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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 20.10.1998
Aktenzeichen: 1 StR 325/98
Rechtsgebiete: GVG, StPO
Vorschriften:
StPO § 338 Nr. 6 | |
GVG § 174 Abs. 1 Satz 3 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom
20. Oktober 1998
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Oktober 1998 beschlossen:
Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:
Ergeht in der Hauptverhandlung ein Gerichtsbeschluß, mit dem - hier: für die Dauer der Inaugenscheineinnahme eines vom Täter aufgenommenen Videofilms über die Demütigung seines nackten und gefesselten Opfers - die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird, enthält dieser jedoch keine Begründung, so liegt kein Verstoß gegen § 174 Abs. 1 Satz 3 GVG vor, wenn der Ausschließungsgrund des Schutzes der Privatsphäre des Opfers ) oder der Gefährdung der Sittlichkeit (§ 172 GVG) oder beider zusammen für die Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit durch den sich aus dem Beschluß selbst ergebenden Hinweis auf den Verfahrensabschnitt zweifelsfrei erkennbar ist.
Der Senat fragt bei den anderen Strafsenaten an, ob deren Rechtsprechung der beabsichtigten Entscheidung entgegensteht und gegebenenfalls daran festgehalten wird.
Gründe:
I.
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung, vorsätzlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dem liegt zugrunde, daß der Angeklagte die Geschädigte unter Anwendung überlegener Körperkraft gegen ihren Willen auf sein Bett legte, sie entkleidete und "in der Stellung eines Andreas-Kreuzes" mit Händen und Füßen an die Bettpfosten fesselte. Er wollte sie demütigen, indem er sexuelle Handlungen an ihr vornahm, die er zunächst mit einem auf einem Stativ angebrachten Fotoapparat fotografierte und dann auch mit einer Videokamera aufnahm. Dabei fertigte er unter anderem Nahaufnahmen vom Geschlechtsteil des Opfers an, ferner Aufnahmen verschiedener sexueller Handlungen.
2. Das Landgericht stützt die Verurteilung auf ein Teilgeständnis des Angeklagten, im übrigen auf die Aussage der Geschädigten, die es durch die sichergestellten Fotos und Videoaufnahmen bestätigt sieht. Es hat zunächst nach der Vernehmung des Angeklagten und der Geschädigten die Lichtbilder in öffentlicher Hauptverhandlung in Augenschein genommen. Danach hat es unter Ausschließung der Öffentlichkeit auch den Videofilm in Augenschein genommen. Das Protokoll vermerkt darüber ausschließlich:
"Nach geheimer Beratung des Gerichts verkündete der Vorsitzende folgenden Beschluß
l) Der sichergestellte Film ist in Augenschein zu nehmen.
2) Während der Inaugenscheinnahme des Films ist die Öffentlichkeit auszuschließen.
Der Beschluß wurde ausgeführt."
3. Die Revision rügt die Verletzung des § 174 Abs. 1 Satz 3 GVG; es liege deshalb der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO vor. Im übrigen greift die Revision das Urteil mit der allgemein erhobenen Sachrüge an.
II.
Der Senat hält nach Beratung über den Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 349 Abs. 4 StPO die Revision für nicht begründet. Zur Verfahrensrüge vertritt der Senat die Auffassung, daß bei der hier gegebenen besonderen Sachlage keine Verletzung des § 174 Abs. 1 Satz 3 GVG vorliegt. Die Sachrüge ist unbegründet.
1. Die durch § 174 Abs. 1 Satz 3 GVG vorgeschriebene ausdrückliche Angabe des Grundes für den Ausschluß der Öffentlichkeit dient neben der Nachprüfung der Entscheidung (BGH StV 1996, 135 mit Anm. Park; Park NJW 1996, 2213, 2214; Mayr in KK 3. Aufl. Rdn. 4 zu § 174 GVG; K. Schäfer/Wickern in LR 24. Aufl. § 174 GVG Rdn. 14; Gössel NStZ 1982, 141 ff.) auch der Unterrichtung der Öffentlichkeit (BGHSt 1,334, 336; 30, 298, 303; StV 1982, 106, 108). Doch bedarf es insofern einer ausdrücklichen Aufklärung über die genaue Bedeutung der Vorgänge nicht (BGHSt 27, 117, 120; 30,298, 304; vgl. auch BGHSt 1, 334, 336).
Nach dem Sitzungsprotokoll steht fest, daß der Beschluß eindeutig erkennen läßt, daß die Öffentlichkeit während der Dauer der Vorführung des vom Angeklagten selbst während seiner Tat aufgenommenen und seine Tat wiedergebenden Videofilms ausgeschlossen werden sollte. Eine weitere Begründung im Sinne der ausdrücklichen Angabe eines Ausschließungsgrunds enthält er nicht.
Dieser Mangel kann unter den gegebenen Umständen den Bestand des Urteils nicht gefährden. Allen Verfahrensbeteiligten und den Zuhörern im Gerichtssaal war durch den Hinweis auf den Verfahrensabschnitt, während dessen die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden sollte, zweifelsfrei klar, daß das Gericht die unter besonders erniedrigenden Umständen erfolgte Vergewaltigung des in der Hauptverhandlung anwesenden und als Zeugin gehörten Tatopfers nicht in aller Öffentlichkeit vorführen wollte. Ebenfalls für jedermann ersichtlich konnten als Rechtsgrundlage dafür nur der Schutz der Privatsphäre des Opfers (§ 171 b GVG, ein Widerspruch nach Abs. 1 Satz 2 der Vorschrift erfolgte nicht) oder die Gefährdung der Sittlichkeit (§ 172 Nr. 1 GVG) oder beide Gründe zusammen in Betracht kommen. Die Voraussetzungen beider Vorschriften liegen ohne weiteres vor; die Anwendung beider Vorschriften ist in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt, und ihre Rechtsfolgen (§ 174 Abs. 3 Satz 1 GVG) unterscheiden sich nicht.
Bei einer solchen Sachlage vermag die fehlende ausdrückliche Angabe des Ausschließungsgrunds weder unter dem Aspekt unzureichender Überprüfbarkeit noch unter dem unzureichender Aufklärung der Öffentlichkeit über den Ausschließungsgrund die Revision zu begründen.
2. Die Rechtsprechung aller Strafsenate des Bundesgerichtshofs geht im Hinblick auf den Wortlaut des § 174 Abs. 1 Satz 3 GVG bisher allerdings davon aus, daß selbst dann, wenn für Verfahrensbeteiligte und Zuhörer der Ausschließungsgrund auf der Hand lag, auf dessen Bezeichnung im Gerichtsbeschluß nicht verzichtet werden darf (BGHSt 1, 334, 335; 2, 56, 57, 58; 3, 344, 345; 27, 117, 118; 27, 187, 188; 30, 298, 301; 38, 248; 41, 145, 146; BGH NJW 1977, 1643; StV 1981, 3; 1984, 146; NStZ 1983, 324; BGHR GVG § 174 Abs. 1 Satz 3 Begründung 1 - 6; BGH, Urt. vom 11. September 1975 - 4 StR 417/75; Beschl. vom 18. Februar 1976 - 3 StR 13/76; Urt. vom 10. März 1976 - 3 StR 15/76; Beschl. vom 27. November 1987 - 2 StR 591/87). Dies hat zwar der 5. Strafsenat in seinem Urteil vom 30. August 1994 - 5 StR 403/94 - (NStZ 1994, 591 = StV 1994, 641) in Frage gestellt. Doch fehlt eine abweichende Entscheidung. Auch der erkennende Senat ist bisher der genannten Rechtsprechung gefolgt (vgl. BGH GA 1975, 283). Für besondere Ausnahmefälle, in denen der Normzweck des Gesetzes nicht verletzt ist und auch in einer erneuten Hauptverhandlung im Ergebnis keine andere Verfahrensweise als die Beweiserhebung in nichtöffentlicher Verhandlung in Betracht kommt, will er daran nicht festhalten. Dies entspricht der Tendenz der Rechtsprechung, daß das Fehlen einer Begründung des Beschlusses über die Ausschließung des Angeklagten von der Anwesenheit bei einer Beweiserhebung gemäß § 247 StPO dann keinen nach § 338 Nr. 5 StPO zur Urteilsaufhebung zwingenden Rechtsfehler darstellt, wenn für das Revisionsgericht unzweifelhaft ist, daß sich hinter dem Begründungsdefizit kein Verfahrensfehler verbergen kann (BGHSt 15, 194, 196; 22, 18, 20; BGH NStZ 1987, 84; 1993, 500).
3. Zwar ist ein Fall der vorliegenden Art bisher - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden worden. Doch sieht sich der Senat aufgrund der in der bisherigen Rechtsprechung umfassend formulierten Aussagen zu § 174 Abs. 1 Satz 3 GVG zur Anfrage gemäß § 132 Abs. 3 GVG veranlaßt.
Ende der Entscheidung
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