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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 12.02.1998
Aktenzeichen: 1 StR 588/97
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 24
StPO § 27
StPO § 244 Abs. 4 Satz 2
StPO §§ 24, 27 StPO § 244 Abs. 4 Satz 2

a) Wird ein Ablehnungsgesuch zugleich gegen mehrere erkennende Richter eingereicht, ist eine einheitliche Beschlußentscheidung jedenfalls dann veranlaßt, wenn die Ablehnungsgründe in Verbindung zueinander stehen.

b) Gesetzlicher Richter für den Beschluß über ein Ablehnungsgesuch ist der im Zeitpunkt der Entscheidung (nicht der Antragstellung) berufene Richter.

c) Verweigert ein Angeklagter dem gerichtlich bestellten Sachverständigen die (psychiatrische/psychologische) Untersuchung, so verfügt ein weiterer Sachverständiger nicht deswegen über überlegene Forschungsmittel, weil sich der Angeklagte von diesem untersuchen lassen würde.

BGH, Urt. vom 12. Februar 1998 - 1 StR 588/97 - LG München I


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 StR 588/97

vom

12. Februar 1998

in der Strafsache

gegen

wegen Mordes

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Grund der Verhandlung vom 10. Februar 1998 in der Sitzung am 12. Februar 1998, an denen teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer

und die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ulsamer, Dr. Maul, Dr. Brüning, Dr. Wahl,

Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwälte - in der Verhandlung vom 10. Februar 1998 als Verteidiger,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 12. Dezember 1996 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und festgestellt, seine Schuld wiege besonders schwer. Nach den Feststellungen haben der Angeklagte und seine Geliebte deren Ehemann gemeinsam getötet. Der Angeklagte hat die Ausführung des zunächst gemeinsam gefaßten und detailliert vorbereiteten Planes auch gegen die zuletzt zögernde Mittäterin mit psychischem Druck durchgesetzt. Er hat in der Wohnung im Dunkeln lauernd auf das heimkehrende Tatopfer mit einer Armbrust geschossen und es nach weiteren Mißhandlungen schließlich mit Messerstichen getötet. Er wollte seine Geliebte nicht mit einem anderen Mann teilen. Der Angeklagte war zur Tatzeit voll schuldfähig.

II.

Die Überprüfung des Urteils auf die vom Angeklagten allgemein erhobene Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil aufgezeigt. Die Einwände gegen die Feststellung der besonderen Schuldschwere nach § 57 a Abs. 1 Nr. 2 StGB sind nicht begründet. Das Landgericht hat nicht - was unzulässig wäre - die Schwere der Schuld (allein) dem Verhältnis der Tatbeiträge beider Mittäter entnommen. Es hat der Rechtsprechung folgend (BGHSt 40, 360) im Rahmen einer Gesamtwürdigung Umstände von Gewicht aufgeführt, welche die vorgenommene Wertung rechtfertigen - nämlich das Vorliegen zweier Mordmerkmale (Heimtücke, niedrige Beweggründe), die eigenhändige "grausige Tötungsweise", der Gedanke zur Tötung kam vom Angeklagten, er steuerte die Tatvorbereitung.

III.

Die Verfahrensrügen greifen ebenfalls nicht durch.

1. Gerichtsbesetzung beim Ablehnungsbeschluß:

a) Die Revisionsrüge, über den gegen die drei Berufsrichter des erkennenden Schwurgerichts gerichteten Befangenheitsantrag hätte nicht gleichzeitig - durch einen Beschluß - entschieden werden dürfen, ist unbegründet.

In Fällen, in denen ein Ablehnungsgesuch zugleich gegen mehrere erkennende Richter eingereicht wird, ist jedenfalls dann eine einheitliche Entscheidung sachgerecht und daher veranlaßt, wenn - wie hier und fast immer - auch die Ablehnungsgründe in Verbindung zueinander stehen (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 43. Aufl. § 27 Rdn. 3, 4; Streitstand siehe BGHR StPO § 27 Entscheidung l, wo diese Frage ebenso offengelassen wurde wie in der Entscheidung BGHSt 21, 334 ff., die darauf abstellt, ob die Gesuche "den gleichen Rang" haben). Der Bundesgerichtshof selbst verfährt bei Ablehnung zugleich mehrerer Richter in dieser Weise (BGH NStZ 1995, 393). Die Entscheidung zunächst über die Befangenheit nur eines Richters - und sodann unter dessen Mitwirkung über den nächsten Richter usw. - ist in der Verfahrensweise unökonomisch; sie führt zu langdauernden und umständlichen Zwischenverfahren mit stets wechselnder Richterbesetzung und entsprechenden weiteren Möglichkeiten von Besetzungs- und Befangenheitsrügen sowie mehrfachen, u.U. unterschiedlichen Entscheidungen über gleiche oder ähnliche Befangenheitsfragen.

Nicht sachgerecht zu lösen wäre auch die Reihenfolge, in der über die abgelehnten Richter entschieden werden müßte. Zahlreiche Modelle, ausgerichtet an Zweckmäßigkeitserwägungen, werden - ohne daß das Gesetz insoweit eine Grundlage bietet - vertreten (vgl. Voormann NStZ 1985, 444 ff.). Den in der Literatur vorgesehenen Lösungen - der Reihenfolge, in der die Namen im Ablehnungsgesuch oder im Geschäftsverteilungsplan aufgeführt sind (Pfeiffer in KK 3. Aufl. § 27 Rdn. 6; Wendisch in LR 25. Aufl. § 27 Rdn. 35) oder dem Anfangsbuchstaben oder Dienstalter - vermag der Senat kein derartiges Gewicht beizumessen, daß sich danach der jeweilige gesetzliche Richter bestimmen sollte.

Zudem müßte dann jeweils ein Richter nach Ablehnung des ihn betreffenden Gesuchs unter Umständen auch über die gegen ihn selber vorgetragenen Ablehnungsgründe mitentscheiden. Das könnte nach der Rechtsprechung des 2. Senats des Bundesgerichtshofs (NStZ 1984, 419 f.) Bedenken begegnen hinsichtlich der Unbefangenheit dieses mitentscheidenden Richters (vgl. auch Senatsentscheidungen in BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 6, 10).

b) Die Revision greift nicht durch, soweit sie die Mitwirkung des Richters am Landgericht B. bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch beanstandet. Gesetzlicher Richter für einen solchen Beschluß ist nicht der im Zeitpunkt der Antragstellung, sondern der im Zeitpunkt der Entscheidung berufene Richter. Die Entscheidung über die Ablehnung eines Richters findet in Form eines schriftlichen Verfahrens außerhalb der Hauptverhandlung statt. Eine entsprechende Anwendung des Grundsatzes der Einheitlichkeit der mündlichen Verhandlung und damit der Notwendigkeit einer unveränderten Gerichtsbesetzung, ist hierbei nicht möglich. Über die Ablehnung eines erkennenden Richters muß nicht alsbald entschieden werden (§ 29 Abs. 2 Satz 1 StPO), die für die Ablehnungsentscheidung zuständige Gerichtsbesetzung kann sich also zwischen Antragstellung und Entscheidung ändern - sei es durch Krankheit, Urlaub, sonstige Verhinderung oder durch deren Wegfall. Müßte - so die Revision - der im Zeitpunkt der Antragstellung berufene Richter jedenfalls bei der Entscheidung mitwirken, könnte über ein Ablehnungsgesuch unter Umständen nicht mehr innerhalb der gesetzlichen Frist während des Laufs der Hauptverhandlung entschieden werden; das heißt, ein (eventuell unbegründetes) Ablehnungsgesuch könnte schon aus Fristgründen zur Aussetzung der Hauptverhandlung führen.

c) Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob im Hinblick auf die neuerdings gesteigerten Anforderungen an die Bestimmung des gesetzlichen Richters uneingeschränkt an der Rechtsprechung festgehalten werden soll, eine fehlerhafte Besetzung der Strafkammer bei der Entscheidung über einen Befangenheitsantrag könne die Revision nicht begründen. Maßgebend sei vielmehr allein, ob der Befangenheitsantrag auch sachlich zu Recht zurückgewiesen wurde(BGHSt 18, 200, 203, 204; 21, 334, 338).

2. Der Antrag des Angeklagten auf Ablehnung des Vorsitzenden Richters Dr. H. vom 10. September 1996, erweitert am 13. September 1996, ist vom Landgericht im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen worden. Das Ablehnungsgesuch stützte sich darauf, der Richter sei gegenüber der von der Verteidigung beauftragten und von ihr zur Hauptverhandlung geladenen Sachverständigen Dr. Z. voreingenommen. Grundsätzlich können Spannungen zwischen Sachverständigem und Richter nur ganz ausnahmsweise (wie etwa bei Spannungen zwischen Verteidiger und Richter, vgl. BGH StV 1993, 339; 1995, 396) - also in krassen Fällen - dann die Ablehnung begründen, wenn der Angeklagte daraus die Besorgnis ableiten kann, der Richter sei ihm gegenüber nicht unparteiisch. Die Ablehnungsgründe sind teils verspätet vorgetragen, teils unbegründet.

Anlaß für die Ablehnung war der Antrag der Sachverständigen Dr. Z. , vom Gutachtensauftrag entbunden zu werden.

a) Zur Begründung der Voreingenommenheit zog die Verteidigung zum einen Beschlüsse der Schwurgerichtskammer und eine Reihe von prozessualen Maßnahmen und Äußerungen des Vorsitzenden (auch) zu Rechtsfragen in bezug auf diese Sachverständige und die Situation von Privatgutachtern heran. Diese lagen als Vorgänge in der Hauptverhandlung (und ein Beschluß vor dieser) schon wenigstens fünf Monate zurück. Damit waren diese behaupteten Ablehnungsgründe nicht unverzüglich nach Kenntniserlangung geltend gemacht worden, wie § 25 Abs. 2 StPO es verlangt. Der Ablehnungsberechtigte darf, wenn ein Ablehnungsgrund entstanden ist, nicht erst die weitere Entwicklung des Verfahrens abwarten (Pfeiffer in KK 3. Aufl. § 25 Rdn. 4). Diese Gründe können auch nicht im Zusammenhang mit weiterem, rechtzeitigem Vorbringen Bedeutung gewinnen, wenn dieses - wie hier - nicht glaubhaft gemacht wurde (s. lit. b) oder nicht als Ablehnungsgrund herangezogen werden kann (lit. c). Andernfalls könnte durch einfache Behauptungen jedes verspätete Vorbringen aktualisiert werden.

b) Das Ablehnungsgesuch vom 10. September 1996 stützt sich außerdem vergeblich auf die Tatsache und den Inhalt von Telefongesprächen vom 26. und 30. März 1996 zwischen dem abgelehnten Richter und Rechtsanwalt Dr. Z. , dem Ehemann der Sachverständigen. Im Mittelpunkt stand die Erteilung von Aufträgen zur psychiatrischen Begutachtung an die Sachverständige Dr. Z.. Die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters Dr. H. (unterstützt durch die dienstliche Äußerung des ebenfalls abgelehnten Richters am Landgericht T.) weicht stark von der Stellungnahme des Rechtsanwalts Dr. Z. vom 9. September 1996 ab. Die Revision meint aber, vieles spreche für deren Richtigkeit.

Zum einen kann die 'Besorgnis' der Befangenheit nur aus Tatsachen, nicht aus Vermutungen des Angeklagten abgeleitet werden (BGH StV 1996, 355). Darüber hinaus sind die von der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters abweichenden Behauptungen des Antragstellers nicht glaubhaft gemacht worden. Darauf weist der Generalbundesanwalt zutreffend hin und führt dies in Übereinstimmung mit dem Beschluß des Landgerichts über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs aus.

Deshalb kommt es nicht darauf an, ob der Angeklagte - wie behauptet - erst am 10. September 1996 von den Vorgängen um die Telefongespräche Kenntnis bekommen hat (die allerdings zeitgleich mit themennahen Auseinandersetzungen in der Hauptverhandlung etwa fünf Monate zuvor stattgefunden haben) oder ob auch dieses Vorbringen als verspätet anzusehen ist.

c) Soweit die Revision in Erweiterung des Ablehnungsantrages meint, auch der sich aus der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters Dr. H. vom 10. September 1996 ergebende Sachverhalt begründe die Besorgnis der Befangenheit, vermag der Senat dem nicht zu folgen.

aa) Ein neuer - rechtzeitig vorgebrachter - Ablehnungsgrund wird nicht allein dadurch geschaffen, daß der Richter in seiner dienstlichen Äußerung Behauptungen, die i.S. des § 25 StPO verspätet vorgetragen wurden, bestätigt oder erläutert.

bb) Der abgelehnte Richter hat eingeräumt, (auch bei den genannten Telefongesprächen) Verärgerung gezeigt zu haben über eine nach seiner Auffassung von der Sachverständigen Dr. Z. verursachte Verfahrensverzögerung. Selbst wenn Gleiches dem Angeklagten erst aus der Stellungnahme des Rechtsanwalts Dr. Z. und nicht bereits aus dem Gang der Hauptverhandlung deutlich geworden sein sollte, kann das die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen.

Das Gericht ist nicht verpflichtet, Verzögerungen der Hauptverhandlung hinzunehmen, die durch die Beauftragung eines vom Angeklagten geladenen Sachverständigen entstehen (BGH NStZ 1993, 395, 397). Hier war ein schriftliches Gutachten der von der Verteidigung geladenen Sachverständigen so kurz vor Beginn der auf drei aufeinanderfolgende Tage terminierten Hauptverhandlung übergeben worden, daß die Prozeßbeteiligten es nicht rechtzeitig bearbeiten konnten. Das Gericht hätte sich mit der mündlichen Gutachtenerstattung in der Hauptverhandlung begnügen können. Gleichwohl hat der Vorsitzende die Hauptverhandlung unterbrochen und die folgenden Sitzungstage zeitlich hinausgeschoben, "um den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit zu geben, vor der Vernehmung des Angeklagten zur Person das über 400 Seiten starke Gutachten durchzuarbeiten". Da der abgelehnte Richter hierzu, obwohl nicht verpflichtet, bereit war, kann der Angeklagte aus dem (verständlichen) Unmut des Richters über die entstehende Verzögerung nicht die Besorgnis ableiten, der Unmut gegenüber der Sachverständigen könne die Unparteilichkeit des Richters gegenüber dem Angeklagten störend beeinflussen.

3. Durch den Gerichtsbeschluß vom 25. März 1996, die Angeklagten seien in Abwesenheit der sachverständigen Zeugin Dr. Z. (zugleich Sachverständige) zu vernehmen, ist die Verteidigung nicht in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt unzulässig beschränkt worden (Rüge nach § 338 Nr. 8 StPO).

Die nach einem Beweisantrag gemäß § 245 Abs. 2 StPO als präsentes Beweismittel in die Hauptverhandlung eingeführte Sachverständige hatte als zunächst außerhalb des Verfahrens stehende Person den Angeklagten und Dritte befragt. Sie konnte darüber als (sachverständige) Zeugin vernommen werden. Die Anwendung des § 243 StPO auf eine Zeugin, die auch als Sachverständige in Betracht kommt, ist nicht unzulässig (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 43. Aufl. § 243 Rdn. 8). Maßgebend ist insoweit, ob die neben der Zeugeneigenschaft bestehende Funktion als Sachverständige überwiegt (vgl. Gollwitzer in LR 24. Aufl. § 243 Rdn. 28) und inwieweit der Wert ihrer Zeugenaussage bei vorheriger Anwesenheit in der Hauptverhandlung beeinträchtigt sein könnte. Das ist eine Frage des Einzelfalls, wobei der Tatrichter ein weites Ermessen hat.

Daß hier im übrigen durch die Anwendung des § 243 Abs. 2 Satz 1 StPO die Verteidigung in unzulässiger Weise behindert worden sein könnte, ist nicht ersichtlich. Es wird vielmehr ein (vermeintlicher) Rechtsfehler geltend gemacht, der sich auf das Urteil nicht auswirken konnte. Es fehlt an einer Verknüpfung zwischen dem Urteil und der Abwesenheit der Sachverständigen während der Angeklagteneinlassung. Denn die Sachverständige ist aus dem Verfahren ausgeschieden und hat kein Gutachten erstattet, nachdem die Verteidigung den Beweisantrag zu ihrer Gutachtenerstattung zurückgenommen, die Entbindung von der Schweigepflicht widerrufen, sie nicht mehr geladen und keinen weiteren Vorschuß gezahlt hat. Die Sachverständige hat in ihrem Antrag auf Entbindung von der Gutachtenerstattung, der vom Gericht zurückgewiesen worden war, nicht vorgetragen, ihre teilweise Abwesenheit mache ihr die Gutachtenerstattung nicht möglich.

4. Unbegründet ist die Rüge, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft die beantragte Erholung zweier weiterer Sachverständigengutachten zur Frage erheblich verminderter Schuldfähigkeit abgelehnt - Verstoß gegen § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO. Der Antrag war gestellt worden, nachdem die vom Angeklagten beauftragte Sachverständige aus dem Prozeß ausgeschieden war, und darauf gestützt, daß sich der Angeklagte von den gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht untersuchen lasse.

a) Das Landgericht konnte den Beweisantrag mit der Begründung ablehnen, das Gegenteil der Beweisbehauptung sei bereits erwiesen. Entgegen dem Revisionsvortrag verfügen die vorgeschlagenen Sachverständigen nicht über Forschungsmittel, die denen des gerichtlich bestellten Psychiaters und des Psychologen überlegen erscheinen, auch wenn sich der Angeklagte von den von ihm vorgeschlagenen Sachverständigen untersuchen lassen würde.

Forschungsmittel im Sinne des § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO sind Hilfsmittel und Verfahren, deren sich der Sachverständige für seine wissenschaftlichen Untersuchungen bedient und deren Anwendung auch den Erstgutachter in entscheidungserheblicher Weise zu einem zuverlässigeren und überzeugenderen Ergebnis hätten gelangen lassen (BGHSt 23, 176, 186; Julius in Heidelberger Kommentar, StPO § 244 Rdn. 42; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg 24. Aufl. § 244 Rdn. 319 je m.w.Nachw.). Gemeint sind nur solche Forschungsmittel, die infolge Ausbildung, Forschung, technischer Möglichkeiten, Institutsausstattung und Erkenntnismöglichkeit dem wissenschaftlichen Verfügungskreis eines Sachverständigen zuzurechnen sind. Die Exploration durch einen psychiatrischen/psychologischen Sachverständigen gehört nicht dazu.

aa) Der Bundesgerichtshof hat entschieden, daß die Verfügung über besonders reichhaltiges Beobachtungsmaterial nicht die Annahme rechtfertigt, dem Sachverständigen stünden überlegene Forschungsmittel zu Gebote (BGH GA 1961, 241; BGH bei Dallinger MDR 1956, 398). Das gleiche gilt für eine mehrwöchige Anstaltsbeobachtung (im Vergleich zur üblichen Untersuchung), wenn nicht Besonderheiten dargetan werden (BGHSt 8, 76, 77; BGH, Urt. vom 9. Februar 1978 - 4 StR 686/77). Zwar wird insoweit anerkannt, daß eine Beobachtung nach § 81 StPO vielfach klarere Ergebnisse ergeben kann. Eine solche Untersuchung könne der Gesetzgeber aber nicht im Rahmen des § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO gemeint haben, andernfalls sie stets auf Antrag durchgeführt werden müsse. Den Entscheidungen liegt gleichermaßen zugrunde, daß nicht jedes mögliche Mittel ausgeschöpft werden muß. Hat ein Sachverständiger bestimmte Untersuchungsmethoden nicht angewandt, so bedeutet das nicht, daß er über sie nicht verfüge (BGH StV 1985, 489; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 43. Aufl. § 244 Rdn. 76).

bb) In diesem Sinne ist davon auszugehen, daß die Untersuchung einer zu begutachtenden Person zwar eines der Hilfsmittel ist, deren sich ein Sachverständiger zur psychiatrischen Begutachtung üblicherweise bedient. Um ein überlegenes Forschungsmittel, über das der eine, nicht aber ein anderer Sachverständiger verfügt, handelt es sich indes auch dann nicht, wenn ein Angeklagter die Untersuchung nur einem bestimmten Sachverständigen gestattet. Denn bei der Untersuchung eines Angeklagten handelt es sich nicht um eine Begutachtungsmöglichkeit, die in der Verfügung des Sachverständigen steht. Vielmehr kann sie ihm vom Angeklagten nach dessen freier Entscheidung zur Verfügung gestellt werden oder auch nicht. § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO versteht unter einem Forschungsmittel nicht die Untersuchung selbst. Diese dient der Feststellung und Schaffung von Anknüpfungstatsachen, die mit Hilfe von Forschungsmitteln überprüft und bewertet werden sollen. Sie ist Gegenstand der Forschung, nicht das Forschungsmittel selbst.

b) Daraus folgt für den vorliegenden Fall, daß ein Angeklagter durch Untersuchungsverweigerung nicht einen weiteren Sachverständigen erzwingen kann. Für den Angeklagten stellt die Untersuchungsverweigerung keine Möglichkeit dar, § 73 StPO - der Richter wählt den Sachverständigen aus und § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO - weitere Sachverständige werden nur unter dort bestimmten Voraussetzungen gehört - zu unterlaufen. Die Ablehnung, sich vom gerichtlichen Sachverständigen untersuchen zu lassen, begründet für ihn - von besonderen (Befangenheits-)Umständen abgesehen - keine zusätzlichen Rechte (vgl. auch BGH NStZ 1997, 610). Andernfalls hätte er es in der Hand, nur den "Sachverständigen seines Vertrauens" (so die Revision) bestellen zu lassen mit allen sich daraus ergebenden Folgen, die sich aus der Verlagerung der von Amts wegen durchzuführenden Aufklärung des Sachverhalts durch das Gericht auf einen vom Angeklagten ausgewählten Gutachter ergäben.

c) Das von der Revision in diesem Zusammenhang für den Angeklagten verlangte Recht auf "freie Arztwahl" besteht im Rahmen der StPO bei der Bestellung eines Sachverständigen nicht; hier geht es um die Beurteilung, nicht um eine Behandlung des Angeklagten. Im Ermittlungsverfahren zieht die Staatsanwaltschaft erforderlichenfalls einen von ihr ausgewählten Sachverständigen hinzu, wobei sie dem Verteidiger Gelegenheit zur Stellungnahme gibt (§ 161 a Abs. 1 Satz 2 StPO; RiStBV Nr. 70 Abs. 1). Der Richter ist frei, diesen oder einen anderen Sachverständigen für das Hauptverfahren zu bestellen (Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 73 Rdn. 1 m.w.Nachw.; vgl. auch Dippel, Die Stellung des Sachverständigen im Strafprozeß S. 82 ff.), da er im gerichtlichen Verfahren hierfür zuständig ist (§ 73 Abs. 1 StPO). Auch könnte ins Auge gefaßt werden, daß die Staatsanwaltschaft sich zusätzlich vor der Auswahl mit dem künftig zuständigen Richter, falls die Zuständigkeit schon beurteilt werden kann, ins Benehmen setzt (Wache in KK 3. Aufl. § 161 a Rdn. 10; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 161 a Rdn. 12;) oder beim Ermittlungsrichter einen Antrag auf Bestellung eines Sachverständigen stellt (vgl. G. Schäfer, Die Praxis des Strafverfahrens, 5. Aufl. S. 94 Rdn. 228). Eine sich allein auf § 161 a StPO stützende Praxis schränkt faktisch die Befugnisse des Richters nach § 73 Abs. 1 StPO ein (vgl. auch §§ 78, 82 StPO). Auch könnte dadurch der Besorgnis etwaiger einseitiger Auswahl begegnet werden.

Will der Angeklagte nur beim "Sachverständigen des Vertrauens" Angaben machen, wird dadurch die alleinige Entscheidungsbefugnis des Tatrichters über die Auswahl des Sachverständigen nicht tangiert ("darf nicht ausgehöhlt werden", BGH NStZ 1993, 395, 397). Läßt sich ein Angeklagter vom gerichtlichen Sachverständigen nicht untersuchen, muß er in Kauf nehmen, überhaupt nicht untersucht zu werden (vgl. auch BGH NStZ 1997, 610).

d) Da der Richter den Sachverständigen bestellt, können Staatsanwaltschaft und Angeklagter die Anhörung eines bestimmten Sachverständigen nur durch Selbstladung und Beweisantrag nach §§ 220, 245 StPO erreichen. Den Rechten und Pflichten eines Sachverständigen aus § 80 StPO unterliegt dieser erst nach dem Beschluß gemäß § 245 Abs. 2 StPO; allerdings mit den Beschränkungen, die sich aus seiner Stellung als "präsentem Beweismittel" ergeben (vgl. BGH NStZ 1998, 93, 94 und NStZ 1993, 395, 397). Die Vorstellung der Revision, der privat bestellte Sachverständige könne den Angeklagten untersuchen und begutachten, aber jederzeit durch einen gerichtlichen Gutachter kontrolliert werden (dem dann entgegengehalten werden kann, er habe schließlich den Angeklagten nicht untersucht), verkehrt - abgesehen von dem ausufernden Gutachteraufwand - die gesetzliche Ordnung in ihr Gegenteil und widerspricht dem Amtsermittlungsgrundsatz der StPO. Der vom Angeklagten bestellte und geladene Sachverständige muß nicht auf die Rolle eines Kontrolleurs beschränkt werden (Senatsentscheidung in NStZ 1998, 94; vgl. aber BGH NStZ 1993, 395, 397 und Detter Festschrift für Salger S. 240 f.). Wo die rechtliche Grenze für einen "Mißbrauch des Selbstladungsrechts" (Detter NStZ 1998, 57, 61) verläuft, hat der Senat hier nicht zu entscheiden.

5. Das Revisionsvorbringen hat auch auf die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) keinen Erfolg. Zwar weist die Revision zutreffend darauf hin, daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unter besonderen Umständen in der Unterlassung der Heranziehung eines weiteren Sachverständigen eine Verletzung der Aufklärungspflicht selbst dann liegen kann, wenn das Gericht einen hierauf zielenden Antrag mit einer nach § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO zulässigen Begründung ablehnen konnte (BGHSt 10, 116, 118; 23, 176, 187). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Es bestand kein Anlaß, von Amts wegen weitere Sachverständigengutachten zu erholen.

a) Das Gericht hat in der Hauptverhandlung einen psychiatrischen und einen psychologischen Sachverständigen gehört, von denen der Angeklagte sich nicht hatte untersuchen lassen. Es hat sich deren Erkenntnissen angeschlossen. Ein Sachverständiger hat in eigener Verantwortung zu entscheiden, welche Unterlagen er für die Erstattung seines Gutachtens benötigt und welche Untersuchungsmethoden er anwendet (BGH bei Kusch NStZ 1992, 27 m.w.Nachw.). Das gilt auch für den Fall, daß ein psychiatrischer/psychologischer Sachverständiger die bloße Beobachtung in der Hauptverhandlung - unter Umständen in Verbindung mit sonstigen Erkenntnisquellen - ohne persönliche Exploration zur Gutachtenerstattung für ausreichend hält (vgl. BGH, Urt. vom 5. November 1997 - 5 StR 422/97). Maßgebend ist, ob der Sachverständige nach seinem pflichtgemäßen Ermessen das Gutachten mit den gegebenen Mitteln erstatten kann oder nicht. Bedeutsam sind die Umstände des Einzelfalles. Hier konnten durch die Zeugenvernehmung der Sachverständigen Dr. Z. , die den Angeklagten 17mal zur Untersuchung in der Haft aufgesucht hatte, deren Untersuchungsergebnisse in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Zusätzlich waren die Angaben des Angeklagten und von Zeugen, technische Untersuchungen und die Beobachtung des Angeklagten in 35 Hauptverhandlungstagen geeignet, reichlich Anknüpfungstatsachen für eine Beurteilungsgrundlage zur Verfügung zu stellen.

b) Auch sonst drängte nichts zu weiterer Aufklärung. Zwar befand sich ein umfangreiches privat erstelltes Gutachten bei den Akten, das im Gegensatz zu den gerichtlich bestellten Sachverständigen und der Entscheidung des Landgerichts vom Vorliegen einer schweren seelischen Abartigkeit ausgeht und zusätzlich die vom Gericht zu entscheidende Rechtsfrage (BGHSt 43, 67; st. Rspr.) der Erheblichkeit einer Beeinträchtigung im Sinne des § 21 StGB (häufiger Praxis entsprechend) selbst beurteilt und bejaht. Das aber mußte dem Landgericht nicht Veranlassung geben, ein weiteres Gutachten zu erholen. Das vom Angeklagten vorgelegte Gutachten geht zudem in wesentlichen Punkten von Anknüpfungstatsachen aus, die im Widerspruch zu den gerichtlichen Feststellungen stehen. Schon von daher war es für den konkreten Fall nicht aussagekräftig. Die vom Gericht gehörten Sachverständigen, und im Anschluß daran auch das Urteil, haben sich eingehend mit den im Privatgutachten enthaltenen Thesen auseinandergesetzt. Auch im übrigen lag die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit bei dem lange vorgeplanten Mord nach den eingehenden Darlegungen der gerichtlichen Sachverständigen und den Urteilsgründen sehr fern.



Ende der Entscheidung

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