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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 23.08.2006
Aktenzeichen: 1 StR 266/06
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 301 | |
StPO § 400 Abs. 1 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
vom 23. August 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. August 2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Nack und die Richter am Bundesgerichtshof Schluckebier, Dr. Kolz, Hebenstreit, die Richterin am Bundesgerichtshof Elf,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerin S. G. und des Nebenklägers J. Sa. ,
Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerinnen D. G. und L. Sa. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revisionen der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 1. Dezember 2005 werden verworfen.
Die Nebenkläger tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu der Freiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen beanstanden vier Nebenkläger, dass die Strafkammer das Vorliegen der Mordmerkmale der Heimtücke und der sonstigen niedrigen Beweggründe verneint hat. Den Revisionen muss der Erfolg versagt bleiben.
I.
Am 2. Januar 2005 tötete der Angeklagte gegen 2.00 Uhr seine Ehefrau in der ehelichen Wohnung. Zunächst würgte er sie. Dann schnitt er ihr mit einem Küchenmesser die beiden Halsblutgefäße und die Luftröhre durch.
1. Dies hatte folgenden Hintergrund:
Im Jahre 1994 floh der Angeklagte aus dem Iran nach Deutschland. 1996 heiratete er eine entfernte, elf Jahre jüngere Verwandte im Wege der Fernheirat. Die damals Achtzehnjährige folgte dem Angeklagten nach Deutschland. 1997 kam die gemeinsame Tochter zur Welt. Eine weitere Schwangerschaft im Jahre 2000 wurde abgebrochen. Die Ehe war in die Krise geraten.
Der Angeklagte vermochte nämlich nicht zu akzeptieren, dass sich seine Ehefrau in Kleidung und Verhalten zunehmend dem - aus seiner Sicht zu freizügigen - Leben in Deutschland anpasste. Eifersüchtig - ohne, dass er hierzu hätte Anlass haben können -, kontrollierte er seine Frau umfassend. Wenn der Angeklagte meinte, ein Fehlverhalten feststellen zu müssen, wurde er handgreiflich. Er schlug und würgte sie, einmal zerriss er ihre Kleider. In den Jahren 2000 und 2001 führte dies zu Strafanzeigen der Ehefrau, die sie wieder zurücknahm, nachdem der Angeklagte Besserung versprochen hatte. Im Mai 2004 erstattete sie erneut Strafanzeige wegen Körperverletzung und Vergewaltigung. Der Angeklagte kam in Untersuchungshaft und verlor seinen Arbeitsplatz. Am 20. August 2004 wurde der Haftbefehl mangels dringenden Tatverdachts aufgehoben. Das Ermittlungsverfahren nahm aber seinen Fortgang. Zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Ehefrau wurde ein Gutachten in Auftrag gegeben. Der Angeklagte sah sich durch die Aufhebung des Haftbefehls aber bereits uneingeschränkt rehabilitiert. Nach der Haftentlassung bezeichnete er seine Ehefrau Bekannten gegenüber als "Hure"; er hasse seine Frau, weil sie ihn ins Gefängnis gebracht habe. Er könne es nicht ertragen, wenn sie sich von ihm scheiden lasse. Auch seiner Frau gegenüber äußerte er, er werde sie umbringen, wenn sie ihn verlasse.
Im Juni 2004 hatte die Ehefrau Scheidungsantrag eingereicht. Die gemeinsame Wohnung war ihr zugewiesen worden. Der Angeklagte hatte nach der Haftentlassung eine andere Wohnung bezogen. Er suchte aber weiterhin Kontakt zu seiner Familie und lauerte seiner Ehefrau auf. Es kam dann alsbald zu einvernehmlichen Treffen, zunächst außer Haus; schließlich besuchte die Ehefrau den Angeklagten auch in seiner Wohnung, auch nachts. Ab Oktober 2004 hielt sich der Angeklagte zeitweise wieder in der früheren gemeinsamen Wohnung auf. Anfang November 2004 wurde die Frau des Angeklagten von ihm erneut schwanger. Auch diese Schwangerschaft wurde abgebrochen. Von Ende November/Anfang Dezember an wohnte der Angeklagte wieder dauerhaft bei seiner Ehefrau.
In der zweiten Dezemberhälfte 2004 spitzte sich die Situation zu. Das Gutachten zur Glaubwürdigkeit der Ehefrau des Angeklagten wurde fertig gestellt und attestierte ihren Angaben Glaubhaftigkeit. Und in den letzten Dezembertagen erreichte den Angeklagten die Ladung zur Verhandlung über die Scheidungsklage am 9. Februar 2005.
2. Das Tatgeschehen in der Nacht vom 1. auf den 2. Januar 2005:
Am Abend des 1. Januar 2005 schaute die Familie im Wohnzimmer gemeinsam fern. Die Eltern lagerten auf einer großen Decke auf dem Fußboden. Nachdem die Tochter zu Bett gegangen war, kam es über die Beziehung der Eheleute zu einem Streit, der zunächst leise stattfand, um das Kind nicht aufzuwecken. Die Ehefrau bestand weiterhin auf der Scheidung, was der Angeklagte nicht akzeptieren wollte. Die Auseinandersetzung eskalierte gegen 2.00 Uhr (am 2. Januar 2005) derart, dass der wütende Angeklagte plötzlich den Entschluss fasste, seine Frau zu töten. Neben ihrem Trennungs- und Scheidungswunsch konnte er es nicht ertragen, dass sie gegen ihn den Vorwurf der Vergewaltigung erhoben hatte und aufrechterhielt, weswegen er zweieinhalb Monate im Gefängnis verbracht und seinen Arbeitsplatz verloren hatte. In Ausführung dieses spontan gefassten Tötungsentschlusses würgte der körperlich überlegene Angeklagte seine liegende Frau mit Tötungsabsicht so kräftig, dass die beiden oberen Kehlkopfhörner abbrachen und sie das Bewusstsein verlor. Um sein Vorhaben "sicher" zu vollenden, holte er aus der Küche ein Messer mit einer Klingenlänge von ca. 17 cm, faltete eine Decke zusammen, damit die zu erwartende Blutung ihn und die Wohnung nicht zu stark verunreinigte, und schnitt dann seiner Ehefrau die beiden Halsblutgefäße und die Luftröhre durch, wobei er zweimal ansetzte. Das Opfer verstarb etwa zehn Minuten später infolge Erstickens durch Einatmen des Blutes und infolge Verblutens.
Nachdem der Angeklagte festgestellt hatte, dass seine Ehefrau tot war, deckte er sie mit Decken zu, versuchte vergebens seinen Bruder anzurufen, telefonierte dann zehn Minuten lang mit seiner Schwester, die anschließend die Polizei verständigte, weckte seine Tochter, verließ mit ihr das Haus und verschloss die Haustür. Wenig später wurde er in seinem Fahrzeug festgenommen.
3. Zu den Mordmerkmalen:
a) Die Strafkammer vermochte nicht festzustellen, dass der Angeklagte heimtückisch handelte. Zum einen sah sie sich nicht in der Lage, das genaue Vorgehen des Angeklagten vor und zu Beginn der Tat zu rekonstruieren. Zum anderen habe dem Angeklagten jedenfalls hinsichtlich der äußeren Umstände der Arg- und Wehrlosigkeit - so sie denn vorgelegen hätten - angesichts seines psychischen Zustands das Ausnutzungsbewusstsein gefehlt. Eine bewusste Instrumentalisierung der Situation habe nicht vorgelegen.
b) Das Mordmerkmal der sonstigen niedrigen Beweggründe verneinte die Strafkammer, da aufgrund der differenziert zu sehenden Motivation des Angeklagten, die nicht allein in der Trennungsabsicht seiner Ehefrau ihre Grundlage hatte, die Tat nicht auf sittlich tiefster Stufe einzuordnen sei. Hinzu komme, dass beim Angeklagten nach der Tat suizidale Tendenzen festgestellt worden seien, die Tat somit selbstzerstörerische Züge aufweise. Außerdem fehle es auch insoweit am subjektiven Element. Wegen seiner Gemütslage sei der Angeklagte zur Tatzeit nicht in der Lage gewesen, seine Gefühlsregungen gedanklich zu beherrschen und willentlich zu steuern.
II.
Die Verneinung von Mordmerkmalen hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
1. Zum Mordmerkmal der Heimtücke:
Den Revisionen ist einzuräumen, dass die bei der Sachverhaltsschilderung (UA S. 9, 10) gewählten Formulierungen, wonach der körperlich überlegene Angeklagte bei "plötzlich" und "spontan" gefasstem Tötungsentschluss seine liegende Ehefrau so heftig würgte, dass die oberen Kehlkopfhörner abbrachen und diese das Bewusstsein verlor, auf den ersten Blick nahe legen, dass die Ehefrau vom Angriff des Angeklagten in einer hilflosen Lage überrascht wurde, also arglos und schon deshalb zu einer Abwehr nicht mehr in der Lage war.
Diese Darstellung muss jedoch im Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe gesehen werden. Die Betonung der unmittelbaren Umsetzung des Tatentschlusses soll ersichtlich lediglich unterstreichen, dass die Tötung nicht geplant war. "Auch wenn er sich bereits längere Zeit zuvor gedanklich mit der Tötung seiner Frau beschäftigt hatte, so erfolgte die Tat jedoch ohne Vorbereitung plötzlich aus einer Situation heraus, ohne dass die Kammer feststellen konnte, dass der Angeklagte einen Streit von vornherein zum Anlass nehmen wollte, seine Frau zu töten" (UA S. 28). Demgegenüber hat die Strafkammer an anderer Stelle betont, dass sie Feststellungen zum Geschehen vor und bei Beginn des Angriffs des Angeklagten nicht zu treffen vermochte. Sie legte den zutreffenden rechtlichen Ansatz zugrunde, wonach ein Opfer auch dann arg- und wehrlos ist, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, jenes aber die drohende Gefahr erst im letzten Augenblick erkennt, so dass ihm keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff zu begegnen. Um solches feststellen zu können, "war jedoch das genaue Vorgehen des Angeklagten - insbesondere die Modalitäten des Würgevorgangs - ... zu unklar. Es ist nicht bekannt, ob der Angriff des Angeklagten auf den Hals des Opfers völlig unvermittelt kam oder ob noch die Möglichkeit für dieses bestand, Hilfe zu rufen oder Abwehrbewegungen durchzuführen" (UA S. 26). Auch konnten keine näheren Feststellungen zum Würgeangriff getroffen werden. Bei dieser unsicheren Tatsachenbasis ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Strafkammer zu dem Ergebnis kam, die Ausnutzung von Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers könne schon in objektiver Hinsicht nicht mit dem erforderlichen Maß an Sicherheit festgestellt werden, und deshalb das Vorliegen des Mordmerkmals der Heimtücke verneinte.
2. Zum Mordmerkmal der sonstigen niedrigen Beweggründe:
Die Strafkammer hat nicht verkannt, dass niedrige Beweggründe in der Regel vorliegen, wenn die Verhinderung der Trennung seitens der Partnerin Hauptmotiv der Tötung ist. Die Strafkammer sah hier aber ein facettenreicheres Motivbündel. Der Angeklagte fühlte sich durch die aus seiner Sicht unschuldig erlittene Untersuchungshaft zutiefst gekränkt und um seinen Arbeitsplatz gebracht. Vor allem aber löste das ambivalente Verhalten der Ehefrau ein Wechselbad der Gefühle in ihm aus. Diese hatte zwar in ihren Worten nie Zweifel am Fortbestand ihres Trennungsvorhabens gelassen. Ihrem Verhalten konnte der Angeklagte aber gegenläufige Signale entnehmen, wieder Hoffnung zu schöpfen, die dann bitter enttäuscht wurde. Tatauslösend war daher jedenfalls auch, wie die Generalbundesanwältin schon in ihrer Antragsschrift ausführt, Enttäuschung und Verzweiflung. Wenn die Strafkammer unter diesen Voraussetzungen die spontane Tötungshandlung des psychisch belasteten Angeklagten nicht auf sittlich tiefster Stufe eingeordnet hat, so ist dies rechtsfehlerfrei und vom Revisionsgericht hinzunehmen. Dass die Beschwerdeführer, die Nebenkläger, dies anders sehen, ist verständlich, zumal eine andere Bewertung seitens des Tatgerichts durchaus auch möglich gewesen wäre. Die allein auf die Überprüfung auf Rechtsfehler beschränkte revisionsrechtliche Entscheidung vermag dies jedoch nicht zu ändern.
III.
Die weitere - umfassende - Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge ergab auch sonst keinen hier durchgreifenden Rechtsfehler zu Lasten oder zu Gunsten (§ 301 StPO entsprechend) des Angeklagten.
Zwar haben die Beschwerdeführer zutreffend darauf hingewiesen, dass die Strafkammer rechtsfehlerhaft strafmildernd berücksichtigt hat, "als Ausländer [sei der Angeklagte] besonders haftempfindlich, auch wenn er in Deutschland Angehörige hat und die deutsche Sprache beherrscht" (vgl. BGHSt 43, 233). Auch die erlittene Untersuchungshaft hat die Strafkammer hier zu Unrecht als strafmildernd bewertet (vgl. BGH NStZ 2005, 212; Urt. vom 29. Juni 2005 - 1 StR 149/05 - Umdr. S. 5, in StraFo 2005, 384 nicht abgedruckt; jeweils m.w.N.). Zu Lasten des Angeklagten kann die Strafzumessung jedoch aufgrund einer Revision der Nebenklage nicht angegangen werden (§ 400 Abs. 1 StPO).
Ende der Entscheidung
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