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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 19.02.2008
Aktenzeichen: 1 StR 653/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 216 Abs. 2 Satz 2
StPO § 217 Abs. 1
StPO § 217 Abs. 2
Ein etwaiger Verstoß gegen § 216 Abs. 2 Satz 2 StPO berührt die Wirksamkeit der Ladung zur Hauptverhandlung nicht. Deshalb besteht auch kein Anspruch auf Aussetzung der Hauptverhandlung nach § 217 Abs. 2 StPO.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

1 StR 653/07

vom 19. Februar 2008

in der Strafsache

gegen

wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Februar 2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 29. Oktober 2007 wird mit der Maßgabe verworfen, dass es im Ausspruch über die Einziehung "Das sichergestellte Kokain (100,76 g Kokaingemisch)" heißen muss.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Des Weiteren hat es die Einziehung des "sichergestellten Kokains" angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat lediglich in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Anlass zu ergänzenden Ausführungen besteht nur hinsichtlich Folgendem:

I. Die Verfahrensrügen, das Landgericht habe die Aussetzungsanträge der Verteidigung rechtsfehlerhaft zurückgewiesen und es liege eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung nach § 338 Nr. 8 StPO vor, dringen nicht durch.

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist der Angeklagte ordnungsgemäß zur Hauptverhandlung geladen worden, § 217 Abs. 1 StPO.

a) Die Ladungsfrist des § 217 Abs. 1 StPO ist eingehalten. Daran ändert auch nichts, dass - wie die Kammer festgestellt hat - eine Befragung nach § 216 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht erfolgt ist. Wie die Kammer im Rahmen des die beantragte Aussetzung ablehnenden Beschlusses vom 8. Oktober 2007 (RB Rechtsanwalt D. S. 10) zutreffend ausführt, berührt ein etwaiger Verstoß gegen § 216 Abs. 2 Satz 2 StPO die Wirksamkeit der Ladung zur Hauptverhandlung nicht (a.A.: LG Potsdam StV 2006, 574; Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 216 Rdn. 8). Die Befragung nach § 216 Abs. 2 Satz 2 StPO stellt keinen Bestandteil der Ladung dar. Vielmehr ist zwischen der Ladung einerseits und der "dabei" vorzunehmenden Befragung andererseits zu differenzieren. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Befragung nach § 216 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht gleichzeitig mit der Zustellung der Ladung erfolgen muss, sondern dieser zeitlich nachfolgen kann (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 216 Rdn. 11; Tolksdorf in KK 5. Aufl. § 216 Rdn. 7). Dem Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung gemäß § 217 Abs. 2 StPO musste das Landgericht daher nicht stattgeben.

b) Es liegt aber auch schon kein Verstoß gegen § 216 Abs. 2 Satz 2 StPO vor. Die Befragung nach § 216 Abs. 2 Satz 2 StPO soll dem durch die Haft in seiner Verteidigung möglicherweise behinderten Angeklagten Gelegenheit geben, rechtzeitig vor der Hauptverhandlung förmliche Anträge - unabhängig von seiner Verteidigung - zu stellen und damit die gegen ihn bestehenden Verdachtsgründe zu beseitigen sowie die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen. Nach diesem Zweck der Regelung ist die Befragung jedoch entbehrlich, wenn der Angeklagte seinen Verteidiger nach § 145a Abs. 2 StPO zur Empfangnahme von Ladungen besonders bevollmächtigt hat. Der Angeklagte kann auch im Falle des § 216 Abs. 2 StPO auf die Zustellung der (ordnungsgemäßen) Ladung verzichten (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 216 Rdn. 17; Tolksdorf in KK 5. Aufl. § 216 Rdn. 8). In der ausdrücklichen Erteilung der Ladungsvollmacht liegt ein Verzicht sowohl auf die eigene Ladung als auch auf die Befragung (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 216 Rdn. 12; Tolksdorf in KK 5. Aufl. § 216 Rdn. 8; Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 216 Rdn. 7).

Dem steht hier nicht entgegen, dass vorliegend keine Ladung des Angeklagten durch Zustellung an den gemäß § 145a Abs. 2 StPO ermächtigten Verteidiger erfolgte, sondern dass der nicht auf freiem Fuß befindliche Angeklagte nach § 216 Abs. 2 Satz 1 StPO - ohne die Befragung nach § 216 Abs. 2 Satz 2 StPO - und daneben die Verteidigung gemäß § 218 Satz 1 StPO geladen wurde. Durch die ausdrückliche Bevollmächtigung seines Verteidigers Rechtsanwalt D. zur Entgegennahme von Ladungen (EA S. 136) hat der Angeklagte sowohl auf die Zustellung der Ladung an sich selbst als auch auf die Befragung nach § 216 Abs. 2 Satz 2 StPO verzichtet. Aufgrund dieses Verzichts war die Befragung des Angeklagten - unabhängig von der Art und Weise der Ladung - entbehrlich.

2. Im Übrigen ist ein etwaiger Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs regelmäßig ausreichend kompensiert. Der Senat hat Zweifel, ob die Regelung des § 216 Abs. 2 Satz 2 StPO überhaupt noch zur Wahrung der prozessualen Rechte des Angeklagten notwendig ist, weil der Verteidiger die Rechte und Interessen seines Mandanten in aller Regel sachgerecht wahrnimmt und etwaige Anträge zur Beweisaufnahme stellt. Jedenfalls ist das Gericht bei einem verteidigten Angeklagten regelmäßig nicht gehalten, Aussetzungsanträgen, die auf einen Verstoß gegen § 216 Abs. 2 Satz 2 StPO gestützt werden, nachzukommen (vgl. noch zum nicht verteidigten Angeklagten BGH, Urt. vom 7. Juli 1964 - 5 StR 217/64).

Abgesehen davon kann die fehlende Befragung nach § 216 Abs. 2 Satz 2 StPO für sich allein den Angeklagten nicht in seiner Verteidigung behindern. Der Angeklagte ist nicht gehindert, in der Hauptverhandlung alle zu seiner Verteidigung notwendigen Anträge zu stellen - er wird zur Sache befragt, § 243 Abs. 4 StPO, er hat das Recht sich zum Beweisgang zu äußern, § 257 Abs. 1 StPO und Beweisanträge zu stellen, § 244 Abs. 3 - 5, § 245 StPO.

3. Der Senat kann offenlassen, ob angesichts der geänderten Lebenswirklichkeit - insbesondere der Ausweitung der Pflichtverteidigung (vgl. dazu den Überblick über die Entstehungsgeschichte bei Lüderssen/Jahn in Löwe/ Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 140 vor Rdn. 1) - die Befragung nach § 216 Abs. 2 Satz 2 StPO überhaupt zwingend mündlich zu erfolgen hat. Dies gebietet jedenfalls der Gesetzeswortlaut nicht eindeutig. In Fällen, in denen das Gesetz ausschließlich eine mündliche Befragung beziehungsweise Erörterung zulässt, ist dies - anders als in § 216 Abs. 2 Satz 2 StPO - ausdrücklich geregelt (vgl. § 124 Abs. 2 Satz 3, § 406a Abs. 2 Satz 3 StPO).

4. Die Beschlüsse, mit denen das Landgericht die weiteren Aussetzungsanträge der Verteidigung zurückgewiesen hat, sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Im Übrigen würde die allgemeine Behauptung, eine Aussetzung des Verfahrens und eine Entlassung des Angeklagten aus der Untersuchungshaft hätten eine "völlig andere prozessuale Situation ergeben", eine Behinderung der Verteidigung im Sinne von § 338 Nr. 8 StPO auch nicht belegen.

II. Die Nachprüfung des Urteils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts hat weder im Schuld- noch im Strafausspruch einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Der Senat bemerkt jedoch, dass das Vorbringen des Verteidigers Rechtsanwalt D. aus M. , wonach das verhängte Strafmaß mit einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten "in keiner Weise verhältnismäßig" sei (RB Rechtsanwalt D. vom 6. Dezember 2007 S. 18), befremdet. Die von der Kammer verhängte Freiheitsstrafe ist identisch mit dem Antrag des Verteidigers in seinem Schlussvortrag (EA S. 522). Es erscheint fraglich, ob es mit der Stellung eines Verteidigers noch vereinbar ist, wenn dieser sich an einer verfahrensbeendenden Absprache beteiligt und Anträge stellt, die er selbst für "in keiner Weise verhältnismäßig" erachtet.

III. Zutreffend weist der Generalbundesanwalt darauf hin, dass die Einziehungsanordnung nicht hinreichend bestimmt ist. Die Urteilsgründe enthalten jedoch die bei Betäubungsmitteln erforderlichen Angaben über deren Menge (vgl. UA S. 14 f.), so dass der Senat die konkrete Bezeichnung der einzuziehenden Betäubungsmittel gemäß § 354 Abs. 1 StPO selbst nachholen kann (st. Rspr. vgl. nur Senat, Beschl. vom 20. Juni 2007 - 1 StR 251/07 - insofern nicht abgedruckt in NStZ 2007, 713 f.).

Ende der Entscheidung

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