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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 27.06.2001
Aktenzeichen: 1 StR 100/01
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

-
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil

1 StR 100/01

vom 27. Juni 2001

in der Strafsache

gegen

wegen Mordes

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 26. Juni 2001 in der Sitzung am 27. Juni 2001, an denen teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer

und die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Wahl, Dr. Boetticher, Schluckebier, Hebenstreit,

Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung vom 26. Juni 2001 -,

Staatsanwalt - in der Sitzung am 27. Juni 2001 - als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt - in der Verhandlung vom 26. Juni 2001 - als Verteidiger,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Kempten vom 9. November 2000 wird verworfen.

Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, seinen Bekannten J. A. getötet zu haben. Es konnte sich weder von der Täterschaft des Angeklagten noch von dessen Beteiligung an dem Tötungsdelikt überzeugen. Mit ihrer Revision rügt die Staatsanwalt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, hat keinen Erfolg.

I.

Die Staatsanwaltschaft greift das Urteil insgesamt an. In der Revisionsbegründung nimmt sie jedoch hin, daß das Landgericht von einem nicht angreifbaren Alibi des Angeklagten zur Tatzeit ausgegangen ist, weshalb er "als unmittelbarer Täter ausscheide". Sie rügt aber, die Strafkammer habe den Angeklagten "wegen Mittäterschaft, zumindest wegen Anstiftung zum Tötungsdelikt" verurteilen müssen.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

a) Der Angeklagte, ein indischer Staatsangehöriger, lebt seit 1990 in der Bundesrepublik Deutschland. Er lernte das Tatopfer J. A. und dessen Schwester S. im Zusammenhang mit Scheinehen kennen. S. A. ging unter Vermittlung des Angeklagten im Juni 1997 mit dem indischen Staatsanghörigen R. S. - einem Freund des Angeklagten - eine Scheinehe ein. S. A. erhielt dafür vom Angeklagten eine Entlohnung von 5.000 DM.

Im Februar 1998 heiratete der Angeklagte in Indien die indische Staatsangehörige N. K. . Anschließend lebten beide in Deutschland zusammen. Im Oktober 1998 wurde der Asylantrag der N. K. abgelehnt. Der Angeklagte wirkte auf J. A. ein, dieser solle mit N. K. eine Scheinehe eingehen. Der Angeklagte versprach A. , der - wie dessen Freundin G. Ka. - Alkoholiker war und keiner Arbeit nachging, eine Entlohnung von 8.000 DM sowie die Überlassung und Finanzierung einer Wohnung, die auch als Scheinwohnsitz dienen sollte. Im Januar 1999 schloß J. A. im Beisein des Angeklagten eine Kapital-Lebensversicherung über 34.434 DM und eine Risikolebensversicherung über 155.556 DM ab. Begünstigte aus den Versicherungen für den Todesfall waren N. K. und in zweiter Linie deren Schwester Ra. .

Die ersten Prämien zahlte der Angeklagte. Die Eheschließung zwischen J. A. und N. K. fand im Februar 1999 in Dänemark statt. Danach mietete der Angeklagte für beide eine Scheinwohnung an und zahlte die Miete bis Mai 1999 im voraus. Die Entlohnung von 8.000 DM für das Eingehen der Scheinehe war im Mai 1999 noch nicht gezahlt.

b) Am Mittag des 8. Juni 1999 traf der Angeklagte mit J. A. und G. Ka. zusammen. Sie führten ein Gespräch, dessen Inhalt nicht bekannt ist. Jedenfalls verabredeten sie ein Treffen am nächsten Tag zwischen 13.00 Uhr und 14.00 Uhr. Möglicherweise wurden die beabsichtigte Übernahme der Scheinwohnung und die Zahlung der Entlohnung besprochen. Noch am Nachmittag desselben Tages warteten J. A. und seine Freundin G. auf den Angeklagten vor dessen Wohnung. Dieser bat beide in seine Wohnung, wo sich entweder N. K. oder ein unbekannter Inder, den der Angeklagte als seinen Bruder vorstellte, aufhielt. Der Angeklagte und J. A. führten in einem Nebenraum ein längeres Gespräch, bei dem G. nicht dabei sein durfte.

Am 9. Juni 1999 begaben sich J. A. und G. Ka. gegen 12.45 Uhr zu der Scheinwohnung. Kurz vor der Ankunft trennten sich beide, weil der Angeklagte Frau Ka. bei der Schlüssel- und Geldübergabe nicht dabei haben wollte. Als J. A. bis gegen 16.00 Uhr nicht zurückkam, machte sich G. Ka. auf den Weg zur Wohnung des Angeklagten. Dieser kam ihr in Begleitung von N. K. in seinem Pkw entgegen. Der Angeklagte berichtete G. , er habe bis 15.00 Uhr vergeblich auf J. A. gewartet.

Ab 17.30 Uhr war der Angeklagte auf seiner Arbeitsstelle in der Gaststätte "Linde". Zwischen 22.45 Uhr und 23.00 Uhr telefonierte der Angeklagte von dort mit einer unbekannten Person. Gegen 23.15 Uhr verließ er nach einem Gespräch mit einer Kollegin die Gaststätte und fuhr mit seinem Pkw davon. Für eine Fahrt zu dem Tatort hätte der Angeklagte etwa 36 Minuten benötigt.

c) Aufgrund der Spurenlage am Tatort wurde festgestellt, daß das Tatopfer zwischen 22.13 Uhr und 23.15 Uhr von einer unbekannten Person mit einem Kraftfahrzeug auf einen Wanderparkplatz an der Kreisstraße zwischen Ro. und B. gebracht wurde. Der Geschädigte wurde mit einem vermutlich 30 bis 40 Zentimeter langen, einseitig geschärften Krummdolch bedroht und flüchtete auf einem neben der Kreisstraße verlaufenden Radweg in Richtung B. . Ca. 100 Meter von dem Parkplatz entfernt wurde J. A. mittels des beschriebenen Messers getötet. Im Zuge des Kampfes ging J. A. , der die Arme zum Schutz vor den Oberkörper hielt, zu Boden. Der Täter oder die Täterin kniete von hinten auf den auf der Asphaltdecke des Radweges liegenden J. A. auf. Anschließend setzte die unbekannte Person das Messer am hinteren Halsbereich des Tatopfers an und trennte unter viermaligem Ansetzen mit 35 voneinander abgrenzbaren Schnitten den Kopf nahezu vollständig vom Rumpf ab. Danach verbrachte die unbekannte Person ihr Opfer auf einen neben dem Radweg befindlichen Grünstreifen. Unter Hinterlassen zahlreicher vom Blut des Tatopfers stammender Schuhspuren ging die unbekannte Person zum Parkplatz zurück.

Gegen 23.20 Uhr kam die Zeugin Ad. Ri. mit ihrem Fahrrad unmittelbar am Tatort vorbei. Sie bemerkte eine Verunreinigung des Radwegs, sah in kurzer Entfernung einen hellen Sack und hörte es beim Passieren der Stelle hinter sich rascheln. Am nächsten Morgen wurde die Leiche des Tatopfers zwischen dem Radweg und der Fahrstraße entdeckt.

c) Die Untersuchung des umfangreichen Spurenmaterials ergab im Rahmen der DNA-Begutachtung keinerlei Anhaltspunkte, die auf eine Täterschaft des Angeklagten hätten schließen lassen. Weder in dem vom Angeklagten benutzten Pkw Opel Vectra, noch in einem von ihm ebenfalls benutzten Pkw VW Golf noch in der Wohnung des Angeklagten fanden sich Blutspuren. Auch an der von ihm benutzten Wäsche und Bekleidung waren Spuren nicht feststellbar. Die Schuhspuren konnten dem Angeklagten ebenfalls nicht zugeordnet werden.

II.

Daß das Landgericht bei dieser Beweislage sich von der Täterschaft oder einer sonstigen Beteiligung des Angeklagten nicht überzeugen konnte, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

1. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht eine eigenhändige Tatbegehung des Angeklagten ausgeschlossen, weil dieser nach den getroffenen Feststellungen zum Tatzeitpunkt nicht am Tatort gewesen sein konnte.

2. Die Ausführungen, mit denen das Landgericht ausführlich dargelegt hat, warum es sich auch nicht von einer Mittäterschaft oder einer Anstiftung des Angeklagten hat überzeugen können, halten ebenfalls rechtlicher Überprüfung stand. Ohne Erfolg rügt die Staatsanwaltschaft, die Urteilsgründe seien nicht nur lückenhaft, sondern sie seien auch widersprüchlich und überspannten die Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewißheit. Die durch Tatsachen nicht belegte Behauptung, kein anderer als der Angeklagte habe ein Motiv für die Tat gehabt, so daß nur er eine andere Person angestiftet und darüber hinaus als im Hintergrund Handelnder auch einen wichtigen Tatbeitrag erbracht habe, vermag den Bestand des freisprechenden Urteils nicht zu gefährden.

a) Das Landgericht hat wegen fehlender objektiver Anknüpfungstatsachen umfassend die Motivationslage im Hinblick auf eine mittäterschaftliche Begehungsweise oder auf die Anstiftung eines Dritten für die Tötung des Tatopfers J. A. geprüft. Es hat die möglichen Interessen des Angeklagten am Tod des Tatopfers und die sich daraus ergebenden Verdachtsmomente zunächst gesondert auf ihren Beweiswert untersucht und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß diese jeweils für sich genommen keine für eine Verurteilung hinreichenden Rückschlüsse auf eine Tatbeteiligung des Angeklagten zuließen. Das Landgericht hat sich auch nicht auf eine Einzelbewertung unter jeweiliger Anwendung des Zweifelssatzes beschränkt, sondern hat die Indizien der gebotenen Gesamtwürdigung (BGHSt 35, 308, 316) unterzogen. Es hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es sich der Möglichkeit bewußt war, aus der Gesamtheit belastender Umstände den Schluß auf die Täterschaft des Angeklagten auch dann zu ziehen, wenn keines der festgestellten Beweisanzeichen allein zur Überführung ausreichen würde (vgl. BGHR StPO § 261 Indizien 4). Daß es diesen Schluß nicht gezogen hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn weder deutet die Motivlage allein auf den Angeklagten hin noch vermag sie die fehlenden Feststellungen zu ersetzen, wen der Angeklagte am frühen Nachmittag des 9. Juni 1999 an der Wohnung des Angeklagten antraf und was danach bis zum Tatzeitpunkt - frühestens kurz nach 22.00 Uhr - geschehen ist. Somit liegt, worauf auch der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend hinweist, eine unaufklärbare Zeitlücke vor, die sich nur durch spekulative Erwägungen ausfüllen ließe.

b) Die Beschwerdeführerin deckt mit ihrem Vorbringen keine Lücken oder Widersprüche in den Urteilsgründen auf, soweit sich die Strafkammer mit der Motivlage im einzelnen auseinandersetzt:

aa) Das Landgericht hat zunächst als Motiv in Betracht gezogen, daß der Tod von J. A. dem Angeklagten Nutzen brachte, weil N. K. Bezugsberechtigte aus zwei Lebensversicherungen war. Dieses Motiv hat die Strafkammer wegen der beherrschenden Stellung des Angeklagten in der Beziehung mit N. K. "noch nicht von vorneherein ausgeschlossen". Soweit die Beschwerdeführerin rügt, dieses Motiv sei "evident" und die Strafkammer überspanne mit ihren Erwägungen über den möglichen Grund zum Abschluß der Versicherungen die Anforderungen an den in dubio Grundsatz, hat sie damit keinen Erfolg. Die Annahme des Landgerichts, es sei nicht auszuschließen, daß die - im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Eingehen der Scheinehe erfolgten - Abschlüsse der Lebensversicherungen den Zweck gehabt hätten, nach außen eine reguläre Eheschließung zwischen J. A. und N. K. zu dokumentieren, stellt eine mögliche Schlußfolgerung dar, die revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist.

bb) Das Landgericht hat weiter erwogen, ein mögliches Tatmotiv des Angeklagten habe darin bestehen können, daß dieser sich durch den Tod J. A. s die Zahlung der Entlohnung für die Scheineheschließung mit N. K. - 8.000 DM und Wohnungsüberlassung - habe ersparen wollen. Die Wertung des Landgerichts, für ein solches Motiv - welches um so gewichtiger wäre, je schlechter die finanzielle Situation des Angeklagten gewesen wäre - fehle es an hinreichenden Erkenntnissen, ist ebenfalls frei von Rechtsfehlern. Nach den Urteilsfeststellungen hatte der Angeklagte neben seinem regulären monatlichen Einkommen von 2.000 DM weitere Einkunftsquellen, da er wiederholt Einzahlungen von größeren vierstelligen Beträgen auf sein Konto vornahm. Auch unter Berücksichtigung des Ratenzahlungsverzugs für sein Kraftfahrzeug durfte das Landgericht deshalb durchgreifende Zweifel daran haben, daß die noch ausstehende Entlohnung A. s (ein) Tatmotiv des Angeklagten gewesen sei.

cc) Nicht zu beanstanden sind auch die Erwägungen des Landgerichts, eine im Raum stehende Anzeige J. A. s wäre dann ein eigenständiges Tatmotiv gewesen, wenn der Angeklagte nicht mehr in der Lage oder bereit gewesen wäre, die in Aussicht gestellte Entlohnung zu zahlen. Dafür hat das Landgericht zuvor - wie dargestellt - jedoch keine Feststellungen treffen können. Daß A. tatsächlich mit einer Anzeige gedroht habe, hat das Landgericht nicht festgestellt. Bei der von der Revision angegriffenen weiteren Erwägung, daß mit dem Tod von J. A. der Aufenthalt der N. K. in der Bundesrepublik Deutschland möglicherweise nicht mehr langfristig gesichert war, handelt es sich um eine - nicht tragende - Hilfsbegründung.

c) Schließlich hält auch die Bewertung des Landgerichts dem Beschwerdevorbringen der Staatsanwaltschaft stand, allein nach der Motivationslage hätten auch andere Personen aus dem persönlichen Umfeld des Tatopfers ein selbständiges Motiv für die Tötung des J. A. haben können.

aa) So ist kein Rechtsfehler erkennbar, daß die Strafkammer ein Rachemotiv des Ehemanns der S. A. , R. S. , für einen Auftragsmord für denkbar hält: Die Kammer hat festgestellt, daß J. A. im Februar 1999 als Zeuge in einer gegen R. S. durchgeführten Hauptverhandlung zu dessen Lasten über das Zustandekommen von dessen Scheinehe ausgesagt hat. Dies läßt den möglichen Schluß zu, daß noch im Juni 1999 das Rachemotiv Ausgangspunkt für die Tötungshandlung war. Die Urteilsgründe weisen keine Lücke auf, wenn die Strafkammer für ihre Schlußfolgerung allein das verlesene Hauptverhandlungsprotokoll heranzieht und sich darüber hinaus nicht im einzelnen mit der Aussage des J. A. auseinandersetzt.

bb) Es stellt auch keinen Widerspruch dar, daß die Strafkammer selbst bei N. K. ein eigenständiges Motiv für möglich hält, die beim Ableben des J. A. mit einer erheblichen Versicherungssumme rechnen konnte. Dem widerspricht nicht, daß die Strafkammer beim Angeklagten ein Tötungsmotiv nicht von vornherein ausgeschlossen hat, weil dieser sich aufgrund des Zusammenlebens mit N. K. von dem Geld Vorteile hätte erhoffen können.

cc) Soweit die Strafkammer ausführt, es sei nicht einmal mit letzter Sicherheit auszuschließen, daß im Zusammenhang mit einem früheren Aufenthalt des J. A. in Hamburg noch ein weiterer Täterkreis ein Motiv haben könnte, mag dies spekulativ sein. Darauf beruht das Urteil ersichtlich nicht.

3. Da die Beweiswürdigung auch im übrigen keinen Rechtsfehler aufweist, muß es hingenommen werden, daß die Schwurgerichtskammer für diese schwerste Straftat den Tatvorgang nicht sicher hat feststellen können, um zu einer Verurteilung zu gelangen (vgl. BGH JR 1981, 304 ff. mit Anm. Peters für eine wahldeutige Tatsachengrundlage). Die von der Staatsanwaltschaft über den Generalstaatsanwalt vorgelegten Unterlagen über eine nach Urteilserlaß gemachte Äußerung eines Mitgefangenen des Angeklagten in der Untersuchungshaft haben jedenfalls für das Revisionsverfahren keine Bedeutung.



Ende der Entscheidung

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