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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 29.09.1998
Aktenzeichen: 1 StR 420/98
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 | |
StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
vom
29. September 1998
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. September 1998, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Maul als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ulsamer, Dr. Granderath, Dr. Wahl, Dr. Boetticher, Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 27. März 1998 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Dem Angeklagten lag zur Last, zwischen 1989 und 1994 eine Vielzahl von Sexualdelikten zum Nachteil der Nebenklägerin, seiner Tochter T. G. , begangen zu haben.
Die Strafkammer hat in drei näher geprüften Einzelfällen die den Angeklagten belastenden Behauptungen der Nebenklägerin als widerlegt angesehen. Da auch in den anderen Fällen keine anderen den Angeklagten belastenden Beweismittel als die Aussagen der Nebenklägerin vorlagen, konnte sich die Strafkammer auch insoweit nicht von der Richtigkeit der Aussagen der Nebenklägerin überzeugen und hat den Angeklagten daher insgesamt freigesprochen.
Die Revision der Nebenklägerin erhebt mehrere Aufklärungsrügen und wendet sich mit der Sachrüge gegen die Beweiswürdigung.
1. Das Rechtsmittel hat schon mit der Sachrüge Erfolg.
a) Hinsichtlich der ersten, von der Strafkammer näher geprüften Tat lag dem Angeklagten zur Last, am frühen Nachmittag des 11. Juli 1989 - der Angeklagte hatte an diesem Tag wegen seines Geburtstags Ausgang aus der Strafhaft - die Nebenklägerin im Badezimmer der gemeinsamen Wohnung unter Androhung von Prügeln gezwungen zu haben, ihn manuell zu befriedigen.
Die Strafkammer hat hierzu festgestellt, daß die Nebenklägerin das Geschehen "genauso geschildert (hat), wie es in der Anklageschrift niedergelegt" ist. Demgegenüber hat die Ehefrau des Angeklagten, die Zeugin M. G. , bekundet, daß am Nachmittag ein Geburtstagskaffee für den Angeklagten stattgefunden habe und er schon daher keine Gelegenheit zur Tatbegehung gehabt habe. Obwohl auch andere Angehörige des Angeklagten teilweise unter Angaben von Details - z.B. habe in diesem Jahr ein weiterer Angehöriger wegen Krankheit ausnahmsweise beim Geburtstagskaffee gefehlt - dies bestätigt haben, hält es die Strafkammer aufgrund des nicht näher mitgeteilten Inhalts eines Briefs der M. G. für möglich, daß ein Geburtstagskaffee in Wahrheit nicht stattgefunden hat. Sie läßt dies jedoch letztlich offen ("selbst wenn ein Geburtstagskaffee nicht stattgefunden hat"), weil M. G. darüber hinaus bekundet hat, die Nebenklägerin sei am Nachmittag bis zur Rückfahrt des Angeklagten in die Strafhaft überhaupt nicht zu Hause gewesen, da sie unmittelbar von der Schule in einen Kinderhort gefahren sei, wo sie den ganzen Nachmittag verbracht habe. Zum Beleg der Richtigkeit dieser Angabe von M. G. führt die Strafkammer an, daß auch die Nebenklägerin dies in der Hauptverhandlung bestätigt habe.
b) Darauf, ob ein Geburtstagskaffee stattgefunden hat, käme es jedoch nur dann nicht an, wenn jedenfalls rechtsfehlerfrei festgestellt wäre, daß die Nebenklägerin am frühen Nachmittag nicht in der Wohnung war. Insoweit ist aber die Feststellung, die Nebenklägerin habe den Anklagevorwurf genau bestätigt, nicht vereinbar mit der Feststellung, die Nebenklägerin habe angegeben, von der Schule direkt in den Kinderhort gefahren zu sein. Daß sich die Nebenklägerin zu diesem zentralen Punkt etwa widersprüchlich geäußert habe, ist weder ausdrücklich festgestellt, noch ergibt sich dies aus einer Gesamtschau der Urteilsgründe.
c) Der aufgezeigte Mangel führt nicht nur zur Aufhebung des Freispruchs im ersten näher geprüften Fall, sondern zur Aufhebung des gesamten Urteils. Auch in den beiden übrigen näher geprüften Fällen sind die Zweifel der Strafkammer an den Angaben der Nebenklägerin nicht zuletzt auf die Aussagen der Zeugin M. G. gestützt. Diese hat bekundet, daß der Angeklagte zur (angeblichen) Zeit der zweiten Tat an einem Kurs des Roten Kreuzes teilgenommen habe und zum (angeblichen) Zeitpunkt der dritten Tat auswärts in einer Kur gewesen sei.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß es sich auf die Feststellungen zu den anderen Fällen ausgewirkt hätte, wenn die Strafkammer auf der Grundlage widerspruchsfreier Feststellungen zum Ergebnis der Beweisaufnahme im ersten Fall zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
Mit der Aufhebung des Urteils hat sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Entschädigungspflicht erledigt.
2. Der Senat sieht Anlaß zu folgenden Hinweisen:
a) Der Tatrichter ist zwar nicht gehindert, Aussagen eines Zeugen teilweise zu glauben und teilweise nicht; eine derartige Beweiswürdigung bedarf aber eingehender Begründung (vgl. BGH bei Niemöller StV 1984, 431, 438; Urteil vom 22. Juli 1997 - 1 StR 243/97; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 261 Rdn. 83 jew. m.w.Nachw.). Für den von der Strafkammer für möglich gehaltenen, aber offengelassenen Fall, daß ein Geburtstagskaffee nicht stattgefunden hat, wäre hier auch erkennbar in die Erwägungen einzubeziehen, daß die Aussagen der Zeugin M. G. zu diesem Punkt offensichtlich nicht auf einem Versehen oder einem sonst nachvollziehbaren Irrtum beruhen, sondern auf dem Versuch, gemeinsam mit anderen Zeugen das Gericht bewußt in die Irre zu führen.
b) Die Strafkammer hat sich zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Aussagen der Nebenklägerin sachverständiger Beratung bedient. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die Aussagen der Nebenklägerin "mit großer Wahrscheinlichkeit glaubwürdig" seien. Die Strafkammer hat sich dem nicht angeschlossen und ihre Auffassung im wesentlichen damit begründet, daß "die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Zeugin stets dem Tatrichter vorbehalten bleiben muß".
aa) Hätten sich die Bekundungen der Nebenklägerin aufgrund der Feststellungen, die die Strafkammer offensichtlich ohne sachverständige Beratung treffen konnte, als unzutreffend erwiesen, etwa weil sich der Angeklagte und die Nebenklägerin zu den behaupteten Tatzeiten an unterschiedlichen Orten aufgehalten haben, so wäre freilich eine nähere Auseinandersetzung mit dem Sachverständigengutachten entbehrlich gewesen.
bb) Kann die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin dagegen nicht anderweitig überprüft werden oder ergibt diese Überprüfung kein klares Ergebnis, so ist der Tatrichter zwar ebenfalls nicht gehalten, sich dem Gutachter anzuschließen. Die Urteilsgründe müssen sich dann aber mit dem Gutachten auseinandersetzen und verdeutlichen, daß der Tatrichter mit Recht das bessere Fachwissen für sich in Anspruch nimmt (st. Rspr., vgl. die Nachw. bei Hürxthal in KK 3. Aufl. § 261 Rdn. 33). In diesem Fall reicht der - zutreffende - Hinweis auf die dem Tatrichter obliegende Entscheidung nicht aus, nachdem das Gericht zunächst glaubte, sich zur Beurteilung dieser Frage sachverständiger Beratung bedienen zu müssen.
c) Die neu zu Entscheidung berufene Strafkammer wird Gelegenheit haben, sich mit der bei Fallgestaltungen wie der vorliegenden äußerst bedeutsamen Entstehungsgeschichte der belastenden Aussagen (vgl. BGH StV 1994, 227; Urteil vom 11. August 1998 - 1 StR 338/98) auseinanderzusetzen, was bisher nicht geschehen ist.
d) Unbeschadet der Frage, ob die Ausführungen der Revision zu den Verfahrensrügen den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechen, verletzt das Gericht seine Aufklärungspflicht, wenn es anstelle von Beweisbehauptungen, die ein klares Ergebnis zumindest möglich erscheinen lassen (hier z.B. die Vernehmung eines Kursleiters des Roten Kreuzes dazu, ob der Angeklagte eine Unterrichtsstunde für längere Zeit verlassen hat), die Richtigkeit des Anklagevorwurfs ausschließende Beweisbehauptungen des Angeklagten gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO (letzte Alternative) als wahr unterstellt (BGH, Urteil vom 22. April 1964 - 2 StR 66/64; BGH bei Holtz MDR 1980, 456; Alsberg/Nüse/ Meyer 5. Aufl. S. 666; im Ergebnis ebenso Schlüchter, Wahrunterstellung und Aufklärungspflicht 1992 S. 29; für den vergleichbaren Fall der Annahme der Unwiderleglichkeit einer nicht in die Form eines Beweisantrages gekleideten Einlassung des Angeklagten ebenso BGHSt 13, 326).
Ende der Entscheidung
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