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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 17.08.2004
Aktenzeichen: 1 StR 315/04
Rechtsgebiete: StPO, AuslG, BtMG
Vorschriften:
StPO § 100a | |
StPO § 100a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 | |
AuslG § 92a Abs. 2 | |
BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 17. August 2004
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen unerlaubten bewaffneten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. August 2004 beschlossen:
Tenor:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11. März 2004 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
1. Die von dem Angeklagten K. erhobene Rüge der Verletzung des § 100a StPO ist jedenfalls unbegründet. Das Landgericht hat die im Zeitpunkt der Anordnungen der Telekommunikationsüberwachung gegebene Verdachts- und Beweislage nach Maßgabe der vom Bundesgerichtshof gestellten Anforderungen (vgl. BGHSt 47, 362) geprüft und rechtsfehlerfrei als tragfähig bewertet. Hiernach beruhten die gegen den Angeklagten D. gerichteten ermittlungsrichterlichen Anordnungen vom 8. und 14. November 2002 auf hinreichend bestimmten Tatsachen, soweit es sich um den Verdacht eines Verstoßes gegen § 92a Abs. 2 AuslG handelte. Die nachfolgenden Anordnungen der Telekommunikationsüberwachung - die die Revision nicht mitteilt - stützten sich auf weitergehende Erkenntnisse, die sich insbesondere aus den zwischenzeitlich durchgeführten Telekommunikationsüberwachungen ergaben. Diese Erkenntnisse belegten auch bezüglich des Angeklagten K. hinreichend den Verdacht einer Straftat nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, die gemäß § 100a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StPO ebenfalls Katalogtat für die Überwachung der Telekommunikation ist.
2. Die Angeklagten Ö. und K. rügen ohne Erfolg die Verletzung der Aufklärungspflicht und des fair-trial-Grundsatzes wegen der Ablehnung der Vernehmung der Verdeckten Ermittler in der Hauptverhandlung.
a) Die Revision macht geltend, die Vernehmung der Verdeckten Ermittler hätte ergeben, daß der Mitangeklagte D. , der von ihnen die Betäubungsmittel bezogen hatte, von den Verdeckten Ermittlern zu den Betäubungsmittelgeschäften provoziert worden sei. Für die Verdeckten Ermittler bestand eine Sperrerklärung des Innenministeriums Baden-Württemberg, die auch eine audiovisuelle Vernehmung unter optischer und akustischer Abschirmung umfaßte. Seine Überzeugung davon, daß die Betäubungsmittelgeschäfte nicht von den Verdeckten Ermittlern provoziert worden, sondern auf Initiative des D. zustande gekommen seien, hat das Landgericht in erster Linie auf die Aussagen des D. im Ermittlungsverfahren, auf umfangreiche Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung sowie auf die Vernehmung des Führungsbeamten der Verdeckten Ermittler gestützt. Die Angeklagten und ihre Verteidiger hatten Gelegenheit, durch Vermittlung des Führungsbeamten konkrete Fragen an die Verdeckten Ermittler zu stellen.
Die Rügen sind schon deshalb unbegründet, weil das angefochtene Urteil hinsichtlich der beiden beschwerdeführenden Angeklagten nicht auf der Ablehnung der Vernehmung der Verdeckten Ermittler beruhen kann. Die Angeklagten hatten zu diesen zu keiner Zeit Kontakt. Lediglich der Mitangeklagte D. war mit ihnen zusammengetroffen und hatte alle Verhandlungen mit ihnen geführt. Es ist daher von vornherein ausgeschlossen, daß die Angeklagten Ö. und K. von polizeilicher Seite zu ihren Taten provoziert wurden (vgl. BGH StV 1994, 368, 369).
b) Die den Rügen zugrundeliegenden Vorgänge, insbesondere die Darlegungen in den Sperrerklärungen des Innenministeriums, geben dem Senat jedoch Veranlassung zu folgenden Hinweisen:
Der Senat hält an seiner mit Beschluß vom 26. September 2002 (NJW 2003, 74) näher begründeten Auffassung fest, daß eine audiovisuelle Vernehmung besonders gefährdeter Zeugen unter optischer und akustischer Abschirmung nicht nur keinen rechtlichen Bedenken begegnet, sondern sogar - insbesondere im Hinblick auf das Fragerecht des Angeklagten gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK - rechtlich geboten sein kann. Daß der Große Senat, dem der Senat diese Frage wegen grundsätzlicher Bedeutung vorzulegen gedachte, keine Gelegenheit hatte, sich hierzu zu äußern, weil das zugrundeliegende Anfrageverfahren gegenstandslos geworden war, ändert daran nichts. Mit der Frage war inzwischen auch der 3. Senat befaßt, der das mit der Senatsentscheidung vom 26. September 2002 erfolgte Anliegen begrüßt hat (NStZ 2004, 345).
In Fällen, in denen selbst eine audiovisuelle Vernehmung unter optischer und akustischer Abschirmung nach Maßgabe der heutigen technischen Möglichkeiten die Gefährdung eines Verdeckten Ermittlers an Leib oder Leben oder die Gefährdung seiner notwendigen weiteren Verwendung nicht verhindern könnte, muß es zwar zur Wahrung der berechtigten Interessen des Zeugen und der Innenbehörde bei seiner Sperrung bleiben. An eine Sperrerklärung sind allerdings schon generell strenge Anforderungen zu stellen, denn sie behindert die Erforschung der Wahrheit und stellt daher einen Eingriff in den Gang der Rechtspflege dar. Sie muß deshalb auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben (BGHSt 35, 82, 85). Bei der Sperrerklärung, die auch eine Videokonferenz unter optischer und akustischer Abschirmung ausschließt, ist zudem zwischen einer Privatperson als Hinweisgeber und einem als Verdeckten Ermittler eingesetzten Polizeibeamten zu differenzieren:
Bei einer Privatperson, die als Vertrauensperson oder Hinweisgeber tätig ist, werden dessen Identität und Funktion als Informant der Ermittlungsbehörden den Beteiligten zumeist nicht bekannt sein. Hier können Befragung, aber auch Sprachduktus, Mimik und Gestik - selbst durch Abschirmung - zur Aufdeckung seiner Identität führen, etwa wenn es sich um eine Person aus dem Nahbereich der Angeklagten handelt.
Bei einem Verdeckten Ermittler wird sich das Risiko der Aufdeckung der Identität und die damit verbundene Gefährdung (seiner Person und seines weiteren Einsatzes) in der Regel anders darstellen. Daß die Erkenntnisse aufgrund des Einsatzes eines Verdeckten Ermittlers gewonnen wurden, wird den Angeklagten zumeist bekannt geworden sein. Sie wissen häufig, welche der beteiligten Personen der Verdeckte Ermittler war und welche Aktivitäten dieser im Zusammenhang mit den Ermittlungen entfaltet hat. Geheimhaltungsbedürftig ist in einem solchen Fall primär die wahre Identität des Verdeckten Ermittlers, die kriminaltaktische Vorgehensweise bei der Legendierung und der Bereich seines weiteren Einsatzes. Konkrete Umstände der Tat - insbesondere Fragen der Tatprovokation - kann der Verdeckte Ermittler somit möglicherweise auch bei einer abgeschirmten Videokonferenz bekunden, ohne daß - anders als bei einer Vertrauensperson - schon dadurch eine mit der Identitätsaufdeckung verbundene Gefährdung (seiner Person und seines weiteren Einsatzes) verbunden sein muß.
Hinzu kommt: Der Verdeckte Ermittler darf bei der Videokonferenz im Beisein seines Führungsbeamten vernommen werden, der insbesondere darauf achtet, daß keine Fragen beantwortet werden, die zur Gefährdung der Person des Verdeckten Ermittlers und seines weiteren Einsatzes führen. Derartige Fragen kann die oberste Dienstbehörde für eine Videokonferenz generell "sperren" und das Gericht darf die Fragen im konkreten Fall auf entsprechenden Hinweis des Führungsbeamten oder des Verdeckten Ermittlers nicht zulassen. Auch wird der Verdeckte Ermittler so ausgebildet sein - und gegebenenfalls auszubilden sein -, daß er sich durch entsprechende Fragen nicht gefährdet.
Diese Umstände sind bei der Sperrerklärung eines Verdeckten Ermittlers, mit denen auch eine Videokonferenz abgelehnt wird, einzelfallbezogen darzustellen und nachvollziehbar zu begründen.
Ende der Entscheidung
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