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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 14.09.2004
Aktenzeichen: 1 StR 180/04
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 223
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 StR 180/04

vom 14. September 2004

in der Strafsache

gegen

wegen räuberischer Erpressung u.a.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. September 2004, an der teilgenommen haben:

Richter am Bundesgerichtshof Dr. Wahl als Vorsitzender und die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Boetticher, Hebenstreit, die Richterin am Bundesgerichtshof Elf, der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Graf,

Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Verteidiger, Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerin,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 9. Dezember 2003 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und unerlaubtem Führen einer Schußwaffe zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit ihrer Revision beanstandet die Nebenklägerin unter Erhebung der Sachrüge die Verurteilung wegen - nur - fahrlässiger Körperverletzung. Dies stehe im Widerspruch zu sonstigen Feststellungen, die eine Verurteilung wegen - sogar gefährlicher - Körperverletzung, selbst Tötungsversuchs, nahe legten. Außerdem habe die Strafkammer das Ausmaß der Beeinträchtigung der körperlichen Integrität der Nebenklägerin und damit den Schuldumfang verkannt. Die Revision hat Erfolg, da die Verurteilung allein wegen fahrlässiger Körperverletzung nicht frei von Rechtsfehlern ist.

II.

Die Strafkammer hat festgestellt:

Die damals 21jährige Nebenklägerin, die der Angeklagte flüchtig kannte, arbeitete am Abend des 14. August 2003 als einzige Beschäftigte und Kassiererin in einer Tankstelle. Um 22.00 Uhr fuhr der Angeklagte mit dem Fahrrad dorthin, unterhielt sich mit der Nebenklägerin und half ihr bei den Aufräumarbeiten zum Geschäftsschluß um 23.00 Uhr. Als die Nebenklägerin die Tageseinnahmen abrechnete, entschloß sich der Angeklagte, "das in der Tankstelle befindliche Bargeld unrechtmäßig in seinen Besitz zu bringen. Dabei war er auch entschlossen, die bis dahin im Bund seiner Sporthose steckende und von einem T-Shirt verdeckte Schreckschußpistole - mit Gasaustrittsöffnung nach vorne - zumindest als Drohmittel einzusetzen, falls die Zeugin L. M. das Geld nicht freiwillig herausgeben sollte. Zugunsten des Angeklagten ist allerdings davon auszugehen" - so die Strafkammer -, "daß er von Anfang an nicht vorhatte, die Pistole auch abzufeuern oder als Schlagwerkzeug einzusetzen. Überhaupt plante er, die Zeugin keinesfalls in ihrer körperlichen Integrität zu beeinträchtigen, sondern sie 'nur' zu bedrohen, um sie zur Herausgabe des Kasseninhalts zu veranlassen." In Verfolgung seines Ziels trat der Angeklagte der Nebenklägerin um 23.02 Uhr in der Tür zum Büro entgegen und versperrte ihr den Weg. "Die Nebenklägerin erfaßte dabei nicht sofort, was der Angeklagte damit bezweckte, empfand die Situation aber als bedrohlich, schrie ihn deshalb an, daß er weggehen solle, und versuchte, durch die Tür in den Verkaufsraum zu gelangen. Der Angeklagte drängte sie daraufhin mit seinem Körper zurück, packte sie mit der linken Hand fest an ihrem rechten Unterarm und drückte sie gegen die Tür des Vorraums, eine darin befindliche Tiefkühltruhe, einen sonstigen Einrichtungsgegenstand oder die Wand des Vorraumes. Gleichzeitig erklärte er ihr, daß er Geld haben wolle. Infolge des schmerzhaften Griffs an ihren Arm wich L. M. zurück. Im Verlauf des so entstandenen Gerangels zog sich die Nebenklägerin ein etwa fingerkuppengroßes Hämatom an der Innenseite ihres rechten Unterarmes zu. Weiterhin erlitt sie eine kleine Einblutung unter dem Nagel des kleinen Fingers der linken Hand. Diese Folgen seines Angriffs hatte der Angeklagte zwar nicht gewollt; er hätte sie jedoch ohne weiteres vorhersehen und dadurch, daß er die Nebenklägerin nicht körperlich bedrängte, auch unschwer vermeiden können." Gleichzeitig zog der Angeklagte die geladene Schreckschußpistole und richtete sie gegen die Nebenklägerin. In der Meinung mittels einer richtigen Schußwaffe bedroht zu werden, gab sie, um nicht erschossen zu werden, dem Begehren des Angeklagten nach und packte das in der Tankstelle befindliche Bargeld nahezu vollständig, insgesamt 1.780,03 € und 58,90 sfr, in einen Beutel und händigte diesen dem Angeklagten aus. Bei der Flucht mit dem Fahrrad verlor er seine Beute - sie blieb unauffindbar -. Am nächsten Tag stellte er sich freiwillig der Polizei. Während der ersten Wochen nach der Tat verspürte die Nebenklägerin keine psychischen Belastungen. Inzwischen leidet sie an "diffusen Angstgefühlen und Panikattacken sowie Schlaflosigkeit und Alpträumen", ohne sich deshalb jedoch in psychotherapeutische Behandlung begeben zu haben. Ihre Aushilfstätigkeit in der Tankstelle hat sie nach mehrwöchiger Pause wieder aufgenommen.

In der Beweiswürdigung hat die Strafkammer hinsichtlich des Körperverletzungsvorwurfs zur subjektiven Tatseite folgendes ausgeführt:

"Andererseits entwickelte sich die Rangelei auch nach Darstellung der Zeugin M. weitgehend spontan und war zur Erreichung des eigentlichen Tatziels des Angeklagten, der Erlangung von Bargeld, angesichts der unmittelbar darauf eingesetzten Waffe auch nicht unbedingt erforderlich. Weiterhin packte der Angeklagte die Zeugin zwar fest am Arm und drängte sie mit seinem, gegenüber der sehr schmächtigen Nebenklägerin, sehr massiv wirkenden Körper in die Enge. Dies ist jedoch nicht zwingend mit äußeren Verletzungen des Festgehaltenen und Bedrängten (wie Hämatomen und Kratzwunden) verbunden, auch wenn solche Folgen natürlich grundsätzlich durchaus nicht fernliegen. Aufgrund der selbstbezogenen Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten hält die Kammer es für durchaus möglich, daß er sich naheliegende Gedanken über eventuelle Verletzungsfolgen seines Handelns nicht gemacht hat. Zumindest in subjektiver Hinsicht sieht sich die Kammer deshalb nicht in der Lage, die Einlassung des Angeklagten, er habe die Nebenklägerin auf keinen Fall verletzten wollen und auch nicht in Kauf genommen, daß sie sich Verletzungen der festgestellten Art zuziehe, mit der für eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung erforderlichen Sicherheit zu widerlegen. Daß die Gefahr der Verursachung solcher Einblutungen bei dem massiven Vorwärtsdrängen des Angeklagten objektiv gegeben war und sich jederzeit realisieren konnte, entspricht hingegen bereits allgemeiner Lebenserfahrung und mußten deshalb auch dem Angeklagten im Zeitpunkt der Tatbegehung klar sein."

III.

Die Bewertung des Verhaltens des Angeklagten als - lediglich - fahrlässiger Körperverletzung ist bei der gebotenen Gesamtschau mit den Feststellungen zum Tatgeschehen kaum vereinbar und läßt befürchten, daß die Strafkammer zu hohe Anforderungen an die zu einer Verurteilung wegen jedenfalls bedingten Vorsatzes erforderliche Überzeugungsbildung gestellt und insbesondere nicht ausreichend bedacht hat, daß einer wenig überzeugenden Einlassung nicht schon deshalb geglaubt werden muß, nur weil sie nicht zwingend widerlegt werden kann.

Kann der Tatrichter die erforderliche Gewißheit nicht gewinnen und zieht er die hiernach gebotene Konsequenz (hier: Verurteilung nur wegen fahrlässig begangener Tat), so hat das Revisionsgericht dies zwar regelmäßig hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich auch nicht allein dadurch etwas, daß eine vom Tatrichter getroffene Feststellung 'lebensfremd erscheinen' (BGH NStZ 1984, 180) mag (vgl. zusammenfassend Schoreit in KK 5. Aufl. § 261 Rdn. 5 m.N.). Es gibt nämlich im Strafprozeß keinen Beweis des ersten Anscheins, der nicht auf Gewißheit, sondern auf der Wahrscheinlichkeit eines Geschehensablaufs beruht (vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 4. Aufl. Rdn. 104 m.N.). Eine Beweiswürdigung ist demgegenüber etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewißheit überspannte Anforderungen gestellt sind (st. Rspr., vgl. BGH NJW 2002, 2188, 2189; wistra 1999, 338, 339 jew. m.N.). Dies ist auch dann der Fall, wenn eine nach den Feststellungen naheliegende Schlußfolgerung nicht gezogen ist, ohne daß konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen können (vgl. Gollwitzer in LR StPO 25. Aufl. § 261 Rdn. 47). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (BGH NJW 2002, 2188, 2189 m.N.; BGH StraFo 2003, 381). Für die Feststellung von (hier: inneren) Tatsachen genügt demnach, daß ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit besteht, an dem vernünftige Zweifel nicht aufkommen können. Außer Betracht zu bleiben haben solche Zweifel, die keinen realen Anknüpfungspunkt haben (vgl. BGH Beschluß vom 21.06.2001 - 4 StR 85/01 -, BGH NStZ-RR 1999, 332, 333 m.w.N., zu den Anforderungen an die Beweiswürdigung vgl. BGH NStZ-RR, 2003, 271).

Die Revision führt deshalb nicht ohne Berechtigung aus, daß angesichts der von der Strafkammer getroffenen Feststellungen die Annahme einer vorsätzlichen Tatbegehung durch den Angeklagten auf der Hand lag. Wer unter Verwendung einer scharfen Schreckschußpistole eine Tankstelle überfällt und auch dazu entschlossen ist, den Widerstand der Kassiererin auszuschalten, um so den Tatentschluß auf Entwendung des Geldes durchzusetzen, weiß selbstverständlich, daß er dadurch die physische und psychische Integrität des Opfers nicht unerheblich schädigen kann.

Hinzu kommt, daß der Angeklagte nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen entgegen seiner behaupteten Planung, sofort nachdem die Nebenklägerin ihn angeschrieen und zum Weggehen aufgefordert hatte, gewalttätig wurde: Er packte die Nebenklägerin schmerzhaft am Unterarm. Dies war bewußtes und gewolltes Handeln und steht alleine schon im Widerspruch zur Bewertung der subjektiven Tatseite durch die Strafkammer, selbst unter Berücksichtigung seiner selbstbezogenen Persönlichkeit.

Der Körperverletzungsvorwurf bedarf daher erneuter Überprüfung. Da die weiteren Tatbestände tateinheitlich verwirklicht wurden, unterliegt der gesamte Schuldspruch der Aufhebung mit sämtlichen Feststellungen.

Eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB) drängt sich nach den bisherigen Feststellungen aus den hierzu von der Strafkammer im angefochtenen Urteil - als obiter dictum - mitgeteilten Gründen nicht auf. Bedingter Tötungsvorsatz liegt fern. Ob die psychischen Belastungen der Nebenklägerin einen solchen pathologischen Zustand zur Folge hatten, daß dies als Gesundheitsbeschädigung im Sinne von § 223 StGB zu bewerten ist, wird die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer erneut zu bewerten haben.

Ende der Entscheidung

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