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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 26.02.2004
Aktenzeichen: XI R 74/03
Rechtsgebiete: EStG
Vorschriften:
EStG § 2 Abs. 1 | |
EStG § 3 Nr. 62 | |
EStG § 10 Abs. 3 | |
EStG § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a | |
EStG § 10 Abs. 3 Nr. 2 | |
EStG § 10c Abs. 3 Nr. 1 | |
EStG § 10c Abs. 3 Nr. 2 | |
EStG § 19 | |
EStG § 19 Abs. 2 |
Gründe:
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte in den Streitjahren 1998 und 1999 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aus zwei verschiedenen Arbeitsverhältnissen. Als Gesellschafter-Geschäftsführer der M-GmbH bezog er nicht sozialversicherungspflichtigen Arbeitslohn in Höhe von 61 429 DM in 1998 und 98 920 DM in 1999; Anwartschaftsrechte auf eine Altersversorgung hat er aus dieser Tätigkeit nicht erworben. Als Angestellter der L-GmbH bezog der Kläger sozialversicherungspflichtigen Arbeitslohn in Höhe von 17 693 DM in 1998 und 17 538 DM in 1999.
In seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre machte der Kläger Vorsorgeaufwendungen in Höhe von 17 033 DM (1998) und 11 379 DM (1999) als Sonderausgaben geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte im Rahmen der Höchstbetragsberechnung nach § 10 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für die Streitjahre geltenden Fassung lediglich jeweils 3 915 DM. Dabei bezog das FA in die Berechnungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG auch die Einnahmen des Klägers aus seinem nicht sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis mit ein, so dass kein Vorwegabzug verblieb.
Die gegen die Einkommensteuerbescheide für 1998 vom 14. Februar 2001 und für 1999 vom 11. Dezember 2000 erhobenen Einsprüche, mit denen der Kläger geltend machte, dass der Vorwegabzug in Höhe von 6 000 DM lediglich um 16 v.H. der Einnahmen aus dem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis gekürzt werden dürfe, wies das FA mit Einspruchsentscheidungen vom 6. September 2001 als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Das FA habe zu Recht die Summe aller Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit als Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs berücksichtigt. Nach dem Gesetzeswortlaut sei Voraussetzung für die Kürzung allein die Tatsache, dass überhaupt Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht würden. Dabei unterscheide der Gesetzgeber nicht, ob die jeweiligen Einnahmen der Sozialversicherungspflicht unterlägen oder sozialversicherungsfrei seien. Er gehe vielmehr davon aus, dass ein Bedürfnis für den Vorwegabzug nicht bestehe, wenn ein Arbeitgeber (hier: einer von beiden Arbeitgebern) Zukunftssicherungsleistungen erbringe.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision, zu deren Begründung er im Wesentlichen vorträgt: Der Gesetzgeber habe zwar eine generalisierende Regelung dahin gehend getroffen, dass aus der Erbringung von Zukunftssicherungsleistungen auf eine Versagung des Vorwegabzugs geschlossen werden könne. Bei zwei unterschiedlichen Arbeitsverhältnissen eines Steuerpflichtigen würde es aber dem Gesetzeszweck widersprechen, allein aufgrund sozialversicherungspflichtiger Einnahmen aus einem Arbeitsverhältnis in die Bemessungsgrundlage zur Kürzung des Vorwegabzugs auch Einnahmen aus einem anderen Arbeitsverhältnis einzubeziehen, die für sich betrachtet die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht erfüllten.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des FG sowie die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben und die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 1998 und 1999 dahin gehend zu ändern, dass beim Vorwegabzug gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG eine Kürzung lediglich anteilig um 16 v.H. der sozialversicherungspflichtigen Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit vorgenommen wird.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Es ist der Auffassung, dass das finanzgerichtliche Urteil mit dem Gesetz und der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) in Einklang steht.
II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu Unrecht hat das FG die Einnahmen des Klägers als Gesellschafter-Geschäftsführer der M-GmbH in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs einbezogen.
1. Nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG beträgt der Vorwegabzug für Vorsorgeaufwendungen 6 000 DM. Dieser Betrag ist gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG um 16 v.H. der Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 19 EStG ohne Versorgungsbezüge i.S. des § 19 Abs. 2 EStG zu kürzen, wenn für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden oder der Steuerpflichtige zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört. Die in dieser Bestimmung enthaltene Kürzungsregelung ist dahin gehend auszulegen, dass in die Bemessungsgrundlage "Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit" nur die Einnahmen aus solchen Beschäftigungsverhältnissen einzubeziehen sind, in deren Zusammenhang
- entweder der Arbeitgeber Aufwendungen für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbringt (sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse), oder
- der Arbeitnehmer zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG zu zählen ist (nicht sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mit Anspruch auf Altersversorgung ohne eigene Beitragsleistung).
Das gilt auch für die Fälle, in denen ein Steuerpflichtiger aus mehr als einem Beschäftigungsverhältnis Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit erzielt. Es bilden dann nur die Einnahmen die für die Kürzung des Vorwegabzugs maßgebliche Bemessungsgrundlage, die die oben genannten Voraussetzungen erfüllen.
2. Diese Auslegung, die sich insbesondere an der historischen Entwicklung der gesetzlichen Kürzungsnorm orientiert, liegt bereits dem Urteil des Senats vom 3. Dezember 2003 XI R 11/03 (zur Veröffentlichung bestimmt) zu Grunde. Wie der Senat dort ausgeführt hat, sollte die Kürzung nicht Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit schlechthin erfassen. Vielmehr richtete sich nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG in der bis einschließlich 1992 geltenden Fassung die Kürzung des Vorwegabzugs nach dem Arbeitslohn aus der Beschäftigung, "mit der die Alters- oder Krankenversorgung zusammenhängt". Diesen Zusammenhang zwischen den Einnahmen und den Zukunftssicherungsleistungen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis hat der Gesetzgeber durch die Neufassung der Kürzungsregelung in § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG in der ab 1993 geltenden Fassung nicht aufgehoben. Hätte der Gesetzgeber damals eine grundlegende Änderung der bisherigen Rechtslage beabsichtigt, wäre dies in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gekommen. Tatsächlich ist der Gesetzesbegründung aber lediglich zu entnehmen, dass die Vereinfachungsregelung (einheitlicher prozentualer Kürzungssatz; Verzicht auf zeitanteilige Berechnung) eingeführt wurde, weil wegen der Anwendung verschiedener Kürzungssätze auf Bemessungsgrundlagen, die auf Grund von Höchstgrenzen und zeitanteiligen Berechnungen wiederum unterschiedlich hoch sein konnten, die erforderliche Datenerfassung für die Finanzverwaltung zu umfangreich und zu kompliziert geworden war (vgl. BTDrucks 12/5764).
3. Der Kläger hat in beiden Streitjahren Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit aus zwei verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen bezogen. Aus dem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis bei der L-GmbH bezog er einen Arbeitslohn in Höhe von 17 693 DM in 1998 und 17 538 DM in 1999. Allein diese Einnahmen bilden die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs, weil der Arbeitgeber insoweit für den Kläger Zukunftssicherungsleistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht hat. Die Einnahmen des Klägers aus dem nicht sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis als Gesellschafter-Geschäftsführer bei der M-GmbH sind in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung nicht einzubeziehen. Im Zusammenhang mit diesen Einnahmen hat der Kläger nach den Feststellungen des FG keine vertraglichen Anwartschaftsrechte auf eine Altersversorgung erworben. Bezogen auf dieses Arbeitsverhältnis gehörte der Kläger damit auch nicht zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG.
4. Entgegen der Auffassung des FG kann aus der bisherigen Rechtsprechung des BFH zur Kürzung des Vorwegabzugs nicht abgeleitet werden, es sei für eine Einbeziehung sämtlicher Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit ausreichend, dass überhaupt Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden, wenn auch nur aus einem von mehreren Arbeitsverhältnissen.
Der BFH hatte bislang noch keinen Fall zu entscheiden, in dem ein Steuerpflichtiger Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit aus zwei --im Hinblick auf die Voraussetzungen für eine Kürzung des Vorwegabzugs unterschiedlich zu beurteilenden-- Beschäftigungsverhältnissen bezogen hat. Auch in den Fällen, die den Urteilen vom 16. Oktober 2002 XI R 71/00 (BFHE 200, 544, BStBl II 2003, 343) und XI R 61/00 (BFHE 200, 540, BStBl II 2003, 183) zu Grunde liegen, bezog der Kläger nur aus einem Beschäftigungsverhältnis Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit. Die in den jeweiligen Urteilsgründen getroffene Aussage des erkennenden Senats, der Gesetzgeber habe bei der Kürzung des Vorwegabzugs nicht auf die Höhe der Leistungen nach § 3 Nr. 62 EStG abgestellt, sondern "auf den Umstand, dass überhaupt solche Leistungen erbracht worden sind", bezieht sich deshalb auf das einzelne zu beurteilende Beschäftigungsverhältnis. Diese Aussage kann deshalb nur dahin gehend verstanden werden, dass es im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses für eine Kürzung des Vorwegabzugs nicht auf die Höhe der in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum vom Arbeitgeber erbrachten Zukunftssicherungsleistungen ankommt. Gleiches gilt für die Aussage des Senats im Urteil vom 16. Oktober 2002 XI R 23/00 (BFH/NV 2003, 463), das Gesetz umschreibe mit der Bezugnahme auf Zukunftssicherungsleistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG "den Personenkreis, der von der Kürzung des Vorwegabzugs betroffen ist, nicht die Bemessungsgrundlage für die Kürzungsregelung". Auch in diesem Fall, in dem eine sozialversicherungsfreie Entlassungsentschädigung als Einnahme aus nichtselbständiger Arbeit in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs einbezogen wurde, ging es um Einnahmen aus einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis.
Bezieht ein Steuerpflichtiger --wie der Kläger im Streitfall-- aus mehreren Beschäftigungsverhältnissen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, ist für jedes Beschäftigungsverhältnis gesondert zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Kürzung des Vorwegabzugs erfüllt sind. Trifft das für ein Beschäftigungsverhältnis zu, sind sämtliche Einnahmen aus diesem Beschäftigungsverhältnis in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs einzubeziehen, ohne dass es auf die Höhe der erbrachten Zukunftssicherungsleistungen ankommt. Der Umstand, dass ein Beschäftigungsverhältnis eines Steuerpflichtigen die Voraussetzungen für eine Kürzung des Vorwegabzugs erfüllt, kann aber nicht dazu führen, dass auch die Einnahmen aus einem anderen Beschäftigungsverhältnis desselben Steuerpflichtigen, das für sich gesehen diese Voraussetzungen nicht erfüllt, in die Bemessungsgrundlage einbezogen werden.
5. Die gegenteilige Auslegung der Kürzungsregelung in § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG würde dem in Art. 3 des Grundgesetzes normierten Gleichbehandlungsgebot zuwiderlaufen. Sie würde nämlich dazu führen, dass der Kläger als Bezieher von sozialversicherungspflichtigem Arbeitslohn im Rahmen des Sonderausgabenabzugs nur deshalb schlechter gestellt würde, weil er statt weiterer Einkünfte aus einer anderen Einkunftsart weitere nicht sozialversicherungspflichtige Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen hat. Die systematische Unterscheidung der Einkunftsarten in § 2 Abs. 1 EStG allein kann jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Ungleichbehandlung in den Rechtsfolgen nicht rechtfertigen (vgl. dazu bereits BFH-Urteil vom 3. Dezember 2003 XI R 11/03, zur Veröffentlichung bestimmt, m.w.N.).
6. Das Begehren des Klägers hat mithin Erfolg. Der im Rahmen der Höchstbetragsberechnung für Vorsorgeaufwendungen zu berücksichtigende Vorwegabzug ist im Streitjahr 1998 lediglich um 2 830 DM (16 v.H. aus 17 693 DM) und im Streitjahr 1999 lediglich um 2 806 DM (16 v.H. aus 17 538 DM) zu kürzen.
Ende der Entscheidung
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