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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.05.2006
Aktenzeichen: 1 StR 37/06
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 100a | |
StPO § 261 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
vom 9. Mai 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Sachbeschädigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Mai 2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Nack und die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Wahl, Dr. Kolz, die Richterin am Bundesgerichtshof Elf, der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Graf,
Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München I vom 18. August 2005 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt. Im Übrigen hat es ihn freigesprochen. Dem Angeklagten war weiterhin vorgeworfen worden, im Jahr 2004 bis zum 14. Juni 2004 in vier Fällen an den Zeugen S. jeweils zwischen 20 und 48,06 g Heroingemisch gewinnbringend veräußert zu haben.
Gegen den Teilfreispruch wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit einer Verfahrensrüge und der Sachbeschwerde. Mit der Sachbeschwerde hat sie Erfolg.
I.
Der Senat braucht deshalb nicht zu entscheiden, ob die Aufklärungsrüge durchgreift. Die Beschwerdeführerin beanstandet, dass das Landgericht es unterlassen habe, in der Hauptverhandlung Kurznachrichten (SMS) in Augenschein zu nehmen. Die SMS waren bei Telekommunikations-Überwachungsmaßnahmen, bezogen auf ein vom Angeklagten benutztes Mobiltelefon, aufgezeichnet worden. Die Beschwerdeführerin meint, das Landgericht habe zu Unrecht die Telefonüberwachung nach § 100a StPO für rechtswidrig und die Erkenntnisse daraus für unverwertbar gehalten. Zugleich teilt die Revision mit, dass der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft deswegen von einem entsprechenden Beweisantrag abgesehen habe, weil eine Polizeibeamtin, als Zeugin vernommen, die identischen Kurznachrichten vom Mobiltelefon des Zeugen S. ausgelesen und deren Inhalt in der Hauptverhandlung wiedergegeben habe. Da die Kurznachrichten - nach dem Revisionsvortrag - somit auf andere Weise als durch Augenschein in die Hauptverhandlung eingeführt wurden, geht die Aufklärungsrüge fehl. Die Nichtverwertung von eingeführten Beweismitteln ist vielmehr mit einer Rüge der Verletzung des § 261 StPO zu beanstanden, die darauf zielt, dass das Landgericht nicht das gesamte Ergebnis der Hauptverhandlung seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 261 Rdn. 176; Schoreit in KK 5. Aufl. § 261 Rdn. 20). Inwieweit auch eine derartige Rüge erfolglos wäre, da für das Revisionsgericht das Einführen der Kurznachrichten durch Zeugenbeweis ohne Rekonstruktion der Beweisaufnahme nicht feststellbar ist (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Januar 2006 - 1 StR 438/05 - Umdruck S. 6; Schoreit aaO Rdn. 52), braucht der Senat ebenfalls nicht zu entscheiden.
II.
1. Folgendes ist - soweit im Rahmen der Revision von Bedeutung - festgestellt:
Der Zeuge S. erwarb von Mitte April bis zu seiner Festnahme am 14. Juni 2004 von einer unbekannten Person in drei Fällen Heroingemisch, und zwar zwischen Mitte April und Mitte Mai 2004 mindestens 20 g (entspricht Tatvorwurf 1 der Anklage), einige Tage später nochmals mindestens 20 g (entspricht Tatvorwurf 2 der Anklage) sowie am 14. Juni 2004 weitere 48,06 g (entspricht Tatvorwurf 4 der Anklage). Kurz vor der ersten Tat hatte ihm die Person gesagt, sie sei unter einer von ihr bezeichneten Rufnummer erreichbar.
Der Angeklagte und der Zeuge S. hatten sich Anfang 2003 in einer Justizvollzugsanstalt kennen gelernt. Der Angeklagte hatte gegenüber dem Zeugen S. erklärt, dass er wegen Heroinhandels in Untersuchungshaft sei.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung keine Angaben gemacht. Bei seiner polizeilichen Vernehmung hatte er ausgesagt, den Zeugen S. nicht zu kennen.
Der Zeuge S. hat die drei Taten - so wie vom Landgericht festgestellt - in der Hauptverhandlung geschildert und angegeben, dass der Angeklagte die Person sei, von der er das Heroingemisch erhalten habe. Was den Tatvorwurf 3 der Anklage - ein weiteres Geschäft über 25 g Heroingemisch eine Woche nach der zweiten Tat - anbelangt, der auf der polizeilichen Aussage des Zeugen S. beruhte, hat sich dieser in der Hauptverhandlung trotz Vorhalts nicht erinnern können.
Das Landgericht hat sich zwar davon überzeugt, dass sich der Angeklagte und der Zeuge S. kennen, nicht aber, dass der Angeklagte der Heroinlieferant des Zeugen war und bereits vor Juni 2004 ein Mobiltelefon mit der bezeichneten Rufnummer besaß. Im Übrigen hat es den Angaben des Zeugen zu den Taten, soweit er sich in der Hauptverhandlung hat erinnern können, Glauben geschenkt.
III.
Die Beschwerdeführerin beanstandet mit der Sachrüge zu Recht die Beweiswürdigung.
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Kann er nicht die erforderliche Gewissheit gewinnen und spricht er den Angeklagten daher frei, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen. Demgegenüber kann ein Urteil keinen Bestand haben, wenn die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft ist (st. Rspr.; vgl. nur Senat NJW 2002, 2188, 2189; NStZ-RR 2005, 147).
1. Das Urteil lässt besorgen, dass die Kammer der Reichweite des Grundsatzes "in dubio pro reo" nicht hinreichend Rechnung getragen hat.
Die Kammer hat festgestellt, dass der Heroinlieferant des Zeugen S. diesem kurz vor der ersten Tat zwischen Mitte April und Mitte Mai 2004 sagte, er sei unter einer von ihm bezeichneten Rufnummer erreichbar (UA S. 8). Diese Rufnummer wurde vom Mobiltelefon des Zeugen S. nach dessen Festnahme infolge der Tat am 14. Juni 2004 ausgelesen (UA S. 16). Des Weiteren hat der Angeklagte in einem Beweisantrag vortragen lassen, dass er das Mobiltelefon mit der bezeichneten Rufnummer erst am 1. oder 2. Juni 2004 gekauft habe. Dazu führt das Urteil aus, dass die Kammer die Behauptung nicht habe widerlegen können, da die polizeilichen Ermittlungen Gegenteiliges nicht ergeben hätten. Hieraus hat sie geschlossen: "Wenn der Angeklagte das Handy erst ab Anfang Juni 2004 hatte, konnte S. den Angeklagten im Mai 2004 nicht auf diesem Handy anrufen" (UA S. 17).
Unbeschadet des Umstands, dass die Tatsachenbehauptung in dem Beweisantrag nicht ohne weiteres als Einlassung des Angeklagten angesehen werden kann (vgl. BGH NStZ 1990, 447; NStZ 2000, 495, 496), stellt es eine rechtsfehlerhafte Anwendung des Zweifelsatzes dar, dass die Kammer die behauptete Tatsache allein deswegen ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat, weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gab, mittels derer die Behauptung sicher widerlegt werden konnte.
Der Grundsatz "in dubio pro reo" ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung vom Vorliegen einer für den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch unmittelbar entscheidungserheblichen Tatsache zu gewinnen vermag (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24, 27). Es ist daher verfehlt, ihn isoliert auf einzelne Indizien anzuwenden; er kann erst bei der abschließenden Gesamtwürdigung zum Tragen kommen (vgl. BGHSt 49, 112, 122 f.; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 20; BGH NStZ 2001, 609; NStZ-RR 2004, 238, 239).
Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Kammer die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen S. anders beurteilt hätte, wenn sie bei der Gesamtwürdigung aller Indizien nicht von vornherein ausgeschlossen hätte, dass der Angeklagte das Mobiltelefon mit der bezeichneten Rufnummer bereits vor Juni 2004 besaß. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Urteil nicht mitteilt, was der Zeuge S. zur Vorbereitung oder Abwicklung des Geschäfts vom 14. Juni 2004 mittels Mobiltelefon ausgesagt hat.
2. Das Urteil weist zudem insoweit einen Erörterungsmangel auf, als es die Aussage des Zeugen S. nicht erschöpfend würdigt. Das Urteil schweigt nicht nur dazu, aus welchen Gründen das Landgericht die Aussage des Zeugen S. - unter Ausklammerung der Person des Lieferanten - für glaubhaft erachtet hat, soweit er in der Hauptverhandlung die Erwerbsvorgänge als solche schilderte. Es fehlt auch an einer Beweiswürdigung zu dem Erwerbsvorgang, an den sich der Zeuge S. in der Hauptverhandlung trotz Vorhalts nicht hat erinnern können (Tatvorwurf 3), zumal das Landgericht selbst festgestellt hat, dass der Zeuge S. Erinnerungslücken oft vorgeschoben und später damit begründet hat, er habe befürchtet, dass "er dann auch verraten werde" (UA S. 13). Das Urteil teilt nicht mit, warum die Kammer den polizeilichen Angaben des Zeugen S. zum Tatvorwurf 3 keinen Glauben geschenkt hat. Eine Erörterung war insbesondere deshalb geboten, weil der Zeuge aufgrund seines Geständnisses auch wegen dieser Tat selbst rechtskräftig verurteilt wurde (UA S. 11). Das Schweigen der Urteilsgründe hierzu lässt besorgen, dass die Kammer die früheren Aussagen des Zeugen S. bei der Polizei und in seiner eigenen Hauptverhandlung nicht in dem hier gebotenen Umfang gewürdigt hat. Vor dem Hintergrund, dass die Kammer seine Angaben zu den drei in der Hauptverhandlung geschilderten Erwerbsvorgängen für glaubhaft erachtet hat, versteht es sich nicht von selbst, dass die früheren Aussagen, aufgrund derer der Zeuge seine eigene Verurteilung hinnahm, schon für sich gesehen unglaubhaft waren (vgl. Senat, Urt. vom 21. Februar 2006 - 1 StR 278/05 - Umdruck S. 6).
3. Eine Gesamtschau der Urteilsgründe lässt besorgen, dass das Landgericht an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung überspannte Anforderungen gestellt hat (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; Schoreit in KK 5. Aufl. § 261 Rdn. 4 m.w.N.).
IV.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin: Die neun Kurznachrichten, deren Verwertung die Beschwerdeführerin mit der Verfahrensrüge begehrt, sind, soweit sie - dem Revisionsvortrag zufolge - vom Mobiltelefon des Zeugen S. ausgelesen und durch Zeugenbeweis in die Hauptverhandlung eingeführt wurden, nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht durch einen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis erlangt; ein darauf gestütztes Verwertungsverbot käme daher nicht in Betracht (vgl. BVerfG, Urt. vom 2. März 2006 - 2 BvR 2099/04 [= StraFo 2006, 157]; die Kammerentscheidung vom 4. Februar 2005 - 2 BvR 308/04 [= NStZ 2005, 337] ist insoweit überholt). Die Rechtmäßigkeit der Telekommunikations-Überwachungsmaßnahmen aus dem ermittlungsrichterlichen Beschluss vom 4. Juni 2004 ist diesbezüglich ohne Bedeutung.
Ende der Entscheidung
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