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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 29.07.1998
Aktenzeichen: 1 StR 311/98
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 13 Abs. 2
StGB § 13 Abs. 2

Für die Frage der Strafrahmenverschiebung nach § 13 Abs. 2 StGB bedarf es einer Gesamtwürdigung aller wesentlichen, also nicht nur der unterlassensbezogenen Gesichtspunkte.

BGH, Urt. Vom 29. Juli 1998 - 1 StR 311/98 - LG Weiden i.d.OPf


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 StR 311/98

vom

29. Juli 1998

in der Strafsache

gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 28. Juli 1998 in der Sitzung vom 29. Juli 1998, an denen teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer

und die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ulsamer, Dr. Granderath, Dr. Wahl, Dr. Boetticher,

Staatsanwältin , Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwältin als Verteidigerin in der Verhandlung vom 28. Juli 1998,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

1. a) Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Weiden i.d.OPf. vom 6. März 1998 im Strafausspruch aufgehoben.

b) Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

c) Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

2. a) Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das genannte Urteil wird verworfen.

b) Die Kosten dieser Revision und die dem Angeklagten durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten, einen pensionierten Hauptfeldwebel der Bundeswehr; wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft greift das Urteil erfolglos mit der Sachrüge an.

I.

Nach den Feststellungen litt die Ehefrau des Angeklagten seit 1994 an einer schweren psychischen Erkrankung. Sie bedurfte daher der Pflege durch den Angeklagten, der sich um ihre Ernährung und im Bedarfsfall um die ärztliche Betreuung kümmerte.

Bei einem Besuch am 22. Mai 1997 fand sie ihr Hausarzt zwar in einem guten körperlichen Zustand vor, er hielt aber die Einrichtung einer Betreuung für angezeigt, weil sie infolge ihrer Erkrankung "grundsätzlich gegen alles war, was ihr vorgeschlagen wurde". Dem Angeklagten teilte er mit, "er werde sich darum kümmern". Am 4. Juni 1997 rief der Angeklagte in der Praxis des Hausarztes an und erkundigte sich nach dem Stand des Betreuungsverfahrens. Ihm wurde mitgeteilt, nach der Urlaubsrückkehr des Arztes am 17. Juni 1997 "werde alles erledigt".

In der Folge verschlechterte sich der Gesundheitszustand der Ehefrau, weil diese zu wenig der ihr vom Angeklagten bereitgestellten Lebensmittel zu sich nahm. Dies bemerkte auch der Angeklagte. Am Abend des 17. Juni 1997 erkannte er, daß die unzureichende Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme bei seiner Frau zu einer "weitgehenden Apathie geführt hatte, diese infolgedessen überhaupt nichts mehr zu sich nahm, dadurch weiter abmagerte, gesundheitlichen Schaden nahm und fast bewegungsunfähig ... nur noch auf dem Sofa im Wohnzimmer lag". Am Morgen des 20. Juni 1997 war ihm klar, daß seine Ehefrau in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten war. Trotzdem unternahm er - im Hinblick auf das initiierte Betreuungsverfahren - nichts, um die gebotene sofortige notärztliche Behandlung herbeizuführen.

Im Laufe desselben Tages suchte eine Mitarbeiterin des für dieses Verfahren zuständigen Gesundheitsamtes den Angeklagten auf. Sie fand dessen Ehefrau in einem "jämmerlichen Zustand" vor und veranlaßte deren Transport in ein Krankenhaus. Die Ehefrau war ausgetrocknet, "sie stand bei weiterer fehlender Flüssigkeitszufuhr zwei Tage vor dem Tod". Die sofortige Behandlung verbesserte bald ihren körperlichen Zustand. Irreparable Schäden sind nicht eingetreten. Sie lebt wieder beim Angeklagten und wird von diesem versorgt.

II.

1. Die Revision des Angeklagten

Die auf einen Verstoß gegen § 265 StPO gestützte Verfahrensrüge hat aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts an den Senat dargelegten Gründen keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat hinsichtlich des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Hingegen hat der Strafausspruch keinen Bestand.

a) Das Landgericht hat seiner Strafzumessung den Strafrahmen des zur Tatzeit geltenden § 223a Abs. 1 StGB zugrundegelegt. Bedenken dagegen ergeben sich zwar nicht aus der durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts mit Wirkung zum 1. April 1998 erfolgten Neufassung der gefährlichen Körperverletzung. Denn der den festgestellten Sachverhalt betreffende § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nF ist nicht milder im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB.

b) Die Kammer hat aber eine Srafrahmenverschiebung nach § 13 Abs. 2 StGB nicht rechtsfehlerfrei abgelehnt. Insoweit bedarf es einer wertenden Gesamtwürdigung aller wesentlichen Gesichtspunkte. Dabei sind vor allem diejenigen Momente zu berücksichtigen, die etwas darüber besagen, ob das Unterlassen im Verhältnis zur entsprechenden Begebungstat weniger schwer wiegt (vgl. BGHR StGB § 13 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung).

Entgegen der in der Literatur vorherrschenden Auffassung (vgl. Jescheck in LK 11. Aufl. § 13 Rdn. 63; Stree in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 13 Rdn. 64; Tröndle, StGB 48. Aufl. § 13 Rdn. 20) ist die Prüfung jedoch nicht auf unterlassensbezogene Kriterien beschränkt. Daß es einer umfassenden Abwägung auch sonstiger Umstände, die nicht den jeweiligen Milderungsgrund selbst betreffen, bedarf, ist für andere eine fakultative Milderung vorsehende Vorschriften - wie z.B. die §§ 21, 23 Abs. 2 StGB - anerkannt. Nichts anderes kann aber für § 13 Abs. 2 StGB gelten, weil es an einem eine differenzierte Handhabung tragenden Grund fehlt (vgl. BGHR StGB § 13 Abs. 1 Unterlassen 2; Bruns in FS für Tröndle, 1989, S. 129 f.; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 2. Aufl. Rdn. 390).

Die Strafkammer hätte daher über die von ihr berücksichtigten Merkmale hinaus in ihre Abwägung einbeziehen müssen, daß dem Angeklagten als pensioniertem Bundeswehrsoldaten unter den Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 Nr. 2a SG, nämlich bei einer Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren, zwingend der Verlust seines Dienstgrades und seines Versorgungsanspruchs drohte. Einer derartigen berufsrechtlichen Folge kann nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB Bedeutung zukommen (BGHSt 32, 68, 79; Tröndle aaO § 46 Rdn. 25b), und zwar bereits bei der Wahl des Strafrahmens (BGHSt 35, 148; Schäfer in FS für Tröndle, 1989, S. 395, 404 f.). Zu ihrer Berücksichtigung hätte angesichts der finanziellen Situation des Angeklagten, der für das von ihm bewohnte Einfamilienhaus noch 150.000 DM Schuldentilgung zu leisten und seine Frau, die wieder bei ihm lebt, zu versorgen hat, besonderer Anlaß bestanden. Daß die Kammer sie bei der Prüfung des § 13 Abs. 2 StGB mit abgewogen hat, läßt sich dem Urteil, das die berufliche Stellung des Angeklagten lediglich bei der Schilderung seines Lebenslaufs erwähnt, nicht hinreichend sicher entnehmen.

c) Der Senat kann nicht ausschließen, daß das Landgericht bei umfassender Prüfung aller wesentlichen Kriterien zur Anwendung des § 13 Abs. 2 StGB gelangt wäre. Dies wiederum hätte zu einer milderen Strafe führen können.

d) Die Feststellungen zum Strafausspruch können hingegen bestehen bleiben, da sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind. Dies schließt ergänzende Feststellungen in der neuen Hauptverhandlung nicht aus.

2. Die Revision der Staatsanwaltschaft

Die Staatsanwaltschaft führt zur Begründung ihrer Sachrüge an, das Landgericht habe angesichts der Feststellungen einen (bedingten) Tötungsvorsatz des Angeklagten infolge fehlerhafter Beweiswürdigung zu Unrecht verneint. Diese Beurteilung erweist sich als unzutreffend.

a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht hat aufgrund der Sachrüge nur zu prüfen, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder wenn sie gegen die Denkgesetze oder gegen gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH NStZ 1983, 277, 278).

b) Einen solchen Mangel weist das angefochtene Urteil nicht auf. Das Vorbringen der Staatsanwaltschaft erschöpft sich im wesentlichen darin, an die Stelle der tatrichterlichen Beweiswürdigung eigene Schlußfolgerungen zu setzen und durch eigene Feststellungen, die im Urteil keinen Niederschlag gefunden haben, zu ergänzen. Dies ist unzulässig.

Die Strafkammer hat sich in hinreichender Weise mit der Frage auseinandergesetzt, ob dem Angeklagten (bedingter) Tötungsvorsatz zur Last zu legen ist. Sie hat dies rechtsfehlerfrei verneint. Dazu steht insbesondere nicht in Widerspruch, daß die Kammer Vorsatz in bezug auf eine mittels einer lebensgefährdenden Behandlung begangene Körperverletzung bejaht hat (vgl. BGHSt 36, 1, 15 f.).

Ende der Entscheidung

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