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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 01.07.1998
Aktenzeichen: 1 StR 185/98
Rechtsgebiete: StGB 1975, StGB i.d.F. des 6. StrRG
Vorschriften:
StGB 1975 § 250 Abs. 1 | |
StGB i.d.F. des 6. StrRG § 250 Abs. 1 Nr. 1a und 1b, Abs. 2 Nr. 1 F |
Als "Waffe" oder "anderes gefährliches Werkzeug" wird in § 250 Abs. 1 Nr. 1a und Abs. 2 Nr. 1 StGB nF nur ein objektiv gefährliches Tatmittel erfaßt, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im konkreten Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen (hier: ungeladene Gas-/Schreckschußpistole).
BGH, Urt. Vom 1. Juli 1998 - 1 StR 185/98 - LG Stuttgart
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
vom
1. Juli 1998
In der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen schweren Raubes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 30. Juni 1998 in der Sitzung am 1. Juli 1998, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Granderath, Dr. Wahl, Dr. Boetticher, Landau,
Staatsanwältin als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten in der Verhandlung vom 30. Juni 1998,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Angeklagten Y. und A. wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 3. Dezember 1997, soweit es sie betrifft, im Strafausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten des gemeinschaftlich begangenen schweren Raubes schuldig gesprochen. Der Angeklagte Y. ist zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Darüber hinaus ist ihm die Fahrerlaubnis entzogen worden, sein Führerschein ist eingezogen und ihm darf vor Ablauf von zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden. Der Angeklagte A. ist zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Die auf die Sachrüge gestützten Rechtsmittel der Angeklagten haben hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg.
I. Auf die Sachrüge ist allein zu erörtern, ob der durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) vom 26. Januar 1998, in Kraft seit 1. April 1998, eingeführte § 250 StGB nF gegenüber der zur Tatzeit geltenden Fassung das mildere Gesetz im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB ist. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen ist dies im Ergebnis zu bejahen.
Danach bedrohte der Angeklagte Y. bei Begehung der gemeinsamen Tat mit Wissen und Wollen des Angeklagten A. und zweier weiterer Beteiligter bei einem Überfall auf einen Lebensmittelmarkt den Marktleiter mit einer durchgebohrten ungeladenen Gas/Schreckschußpistole der Marke Umarex Browning, Kaliber 8 mm. Der Angeklagte betätigte mehrfach den Abzug, so daß der Marktleiter, der sich auf den Boden legen mußte, Todesangst erlitt. Er hielt die Waffe für echt und schußbereit und deutete das Klicken so, es werde mit ihm "Russisches Roulette" gespielt. Die Waffe sollte nicht als Schlagwerkzeug eingesetzt werden.
1. Das Landgericht hat zutreffend die Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten für den Angeklagten Y. sowie die Freiheitsstrafe von fünf Jahren für den Angeklagten A. dem Strafrahmen des zur Tatzeit geltenden § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB aF entnommen. Dieser sah eine Freiheitsstrafe von nicht unter fünf Jahren vor, "wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub eine Waffe oder sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand eines anderen durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden". Die Anwendbarkeit des § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF, wonach "der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub eine Schußwaffe bei sich führt", hat die Strafkammer verneint. Zwar war auch eine im Lauf durchbohrte Gas-/Schreckschußpistole als Schußwaffe im Sinne dieser Vorschrift anzusehen (BGH NStZ 1981, 301). Doch verlangte der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, daß die Schußwaffe einsatzfähig war; wenn sie nicht geladen war, mußte die Munition "griffbereit" sein (BGH StV 1987, 67; 1982, 574, 575) .
2. Nach § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB nF wird nunmehr der Täter mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft, wenn er (oder ein anderer Beteiligter am Raub) "eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt". Derselbe Strafrahmen ist in § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB nF vorgesehen, wenn der Räuber "sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden". Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist dagegen nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nF zu erkennen, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub "bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet".
Angesichts dieser Neufassung ist für die Frage, ob die Tat nach dem nunmehr geltenden Recht milder beurteilt werden kann, maßgebend, ob die von den Angeklagten verwendete ungeladene Gas-/Schreckschußpistole dem Waffenbegriff des § 250 Abs. 1 Nr. 1a und Abs. 2 Nr. 1 StGB nF unterfällt. Der Senat verneint dies und hält insoweit den vom Gesetzgeber als Auffangtatbestand konzipierten § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB nF für anwendbar (ebenso der 2. Strafsenat, Beschl. vom 17. Juni 1998 - 2 StR 167/98). Er läßt jedoch offen, wie zu entscheiden wäre, wenn es um eine ungeladene Gas-/Schreckschußpistole mit durchbohrtem Lauf gegangen wäre, deren Munition griffbereit gewesen wäre und die daher kurzfristig schußbereit hätte gemacht werden können.
a) Allerdings würde es der Gesetzeswortlaut zulassen, auch ungeladene Gas-/Schreckschußpistolen zu den "Waffen" zu zählen und damit unter § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nF zu subsumieren.
b) Eine solche Auslegung scheidet indes aus, weil der Gesetzgeber erkennbar solche "Waffen" - die nach altem Recht unter den Begriff der "Scheinwaffen" fielen (was für die Strafzumessung bedeutsam war) - nur dem Auffangtatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB nF zuordnen wollte.
Dafür spricht, daß der Gesetzgeber in der Neufassung der §§ 244 Abs. 1 Nr. 1a und 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB die "Schußwaffe" durch das Begriffspaar "Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug" ersetzt hat. Danach sollen nunmehr alle Tatmittel erfaßt sein, die nach ihrer objektiven Beschaffenheit und nach der Art ihrer Benutzung im konkreten Einzelfall geeignet sind, erhebliche Verletzungen zuzufügen. Dieselbe Gleichstellung erfolgt in § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nF, der daher im gleichen Sinne zu verstehen ist.
Daß der Gesetzgeber diese Abstufung zwischen objektiv gefährlichen und objektiv ungefährlichen Tatmitteln gewollt hat, läßt sich im übrigen mit seiner ausdrücklich in den Gesetzesmaterialien erklärten Zielsetzung vereinbaren, bloße Spielzeugpistolen oder Pistolenattrappen, die beim Opfer nach dem Willen des Täters eine subjektive Zwangswirkung haben sollen, lediglich als "Werkzeug oder Mittel" im Sinne des Auffangtatbestands des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB nF einzustufen und damit letztlich der diesbezüglich verbreiteten Annahme minder schwerer Fälle für die Zukunft entgegenzuwirken (vgl. Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 13. November 1997, BT-Drucks. 13/9064 S. 18; BGH, Beschl. vom 23. April 1998 - 1 StR 180/98).
c) Hinzu kommt, daß § 250 Abs. 1 StGB nF für beide Ziffern Nr. 1a und Nr. 1b denselben Strafrahmen von drei bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe zur Verfügung stellt. Diese Gleichstellung findet ihre Rechtfertigung darin, daß die Nr. 1b das "Beisichführen" eines objektiv ungefährlichen Tatmittels genügen läßt, zusätzlich aber die Absicht verlangt, "den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden", während die den Unwert erhöhende Funktion dieser Gebrauchsabsicht in der Nr. 1a ausgeglichen wird durch die dort erforderliche objektive Gefährlichkeit des Tatmittels.
d) Diese Auslegung steht auch nicht im Widerspruch zum Wortlaut des § 250 Abs. 2 Nr. 2 StGB nF. Denn der Gesetzgeber wollte hier der besonderen Gefährlichkeit bewaffneter Räuberbanden Rechnung tragen (vgl. Bericht des Rechtsausschusses aaO S. 18).
e) Dies führt schließlich angesichts des (auch) für Fälle des Abs. 1 Nr. 1b vorgesehenen Strafrahmens von drei bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe nicht zu kriminalpolitisch unerwünschten Ergebnissen. Dieser Strafrahmen läßt für die Verhängung einer unrechts- und schuldangemessenen Strafe genügend Raum. Das gilt insbesondere auch dann, wenn Tatmodalitäten vorliegen, die über das tatbestandlich erforderliche Verhalten hinausgehen. Derartige Modalitäten dürfen strafschärfend verwertet werden. In dieser Hinsicht wird in Fällen des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB nF etwa Bedeutung erlangen können, wenn ein Täter das Tatmittel nicht nur bei sich führt, sondern sogar verwendet. Ebenso unrechtserhöhend wird es sich auswirken können, wenn der Täter es nicht beim "Beisichführen" einer Spielzeugpistole oder Pistolenattrappe beläßt, sondern statt dessen eine zwar ungeladene, aber grundsätzlich schußfähige Gas-/Schreckschußpistole bei sich hat oder wenn er gar gegen ein weiteres Gesetz wie das Waffengesetz verstößt.
2. Gehört damit eine objektiv ungefährliche Schußwaffe, die entweder nicht geladen oder aus anderen Gründen nicht einsatzfähig ist, in den Auffangtatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB nF, so kann im Hinblick auf die erheblich geringere Mindeststrafe des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB von drei Jahren nicht ausgeschlossen werden, daß sich dies auf die Strafhöhe ausgewirkt hat. Über die Strafen beider Angeklagten ist deshalb neu zu befinden.
II. Von einer Erstreckung der Urteilsaufhebung gemäß § 357 StPO auf die früheren Mitangeklagten T. Y. und I. L., die nicht Revision eingelegt haben, war abzusehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Erstreckung der Urteilsaufhebung nicht möglich, wenn das Urteil im Zeitpunkt des Erlasses rechtsfehlerfrei war und die Urteilsaufhebung hinsichtlich des Revisionsführers auf einer gemäß § 354a StPO vom Revisionsgericht zu beachtenden inzwischen eingetretenen Gesetzesänderung beruht (BGHSt 41, 6, 7; 20, 77, 78).
Ende der Entscheidung
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