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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 21.08.2002
Aktenzeichen: 1 StR 129/02
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2
StGB § 174 Abs. 1
StGB § 176 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 StR 129/02

vom

21. August 2002

in der Strafsache

gegen

wegen Vergewaltigung u.a.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 13. August 2002 in der Sitzung am 21. August 2002, an denen teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 14. November 2001 im Schuldspruch dahin abgeändert, daß der Angeklagte des sexuellen Mißbrauchs von Kindern in acht Fällen, des sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen in 305 Fällen, in 194 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Kindern, in neun Fällen in Tateinheit mit Vergewaltigung schuldig ist.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen in 313 Fällen, in 202 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Kindern, in 9 Fällen in Tateinheit mit Vergewaltigung unter Einbeziehung der mit Urteil des Amtsgerichts N. vom 11. Dezember 2000 verhängten Freiheitsstrafe von 6 Monaten zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt.

Nach den Feststellungen des Landgerichts mißbrauchte der Angeklagte seine im Juni 1983 geborene Stieftochter von Ende 1995 bis Dezember 2000 sexuell mit steigender Intensität, vom Streicheln an der Brust und im Scheidenbereich über das Eindringen mit dem Finger bis - ab Mai 2000 - zur Vergewaltigung.

Gegen diese Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat nur geringen Erfolg. In acht Fällen entfällt die tateinheitliche Verurteilung wegen sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen wegen insoweit eingetretener Verfolgungsverjährung.

I.

Die Verfahrensrügen sind unzulässig oder unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Hierzu wird auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 10. April 2002 verwiesen.

II.

Auch die Sachrüge ist weitgehend unbegründet.

1. Die Beweiswürdigung ist frei von Rechtsfehlern.

Die Feststellungen der Strafkammer zum Tatgeschehen beruhen im wesentlichen auf den Angaben der Geschädigten S. O. . Der Angeklagte bestreitet die Taten. Er habe seine Stieftochter lediglich ab und zu gewaschen und eingecremt zur Behandlung von Rissen in der Haut, nachdem S. im Alter von zehn Jahren sehr stark gewachsen sei.

Steht Aussage gegen Aussage so ist das Tatgericht nicht schon aufgrund des Zweifelssatzes an der Verurteilung gehindert, auch wenn außer den Angaben des einzigen Belastungszeugen keine weiteren belastenden Indizien vorliegen. Die Aussage des Zeugen ist dann aber einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen. Es bedarf im Rahmen einer Gesamtschau einer lückenlosen Würdigung seiner Aussage samt aller Umstände und Indizien, die für ihre Bewertung von Bedeutung sein können (vgl. BGHSt 44, 153, 158; BGHSt 44, 256, 257; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 23).

Dies hat das Landgericht nicht verkannt. Die Urteilsgründe lassen erkennen, daß die Jugendkammer alle Vorgänge und Tatsachen, die die Entscheidung beeinflussen konnten, erkannt und in ihre Überlegungen einbezogen hat. Die Strafkammer stellt in ihrer umfangreichen Beweiswürdigung das Zustandekommen der Anzeige sowie das jeweilige Ergebnis der mehrfachen Vernehmungen der Geschädigten im Laufe des Verfahrens ausführlich dar und unterzieht dies und weitere Indizien im Rahmen einer Gesamtschau unter Heranziehung sachverständiger Hilfe einer sorgfältigen Würdigung.

Zur Anzeige kam es - so die Feststellungen der Strafkammer -, nachdem die Zeugin bei einer Fahrt zum Jugendamt im Januar 2001, deren Zweck es war, das Kind aus den häuslichen Fesseln zu befreien, gegenüber den Zeuginnen Sa. P. und A. T. erstmals die sexuellen Übergriffe des Angeklagten erwähnte. Den Schritt zur Anzeige hatte sie bis dahin nicht gewagt, da sie Angst hatte, daß dann alle Kinder der Familie in ein Heim kommen und die Familie "kaputt geht". So hatte ihr das der Stiefvater immer wieder gesagt und sie so zur Verschwiegenheit verpflichtet. Der Mutter hatte sie sich nicht anvertraut, da diese - so nahm die Zeugin an - ihr sowieso nicht geglaubt hätte.

Die Angaben der Geschädigten bei der Polizei, der Ermittlungsrichterin, der Sachverständigen zur Begutachtung von deren Glaubwürdigkeit und in der Hauptverhandlung sind von einem hohen Maß an Konstanz geprägt. Die Geschädigte schilderte ohne Belastungseifer zahlreiche Details sowohl der Kernhandlung als auch zu den Rahmenbedingungen, dazu Komplikationen im Handlungsablauf und ausgefallene Einzelheiten. Hinreichende Anhaltspunkte für ein Komplott ergaben sich nicht. Auch Personen, die für ein Komplott in Frage kämen, bedrängten die Zeugin, sie solle ihre Anzeige zurücknehmen.

Dem steht nicht entgegen, daß die Geschädigte - "wie bei 'Inzestfällen' nicht selten" - unter erheblichem psychischem Druck seitens der Familie aus Verzweiflung am 15. Januar 2001 zunächst einen ihr vorformulierten "falschen" Widerruf ihrer Angaben bei der Polizei unterzeichnete und nach einem weiteren Gespräch im Beisein ihrer Mutter und weiterer Verwandter am 17. Januar 2001 selbst eine entsprechende Erklärung niederschrieb. Dies ist nach den Feststellungen der Jugendkammer nachvollziehbar. S. O. fühlte sich völlig allein gelassen. Keiner wollte ihr glauben. Insbesondere ihre Mutter, die von den Taten nach dem Eindruck der Zeugin nichts mitbekommen hat, diese nicht wahrhaben wollte und bedingungslos zum Angeklagten hielt, behandelte ihr Kind "wie Luft" und forderte die Rücknahme der Anzeige. Sie machte ihrer Tochter heftigste Vorwürfe, sie zerstöre die Familie, sie sei schon an der Zwangsversteigerung und Zwangsräumung in V. schuld gewesen. Dadurch seien Kosten in Höhe von 300.000,-- DM verursacht worden. Sie - die Geschädigte - habe eigentlich auch nicht gewollt, "daß der Papa eingesperrt wird". Konkret zum Widerruf befragt beteuerte die Geschädigte aber sofort und immer wieder, auch in der Hauptverhandlung, daß ihre Angaben bei der Polizei der Wahrheit entsprechen. Auch der Zeugin Ve. H. gegenüber, die die Entstehung der Widerrufsbriefe miterlebte und eine Kopie an die Polzei weitergab, versicherte die Geschädigte in mehrfachen Gesprächen, daß die Vorwürfe stimmen.

Die Ehefrau des Angeklagten hatte angegeben, daß ihr die Tathandlungen - und das teilweise begleitende Onanieren ihres Ehemannes - im Ehebett unmöglich hätte verborgen bleiben können, zumal das Ehebett damals bei jeder Bewegung knarrte, worauf sich auch der Angeklagte berief. Dies steht nicht im Widerspruch zu den Angaben der Geschädigten. Nach den Urteilsfeststellungen wählte der Angeklagte zur Tatausführung regelmäßig Zeiten, während derer die Ehefrau, die oft nachts spät nach Hause kam (UA S. 12) noch nicht da bzw. nicht im Bett war (UA S. 10, 19, 23). So ließ der Angeklagte die Geschädigte im ersten Halbjahr 1999 einige Monate in Ruhe. Die Taten setzten erst wieder ein, nachdem die Mutter wieder berufstätig gewesen ist (UA S. 13).

Ein Widerspruch zwischen dem von der Zeugin genannten Zeitpunkt zum Einsetzen der sexuellen Übergriffe des Angeklagten und dem hierzu bei der Polizei zunächst angegebenen Tatort, den die Sachverständige bei der Exploration entdeckte, löste sich nach den Feststellungen der Strafkammer rasch auf. Bei der zeitlichen Einordnung orientiert sich die Geschädigte allein am Einsetzen der Regelblutung im Alter von 11 Jahren. Ein Jahr danach begann der Stiefvater, sie sexuell zu mißbrauchen. Daran, daß dies noch nicht in V. , sondern noch in Po. geschah, hatte sie sich bei ihrer polizeilichen Vernehmung nicht mehr erinnert. Ihr Zimmer lag in beiden Wohnungen in vergleichbarer Position. Bei der vorhergegangen Fahrt zum Jugendamt hatte sie noch erwähnt, daß der Angeklagte sie bereits in Po. sexuell mißbrauchte.

Auch zum Adoptionswunsch der Geschädigten, den sie bis zuletzt verfolgte - im August 2000 wurde vom Stiefvater ein entsprechender Antrag gestellt, der im Januar 2001 abgelehnt wurde - enthalten die Urteilsgründe keine Feststellungslücken und keinen Erörterungsmangel. Als Grund für das Adoptionsbegehren nennt S. O. nicht Zuneigung zum Stiefvater - den sie aber keineswegs haßte - sondern allein den Wunsch, ihren bisherigen Nachnamen loszuwerden. Dies ist - als Ausdruck des Wunsches nicht als Außenseiterin, als fremdes Kind gebrandmarkt zu sein - ohne weiteres nachvollziehbar. Der Familienname der Eheleute S. stammt im übrigen nicht vom Stiefvater. Es handelt sich um den Mädchennamen der Mutter, den der Stiefvater bei der Eheschließung im Jahre 1987 angenommen hat.

Das Randgeschehen betreffende Indizien bestätigen die Darstellung der Geschädigten. Daß der Angeklagte die Geschädigte abschottete, von Außenkontakten nach Möglichkeit abhielt, engmaschig kontrollierte, eifersüchtig überwachte und ab September/Oktober 2000 auch den Kontakt mit ihrem Freund behinderte, schildern auch die Zeugin Ve. H. , die häufig in der Familie verkehrte, der Freund der Geschädigten sowie die Zeuginnen Sa. P. und A. T. . Von der Berufsschule war S. O. abgemeldet. Sie sollte statt dessen zu Hause den - völlig verwahrlosten - Tierbestand pflegen. Die Zeugin Sa. P. beobachtete, während sie im Oktober 1999 zwei Tage bei der Familie S. wohnte, daß S. O. im Ehebett schlief. Zum Ablauf des Geschlechtsverkehrs mit dem Stiefvater nannte die Geschädigte Details, die zu dem von ihrer Mutter geschilderten Vollzug des ehelichen Verkehrs passen.

Schließlich setzte sich die Jugendkammer eingehend mit dem in der Hauptverhandlung erstatteten Glaubwürdigkeitsgutachten auseinander.

Wenn die Jugendkammer am Ende ihrer Beweiswürdigung mit der Sachverständigen zu dem Ergebnis kommt, daß es - insbesondere aufgrund der hohen inhaltlichen Qualität der Aussage - ausgeschlossen ist, daß die Angaben der Geschädigten frei erfunden sind, ist dies nach allem frei von Rechtsfehlern.

2. Soweit der Angeklagte tateinheitlich wegen des sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen verurteilt worden ist, ist in den Fällen, bei denen die Tatbestandsverwirklichung vor dem 11. Januar 1996 beendet wurde, Strafverfolgungsverjährung eingetreten. Auch bei Tateinheit unterliegt jede Gesetzesverletzung einer eigenen Verjährung (vgl. BGH NStZ 1990, 80, 81). § 174 Abs. 1 StGB verjährt nach fünf Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Die erste zur Unterbrechung der Verjährung geeignete Handlung war die Vernehmung des Angeklagten nach seiner Festnahme am 11. Januar 2001. Der Schuldspruch war daher dahingehend zu ändern, daß die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen in acht Fällen (Fälle II.1 und II.2, sowie - zu Gunsten des Angeklagten - sechs Fälle der ersten beiden Januarwochen 1996 im Komplex II.3). Der Senat kann jedoch ausschließen, daß die Strafkammer deshalb in diesen Fällen andere Einzelstrafen verhängt und eine andere Gesamtstrafe gebildet hätte. Denn der Tatrichter hätte das zusätzliche Unrecht, das den rechtsfehlerfrei abgeurteilten Taten gemäß § 176 Abs. 1 StGB - ungeachtet der Änderung des Schuldspruchs - dadurch anhaftet, daß der Angeklagte den sexuellen Mißbrauch gerade an dem auch ihm anvertrauten Stiefkind beging, bei der Strafzumessung zu dessen Lasten berücksichtigen dürfen (BGH, Beschluß vom 3. April 2002 - 3 StR 55/02). Besonderes Gewicht - das Anlaß zu einer anderen Bewertung geben könnte - maß die Strafkammer den tateinheitlichen Verstößen gegen § 174 Abs. 1 StGB bei der Strafzumessung nicht zu.

3. Im übrigen hat die sachlichrechtliche Prüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Mit der Revisionsbegründung unterbreitete Sachverhalte, die ihre Grundlage nicht im Urteil finden, können auf Grund der Sachrüge nicht in die revisionsrechtliche Überprüfung einbezogen werden.

III.

Der geringe Erfolg des Rechtsmittels gibt keinen Anlaß, den Angeklagten teilweise von den Kosten des Verfahrens und von seinen notwendigen Auslagen zu entlasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

Ende der Entscheidung

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