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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 04.09.2002
Aktenzeichen: XI R 67/00
Rechtsgebiete: FGO, ZPO
Vorschriften:
FGO a.F. § 116 Abs. 1 Nr. 3 | |
FGO a.F. § 120 Abs. 1 | |
FGO § 56 | |
FGO § 90 | |
FGO § 119 Nr. 4 | |
FGO § 155 | |
ZPO § 563 Abs. 1 Satz 2 |
Gründe:
I. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage betreffend Einkommensteuer 1987 bis 1992 abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Es hat ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden, weil der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hierauf verzichtet habe. Das Urteil wurde dem Kläger am Freitag, dem 9. Juli 1999, zugestellt.
Der Kläger hatte mit Schriftsatz vom 14. November 1996 --sinngemäß für den Fall, dass das FG seinen Ausführungen nicht folge-- den Hilfsantrag gestellt, einen Lokaltermin zum Zwecke der Beweisaufnahme durchzuführen. Dem Schreiben lag u.a. ein unterschriebenes Formular über einen Verzicht auf mündliche Verhandlung bei. Auf diese Anlage hatte der Kläger am Ende seines Schreibens mit den Worten "Einverständniserklärung zur mündlichen Verhandlung" verwiesen. Der Kläger macht geltend, er habe den Sinn der doppelten Negation in dem Formular falsch verstanden, und deshalb in dem Satz "Ich bin - nicht - damit einverstanden, dass in oben bezeichneter Sache ohne mündliche Verhandlung entschieden wird" das Wort "nicht" gestrichen.
Der Senat bewilligte dem Kläger mit Beschluss vom 20. April 2000 XI S 7/99 Prozesskostenhilfe (PKH) für eine noch einzulegende Revision. Es bestehe eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass das FG zu Unrecht ohne mündliche Verhandlung entschieden habe und der Kläger somit in dem Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten gewesen und damit die zulassungsfreie Revision eröffnet und begründet sei. Der Beschluss wurde dem Kläger am 28. August 2000 durch Niederlegung zugestellt.
Mit Schreiben vom 11. September 2000 (eingegangen beim FG am gleichen Tag) legte der frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers Revision ein und kündigte an, Antrag und Begründung der Revision würden in einem besonderen Schriftsatz folgen. Gleichzeitig beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Aufgrund des beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängigen Verfahrens auf Bewilligung von PKH sei der Kläger verhindert gewesen, die gesetzliche Frist zur Einlegung der Revision einzuhalten. Mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2000 beantragte er, die Frist zur Begründung der Revision zu verlängern; dem wurde mit Fristsetzung 30. November 2000 entsprochen. Unter dem 28. November 2000 wurde die Revision begründet.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an einen anderen Senat als den 9. Senat des FG zurückzuverweisen.
Zur Begründung der beantragten Verweisung an einen anderen Senat führt er aus, die Richter des 9. Senats seien voreingenommen und es bestehe die Besorgnis der Befangenheit.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise die Sache an den 9. Senat des FG zurückzuverweisen.
II. 1. Die Revision ist zulässig.
Die Revision ist statthaft. Der Kläger hat schlüssig vorgetragen, dass dem FG ein wesentlicher Verfahrensmangel i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) a.F. unterlaufen sei, weil er im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war. Nach dieser Vorschrift bedarf die Revision keiner Zulassung. Gemäß Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757, BStBl I 2000, 1567) ist § 116 FGO a.F. noch auf das vorliegende Revisionsverfahren anzuwenden.
Gemäß § 120 Abs. 1 FGO a.F. ist die Revision bei dem FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils oder nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Die Frist für die Revisionsbegründung kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag durch den Vorsitzenden des zuständigen Senats des BFH verlängert werden.
a) Der Kläger hat zwar die Frist zur Einlegung der Revision (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO a.F.), die am 9. August 1999 endete, versäumt. Wegen der Fristversäumnis ist ihm aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 FGO). Bis zur Bekanntgabe der Entscheidung über den Antrag auf PKH an den bisher nicht vertretenen Kläger war er ohne Verschulden gehindert, die Revision einzulegen (vgl. BFH-Urteil vom 11. Februar 1993 V R 90/89, BFH/NV 1993, 631; BFH-Beschlüsse vom 20. April 1988 X S 13/87, BFH/NV 1988, 728, m.w.N.; vom 26. August 1994 X S 6/94, BFH/NV 1995, 540). Die Zustellung des Beschlusses erfolgte am Montag, dem 28. August 2000, der Antrag auf Wiedereinsetzung ging beim FG binnen zwei Wochen --am Montag, dem 11. September 2000-- ein (§ 54 Abs. 2 FGO, § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung --ZPO-- i.V.m. § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--). Der Kläger hat die versäumte Rechtshandlung der Revisionseinlegung auch innerhalb der Antragsfrist von zwei Wochen --am 11. September 2000-- nachgeholt. Die Ausschlussfrist nach § 56 Abs. 3 FGO steht der Wiedereinsetzung nicht entgegen, weil dem Kläger erst am 28. August 2000 die Entscheidung über sein PKH-Gesuch bekannt gegeben wurde (BFH-Beschluss vom 26. Januar 1996 XI S 44/95, BFH/NV 1996, 500; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 56 Anm. 53, m.w.N.).
b) Der Kläger hat zwar außerdem die Frist zur Begründung der Revision (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO a.F.) versäumt. Ihm ist aber auch insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
aa) Die Revisionsbegründungsfrist des § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO a.F. ist eine Einmonatsfrist, die sich an den Ablauf der Frist zur Einlegung der Revision anschließt (Gräber/Ruban, a.a.O., 4. Aufl., § 120 Anm. 20, m.w.N.). Sie endete im Streitfall am 9. September 1999. Der Kläger war allerdings zunächst wegen Mittellosigkeit ohne Verschulden gehindert, die Revision fristgerecht zu begründen.
bb) Auch hinsichtlich der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist hätte er aber den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand grundsätzlich bereits in der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO --d.h. bis zum 11. September 2000-- stellen und gemäß § 56 Abs. 2 Satz 3 FGO die versäumte Revisionsbegründung nachholen müssen (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 1. Dezember 1986 GrS 1/85, BFHE 148, 414, BStBl II 1987, 264, und BFH-Beschlüsse vom 18. Mai 1994 I R 111/93, BFHE 175, 388, BStBl II 1995, 24, und vom 1. September 1998 V R 36/98, BFH/NV 1999, 482). Ein Irrtum des Prozessbevollmächtigten über die Rechtslage könnte eine Wiedereinsetzung nicht rechtfertigen (vgl. BFH-Urteil vom 7. Dezember 1971 VII R 108/69, BFHE 104, 184, BStBl II 1972, 224). Selbst die Anbringung eines Antrags auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist hätte nach der Rechtsprechung nicht genügt, weil für einen derartigen Antrag Wiedereinsetzung nicht erlangt werden kann (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 148, 414, BStBl II 1987, 264); im Streitfall stellte der Kläger den Verlängerungsantrag erst mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2000.
cc) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) soll allerdings einem Rechtsmittelführer, der PKH beantragt und deshalb die Frist für die Einlegung des von ihm beabsichtigten Rechtsmittels versäumt hat, dann, wenn ihm nach der Bewilligung von PKH wegen dieser Versäumnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird, für die Begründung des Rechtsmittels eine weitere Frist von einem Monat zur Verfügung stehen (BVerwG-Beschluss vom 18. März 1992 5 B 29.92, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1992, 2307, unter Verweis auf Bundessozialgericht --BSG-- und Bundesarbeitsgericht --BAG--; BVerwG-Beschluss vom 2. April 1992 5 C 24.91, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 139 Nr. 84, m.w.N.; ebenso BAG, Beschluss vom 19. September 1983 5 AZN 446/83, BAGE 43, 297). Das BVerwG begründet dies damit, andernfalls stünden dem auf Bewilligung von PKH angewiesenen Beteiligten für die Begründung seines Rechtsmittels regelmäßig günstigstenfalls nur zwei Wochen zur Verfügung, was eine nicht zu rechtfertigende Begrenzung des der "armen Partei" verbleibenden Rechtsschutzes bedeute.
Bei Berücksichtigung einer solchen weiteren Revisionsbegründungsfrist von einem Monat wäre diese im Streitfall zwar --gerechnet ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe des PKH gewährenden Beschlusses-- bereits am 28. September 2000 bzw. spätestens am 11. Oktober 2000 --gerechnet ab dem Zeitpunkt des Endes der zweiwöchigen Antragsfrist i.S. des § 56 Abs. 2 Satz 3 FGO-- abgelaufen. Das BVerwG hat aber darüber hinaus in den zuvor genannten Beschlüssen entschieden, die weitere Revisionsbegründungsfrist beginne erst mit der Zustellung des Beschlusses zu laufen, mit dem die Wiedereinsetzung hinsichtlich der Versäumung der Einlegungsfrist gewährt werde. Da bei Eingang der Revisionsbegründung mit Schriftsatz vom 28. November 2000 über den Antrag auf Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Revisionseinlegungsfrist noch nicht entschieden war, wäre die Revisionsbegründung nach der vom BVerwG vertretenen Auffassung fristgerecht eingegangen.
dd) Der Senat lässt dahingestellt, ob er dem BVerwG hinsichtlich der Bestimmung des Fristanlaufs der weiteren Revisionsbegründungsfrist in den Fällen folgen könnte, in denen die Fristversäumnis darauf beruht, dass der Kläger zunächst die Entscheidung über seinen Antrag auf PKH für das Rechtsmittel abwartet. Nach der Entscheidung des Großen Senats des BFH in BFHE 148, 414, BStBl II 1987, 246 nimmt es das Gesetz in Kauf, dass der Revisionsführer eine Rechtsmittelbegründung anfertigen muss, ohne Gewissheit über den Erfolg seines die Revisionseinlegung betreffenden Wiedereinsetzungsantrags zu haben. Nach Auffassung des Senats ist nichts dafür ersichtlich, einem Kläger, dem PKH gewährt worden ist, eine im Ergebnis längere Revisionsbegründungsfrist einzuräumen als einem Kläger, der die Kosten des Rechtsstreits von Anbeginn selbst zu tragen hat. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass das Rechtsbegehren im Rahmen der Prüfung des PKH-Antrags bereits einer ersten rechtlichen Wertung unterzogen wurde. Die Anfertigung der Revisionsbegründung dürfte sich vor diesem Hintergrund in aller Regel als weit weniger schwierig erweisen als die einer Revisionsbegründung, der kein derartiges Verfahren vorangegangen ist.
Unabhängig davon, welcher Rechtsmeinung man folgt, ist dem Kläger auch wegen Versäumnis der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) zu gewähren (Gräber/ Ruban, a.a.O., 4. Aufl., § 120 Anm. 21, m.w.N.). Weder dem Kläger noch seinem Prozessbevollmächtigten kann die Unklarheit der Rechtslage, verursacht durch unterschiedliche Rechtsauffassungen oberster Bundesgerichte, zur Last gelegt werden (vgl. BFH-Urteil vom 23. Februar 1983 I R 128/82, BFH/NV 1987, 246). Da die Revision mit dem am 29. November 2000 beim BFH eingegangenen Schriftsatz begründet worden ist, kann die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen gewährt werden (§ 56 Abs. 2 Satz 4 FGO).
2. Die Revision ist auch begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Der Kläger war in dem Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten (§ 90 Abs. 1 Satz 1 FGO, § 119 Nr. 4 FGO, § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO a.F.).
a) Gemäß § 90 Abs. 1 Satz 1 FGO entscheidet das Gericht, soweit nichts anderes bestimmt ist, aufgrund mündlicher Verhandlung. Mit Einverständnis der Beteiligten kann es ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 90 Abs. 2 FGO). Nach inzwischen ständiger Rechtsprechung des BFH ist ein Verfahrensmangel i.S. des § 119 Nr. 4 FGO auch anzunehmen, wenn das FG irrtümlich von einem Verzicht auf mündliche Verhandlung ausgegangen ist und unter Verstoß gegen § 90 Abs. 1 und 2 FGO durch Urteil entschieden hat (BFH-Urteile vom 25. August 1982 I R 120/82, BFHE 136, 518, BStBl II 1983, 46; vom 11. August 1987 IX R 135/83, BFHE 151, 297, BStBl II 1988, 141).
Der Verzicht auf die mündliche Verhandlung ist eine Prozesshandlung; bei ihrer Auslegung und Beurteilung ist der Senat nicht an die Feststellungen des FG gebunden (BFH-Urteil vom 20. Juni 1984 I R 22/80, BFHE 142, 32, BStBl II 1985, 5). Als Prozesshandlung muss der Verzicht klar, eindeutig und vorbehaltlos erklärt werden (BFH-Urteil vom 5. November 1991 VII R 64/90, BFHE 166, 415, BStBl II 1992, 425, m.w.N.). Wird in Verbindung mit einem Verzicht auf mündliche Verhandlung zum Ausdruck gebracht, dass ein Gerichtsbescheid erlassen werden soll, so liegt eine Verzichtserklärung in Wirklichkeit nicht vor (BFH-Urteil vom 1. Oktober 1970 V R 115/67, BFHE 100, 432, BStBl II 1971, 113).
b) Aus dem Schriftsatz des Klägers vom 14. November 1996 ergibt sich ein Verzicht auf die mündliche Verhandlung jedenfalls nicht mit der notwendigen Eindeutigkeit. Dem Schriftsatz war zwar als Anlage ein unterschriebenes Formular über einen solchen Verzicht beigefügt. In dem Begleitschreiben selbst wurde diese Anlage aber als "Einverständniserklärung zur mündlichen Verhandlung" bezeichnet. Das im Schriftsatz Erklärte wich von dem Inhalt der Formularerklärung ab. Schon dies war widersprüchlich.
Gleichzeitig hatte der Kläger in dem Schriftsatz --sinngemäß für den Fall, dass das FG seinen Ausführungen nicht folge-- ausdrücklich den Hilfsantrag gestellt, einen Lokaltermin zum Zwecke der Beweisaufnahme durchzuführen. Der Antrag auf Erhebung eines Zeugenbeweises enthält in der Regel auch den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung (Senatsurteil vom 22. September 1999 XI R 24/99, BFHE 190, 17, BStBl II 2000, 32); Entsprechendes gilt für die beantragte Augenscheinnahme vor Ort. Auch dieser Antrag stand somit im Widerspruch zu der abgegebenen Formularerklärung. Darauf, ob der Beweis erheblich ist, kommt es nicht an, da auch bei Unerheblichkeit des Beweises der in der Antragstellung gleichzeitig zum Ausdruck gekommene Wille, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, zu beachten bleibt. Hält das FG die Durchführung der Beweisaufnahme für nicht erforderlich, weil es die zu beweisenden Tatsachen als wahr unterstellt, und geht es davon aus, dass es dem Kläger tatsächlich nur auf die Beweisaufnahme und nicht auf eine mündliche Verhandlung ankommt, so hat es dies eindeutig zu klären. Tatsächlich hat der Kläger bereits im Schreiben vom 15. Dezember 1996 ausdrücklich eine mündliche Verhandlung für notwendig erklärt, wobei der Umstand, dass er dabei nicht auf seine zuvor abgegebene Formularerklärung einging, dafür spricht, dass er sich nicht bewusst war, eine Erklärung dieses Inhalts abgegeben zu haben.
Unter Berücksichtigung dieser Begleitumstände war die Erklärung des Klägers betreffend einen Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung jedenfalls nicht eindeutig und damit auslegungsbedürftig. Das FG konnte nicht ohne weiteres davon ausgehen, der Kläger habe auf eine mündliche Verhandlung verzichtet. Es hat es unterlassen, den wirklichen Willen zu erforschen und ggf. nachzufragen (BFH-Beschluss vom 9. Juni 1986 IX B 90/85, BFHE 146, 395, BStBl II 1986, 679).
c) Das angefochtene Urteil muss wegen dieses Verfahrensfehlers aufgehoben werden, ohne dass in der Sache zu entscheiden ist (vgl. Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 119 FGO Tz. 12 ff., m.w.N., § 126 Tz. 30). Die Sache geht deshalb an das FG zurück (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
3. Gemäß § 155 FGO i.V.m. § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO kann der BFH die Rechtssache an einen anderen Senat des FG zurückverweisen (vgl. BFH-Urteil vom 10. November 1993 I R 68/93, BFH/NV 1994, 798, m.w.N.). Da die Zurückverweisung an einen anderen Senat das Recht des Betroffenen auf seinen gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes) berührt, setzt sie besondere sachliche Gründe voraus, um eine willkürfreie Ermessensausübung zu gewährleisten. Die Zurückverweisung an einen anderen Senat kommt danach in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit des erkennenden Senats des FG bestehen.
Hierfür liegen im Streitfall keine zureichenden Anhaltspunkte vor (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., 5. Aufl., § 126 Anm. 15, m.w.N.). Es sind vom Kläger keine Gründe vorgetragen worden, noch sind solche erkennbar, die ernstliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richter des erkennenden Senats des FG aufkommen lassen. Das Vorbringen, der Berichterstatter des FG habe seine Fürsorgepflicht verletzt, indem er über die Bedeutung und Bezeichnung des Streitgegenstandes unzureichend belehrt und damit den Kläger zu unnötiger Mehrarbeit veranlasst habe, ist nicht geeignet, an der Unvoreingenommenheit dieses Richters gegenüber dem Kläger zu zweifeln. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger dadurch daran gehindert gewesen sein sollte, rechtzeitig Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1986 zu erheben, zumal dieser erst erlassen wurde, nachdem die Klage in dem die Streitjahre betreffenden Verfahren bereits erhoben worden war. Die Vermutung des Klägers, das FG habe eine verspätete Klageerhebung bezweckt, ist nach alledem nicht nachvollziehbar. Die Behauptung, das FG habe ihm von Anbeginn an unterstellt, seine Steuern unberechtigt mindern zu wollen, lässt sich mit der angeführten und zugunsten des Klägers als wahr unterstellten Äußerung, dass "alle nur Steuern mindern" wollten, nicht begründen.
Soweit der Kläger auf andere von ihm vor dem 9. Senat des FG geführte Verfahren verweist und rügt, es sei dort unzweckmäßig bzw. unrichtig entschieden worden, ergeben sich daraus noch keine Zweifel an der Unvoreingenommenheit gegenüber dem Kläger. Dass das FG auf eine zügige Durchführung der diversen Verfahren achtete, ist grundsätzlich sachgerecht und nicht zu beanstanden. Schon angesichts des beschränkten Prozessstoffes, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 21. Juli 1999 war, konnte das FG den mit einem Krankenhausaufenthalt der Mutter des Klägers begründeten Antrag auf Terminsverlegung ablehnen. Auch dass das FG im Streitfall erst am Tage der Klageabweisung über den Antrag des Klägers auf PKH entschieden hat, lässt nicht den Schluss auf Voreingenommenheit ihm gegenüber zu. Das Empfinden des Klägers, der Vorsitzende Richter sei über ihn und seine Prozessführung verärgert gewesen, wird durch objektive Anhaltspunkte nicht belegt. Der Kläger trägt auch nicht vor, er habe in einem der angesprochenen Verfahren beantragt, einen der Richter des 9. Senats wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
Die Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung beruht offenbar darauf, dass das FG insoweit von einem eindeutigen Verzicht des Klägers ausgegangen ist und den hilfsweise gestellten Beweisantrag nicht zutreffend gewürdigt hat. Das FG hat zwar den beantragten Ortstermin nicht durchgeführt. Es ist aber in dem Urteil davon ausgegangen, dass der Kläger eine ernsthafte wissenschaftliche Arbeit leiste und hat damit die durch den Ortstermin zu beweisenden Tatsachenbehauptungen als wahr unterstellt (BFH-Beschluss vom 20. April 2000 XI S 7/99, BFH/NV 2001, 13). Soweit der Kläger die Notwendigkeit der Verweisung an einen anderen Senat damit begründet, die Entscheidung des FG sei unzutreffend, ist dem entgegen zu halten, dass sich die Frage einer Zurückverweisung stets nur dann stellt, wenn die Vorentscheidung als rechtsfehlerhaft aufzuheben ist; dies allein kann eine Verweisung an einen anderen Senat daher nicht rechtfertigen (BFH-Urteil vom 24. September 1998 V R 82/97, BFH/NV 1999, 487).
Auch eine Gesamtwürdigung der vom Kläger vorgetragenen Bedenken lässt nicht den Schluss zu, dass einer oder mehrere der Richter des 9. Senats dem Kläger gegenüber voreingenommen sind und dem Kläger gegenüber nicht unparteilich entscheiden werden.
Ende der Entscheidung
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