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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.03.1999
Aktenzeichen: 1 StR 693/98
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 250
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

1 StR 693/98

vom

9. März 1999

in der Strafsache

gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. März 1999 beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 14. Oktober 1998 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Ravensburg zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und wegen Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

Hiergegen wendet sich die Revision mit Verfahrensrügen und der Sachrüge.

Sie hat mit der Rüge, § 250 StPO sei verletzt, Erfolg, weil das Landgericht einen Beweisantrag des Verteidigers zu Unrecht zurückgewiesen hat und nicht ausgeschlossen werden kann, daß das Urteil auf diesem Fehler beruht.

1. Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Dem Angeklagten war zur Last gelegt, gegen den Stationspfleger des psychiatrischen Krankenhauses, in dem er untergebracht war, mit einem Drehstuhl von oben einen wuchtigen Schlag geführt zu haben.

Der Verteidiger hat die Vernehmung eines weiteren Patienten des psychiatrischen Krankenhauses als Zeugen beantragt. Dieser werde "bekunden, daß er zum Tatzeitpunkt vor der geöffneten Türe des Dienstzimmers aufhältlich war". Der Zeuge habe den Vorgang beobachtet und "wird bekunden, daß kein Schlag vom Angeklagten auf den Zeugen B. geführt worden ist". Diesen Beweisantrag hat das Landgericht mit der Begründung abgelehnt, der Zeuge sei ein völlig ungeeignetes Beweismittel, weil er zum Tatgeschehen keine Angaben aus eigener Beobachtung machen könne. Dem lag folgendes zugrunde:

Während einer Sitzungsunterbrechung telefonierte der Berichterstatter mit dem benannten Zeugen. Dessen Einlassung wurde im Freibeweisverfahren in die Hauptverhandlung eingeführt. Aus ihr ergab sich, daß der Zeuge den Vorfall nicht beobachtet, sondern aus dem Umstand, daß er beim Stationspfleger keine Verletzungen festgestellt hatte, den Schluß zog, daß der Angeklagte nicht mit dem Stuhl zugeschlagen habe.

2. Der Generalbundesanwalt meint in seiner Antragsschrift vom 7. Januar 1999, ein Beweisantrag liege deshalb nicht vor, weil der Verteidiger in seinem Antrag keine ausreichenden Tatsachenbehauptungen vorgetragen habe. Deshalb sei das Landgericht nicht gehindert gewesen, im Wege des Freibeweises zu erkunden, ob der Zeuge überhaupt sachdienliche Angaben machen könne.

3. Zwar liegt wegen der Notwendigkeit der Trennung von Beweistatsache und Beweisziel besonders dann, wenn Negativtatsachen in das Wissen von Zeugen gestellt werden, die Annahme einer bloßen Beweisanregung nahe (BGHSt 39, 251 ff.).

Hier verhält es sich indes anders:

Der Zeuge sollte nach der Formulierung des Beweisantrags über ein unmittelbar tatbestandserhebliches Geschehen Aussagen machen. Bei einfach gelagerten Abläufen, die sich zudem in wenigen Augenblicken zutrugen, kann Beweisthema auch eine Negativtatsache sein, ohne daß der Charakter eines Antrags als Beweisantrag gefährdet wäre (BGHSt 39, 251, 253). Dies gilt insbesondere dann, wenn wie hier behauptet wird, der Zeuge habe den Vorgang beobachtet, womit ersichtlich der gesamte Vorgang gemeint war.

Es ergab sich auch kein Anhalt dafür, daß der Zeuge zu völlig aus der Luft gegriffenen Tatsachenbehauptungen (vgl. BGH NStZ 1992, 397 mit Anm. Peters NStZ 1993, 293) benannt worden war. Tatsächlich war der Zeuge Patient der Station, auf der sich das Geschehen ereignete. Er kam also grundsätzlich als Augenzeuge des verfahrensgegenständlichen Vorfalles in Betracht.

Handelt es sich demnach um einen hinreichend bestimmten, zulässigen Beweisantrag, durfte das Landgericht das Urteil mit der gegebenen Begründung nicht ablehnen. Zwar ist bei der Prüfung der völligen Ungeeignetheit in Grenzen eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung und dabei auch Freibeweis zulässig (vgl. BGH NStZ 1985, 14 bei Pfeiffer/Miebach; LR-Gollwitzer StPO 25. Aufl. § 244 Rdn. 277, 278). Die bloße Annahme, der Zeuge werde die Beweisbehauptung nicht bestätigen, genügt aber nicht (BGH NStZ-RR 1997, 102). Es muß feststehen, daß eine verwertbare Aussage keinesfalls zu erwarten ist (vgl. LR-Gollwitzer aaO mit Nachw.). Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn der im Beweisantrag benannte Zeuge entgegen der Beweisbehauptung, er sei Augenzeuge gewesen, bei seiner freibeweislichen Anhörung erklärt, sich zwar in der Nähe des Tatorts aufgehalten zu haben, seine Vorstellung vom Tatgeschehen aber auf Schlüssen beruhte. Bei einem solchen Sachverhalt würde die Zulässigkeit einer vorweggenommenen Beweiswürdigung die Ersetzung des Strengbeweises durch den Freibeweis in einem für die Schuldfrage wesentlichen Punkt bedeuten.

4. Die zur neuen Entscheidung berufene Strafkammer wird gegebenenfalls auch die Hinweise des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 7. Januar 1999 zur Zulässigkeit erneuter Anordnung der Unterbringung des Angeklagten zu beachten haben.

Ende der Entscheidung

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