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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 03.07.2002
Aktenzeichen: XI R 80/00
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a
EStG § 34 Abs. 2
Ergänzende Zusatzleistungen aus Gründen der sozialen Fürsorge, die für die Beurteilung der Hauptleistung als einer zusammengeballten Entschädigung i.S. des § 34 Abs. 2 EStG unschädlich sind, setzen weder eine Bedürftigkeit des entlassenen Arbeitnehmers noch eine nachvertragliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers im arbeitsrechtlichen Sinne voraus.
Gründe:

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Rechtsnachfolgerin ihrer verstorbenen Eltern. Das Arbeitsverhältnis ihres Vaters wurde auf den 31. Dezember 1992 vom Arbeitgeber gekündigt. Im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses vor dem Arbeitsgericht kam es am 23. November 1992 zu folgendem Vergleich:

"§ 1 Die Parteien sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch ordentliche, betriebsbedingte Kündigung der Beklagten zum 31. 12. 1992 beendet ist.

§ 2 Bis zu diesem Zeitpunkt erhält der Kläger die geschuldeten Leistungen aus dem Arbeitsvertrag ... .

§ 3 Für den Verlust des Arbeitsplatzes erhält der Kläger eine Sozialabfindung gemäß § 9, 10 KSchG in Höhe von 450.000,--. Die Abfindung wird mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig. Im Falle des vorzeitigen Todes des Klägers geht diese auf die Erben über.

§ 4 Die Beklagte verpflichtet sich, bis zum 31. März 1994 die Leasingraten sowie die Steuer und Versicherung des BMW 325 i Coupé ... zu tragen. Der bis dahin auf die Beklagte lautende Leasingvertrag wird nach diesem Zeitpunkt von dem Kläger übernommen. ...

§ 5 Mit der Erfüllung der vorgenannten Vereinbarung sind sämtliche Ansprüche des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, abgegolten. ..."

In der für das Streitjahr 1992 abgegebenen Einkommensteuererklärung erklärte die Mutter der Klägerin als Rechtsnachfolgerin für den am 19. Dezember 1993 verstorbenen Vater der Klägerin Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 151 685 DM sowie eine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes in Höhe von 420 000 DM. Die auf die Entschädigung entfallende Steuer wurde im Einkommensteuerbescheid 1992 vom 29. April 1994 mit dem ermäßigten Steuersatz ermittelt. Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung wurde der o.g. Vergleich bekannt. Der Prüfer hielt die Voraussetzungen für eine ermäßigte Besteuerung für nicht gegeben, weil sich die Entschädigung auf Grund der Formulierung in § 4 des Vergleichs über den Zeitraum 1992 bis 1994 erstreckt habe. Die PKW-Kosten betrugen für die fragliche Zeit rund 23 000 DM.

Mit geändertem Einkommensteuerbescheid vom 18. März 1996, der an die Klägerin als Alleinerbin nach ihrer Mutter erging, versagte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) den ermäßigten Steuersatz für die Entschädigungszahlung. Die Einkommensteuer-Nachforderung, zu deren Übernahme sich der Arbeitgeber im Rahmen der Prüfung bereit erklärt hatte, betrug 123 325 DM. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2000, 1126). Nach Auffassung des FG handelte es sich vorliegend um eine Ausnahmesituation, weil die PKW-Nutzung beim ausscheidenden Arbeitnehmer auf Grund der Steuerübernahme des Arbeitgebers zu keiner Einkommensteuerbelastung führen könne; die Verteilung der Zahlung habe dann --wie in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 2. September 1992 XI R 44/91 (BFHE 169, 98, BStBl II 1993, 52)-- nicht den Effekt einer Progressionsminderung. Außerdem müsse es in Fällen, in denen die Grenzen der Geringfügigkeit nicht überschritten werden, bei der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes verbleiben (unter Verweis auf die Rechtsprechung zur Betriebsveräußerung in der BFH-Entscheidung vom 18. Mai 1994 I R 109/93, BFHE 175, 249, BStBl II 1994, 925, m.w.N.).

Das FA rügt mit seiner Revision Verletzung des § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Das FG sei von der ständigen Rechtsprechung abgewichen. Es treffe nicht zu, dass der BFH die Nichtauswirkung auf die Progression als einen Ausnahmetatbestand zugelassen habe. Ob im konkreten Veranlagungszeitraum tatsächlich ein Progressionseffekt eintrete, sei unbedeutend. Für die Anwendung des § 34 EStG habe die Übernahme der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber keine Bedeutung. Auch blieben es weiterhin Einkünfte des Arbeitnehmers. Die Geringfügigkeit der Zahlungen im zweiten und dritten Veranlagungszeitraum, die weniger als 10 v.H. der gesamten Entschädigung betragen hätten, rechtfertige eine ermäßigte Besteuerung nicht.

Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung des Urteils des FG abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der Vater der Klägerin habe mit Abschluss des Vergleichs das Nutzungsrecht in vollem Umfang übertragen bekommen, insbesondere wäre ein Verleihen oder Überlassen des PKW an Dritte möglich gewesen. Der Vorteil sei deshalb im Jahr der Auszahlung der Abfindung zugeflossen, in den Folgejahren sei lediglich die Ausübung des betreffenden Rechtsanspruchs erfolgt. Folge man dem nicht, dann müsse eine Ausnahme zugelassen werden, wie sie die Rechtsprechung bereits anerkannt habe (BFH-Urteil vom 1. Februar 1957 VI 87/55 U, BFHE 64, 271, BStBl III 1957, 104, und BFH-Beschluss vom 4. Februar 1998 XI B 108/97, BFH/NV 1998, 1082); die Überlassung des dem Vater der Klägerin vertrauten PKW sei aus Fürsorgegesichtspunkten erfolgt. Lasse die Rechtsprechung demnach Ausnahmen zu, so müsse dies auch für Fälle einer Geringfügigkeit wie hier gelten.

II. Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu Recht hat das FG entschieden, dass die Abfindung als Entschädigung i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG ermäßigt zu besteuern ist (§ 34 Abs. 1 EStG).

1. Gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG kommen als außerordentliche und nach § 34 Abs. 1 EStG ermäßigt zu besteuernde Einkünfte u.a. Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 EStG in Betracht. Die unter Bezugnahme auf §§ 9, 10 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) vereinbarte Abfindung stellt eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG dar. Die einheitlich zu beurteilende Entschädigung (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 1082, und BFH-Urteil vom 21. März 1996 XI R 51/95, BFHE 180, 152, BStBl II 1996, 416) umfasst vorliegend die gezahlten 450 000 DM sowie als geldwerten Vorteil die für den PKW übernommenen Kosten in Höhe von rund 23 000 DM.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urteil vom 28. Juli 1993 XI R 74/92, BFH/NV 1994, 368; vom 2. September 1992 XI R 63/89, BFH/NV 1993, 23) sind außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG nur gegeben, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen. Die ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG bezweckt, die Härten auszugleichen, die sich aus der progressiven Besteuerung der Entschädigung ergeben. Dementsprechend sind Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG grundsätzlich nur dann außerordentliche Einkünfte, wenn die Entschädigung für entgangene oder entgehende Einnahmen, die sich bei normalem Ablauf auf mehrere Jahre verteilt hätten, vollständig in einem Betrag gezahlt wird oder wenn die Entschädigung nur Einnahmen eines Jahres ersetzt, sofern sie im Jahr der Zahlung mit weiteren Einkünften zusammenfällt und der Steuerpflichtige im Jahr der entgangenen Einnahmen keine weiteren (nennenswerten) Einnahmen gehabt hat. Bei einer Entschädigungszahlung, die sich auf zwei oder mehr Veranlagungszeiträume verteilt, ist eine Zusammenballung nicht gegeben; eine Anwendung des § 34 EStG kommt grundsätzlich nicht in Betracht.

3. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hält der Senat --wie er in seinem Urteil vom 14. August 2001 XI R 22/00 (BFHE 196, 500, BStBl II 2002, 180) ausgeführt hat-- in solchen Fällen für geboten, in denen --neben der Hauptentschädigungsleistung-- in späteren Veranlagungszeiträumen aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit Entschädigungszusatzleistungen gewährt werden. Dies sind beispielsweise solche Leistungen, die der Arbeitgeber dem entlassenen Arbeitnehmer zur Erleichterung des Arbeitsplatz- oder Berufswechsels oder als Anpassung an eine dauerhafte Berufsaufgabe und Arbeitslosigkeit erbringt. Sie setzen keine Bedürftigkeit des entlassenen Arbeitnehmers voraus. Soziale Fürsorge ist allgemein im Sinne der Fürsorge des Arbeitgebers für seinen früheren Arbeitnehmer zu verstehen. Ob der Arbeitgeber zu der Fürsorge arbeitsrechtlich verpflichtet ist, ist unerheblich. Derartige ergänzende Zusatzleistungen, die Teil der einheitlichen Entschädigung sind, sind unschädlich für die Beurteilung der Hauptleistung als einer zusammengeballten Entschädigung.

Die Unbeachtlichkeit von ergänzenden Zusatzleistungen beruht auf einer zweckentsprechenden Auslegung des § 34 EStG unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (dazu vgl. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 20. Juni 1984 1 BvR 1494/78, BVerfGE 67, 157, und vom 9. Mai 1989 1 BvL 35/86, BVerfGE 80, 103; BFH-Urteile vom 11. August 1999 XI R 12/98, BFHE 189, 419, BStBl II 2000, 229, und in BFHE 196, 500, BStBl II 2002, 180; Sachs, Kommentar zum Grundgesetz, 2. Aufl., 1999, Art. 20 Rz. 149 ff., m.w.N.); dieser aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes abgeleitete Grundsatz enthält neben den Elementen der Eignung und der Erforderlichkeit auch das Element der Angemessenheit (Proportionalität, Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, vgl. BFH-Urteil vom 25. Oktober 1988 VII R 190/85, BFH/NV 1989, 601). § 34 EStG bezweckt, die sich aus dem zusammengeballten Zufluss von Einnahmen durch den progressiv gestalteten Steuertarif ergebenden Härten zu mildern; dabei sind grundsätzlich alle Zahlungen zu berücksichtigen. Es wäre aber nach Auffassung des Senats unangemessen, ergänzende Zusatzleistungen, die in anderen Veranlagungszeiträumen gezahlt werden, als schädlich zu beurteilen, wenn diese sozialer Fürsorge entspringen und ihrer Höhe nach die Zusammenballung der Hauptleistung nicht in Frage stellen.

4. Nach diesen Grundsätzen ist die in § 4 des Vergleichs geregelte Verpflichtung des (früheren) Arbeitgebers, bis zum 31. März 1994 die Leasingraten sowie die Steuer und Versicherung des PKW zu tragen, als eine in späteren Veranlagungszeiträumen erbrachte ergänzende Zusatzleistung zu beurteilen, die für die ermäßigte Besteuerung der Hauptleistung unschädlich ist.

Bei der zeitlich befristeten kostenlosen Überlassung des bereits während des Anstellungsverhältnisses privat genutzten PKW handelt es sich um eine nicht unübliche Entschädigungszusatzleistung mit der für eine Übergangsfrist dem Kläger Vorteile erhalten bleiben sollten, die mit der bisherigen Tätigkeit verbunden waren. Auch wenn der Arbeitgeber die Verpflichtung nicht aus nachvertraglicher Fürsorgepflicht im arbeitsrechtlichen Sinne eingegangen ist, so diente sie doch dem Zweck, die Härte des Arbeitsplatzverlustes abzumildern; sie beruhte damit auf sozialen Gründen im weiteren Sinne zur Erleichterung der mit dem Arbeitsplatzverlust typischerweise verbundenen Anpassungsschwierigkeiten.

Ende der Entscheidung

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