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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 16.11.2000
Aktenzeichen: XI R 94/98
Rechtsgebiete: FGO, GKG, GG


Vorschriften:

FGO § 62 Abs. 3 Satz 3
FGO § 76 Abs. 2
FGO § 62 Abs. 3
FGO § 62 Abs. 1 Satz 1
FGO § 118 Abs. 2
FGO § 143 Abs. 2
GKG § 8
GKG § 8 Abs. 1 Satz 1
GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
XI R 93/98 XI R 94/98

Gründe

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) haben durch ihren Prozessbevollmächtigten P beim Finanzgericht (FG) Klage gegen die Einkommensteuerbescheide 1993 und 1994 erhoben. Nach Aufforderung durch das FG reichte P auf ihn lautende, von den Klägern unterschriebene undatierte Prozessvollmachten nach, die lt. Stempelaufdruck und handschriftlicher Ergänzung für u.a. Einkommensteuer 1983 bis 1996 erteilt wurden. Nach dem formularmäßig verfassten Text wird P u.a. bevollmächtigt, die Unterzeichner in ihren Steuerangelegenheiten vor allen Gerichten, Finanzämtern, Steuer- und sonstigen Behörden zu vertreten, gerichtliche und außergerichtliche Rechtsbehelfe einzulegen und zurückzunehmen, Vergleiche abzuschließen, sonstige verbindliche Erklärungen abzugeben und rechtsverbindliche Unterschriften zu leisten. Die Vollmachten waren jeweils einem Schreiben beigefügt, in dem das Aktenzeichen, die Kläger, das beklagte Finanzamt und der konkrete Rechtsstreit bezeichnet wurden und in dem auf die Vollmacht verwiesen wurde.

Das FG hatte Zweifel an der Bevollmächtigung des P, da in zahlreichen ähnlich gelagerten Verfahren Kläger erklärt hatten, P habe die Klagen ohne ihr Wissen und zum Teil gegen ihren ausdrücklichen Willen eingelegt. Das FG forderte P auf, neue, eindeutig auf die vorliegenden Verfahren bezogene Vollmachten vorzulegen und gab je eine Durchschrift den Klägern zur Kenntnis. Das FG wiederholte die Aufforderung mit Schreiben vom 30. bzw. 31. Oktober 1997 sowie --dann unter Setzung einer Ausschlussfrist nach § 62 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO)-- mit Schreiben vom 8. Januar 1998, jeweils mit Durchschrift an die Kläger. Mit Schreiben vom 25. September 1998 forderte das FG schließlich die Kläger auf, mitzuteilen, ob P von ihnen für die Rechtsstreite bevollmächtigt sei und kündigte unter Hinweis auf ihre prozessualen Mitwirkungspflichten an, ein Schweigen als fehlende Zustimmung zur Prozessführung durch P auszulegen. Die Kläger und P haben sich hierzu nicht geäußert.

Das FG wies die Klagen --nachdem die Verfahren durch Beschlüsse ... auf den Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden waren-- durch Gerichtsbescheide des Einzelrichters als unzulässig ab, weil jeweils mangels Bezug auf die konkreten Klageverfahren keine wirksame Prozessvollmacht vorgelegen habe. Die Kosten der Verfahren habe P zu tragen, da er die erfolglose Prozessführung verursacht habe. Die Revisionen ließ das FG zu, weil der Frage einer stillschweigenden Genehmigung zweifelbehafteter Prozessvollmachten durch die Kläger grundsätzliche Bedeutung zukomme.

Mit ihren Revisionen rügen die Kläger Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) sowie der §§ 76 Abs. 2 und 62 Abs. 3 FGO. Die von den Klägern eigenhändig unterschriebenen Prozessvollmachten hätten den Grundsätzen des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. März 1991 III R 112/89 (BFHE 164, 210, BStBl II 1991, 726) und der ständigen Rechtsprechung des VI. Senats des BFH entsprochen und speziell für die Klageverfahren sowie die eingelegten Rechtsmittel wirksam bevollmächtigt. P sei intern von den Klägern ermächtigt worden, den notwendigen Bezug zum konkreten Klageverfahren selbst herzustellen. Die Kläger hätten auf die Schreiben des FG die Klagen nicht zurückgezogen und durch ihr Schweigen die Prozessführung ausdrücklich gebilligt. Die Entscheidungen des FG hätten auch nicht durch den Einzelrichter ergehen dürfen. Die Kosten der Revisionsverfahren seien nach § 8 des Gerichtskostengesetzes (GKG) der Staatskasse aufzuerlegen.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidungen aufzuheben und die Sachen an den Vollsenat des FG zurückzuverweisen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.

Der Senat hat die Verfahren XI R 93/98 und XI R 94/98 mit Beschluss vom 12. April 2000 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden (§ 121 Satz 1, § 73 Abs. 1 FGO).

II. 1. Die Revisionen sind zulässig.

P ist zur Einlegung der Revisionen gegen die Gerichtsbescheide des FG ermächtigt. Nach dem Inhalt der in den Klageverfahren vorgelegten Vollmachten erstrecken sich diese auf die Vertretung der Kläger vor allen Gerichten, also auch vor dem BFH.

2. Die Revisionen sind auch begründet. Sie führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen und zur Zurückverweisung der Sachen an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG hat die Klagen zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Die vorgelegten Vollmachtsurkunden genügten den Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Nachweis der Bevollmächtigung.

a) Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 FGO können sich die Beteiligten vor Gericht durch Bevollmächtigte vertreten lassen. Die Bevollmächtigung ist durch eine schriftliche Vollmacht nachzuweisen (§ 62 Abs. 3 Satz 1 FGO), aus der hervorgeht, wer bevollmächtigt hat, wer bevollmächtigt ist und wozu bevollmächtigt wurde (vgl. Urteil des BFH in BFHE 164, 210, BStBl II 1991, 726).

Diesen Anforderungen entsprechen die auf P lautenden und von den Klägern unterzeichneten Vollmachten, die sich, wie sich aus den Begleitschreiben ergibt, auf die vorliegenden Klageverfahren beziehen. Dass sich dieser Bezug unmittelbar aus der Vollmacht ergibt, ist nicht erforderlich. Ein Prozessbevollmächtigter ist vielmehr befugt, für eine ihm überlassene Blankovollmacht oder ein zunächst unvollständig ausgefülltes Vollmachtsformular --entsprechend seiner internen Ermächtigung-- den erforderlichen Bezug zum konkreten Rechtsstreit selbst herzustellen, indem er die notwendigen Angaben in das Formular einträgt oder dieses zwar unvollständig belässt, aber einem dem FG übersandten Schriftsatz beiheftet, der den konkreten Rechtsstreit bezeichnet (BFH-Urteile in BFHE 164, 210, BStBl II 1991, 726; vom 29. Juli 1997 IX R 20/96, BFHE 183, 369, BStBl II 1997, 823; vom 27. Februar 1998 VI R 88/97, BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445). Dass sich die Geltungsdauer einer Vollmacht über einen längeren Zeitraum erstreckt, begründet keine Zweifel an der Legitimation des Bevollmächtigten, weil auch General- und Dauervollmachten wirksam sind. Wegen des gegebenen Bezugs zum Klageverfahren steht der Wirksamkeit der Vollmachten auch nicht entgegen, dass sie undatiert sind (BFH-Urteile in BFHE 164, 210, BStBl II 1991, 726; vom 20. September 1991 III R 118/89, BFH/NV 1992, 521).

b) Soweit das FG aufgrund anderer bei ihm anhängiger Verfahren Anlass hatte, die Wirksamkeit der Vollmachtsurkunden anzuzweifeln, war es zwar gehalten, das Vorliegen der Vollmachten zu prüfen (vgl. § 62 Abs. 3 Satz 2 FGO). Aus dem Schweigen der Kläger auf die Anschreiben des FG kann jedoch weder gefolgert werden, die Vollmachten seien widerrufen worden, noch stellt es einen solchen Widerruf dar. Wären die Kläger nicht mit der Prozessführung des P einverstanden gewesen, hätten sie dies dem Gericht mitteilen können (BFH in BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445). Da dies nicht geschehen ist, haben sich die Zweifel des FG an der Bevollmächtigung des P nicht erhärtet.

Auch ein etwaiger Verstoß der Kläger gegen prozessuale Mitwirkungspflichten rechtfertigt es nicht, einen Widerruf der Vollmachten zu unterstellen. Darüber hinaus ist die Erteilung einer Vollmacht Prozesshandlung, für deren Wirksamkeit und Umfang es entscheidend auf den in der Urkunde verkörperten objektiven Erklärungswert ankommt (BFH-Urteil in BFH/NV 1992, 521). Ein Widerruf wäre dem Gericht ausdrücklich anzuzeigen (BFH-Beschluss vom 27. April 1971 II B 59/65, BFHE 101, 469, BStBl II 1971, 403); dies ist jedoch nicht geschehen. Nach alledem ist von der Wirksamkeit der Vollmachtsurkunden auszugehen. Entsprechendes gilt für das Vorliegen einer internen Ermächtigung des P durch die Kläger, den in den Urkunden selbst zunächst fehlenden Bezug zu einem konkreten Rechtsstreit herzustellen.

c) Der Senat ist als Revisionsgericht nicht durch § 118 Abs. 2 FGO gehindert, das Vorliegen einer Prozessvollmacht zu überprüfen. Denn der ordnungsgemäße Nachweis der Bevollmächtigung gehört zu den Sachentscheidungsvoraussetzungen, von deren Vorliegen die Zulässigkeit der auf sachliche Entscheidung gerichteten Klage abhängt (BFH-Urteile vom 10. März 1988 IV R 218/85, BFHE 153, 195, BStBl II 1988, 731; in BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445).

3. Da das FG zu Unrecht die Wirksamkeit der Vollmachten und damit die Sachentscheidungsvoraussetzungen verneint hat, sind die angefochtenen Gerichtsbescheide aufzuheben und die Sachen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Dem Antrag der Kläger auf Zurückverweisung an den Vollsenat kann nicht entsprochen werden, da die Rechtssachen weder besondere Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweisen (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 FGO) noch ihnen grundsätzliche Bedeutung zukommt (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 FGO).

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO. Von der Erhebung der Gerichtskosten für die Revisionsverfahren kann nicht abgesehen werden. Eine unrichtige Sachbehandlung i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG liegt nur vor, wenn das Gericht gegen eine eindeutige gesetzliche Norm verstoßen hat oder der Verstoß offen zutage tritt. Ein solcher Verstoß ist vorliegend nicht gegeben.



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