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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 05.11.2002
Aktenzeichen: 1 StR 254/02
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 265 | |
StPO § 200 Abs. 1 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
vom
5. November 2002
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. November 2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 22. Februar 2002 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen 42 Fällen des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes und wegen eines Falles des schweren sexuellen Mißbrauch eines Kindes zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Angeklagte nahm den getroffenen Feststellungen zufolge in der Zeit vom 1. Juli 1995 bis zum Sommer 1998 in 43 Fällen sexuelle Handlungen an seiner am 27. April 1988 geborenen Stieftochter J. M. vor. Dabei handelte es sich um 42 Fälle des Oralverkehrs und einen Fall des versuchten Vaginal- oder Analverkehrs. Die Revision des Angeklagten meint, es fehle an einer wirksamen Anklageerhebung; überdies beanstandet sie eine Verletzung der richterlichen Hinweispflicht und rügt allgemein die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
Es besteht kein Verfahrenshindernis. Die zugelassene Anklage erfüllt die gesetzlichen Anforderungen und ist wirksam (§ 200 Abs. 1 StPO).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt beim Vorwurf einer Vielzahl sexueller Übergriffe gegen ein Kind die Anklage regelmäßig den gesetzlichen Erfordernissen, wenn in ihr das Tatopfer, der Tatzeitraum, die Art und Weise der Tatbegehung in den Grundzügen und die Höchstzahl der vorgeworfenen Taten mitgeteilt werden (vgl. nur BGHSt 40, 44, 46 f.; BGH NStZ 1996, 295, 296; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 23). Diesen Konkretisierungs- und Umgrenzungsanforderungen wird die Anklage hier gerecht. Sie enthält - unter Einschluß des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen (vgl. dazu nur BGHSt 46, 130, 134) - neben der unverwechselbaren Bezeichnung des kindlichen Opfers genaue Begrenzungen der einzelnen Tatzeiträume, die sich hinsichtlich der Tatorte - abgesehen von den letzten beiden Fällen - an den jeweiligen verschiedenen Wohnungen des Angeklagten orientieren. Die ersten Fälle (Fallgruppen 1., 2., 3. und 4. der Anklage = 2.1., 2.2., 2.3. der Urteilsgründe) ereigneten sich jeweils in den Wohnungen des Angeklagten in der F. straße 8, der Ki. straße 4 und der O. straße 38 a in K. ; sie lassen sich aufgrund der Wohnungswechsel datumsmäßig zweifelsfrei nach Zeiträumen erschließen. Ohne weiteres individualisierbar sind auch die letzten beiden Taten nach dem 25. Oktober 1997 auf einem "Jägerstand" im Wald zwischen G. und B. sowie im Sommer 1998 während eines Italienurlaubs in der Nähe von L. . Daß das Tatgeschehen - abgesehen von einem Fall des versuchten Anal- oder Vaginalverkehrs - lediglich als "Oralverkehr" des Kindes am Angeklagten charakterisiert wird, ist ersichtlich Folge des immer wieder gleich oder sehr ähnlich ablaufenden Geschehens, geht aber über das Abstraktionsniveau eines gesetzlichen Merkmals der Strafvorschrift hinaus. Dies reichte hier. Daß die Taten in der Anklageschrift möglicherweise ausführlicher hätten geschildert werden können, ändert daran nichts.
II.
1. Die Anklage genügt überdies ihrer Informationsfunktion. Ein nachbessernder richterlicher Hinweis - der übrigens nicht protokollierungspflichtig gewesen wäre - war nicht geboten (vgl. BGH NStZ 1996, 95; NJW 1999, 802, 803). Das gilt zumal im Blick darauf, daß im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen ausdrücklich auf die "glaubwürdige Aussage" der Geschädigten, das aussagepsychologische Gutachten und in diesem Zusammenhang auf Entstehung und Konstanz der Aussage sowie die Demonstrierbarkeit der Handlungen abgehoben wird. Die Revision trägt zudem selbst vor, daß die Geschädigte bereits bei der Polizei die Tatserien konkreter als in der Anklage wiedergegeben geschildert hat und die Anklage das folglich hätte aufgreifen können. Auch im Urteil wird weiter die Aussagekonstanz zwischen den Angaben der Geschädigten bei der Polizei, der Sachverständigen und vor dem Tatrichter betont. Der Angeklagte und die Verteidigung konnten von den Urteilsfeststellungen mithin nicht überrascht sein.
2. Von einer hinweispflichtigen Veränderung der Beweis- oder sonstigen Sachlage in der Hauptverhandlung kann danach keine Rede sein (§ 265 StPO; BGHSt 44, 153, 157; BGH NJW 1999, 802, 803). Die in den Urteilsfeststellungen hinsichtlich einiger Taten enthaltenen weiteren Einzelheiten kennzeichnen lediglich den Tatablauf näher. So stellt das Landgericht zur Fallgruppe 2.1. fest, die Taten hätten sich im Wohnzimmer ereignet, wobei der Angeklagte mit dem Rücken auf dem Sofa gelegen und J. vor ihm auf dem Fußboden gekniet habe. Ein Vorfall, der versuchte Vaginal- oder Analverkehr, trug sich im Elternschlafzimmer zu. Bei der Fallgruppe 2.2. ist zu einem der mindestens sieben Fälle ergänzend festgestellt, daß der Angeklagte die Geschädigte vom Sofa warf, weil sie seinem Verlangen, seinen Samen zu schlucken, nicht nachkommen wollte. Bei einem Fall der Fallgruppe 2.3. war der Neffe des Angeklagten zugegen, bei dem die Geschädigte ebenfalls den Oralverkehr durchführte.
3. Der Senat entnimmt darüber hinaus den Urteilsgründen, daß der Angeklagte und die Verteidigung die in Rede stehenden Feststellungen zu den Tatmodalitäten auch dem Gang der Hauptverhandlung entnehmen und sich deshalb auf diese einstellen konnten. Deswegen sind auch sonst Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt. Zu Inhalt und Ergebnissen einzelner Beweiserhebungen muß sich der Tatrichter grundsätzlich nicht vorab erklären (vgl. BGHR StPO § 265 Abs. 4 Hinweispflicht 14). Da die Geschädigte schon im Ermittlungsverfahren bei Polizei und Sachverständiger die zum Teil konkretere Darstellung der Taten gegeben hatte, die sie in der Hauptverhandlung wiederholt hat, ist auch auszuschließen, daß das Urteil auf einem unterstellten Verstoß gegen eine Hinweispflicht beruhen könnte.
III.
Die sachlich-rechtliche Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt.
Ende der Entscheidung
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