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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 24.01.2006
Aktenzeichen: 1 StR 362/05
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 52
StPO § 52 Abs. 3
StPO § 265
StGB § 78b Abs. 1 Nr. 1
StGB § 174
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 StR 362/05

vom 24. Januar 2006

in der Strafsache

gegen

wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Januar 2006, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Nack und die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Wahl, Dr. Boetticher, Dr. Kolz, die Richterin am Bundesgerichtshof Elf,

Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Verteidiger,

Rechtsanwältin als Nebenklägervertreterin,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 17. März 2005

a) im Schuldspruch hinsichtlich des Falls B. 1. der Urteilsgründe aufgehoben; die Feststellungen bleiben aufrechterhalten mit Ausnahme der Feststellungen zur Tatzeit,

b) im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

3. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin werden verworfen.

4. Die Staatskasse trägt die durch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft entstandenen Kosten und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.

5. Die Nebenklägerin trägt ihre notwendigen Auslagen.

6. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in zwei Fällen (B. 1. und 2. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Soweit dem Angeklagten im Fall B. 1. tateinheitlich eine Vergewaltigung zur Last gelegt worden war, hat die Jugendkammer die hierfür erforderliche Gewaltanwendung nicht für nachgewiesen erachtet. Von dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in elf Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit Vergewaltigung (Fälle C. 1. und 2. sowie im Fall C. 3. der Urteilsgründe), hat die Jugendkammer den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.

Der Angeklagte wendet sich mit seiner auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützten Revision gegen seine Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen. Mit ihrer auf die Fälle B. 1. und C. 3. der Urteilsgründe beschränkten Revision, die sie auf die Sachrüge stützt, wendet sich die Staatsanwaltschaft dagegen, dass der Angeklagte im Fall B. 1. nicht auch wegen Vergewaltigung verurteilt wurde. Außerdem greift sie den Freispruch vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in vier Fällen jeweils in Tateinheit der Vergewaltigung im Fall C. 3. (Tatzeiten: Sommer 1997) an. Die Revision der Nebenklägerin richtet sich gegen das Urteil, soweit der Angeklagte freigesprochen wurde. Die Revision des Angeklagten führt im Fall B. 1. zur Aufhebung des Schuldspruchs und des Strafausspruchs; im Übrigen ist sie unbegründet. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin sind nicht begründet.

A.

Revision des Angeklagten

I. Die Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte im Fall B. 1. die Verletzung der Hinweispflicht nach § 265 StPO rügt, ist aus den Gründen, die der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift angeführt hat, unbegründet.

II. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge führt im Fall B. 1. der Urteilsgründe zur Aufhebung des Schuldspruchs; im Übrigen hat sie keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

1. Im Fall B. 1. hat sich die Jugendkammer nicht davon überzeugen können, dass der Angeklagte mit der Geschädigten im Jahr 1998 nicht nur den Geschlechtsverkehr durchgeführt, sondern dabei Gewalt angewendet hat, indem er die Hände der Geschädigten seitlich am Kopf festhielt und aufs Bett drückte. Das ist hinzunehmen. Der Senat hebt jedoch den Schuldspruch wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen auf, weil die Strafkammer bisher keine näheren Feststellungen zum genauen Tatzeitpunkt getroffen hat. Das ist geboten, weil auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen in Betracht kommt, dass der sexuelle Missbrauch von Schutzbefohlenen verjährt ist. Die Jugendkammer hat als Tatzeit einen Tag "im November bzw. Dezember 1998" angenommen. Die erste die Verjährung unterbrechende Maßnahme war die Bekanntgabe der Tatvorwürfe durch die am 3. November 2003 verfügte Gewährung von Akteneinsicht. Das Gesuch des Verteidigers um Akteneinsicht vom 26. Juni 2003 (GA Band I S. 73) reicht demgegenüber nicht aus.

Der Senat kann über die Frage der Verjährung jedoch nicht abschließend entscheiden. Ausgehend von ihrem Standpunkt hatte die Strafkammer keinen Anlass, die Tatzeit näher einzugrenzen. Es erscheint aber möglich, dass die neu zur Entscheidung berufene Kammer die Tatzeit genauer bestimmen kann, so dass die Verjährung doch rechtzeitig unterbrochen wurde. Deshalb hat der Senat die Sache insoweit zurückverwiesen mit der Maßgabe, dass die im Fall B. 1. getroffenen Feststellungen aufrechterhalten bleiben mit der Ausnahme der Feststellungen zum genauen Tatzeitpunkt. Ist eine weitere Aufklärung nicht möglich, wird die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer zu Gunsten des Angeklagten davon ausgehen müssen, dass die Tat auch am 1. oder am 2. November 1998 - beide Tage liegen innerhalb des vom Landgericht bisher angenommenen Tatzeitraums - begangen worden sein kann und damit verjährt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2005 - 4 StR 82/05). § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB findet auf Taten keine Anwendung, die bereits vor Inkrafttreten dieser Vorschrift am 1. April 2004 verjährt waren (BGH NStZ 2005, 89).

2. Die Feststellungen tragen im Fall B. 2. (Vorfall vom 28. Februar 1999) die Verurteilung des Angeklagten und die Annahme eines zwischen dem Angeklagten und dem Tatopfer C. F. bestehenden Obhutsverhältnisses im Sinne des § 174 StGB. Zwar lässt sich nicht von jeder häuslichen Gemeinschaft darauf schließen, dass regelmäßig auch ein Verantwortungsverhältnis gegenüber Minderjährigen vorliegt. Den Urteilsgründen ist jedoch hinreichend zu entnehmen, dass dem Angeklagten im Rahmen des Zusammenlebens die Mitverantwortung bei der Erziehung der Töchter C. und Ch. seiner Lebensgefährtin eingeräumt war, er Verbote und Erlaubnisse erteilen und Strafen verhängen konnte. Dies reicht aus, um anzunehmen, dass C. F. dem Angeklagten zur Erziehung und Betreuung in der Lebensführung anvertraut war.

B.

Revision der Staatsanwaltschaft

Die Überprüfung des Urteils in den Fällen B. 1. und C. 3. der Urteilsgründe, auf die die Staatsanwaltschaft ihr Rechtmittel beschränkt hat, hat nicht ergeben, dass das Landgericht überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt hat.

I. Fall B. 1.: Vorfall November/Dezember 1998

Die Jugendkammer hat sich nicht davon überzeugen können, dass der als Missbrauch von Schutzbefohlenen abgeurteilte Geschlechtsverkehr im November/Dezember 1998 auch unter der Anwendung von Gewalt erfolgte. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie hat insoweit nicht übersehen, dass die Zeugin C. F. bei der Vernehmung beim Landgericht schilderte, sich gewehrt zu haben, weshalb der Anklagte gewaltsam in sie eingedrungen sei. Demgegenüber hatte aber die Zeugin, als sie sich erstmals offenbarte und der Zeugin Sch. im Frauenhaus anvertraute, bei der Schilderung der "Vergewaltigung" eine Gewaltanwendung durch den Angeklagten nicht nur nicht erwähnt, sondern ausdrücklich verneint. Insoweit greift die Argumentation der Staatsanwaltschaft, es habe sich damals nicht um polizeiliche Vernehmungen gehandelt, weshalb für eine detaillierte Aufklärung des Sachverhalts kein Anlass bestanden habe, nicht durch. Wenn die Jugendkammer aufgrund dieser Widersprüche sich nicht von einem gewaltsam erzwungenen Geschlechtsverkehr überzeugen konnte, musste dies vom Senat hingenommen werden. Dies gilt umso mehr, als die Zeugin von der Kammer mit noch vertretbarer Begründung als insgesamt problematisch bewertet wurde, weil sie gegenüber dem Angeklagten ein erhebliches Verfolgungsinteresse zeigte.

II. Fall C. 3.: Vorfall in den Sommerferien 1997

Die Beweiswürdigung enthält auch insoweit keinen Rechtsfehler, als die Kammer den Angeklagten vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Vergewaltigung in vier Fällen in den Sommerferien 1997 freigesprochen hat.

1. Allerdings geht die Revision im Ansatz zu Recht davon aus, dass ein freisprechendes Urteil grundsätzlich neben den dem Angeklagten vorgeworfenen Taten auch eine geschlossene Darstellung derjenigen Tatsachen zu enthalten hat, die das Gericht in Bezug auf den erhobenen Schuldvorwurf als erwiesen erachtet (BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 2, 7, 10).

Diese Anforderungen können jedoch nicht schematisch angewendet werden (BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 12). Aus der Gesamtheit der Urteilsgründe kann der Senat herleiten, dass die Jugendkammer davon ausgegangen ist, der Angeklagte und die Zeugin C. F. hätten tatsächlich während der Sommerferien 1997 in der Werkstatt des Zeugen E. gearbeitet. Ferner ist den Feststellungen zu entnehmen, das Landgericht habe die von der Zeugin erhobenen Vergewaltigungsvorwürfe zwar durchaus für möglich gehalten, es habe aber Zweifel nicht überwinden können.

2. Der von der Staatsanwaltschaft angeführte Widerspruch über die Bewertung der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage im Hinblick auf einen länger andauernden Missbrauch besteht ebenfalls nicht. Denn soweit die Jugendkammer die bereits 1999 gemachten Angaben für glaubhaft gehalten hat, betrafen diese nur allgemein den sexuellen Missbrauch durch den Angeklagten in dem Zeitraum ab Herbst 1997. Auch bei Erwägung eines bei C. F. möglicherweise vorliegenden Irrtums über den Tatzeitraum und Einbeziehung der Möglichkeit, dass der Missbrauch bereits im Sommer 1997 begonnen haben könnte, darf nicht verkannt werden, dass die Geschädigte 1999 über die Tatsache des sexuellen Missbrauchs hinaus ein konkretes Tatgeschehen nicht geschildert hat. Der Schluss der Jugendkammer, die "Vergewaltigungen" im Sommer 1997 könnten erfunden sein, steht daher nicht in Widerspruch dazu, dass die Jugendkammer der Zeugin geglaubt hat, schon seit längerem vom Angeklagten sexuell missbraucht worden zu sein.

Aus dem gleichen Grund dringen auch die weiteren Erwägungen der Revision, die einen länger andauernden sexuellen Missbrauch betreffen, (RB S. 9), nicht durch. Sowohl der Umstand, dass nach Auffassung der Jugendkammer der Angeklagte auch die Schwester von C. F. , die Zeugin Ch. F. , missbraucht habe, wie auch die auf eine zweifelhafte Lebenserfahrung gestützte Erwägung, dass im Falle des Missbrauchs dem Geschlechtsverkehr regelmäßig sexuelle Handlungen von geringerem Gewicht vorausgehen würden, deuten nur allgemein auf einen sexuellen Missbrauch vor den zur Verurteilung führenden Taten hin. Einen höheren Beweiswert und ein Indiz für einen direkten Zusammenhang mit den konkreten, erstmals im Jahre 2003 geschilderten, den Sommer 1997 betreffenden Vorwürfen mehrerer Vergewaltigungen lässt sich daraus nicht herleiten.

C.

Revision der Nebenklägerin

Die Revision, mit der die Nebenklage über die Beanstandungen der Staatsanwaltschaft hinaus eine Verurteilung auch wegen der Taten erstrebt, wegen derer der Angeklagte freigesprochen wurde, hat keinen Erfolg. Hinsichtlich der Vorwürfe C. 1. und C. 2. ist Verfolgungsverjährung eingetreten. Soweit die Nichtverurteilung im Fall C. 3. beanstandet wird, dringen die Verfahrensrüge und die Sachrüge nicht durch.

I. Soweit die Nebenklägerin die fehlende Belehrung der Mutter der Geschädigten nach § 52 StPO rügt, M. F. ist die Verlobte des Angeklagten, hat die Verfahrensrüge keinen Erfolg. Die Verletzung der Belehrungspflicht nach § 52 Abs. 3 StPO kann die Nebenklägerin nicht rügen. Die Vorschrift des § 52 StPO trägt ihrem Normzweck nach der besonderen Lage eines Zeugen Rechnung, der als Angehöriger des Beschuldigten der Zwangslage ausgesetzt sein kann, seinen Angehörigen belasten oder die Unwahrheit sagen zu müssen (KK-Senge, StPO 5. Aufl. § 52 Rdn. 1).

II. Die im Wege der Sachrüge geführten Angriffe auf die Beweiswürdigung bleiben ebenfalls ohne Erfolg. Insoweit verweist der Senat auf die Ausführungen zur Revision der Staatsanwaltschaft.

D.

Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall B. 1. führt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs. Der Senat hebt auch die Einzelstrafe im Fall B. 2. auf, weil nicht auszuschließen ist, dass der Schuldumfang bei dieser Tat geringer zu gewichten ist, wenn der neue Tatrichter nur noch zu einer Verurteilung in diesem Fall gelangt, falls die Tat im Fall B. 1. verjährt sein sollte, auch wenn die verjährte Tat strafschärfend herangezogen werden darf.

Ende der Entscheidung

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