsgemäß und ständiger Übung folgend" eingetragen worden sei und die Absendung von Durchschriften an die Mandanten und die Rechtsschutzversicherung sowie die Übersendung des Originals der Klageschrift "--wie bei Postsendungen üblich-- im Postausgangsbuch vermerkt worden sei". Daraus ergibt sich, dass die Kanzlei des Prozessbevollmächtigten institutionell über eine Fristen- und Ausgangskontrolle verfügte. Infolge der konkreten Einzelanweisung an Frau A kommt es auf die näheren Umstände, die letztlich zum Versagen der Kontrollmechanismen geführt haben, nicht mehr an.
4. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird sich nunmehr mit den materiell-rechtlichen Einwendungen der Kläger gegen die angefochtenen Bescheide zu befassen haben.
Ende der Entscheidung
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