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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 27.06.2001
Aktenzeichen: 1 StR 179/01
Rechtsgebiete: StGB
Vorschriften:
StGB § 21 | |
StGB § 211 Abs. 2 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
vom
27. Juni 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung am 26. Juni 2001 in der Sitzung vom 27. Juni 2001, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer und die Richter am Bundesgerichtshof Nack, Schluckebier, Dr. Kolz, Schaal,
Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger in der Verhandlung,
Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerin in der Verhandlung,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 30. November 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer Revision die Annahme weiterer Mordmerkmale und die Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe; sie rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt teilweise vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts nahm der nicht vorbestrafte, zur Tatzeit 36 Jahre alte Angeklagte nach einer Silvesterfeier mit seinem Personenkraftwagen morgens gegen 5.30 Uhr die 16jährige S. als Anhalterin mit. Nach kurzer Fahrtstrecke bog er in einen unbeleuchteten Feldweg ein. Ihm war der Gedanke gekommen, er könne mit S. geschlechtlich verkehren. Nach etwa einhundert Metern hielt er an und fragte S. , ob sie auch "bumsen" wolle. Das Mädchen sprang darauf aus dem Auto und rief, es werde den Angeklagten anzeigen. Der Angeklagte folgte ihr. Es kam zu einem Wortwechsel, bei dem S. erneut eine Anzeige ankündigte. Der Angeklagte entgegnete: "Warum denn? Ich hab' dich nicht angelangt, es ist nichts passiert! Das kannst du doch nicht machen!" Er ging davon aus, sich durch sein bisheriges Verhalten nicht strafbar gemacht zu haben. Da er Angst vor den Folgen einer Anzeige für seine Ehe hatte und eine "untergeordnete Wut und Enttäuschung über die Zurückweisung seiner sexuellen Annäherung" verspürte, zog er sein regelmäßig mitgeführtes Klappmesser und stieß es S. mit großer Wucht in den Rücken. Diese fiel zu Boden. Der Angeklagte versetzte ihr in Tötungsabsicht weiter mindestens sechs Stiche und Schnitte in den Hals sowie 16 Stiche in den Oberkörper. Sodann fügte er S. vier Stich- und Schnittverletzungen im Genital- sowie im Analbereich zu und schnitt ihr den Bauch und den Brustkorb auf.
Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte habe aus niedrigen Beweggründen, nicht aber grausam oder zur Verdeckung einer anderen Straftat gehandelt. Aufgrund der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten, hinzutretender konstellativer Faktoren und einer Blutalkoholkonzentration von maximal 1,83 Promille sei seine Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit möglicherweise erheblich vermindert gewesen. Vom sicheren Vorliegen erheblich verminderter Schuldfähigkeit vermochte sich die Strafkammer nicht zu überzeugen. Deshalb kam für sie auch eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht in Betracht.
II.
Das angefochtene Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Begründung, mit der das Landgericht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nicht sicher meinte annehmen zu können, ist mit einem Erörterungsmangel behaftet. Sie wird gerade zu der Frage, ob bei dem Angeklagten eine schwere andere seelische Abartigkeit vorgelegen hat den an die gebotene Gesamtschau von Täterpersönlichkeit und Tat zu stellenden Anforderungen nicht in jeder Hinsicht gerecht. Die Strafkammer hat sich in diesem Zusammenhang nicht noch einmal mit Besonderheiten im Täterverhalten gegen Ende des Tatgeschehens und mit einem früheren aggressiven Durchbruch gegenüber seiner damaligen Freundin auseinandergesetzt.
1. Die Strafkammer hat in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen bei dem Angeklagten eine narzißtische Persönlichkeitsstruktur mit einer Selbstwertstörung, Defiziten in den Ich-Funktionen, speziell der Affektverarbeitung und der Affektkontrolle festgestellt, die mit einer Angst- und Aggressionsproblematik einhergeht. Gegenüber Frauen ist bei ihm eine gehemmte und unterschwellig feindselige Haltung bemerkbar. Schon bei geringfügigen Anlässen kann es zu impulsiv auftretenden und unvermutet umschlagenden Affekten - vor allem von Aggression und existentieller Angst - mit sich rasch aufbauenden und schlecht toleriertem Spannungsdruck kommen. Da der Angeklagte nicht über stabile Regulations- und Steuerungsmechanismen verfügt, ist er zur Affektkontrolle statt dessen auf Hemmung und Blockade unter großem psychischen Energieaufwand mit der Gefahr affektiver Durchbrüche angewiesen. Dies führt dazu, daß er Kränkungen, Infragestellungen und Fremdbestimmung sowie aufkommenden Emotionen und Spannungszuständen schlecht gewachsen ist. Lassen die äußeren Umstände dann ein Ausweichen nicht zu, kann es zur Dekompensation der Kontrollfunktionen und dem Ausagieren von Affekten kommen, die er sonst zurückhalten würde.
Die Strafkammer führt weiter aus, die beschriebene Persönlichkeitsstruktur erreiche nicht den Grad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit. Allerdings könne solches im Zusammenspiel mit den in der Tatnacht hinzugetretenen konstellativen Faktoren nicht ausgeschlossen werden. Diese sieht es in der bestehenden Alkoholisierung und der Übermüdung des Angeklagten sowie in dessen Streit mit seiner Ehefrau, der ihn kränkenden Namensänderung seiner Kinder aus der ersten Ehe und einer bevorstehenden, ihn beunruhigenden Umstellung in der Datenverarbeitung an seiner Arbeitsstelle. Die Kammer hebt hervor, der Sachverständige habe in seinem schriftlichen Gutachten zwischen den Stichen in den Rücken und den Oberschenkel einerseits und den nachfolgenden Stichen in Hals, Oberkörper und Vaginalbereich andererseits differenziert und zur zweiten und dritten Tatphase ausgeführt, es liege nahe, bei einer Zunahme der Intensität der aggressiven Affekte eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit positiv festzustellen und die medizinischen Voraussetzungen des § 21 StGB zu bejahen. In der Hauptverhandlung habe er "hierzu konkretisiert", daß die erhebliche Steuerungsminderung nicht sicher festgestellt werden könne.
Die Kammer meint, gegen das sichere Vorliegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit spreche auch das sehr gut erhaltene Beobachtungs- und Erinnerungsvermögen des Angeklagten zu den einzelnen Tatabschnitten. Trotz der Stärke der aggressiven Impulse sei er noch zu absichtsvollem, in gewissem Umfang geordnetem und zielorientiertem Handeln fähig gewesen.
2. Diese Begründung läßt im konkreten Zusammenhang ein Eingehen auf die Besonderheiten der Tat vermissen. Das Landgericht hat zwar bei der Erörterung der Tatmotivation ausgeführt, die Tat weise durchaus sexuelle Bezüge auf, insbesondere die Entblößung des Oberkörpers vor Beibringung der Brustverletzungen, das Herunterziehen der Hose und das Aufreißen der Unterhose sowie die Verletzungen im Vaginal- und Analbereich deuteten in diese Richtung. Im bisherigen Leben des Angeklagten hätten sich indessen keine erheblichen Hinweise auf eine sexuelle, insbesondere sadomasochistische Perversion gefunden. Auf diese Umstände hätte das Landgericht aber auch bei der Prüfung der Frage des Vorliegens einer schweren anderen seelischen Abartigkeit und der erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit zurückkommen müssen. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, daß die Persönlichkeit eines Täters zutreffend nur in einer Ganzheitsbetrachtung zu erfassen ist. Seine Entwicklung und sein Charakterbild sowie die Tat in ihren konkreten Zusammenhängen sind dabei untrennbar miteinander verbunden (BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 4, 16). Dies wäre hier um so mehr erforderlich gewesen, als der Angeklagte das Opfer eben nicht nur mit erheblichem Kraftaufwand vom Schambein aufwärts an Bauch und Brustkorb aufgeschnitten und ihm Stichverletzungen im Genital- und Analbereich beigebracht hat, nachdem er die Oberbekleidung des Opfers - Bluse, Unterhemd und BH - aufgerissen oder aufgeschnitten sowie die Hose bis unter die Knie heruntergezogen und den Slip auf der linken Seite ebenfalls aufgerissen hatte. Er hat das Opfer überdies am Rande des Feldweges in einer obszönen, sexualorientierten Weise zurückgelassen: Die Arme waren seitlich abgespreizt und nach oben abgewinkelt, die Beine im Kniebereich auseinandergespreizt (UA S. 15). Schließlich wäre auch auf einen vom Landgericht festgestellten früheren Vorfall einzugehen gewesen, bei dem der Angeklagte gegenüber seiner damaligen Freundin "ausgerastet" war und mit einem kleinen Schraubenzieher etwa drei- bis viermal gegen deren bekleidetes Geschlechtsteil gestoßen hatte (UA S. 5).
Der Senat kann nicht ausschließen, daß das Landgericht bei einer solchermaßen vertieften Erörterung, die hier angesichts der Besonderheiten des Tatbildes und der Täterpersönlichkeit geboten war, das sichere Vorliegen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit für feststellbar erachtet hätte und dies dann zur Folge hätte haben können, den Angeklagten auch in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen. Bei alledem ist zu beachten, daß es sich bei der Frage, ob eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit erheblich i.S.d. § 21 StGB ist, um eine Rechtsfrage handelt, die der Tatrichter ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen zu beantworten hat (vgl. BGHR StGB § 21 Erheblichkeit 2).
3. Da die gesamte Entwicklung des Angeklagten und auch der Tatverlauf im einzelnen Einfluß auf die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten haben können, hat der Senat das Urteil mit den Feststellungen aufgehoben. Auf der Grundlage dieser aufgehobenen Feststellungen wäre allerdings - darauf weist der Senat hin - die Annahme des Landgerichts, es liege weder ein Verdeckungsmord noch grausames Handeln des Angeklagten im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB vor, rechtlich entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht zu beanstanden gewesen.
Ende der Entscheidung
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