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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 06.03.2001
Aktenzeichen: 1 StR 554/00
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

-
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 StR 554/00

vom

6. März 2001

in der Strafsache

gegen

wegen sexueller Nötigung u.a.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. März 2001, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer

und die Richter am Bundesgerichtshof Nack, Dr. Boetticher, Hebenstreit, Schaal,

Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwältin als Verteidigerin,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 7. Juli 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Kindes und mit sexuellem Mißbrauch eines Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Der Angeklagte greift das Urteil mit mehreren Verfahrensrügen und mit der Sachrüge an. Die Revision hat mit der Sachrüge Erfolg, es kommt daher auf die Verfahrensrügen nicht an.

I.

Nach den Feststellungen der Strafkammer lebte der Angeklagte von August 1997 bis September 1999 mit den Töchtern seiner Ehefrau in einem gemeinsamen Haushalt. Seine Ehefrau hatte das Sorgerecht für ihre Töchter, der Angeklagte war für die Erziehung mitverantwortlich. Am 17. September 1999 mißbrauchte der Angeklagte die zehnjährige I. , während er mit ihr und der achtjährigen C. auf der Wohnzimmercouch liegend einen Fernsehfilm ansah, indem er die Hand des Kindes ergriff und diese gegen dessen Willen und Widerstand für kurze Zeit unterhalb seiner Sporthose an sein nacktes und erigiertes Geschlechtsteil führte.

II.

Die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil unterliegt durchgreifenden Bedenken.

Die Verurteilung des Beschwerdeführers beruht ausschließlich auf den Angaben des Kindes. Der Angeklagte bestreitet die Tat. I. könne ihn allenfalls aus Versehen berührt haben.

Steht Aussage gegen Aussage, so muß sich der Tatrichter bewußt sein, daß die Aussage des Belastungszeugen einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen ist, zumal der Angeklagte in solchen Fällen wenig Verteidigungsmöglichkeiten durch eigene Äußerungen zur Sachlage besitzt. Eine lückenlose Gesamtwürdigung der Indizien ist dann von besonderer Bedeutung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, daß der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Dies gilt besonders, wenn der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr aufrechterhält oder der anfänglichen Schilderung nicht gefolgt wird (BGHSt 44, 153, 158).

Die Kammer erachtet die Aussage der Zeugin I. M. "in ihrer Gesamtheit als glaubhaft" (UA S. 15). Sie stützt sich dabei im wesentlichen - sachverständig beraten - auf das Aussageverhalten der Zeugin in der Hauptverhandlung sowie auf die Konstanz der Angaben der Zeugin während des gesamten Verfahrens zum "Kerngeschehen", womit die Kammer ersichtlich nur den der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt meint. Mit drei wesentlichen Punkten setzt sich die Kammer jedoch nicht genügend auseinander:

1. Die Belastungszeugin hatte im Ermittlungsverfahren sowohl bei ihrer polizeilichen Vernehmung (UA S. 18) wie auch gegenüber der sie untersuchenden Ärztin (UA S. 24) angegeben, der Angeklagte habe auch versucht, sie mit seiner Hand zu berühren und an ihr Genital zu fassen. Diesen Vorwurf hat die Zeugin in der Hauptverhandlung nicht mehr erwähnt. Die Kammer würdigt dies wie folgt: "In der Tatsache, daß I. in der Hauptverhandlung einen solchen Vorfall nicht mehr schilderte, sieht die Kammer jedoch keinen Grund dafür, an der Glaubwürdigkeit der I. zu zweifeln. Für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der I. war für die Kammer maßgebend, daß I. konstant und fast wortgleich den Vorfall, bei dem der Angeklagte ihre Hand zu seinem Genital geführt habe, geschildert hat. Für die Glaubwürdigkeit der Zeugin spricht vielmehr, daß sie in der Hauptverhandlung ihre Aussage auf diesen jeweils konstant beschriebenen Vorfall beschränkt hat" (UA S. 19, 24).

2. Einer Mitarbeiterin des Kreisjugendamts, die die Zeugin auf Bitten des Vaters erstmals zu den Vorfällen mit dem Angeklagten befragte, berichtete die Zeugin auch, "daß der Angeklagte ihr schon mal unten reingelangt habe". Die Kammer klärt nicht, ob es sich hierbei um einen zusätzlichen Vorgang an einem anderen Tag handelt und führt hierzu lediglich aus: "Die Tatsache, daß I. in der Hauptverhandlung diesen weiteren Vorfall nicht erwähnte, vermag ihre Glaubwürdigkeit nicht einzuschränken. Der Umstand, daß sich I. vielmehr auf das Wesentliche, das sie konstant immer wieder angab, beschränkte, unterstreicht ihre Glaubwürdigkeit" (UA S. 21, 22).

3. Der Mutter gegenüber hat die Zeugin im Mai 2000 "gesagt, daß sie nur versehentlich an den H. [den Angeklagten] hingekommen sei" (UA S. 15), "daß sie den Angeklagten gestreichelt habe, an seinen Hosenbund gekommen sei und hierbei etwas gespürt habe und dann die Hand zurückgezogen habe" (UA S. 74). Sie habe Angst vor dem Papa, die Wahrheit zu sagen (UA S. 15), da sie gelogen hätte (UA S. 72). Die Zeugin bestätigte in der Hauptverhandlung die damalige Äußerung ihrer Mutter gegenüber, erklärte jedoch, die Mutter seinerzeit belogen zu haben (UA S. 15, 97). Die Kammer nimmt dies ohne weitere Erörterung als glaubhaft hin.

In allen drei Punkten ist die Beweiswürdigung unvollständig. Die Kammer hätte näher begründen müssen, weshalb sie die Glaubwürdigkeit der Angaben der Zeugin durch deren widersprüchliches Aussageverhalten nicht beeinträchtigt sah. Die Kammer hätte Feststellungen dazu treffen müssen, weshalb die Zeugin die oben unter 1. und 2. erwähnten früheren Vorwürfe in der Hauptverhandlung nicht wiederholte, ob die Zeugin insoweit früher bewußt - oder auch unbewußt - falsche Angaben machte oder ob dies jedenfalls nicht auszuschließen ist. Zu Punkt 3 wären nähere Untersuchungen zur Plausibilität des Aussageverhaltens der Zeugin im Mai 2000 ihrer Mutter gegenüber notwendig gewesen. Erst vor dem Hintergrund der dann gefundenen Antworten hätte die Kammer tragfähig entscheiden können, ob die Verurteilung allein auf die Angaben der Zeugin gestützt werden kann oder ob es hierzu weiterer Indizien außerhalb von deren Aussage bedurft hätte (BGHSt 44, 153, 159; BGHSt 44, 256, 257; BGH NStZ 2001, 161; Nack StraFo 2001, 1 ff.; Sander StV 2000, 45 ff.).



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