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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 23.06.2009
Aktenzeichen: 1 StR 191/09
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 21
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat

in der Sitzung vom 23. Juni 2009,

an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Nack und

der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Kolz,

die Richterin am Bundesgerichtshof Elf,

die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger, Prof. Dr. Sander,

Staatsanwältin als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Vertreter des Nebenklägers sowie

der Nebenkläger persönlich,

Rechtsanwalt , Rechtsanwalt als Verteidiger,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 5. November 2008 werden verworfen.

2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

3. Der Nebenkläger hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Mit ihren jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen beanstanden die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger, dass das Landgericht einen Tötungsvorsatz nicht für erwiesen erachtet und den Angeklagten deshalb nicht wegen Totschlags verurteilt habe. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

1.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

a)

Der Angeklagte und S. , das spätere Tatopfer, waren in der Nacht zum 25. Dezember 2007 als Gäste auf einer Party des Zeugen E. , die in der Wohnung von dessen verreisten Eltern stattfand. Auf dieser Party nahmen der Angeklagte und S. in erheblichem Maß Alkohol (Wodka und Bier) zu sich. Außerdem verbrachten sie und ein weiterer männlicher Partygast, der wie der Angeklagte und S. ohne weibliche Begleitung gekommen war, ihre Zeit damit, mit nackten Oberkörpern an einem Fitnessgerät in einem Nebenraum zu "spielen" oder auf dem Boden miteinander zu "catchen". Der Angeklagte fiel hierbei durch seine grundlose verbale Aggressivität gegenüber den übrigen Partygästen auf, so dass der Gastgeber mehrfach beruhigend auf ihn einwirken musste.

Gegen 2.30 Uhr rangen der Angeklagte und S. miteinander auf dem Wohnzimmerboden. Der Zeuge B. , ein weiterer Partygast, trennte die beiden stark alkoholisierten Kontrahenten, wobei er sich bei der anschließenden Auseinandersetzung mit dem Angeklagten, dessen Blutalkoholkonzentration zu diesem Zeitpunkt bei maximal 2,97 Promille lag, leichte Verletzungen an Nase und Rücken zuzog. S. , der zunächst das Wohnzimmer verlassen hatte, kam zurück und versetzte dem Angeklagten einen Stoß, so dass dieser auf einen Couchtisch mit Glasfläche fiel. Hierdurch kippte der Tisch nach hinten in Richtung Wand; das Glas zersplitterte, wodurch sich unmittelbar um den Glastisch ein "Splitterfeld" mit zum Teil mehreren Zentimeter langen und breiten Glassplittern bildete. Der Angeklagte empfand den Stoß als demütigend und wollte sich hierfür rächen. Er stand sofort auf, nahm einen der Glassplitter und stach ihn unmittelbar mit der linken Hand von oben nach unten mit großer Wucht in S. s rechte Halsseite, um diesen zu verletzen. Die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war zu diesem Zeitpunkt aufgrund seiner Alkoholisierung in Verbindung mit seiner affektiven Erregung erheblich beeinträchtigt im Sinne des § 21 StGB. Durch den Stich wurden die rechte innere Doppelvene, die rechte Unterschlüsselbeinarterie und die fast zehn Zentimeter unter dem Halsansatz liegende rechte Pleurakuppel von S. durchtrennt. Das Blut spritzte wie eine Fontäne aus der Wunde. S. ging zu Boden und verstarb innerhalb der nächsten fünf Minuten an den Verletzungsfolgen.

Der Angeklagte war über die Folgen des Stiches zutiefst erschrocken. Er bemühte sich, die Blutung bei seinem Opfer mit einem Handtuch zu stillen. Außerdem telefonierte er zweimal mit dem Notruf der Polizei und drängte darauf, dass der Rettungsdienst möglichst schnell zu Hilfe kommen sollte. Als der Notarzt um 2.40 Uhr am Einsatzort eintraf, stand der Angeklagte nur mit Unterhose und Socken bekleidet und in einem "völlig aufgelösten Zustand" auf der Straße, um die Rettungskräfte darauf hinzuweisen, dass sich der schwer verletzte S. oben in der Wohnung befinde. Nachdem der Notarzt in der Wohnung festgestellt hatte, dass S. an den Verletzungsfolgen bereits verstorben war, forderte der Angeklagte den Arzt beharrlich auf, seine Wiederbelebungsversuche fortzusetzen, weil er sich mit dem Tod seines Opfers nicht abfinden wollte. Dem Notarzt gelang es dabei nur sehr mühsam, den Angeklagten davon zu überzeugen, dass S. nicht mehr zu retten war. Anschließend nahm der Angeklagte von dem toten S. Abschied, nachdem er zuvor einen der Polizisten diesbezüglich um Erlaubnis gebeten hatte.

b)

Das Landgericht hat sich trotz der Gefährlichkeit der Gewalthandlung von einem auch nur bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten nicht zu überzeugen vermocht. Zwar sei für den Angeklagten vorhersehbar gewesen, "dass ein mit Wucht in die Halsregion des S. geführter Stich dessen Tod zur Folge haben könnte" (UA S. 9). Es sei aber nicht auszuschließen, dass die erhebliche alkoholische Enthemmung des Angeklagten und sein Erregungszustand trotz der objektiven Gefährlichkeit seines Tuns zu der - vermeidbaren -Fehleinschätzung geführt habe, sein Handeln würde nicht zum Tod S. s führen. Dabei hat das sachverständig beratene Landgericht angenommen, dass der Geschehensablauf das Vorliegen eines affektiven Erregungszustands bei dem Angeklagten nahe legen würde, da dieser zunächst von S. auf den Glastisch gestoßen worden sei und das wuchtige Zustechen mit der Glasscherbe in den Hals des Opfers als unmittelbare Reaktion des Angeklagten hierauf anzusehen sei. Schließlich hat das Landgericht das Nachtatverhalten des "über die Folgen seines Stichs zutiefst erschrockenen" (UA S. 9) Angeklagten - insbesondere den Inhalt der Notruftelefonate - als gewichtiges Indiz dafür herangezogen, dass der Angeklagte den Tod des S. weder wollte noch in seine Vorstellung aufgenommen oder gebilligt hatte, als er zustach (UA S. 25).

2.

Die Beweiswürdigung, auf deren Grundlage das Landgericht die Annahme eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes - in dubio pro reo - verneint hat, hält der rechtlichen Überprüfung stand. Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (BGHSt 21, 149, 151). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 16; BGH StV 1994, 580). Konnte sich das Tatgericht von der Täterschaft oder vom Vorsatz des Angeklagten nicht überzeugen, prüft das Revisionsgericht auch, ob das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 25 und Beweiswürdigung 5). Liegen derartige Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Überzeugungsbildung möglich gewesen wäre oder sogar nahe gelegen hätte. So verhält es sich auch hier.

a)

Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Vor der Annahme bedingten Vorsatzes müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissensals auch das Wollenselement, geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGHSt 36, 1, 9 f.; BGH NStZ 2003, 603; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24, 33). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne durch diese zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt, auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungsvorsatz möglich. Dabei ist in der Regel ein Vertrauen des Täters auf das Ausbleiben des tödlichen Erfolges dann zu verneinen, wenn der von ihm vorgestellte Ablauf des Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe kommt, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 38). Es ist jedoch auch in Betracht zu ziehen, dass der Täter im Einzelfall die Gefahr der Tötung nicht erkannt hat oder jedenfalls darauf vertraut haben könnte, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 50). Insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt nicht stets geschlossen werden, dass auch das - selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (vgl. BGH NStZ 2003, 603, 604; BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 4).

b)

Die Beweiswürdigung des Landgerichts, das diese Grundsätze beachtet hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer hat das Landgericht bei der Prüfung der Frage, ob der Angeklagte mit Tötungsvorsatz gehandelt hat, auch nicht die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung überspannt. Vielmehr hält sich die Überzeugungsbildung zum Tatvorsatz noch im Rahmen des Beurteilungsspielraums des Tatrichters.

Allerdings liegt es angesichts der erheblichen Gefährlichkeit des Stichs mit der Glasscherbe, den der Angeklagte mit erheblicher Wucht ausführte und der zehn Zentimeter tief in den Hals des Getöteten eindrang, sehr nahe, dass der Angeklagte beim Zustechen mit der Möglichkeit einer tödlichen Verletzung rechnete und diese auch billigend in Kauf nahm. Dies hat das Landgericht aber erkannt. Im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung, in die es die Besonderheiten des vorliegenden Falles einbezogen hat, legt es dar, aus welchen Gründen es sich trotz der erheblichen Gefährlichkeit der Gewalthandlung gleichwohl keine Überzeugung von einem zumindest bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten verschaffen konnte.

Als gewichtigen Umstand gegen die Annahme, der Angeklagte habe beim Zustechen mit der Glasscherbe den Tod des Opfers billigend in Kauf genommen, bezeichnet das Landgericht die erhebliche Alkoholisierung des Angeklagten, die zu einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB geführt hat. Nach den Urteilsfeststellungen konnte die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit 2,97 Promille betragen haben.

Schon vor der Tatbegehung zeigte der Angeklagte ein alkoholbedingtes auffälliges und enthemmtes Verhalten, indem er wiederholt grundlos verbal aggressiv auftrat und mit anderen männlichen Partygästen mit nacktem Oberkörper auf dem Fußboden raufte.

Als weiteren gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatz beim Angeklagten sprechenden - freilich eher ambivalenten - Umstand nennt das Landgericht, den Ausführungen eines psychiatrischen Sachverständigen folgend, die Tatsache, dass sich der Angeklagte bei der Tatbegehung in einem "wut- und aggressionsbedingten Erregungszustand" befand. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Geschehensablauf war der Angeklagte über die ihm zugefügte Demütigung, den Stoß auf den Couchtisch, so verärgert, dass er spontan zu der Glasscherbe griff und aus Wut S. - ohne genauere Überlegung - den tödlichen Stich zufügte.

Schließlich hat das Landgericht auch das Nachtatverhalten des Angeklagten als Gesichtspunkt dafür herangezogen, dass er den Tod des Opfers nicht wollte. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Der Angeklagte bemühte sich unmittelbar nach dem Zustechen um die Rettung des Opfers vor dem Tod, indem er versuchte, die Blutung mit Hilfe eines Handtuchs zu stillen, und indem er sich aktiv an der Verständigung und Unterrichtung des Notarztes beteiligte. Zwar kann ein solches Nachtatverhalten auch bloß Ausdruck einer spontanen Ernüchterung des Täters sein, der sich angesichts der sichtbaren Tatfolgen der Verantwortung für seine Tat entziehen will. Eine solche - nach einer Prüfung unter Beachtung des Zweifelsgrundsatzes mögliche (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 141, 142) - Annahme, war hier aber nicht so nahe liegend, dass es einer ausdrücklichen Erörterung dieser Möglichkeit nicht bedurfte. Es begegnet deshalb keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht angesichts des "aufgelösten Zustands" des Angeklagten beim Eintreffen des Notarztes, der Beharrlichkeit, mit der er auf den Notarzt einwirkte, damit dieser seine Rettungsbemühungen fortsetzen sollte, und des noch am Tatort geäußerten Wunschs des Angeklagten, sich von dem toten S. verabschieden zu dürfen, nicht bloß als Reue gewertet hat. Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht damit auch hinreichend deutlich seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass dem Angeklagten im Zeitpunkt des Zustechens ein möglicher Tod des Opfers nicht gleichgültig war (vgl. dazu BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51).

Angesichts der vom Landgericht aufgezeigten besonderen Umstände stellt es jedenfalls keine Überspannung der an die tatrichterliche Überzeugung zu stellenden Anforderungen dar, dass das Landgericht hier trotz der erheblichen Gefährlichkeit der Tatausführung verbliebene Zweifel an einem Tötungsvorsatz des Angeklagten nicht zu überwinden vermochte (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 141). Da auch sonst Rechtsfehler in der Beweiswürdigung nicht vorhanden sind, hat der Senat hinzunehmen, dass sich das Landgericht keine Überzeugung von einem zumindest bedingten Tatvorsatz verschaffen konnte. Es ist ihm verwehrt, die Beweiswürdigung des Landgerichts durch eine eigene Beweiswürdigung zu ersetzen, selbst wenn ein anderes Ergebnis wirklichkeitsnäher erscheinen könnte.

Ende der Entscheidung

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