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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 09.09.2003
Aktenzeichen: 1 StR 153/03
Rechtsgebiete: StGB
Vorschriften:
StGB § 211 Abs. 2 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
vom 9. September 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. September 2003, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Wahl als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof Schluckebier, Dr. Kolz, Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof Elf,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerin,
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 13. Dezember 2002 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird verworfen.
3. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten deckt keinen zu seinem Nachteil wirkenden Rechtsfehler auf. Dagegen haben die - auch vom Generalbundesanwalt vertretene - Revision der Staatsanwaltschaft und die Revision der Nebenklägerin, die mit der Sachrüge die Verurteilung wegen Mordes statt wegen Totschlags anstreben, Erfolg. I. 1. Das Landgericht hat folgendes festgestellt:
Der Angeklagte tötete am Nachmittag des 8. März 2002 in seinem Büro seinen sieben Jahre alten Sohn Julius. Er trat dazu von hinten an den Jungen heran, beugte sich über ihn, streichelte seinen Oberkörper und griff dann plötzlich "wie eine Schnappfalle" mit beiden Händen in das Gesicht seines Opfers, hielt ihm mit festem Griff Nase und Mund zu und verlegte ihm damit die Atemwege. Den Hinterkopf des Kindes drückte er dabei gegen seinen eigenen Unterkörper. Das Kind hatte keine Möglichkeit, sich gegen den 120 kg schweren und 1,89 m großen Vater zu wehren. Als es nach mindestens einer Minute das Bewußtsein verloren hatte, sackte der Angeklagte mit ihm zu Boden, wobei er die Atemorgane des Kindes für mindestens weitere vier Minuten verschlossen hielt und mit ganzem Gewicht auf dessen Oberkörper zu liegen kam. Sodann vergewisserte er sich, daß das Kind tot war. Anschließend nahm er eine bereitliegende Rasierklinge und fügte sich damit in Suizidabsicht einen - nicht lebensgefährlichen - Schnitt am linken Handgelenk zu.
Der Angeklagte war zur Tatzeit am Tiefpunkt seines Lebens. Seine zweite Ehe war gescheitert. Die Ehefrau hatte ihm die Trennung angekündigt. Den Sohn - für beide das einzige Kind - wollte sie mitnehmen. Wirtschaftlich war der Angeklagte am Ende. Er hatte aus einem früher von ihm betriebenen Unternehmen persönliche Schulden von über 300.000 Euro. Auch seine berufliche Existenz war vernichtet. Nach dem Konkurs seines eigenen Betriebes arbeitete er als einziger Angestellter in der zu diesem Zweck von seiner Ehefrau als Gesellschafterin gegründeten GmbH. Nach Jahren des Verlustgeschäfts steuerte die GmbH auf die Überschuldung zu, weshalb seine Frau ihn unmißverständlich auf ihre Pflicht und Absicht hingewiesen hatte, die GmbH im April 2002 zu schließen.
Der Angeklagte sah einer Zukunft als einsamer alter Mann und Sozialhilfeempfänger entgegen. Er wollte dieser Schreckensvorstellung durch Suizid entgehen. Schon drei Monate vor der Tat erwog er, seinen Sohn mit in den Tod zu nehmen. Dies tat er, um auf seinem letzten Weg begleitet zu werden und um das Kind "im Jenseits" für sich allein zu haben. Solange sein Sohn noch lebte, fiel ihm ein Selbstmord auch deshalb schwerer, weil sein Sohn das einzige war, das ihm auf der Welt noch etwas bedeutete. Der Angeklagte war gleichzeitig wütend über seine Ehefrau, da er nicht akzeptieren wollte, daß sie die gescheiterte Ehe beendete, obgleich sie ein Kind hatten. Deshalb fand er sich berechtigt, das Kind - auch zur Bestrafung der Ehefrau - zu töten. Wenn er schon selbst stürbe, so gönnte er ihr den Jungen nicht.
2. Das Landgericht vermochte sich vom Vorliegen eines Mordmerkmals nach § 211 Abs. 2 StGB nicht zu überzeugen.
Das Merkmal der niedrigen Beweggründe liege nicht vor, weil das Rachemotiv, die Ehefrau zu bestrafen und ihr das Kind wegzunehmen, bei der Tat nicht eine so dominierende Funktion gehabt habe, daß sie die Tötung insgesamt als verachtenswert und auf tiefster Stufe stehend erscheinen ließe. Die Tötung des Sohnes sei bei dem Angeklagten auch begleitet gewesen von der Verzweiflung, die ihn zum Bilanzselbstmord trieb, und auch von der eigenen Todesangst überschattet gewesen, da aus seiner Sicht die Tötung des Kindes das Vorstadium und die Vorbereitungshandlung zum darauf folgenden Selbstmord darstellte.
Auch das Merkmal der Heimtücke sei nicht nachweisbar. Zwar sei Julius H. gegenüber seinem Vater arglos und infolge seiner Arglosigkeit wehrlos gewesen, als dieser zur Tatbegehung schritt. Auch habe der Angeklagte in feindlicher Willensrichtung gehandelt, da altruistische Motive nicht vorgelegen hätten. Die Strafkammer habe jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen können, daß der Angeklagte die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewußt ausgenutzt hat, sich also dessen bewußt war, einen ahnungslosen und schutzlosen Menschen zu überraschen. Sie habe sich, "weil der Angeklagte sich hierzu nicht offen einließ", daran gehindert gesehen, Feststellungen dazu zu treffen, "was im Kopf des Angeklagten während der mindestens fünfminütigen Tötungshandlung und unmittelbar davor vorging".
II.
Revision des Angeklagten:
Die Verurteilung des Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren enthält keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil. Die Einwendungen der Revision sind offensichtlich unbegründet.
III.
Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin:
1. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin beanstanden mit Recht, daß das Landgericht die subjektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke verneint hat und so zu einer Verurteilung (nur) wegen Totschlags gelangt ist. Soweit das Landgericht nicht auszuschließen vermag, daß der Angeklagte die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers nicht erkannt und sie deshalb nicht bewußt für seine Tat ausgenutzt hat, läßt das Urteil eine erschöpfende Beurteilung des Sachverhalts vermissen. Die allein auf die psychische Verfassung des Angeklagten abstellenden Ausführungen lassen besorgen, daß hinsichtlich dieser subjektiven Erfordernisse heimtückischer Begehungsweise wesentliche Umstände des Tatgeschehens, der gezielten Tatanbahnung und der Vorgeschichte nicht berücksichtigt worden sind.
Für ein Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, daß der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfaßt, daß er sich bewußt ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 1, 25; Jähnke in LK 11. Aufl. § 211 Rdn. 47).
Objektiv lag bei der in der Art einer "Schnappfalle" ausgeführten Tat die Arg- und Wehrlosigkeit des Kindes offen zutage. Der "hochintelligente" (UA S. 55) Angeklagte stand zur Tatzeit weder unter Alkohol- noch Medikamenteneinfluß und war uneingeschränkt schuldfähig. Beim Betreten der Räume des Tatorts mit seinem Sohn "sah (der Angeklagte), daß der Sohn ihm vertraute und arglos war" (UA S. 41). Er hat die Tat bewußt erlebt. Der Erstickungsvorgang dauerte mehrere Minuten, wobei der Angeklagte auch die Abwehrversuche seines Sohnes wahrnahm. Schon angesichts dieser Feststellungen liegt die Annahme fern, dem Angeklagten sei nicht bewußt gewesen, daß das Opfer seinem überraschenden Angriff schutzlos ausgeliefert war.
Hinzu kommt, daß es sich hier nicht um eine spontane Tat handelte. Der von der Strafkammer herangezogene Gesichtspunkt der Spontaneität ist allein darauf beschränkt, daß es nur noch darum ging, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Situation der Angeklagte seinen Tatentschluß verwirklichen würde. Der Angeklagte hatte die Tat bereits seit langem geplant. Als er den Tag der Tat gekommen sah, brach er durch die endgültige Absendung enthüllender Briefe an mehrere Personen die Brücken für eine Umkehr lange vor der Tat ab. Sein Tatentschluß stand bereits Stunden vor der Tötung fest. Dabei ist von besonderer Bedeutung, daß alle Planungen des Angeklagten eine heimtückische Begehungsweise geradezu notwendigerweise voraussetzten; denn die Strafkammer stellte fest, daß der Angeklagte, hätte er dem Sohn eine Gelegenheit gelassen, durch Betteln um sein Leben, körperliches Wehren oder Weglaufen dem Angriff zu begegnen, es nicht über sich gebracht hätte, den Widerstand zu brechen und den Sohn zu töten (UA S. 58).
Da das Landgericht den Indizwert dieser zu Ungunsten des Angeklagten sprechenden Umstände nicht in seine Erwägungen einbezogen hat, kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben.
Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, die von dem dargestellten Rechtsfehler nicht beeinflußt sind, sind im übrigen rechtsfehlerfrei getroffen worden. Sie können daher bestehen bleiben. Ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch stehende Feststellungen des neuen Tatrichters sind dadurch nicht ausgeschlossen.
2. Die allein von der Nebenklägerin beanstandete Verneinung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe hält indessen rechtlicher Nachprüfung stand. Das Landgericht hat nach umfassender Würdigung dem Motiv der Rache an der Ehefrau angesichts der Verzweiflung des Angeklagten und seines Gefühls der Ausweglosigkeit, das auch zu den Suizidversuchen führte, keine so beherrschende Bedeutung zugemessen, daß es die Tötung insgesamt als eine verachtenswerte, auf tiefster Stufe stehende erscheinen ließe. Dies hält sich im Rahmen des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums. Der neue Tatrichter wird jedoch in eigener Verantwortung (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 1) unter umfassender Würdigung der Tatumstände, vor allem der Motivlage, die Frage des Vorliegens niedriger Beweggründe nochmals zu prüfen haben.
Ende der Entscheidung
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