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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 01.07.1998
Aktenzeichen: 1 StR 183/98
Rechtsgebiete: StGB 1975, StGB i.d.F. des 6. StrRG


Vorschriften:

StGB 1975 § 250 Abs. 1
StGB i.d.F. des 6. StrRG § 250 Abs. 1 Nr. 1a und 1b, Abs. 2 Nr. 1 F.
StGB 1975 § 250 Abs. 1 StGB i.d.F. des 6. StrRG § 250 Abs. 1 Nr. 1a und 1b, Abs. 2 Nr. 1 F:

Als "Waffe" oder "anderes gefährliches Werkzeug" wird in § 250 Abs. 1 Nr. 1a und Abs. 2 Nr. 1 StGB nF nur ein objektiv gefährliches Tatmittel erfaßt, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im konkreten Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen (hier: ungeladene echte Schußwaffe).

BGH, Urteil vom 1. Juli 1998 - 1 StR 183/98 - LG Landshut


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 StR 183/98

vom

1. Juli 1998

In der Strafsache

gegen

wegen Raubes u. a.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 30. Juni 1998 in der Sitzung am 1. Juli 1998, an denen teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer

und die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Granderath, Dr. Wahl, Dr. Boetticher, Landau,

Richter am Oberlandesgericht als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Verteidiger in der Verhandlung vom 30. Juni 1998,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 25. September 1997 im Strafausspruch zum Fall II. 2 der Urteilsgründe und im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung und wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seinem auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützten Rechtsmittel. Die Revision hat lediglich im Strafausspruch zum Fall II. 2 der Urteilsgründe und im Ausspruch über die Gesamtstrafe Erfolg; im übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgezeigt.

I. Zu den Verfahrensrügen

Der Erörterung bedarf nur folgendes:

1. Die Aufklärungsrüge, mit der beanstandet wird, das Landgericht habe es unterlassen, den in Ungarn lebenden früheren Mittäter zu vernehmen, entspricht nicht den Formerfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Revision trägt nicht vor, welches konkrete Ergebnis von der unterlassenen Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre.

2. Die weitere Aufklärungsrüge des Angeklagten, verbunden mit der Rüge, seine Verteidigung sei unzulässig behindert worden, wonach es die Strafkammer unterlassen habe, das Alter der Zeugin W. zu erfragen, ist jedenfalls unbegründet. Die Revision legt nicht dar, welche Zweifel sie an der Identität der Zeugin hat und inwieweit in der Unterlassung eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung liegen soll.

II. Zur Sachrüge

Auf die Sachrüge ist allein im Fall II. 2 der Urteilsgründe zu erörtern, ob der durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) vom 26. Januar 1998, in Kraft seit 1. April 1998, eingeführte § 250 StGB nF gegenüber der zur Tatzeit geltenden Fassung das mildere Gesetz im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB ist. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen ist dies im Ergebnis zu bejahen.

Der Angeklagte und ein Mittäter bedrohten bei einem Banküberfall die Angestellten jeweils mit echten, aber ungeladenen Schußwaffen. Die bedrohten Angestellten gingen von scharfen Schußwaffen aus. Die Waffen sollten nicht als Schlagwerkzeuge eingesetzt werden.

1. Das Landgericht hat zutreffend die Einzelstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten im Fall II. 2 dem Strafrahmen des zur Tatzeit geltenden § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB aF entnommen. Dieser sah eine Freiheitsstrafe von nicht unter fünf Jahren vor, "wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub eine Waffe oder sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand eines anderen durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden". Die Anwendbarkeit des § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF hat die Strafkammer verneint, weil dieser voraussetzte, daß "der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub eine Schußwaffe bei sich führt". Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs war insoweit erforderlich, daß die Schußwaffe einsatzfähig war; wenn sie nicht geladen war, mußte die Munition "griffbereit" sein (BGH StV 1987, 67; 1982, 574, 575).

2. Nach § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB nF wird nunmehr der Täter mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft, wenn er (oder ein anderer Beteiligter am Raub) "eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt". Derselbe Strafrahmen ist in § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB nF vorgesehen, wenn der Räuber "sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern. oder zu überwinden". Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist dagegen nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nF zu erkennen, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub "bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet".

Angesichts dieser Neufassung ist für die Frage, ob der Fall II. 2 der Urteilsgründe nach dem nunmehr geltenden Recht milder beurteilt werden kann, maßgebend, ob die vom Angeklagten verwendeten ungeladenen Schußwaffen dem Waffenbegriff des § 250 Abs. 1 Nr. 1a und Abs. 2 Nr. 1 StGB nF unterfallen. Der Senat verneint dies und hält insoweit den vom Gesetzgeber als Auffangtatbestand konzipierten § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB nF für anwendbar (ebenso der 2. Strafsenat, Beschl. vom 17. Juni 1998 - 2 StR 167/98). Er läßt jedoch offen, wie zu entscheiden wäre, wenn es um eine ungeladene funktionsfähige Schußwaffe gegangen wäre, deren Munition griffbereit gewesen wäre und die daher kurzfristig schußbereit hätte gemacht werden können.

a) Allerdings würde es der Gesetzeswortlaut zulassen, auch ungeladene echte Schußwaffen zu den "Waffen" zu zählen und damit unter § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nF zu subsumieren.

b) Eine solche Auslegung scheidet indes aus, weil der Gesetzgeber erkennbar solche "Waffen" - die nach altem Recht unter den Begriff der "Scheinwaffen" fielen (was für die Strafzumessung bedeutsam war) - nur dem Auffangtatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB nF zuordnen wollte.

Dafür spricht, daß der Gesetzgeber in der Neufassung der §§ 244 Abs. 1 Nr. 1a und 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB die "Schußwaffe" durch das Begriffspaar "Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug" ersetzt hat. Danach sollen nunmehr alle Tatmittel erfaßt sein, die nach ihrer objektiven Beschaffenheit und nach der Art ihrer Benutzung im konkreten Einzelfall geeignet sind, erhebliche Verletzungen zuzufügen. Dieselbe Gleichstellung erfolgt in § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nF, der daher im gleichen Sinne zu verstehen ist.

Daß der Gesetzgeber diese Abstufung zwischen objektiv gefährlichen und objektiv ungefährlichen Tatmitteln gewollt hat, läßt sich im übrigen mit seiner ausdrücklich in den Gesetzesmaterialien erklärten Zielsetzung vereinbaren, bloße Spielzeugpistolen oder Pistolenattrappen, die beim Opfer nach dem Willen des Täters eine subjektive Zwangswirkung haben sollen, lediglich als "Werkzeug oder Mittel" im Sinne des Auffangtatbestands des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB nF einzustufen und damit letztlich der diesbezüglich verbreiteten Annahme minder schwerer Fälle für die Zukunft entgegenzuwirken (vgl. Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 13. November 1997, BT-Drucks. 13/9064 S. 18; BGH, Beschl. vom 23. April 1998 - 1 StR 180/98).

c) Hinzu kommt, daß § 250 Abs. 1 StGB nF für beide Ziffern Nr. 1a und Nr. 1b denselben Strafrahmen von drei bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe zur Verfügung stellt. Diese Gleichstellung findet ihre Rechtfertigung darin, daß die Nr. 1b das "Beisichführen" eines objektiv ungefährlichen Tatmittels genügen läßt, zusätzlich aber die Absicht verlangt, "den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden", während die den Unwert erhöhende Funktion dieser Gebrauchsabsicht in der Nr. 1a ausgeglichen wird durch die dort erforderliche objektive Gefährlichkeit des Tatmittels.

d) Diese Auslegung steht auch nicht im Widerspruch zum Wortlaut des § 250 Abs. 2 Nr. 2 StGB nF. Denn der Gesetzgeber wollte hier der besonderen Gefährlichkeit bewaffneter Räuberbanden Rechnung tragen (vgl. Bericht des Rechtsausschusses aaO S. 18).

e) Dies führt schließlich angesichts des (auch) für Fälle des Abs. 1 Nr. 1b vorgesehenen Strafrahmens von drei bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe nicht zu kriminalpolitisch unerwünschten Ergebnissen. Dieser Strafrahmen läßt für die Verhängung einer unrechts- und schuldangemessenen Strafe genügend Raum. Das gilt insbesondere auch dann, wenn Tatmodalitäten vorliegen, die über das tatbestandlich erforderliche Verhalten hinausgehen. Derartige Modalitäten dürfen strafschärfend verwertet werden. In dieser Hinsicht wird in Fällen des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB nF etwa Bedeutung erlangen können, wenn ein Täter das Tatmittel nicht nur bei sich führt, sondern sogar verwendet. Ebenso unrechtserhöhend wird es sich auswirken können, wenn der Täter es nicht beim "Beisichführen" einer Spielzeugpistole oder Pistolenattrappe beläßt, sondern statt dessen eine zwar ungeladene, aber echte Schußwaffe bei sich hat oder wenn er gar gegen ein weiteres Gesetz wie das Waffengesetz verstößt.

3. Gehört damit eine objektiv ungefährliche Schußwaffe, die entweder nicht geladen oder aus anderen Gründen nicht bestimmungsgemäß einsatzfähig ist, in den Auffangtatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB nF, so kann im Hinblick auf dessen erheblich geringere Mindeststrafe von drei Jahren nicht ausgeschlossen werden, daß sich dies auf die Strafhöhe ausgewirkt hat. Über die Strafe ist deshalb neu zu befinden. Auch der Ausspruch über die Gesamtstrafe hat keinen Bestand.

Ende der Entscheidung

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