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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 21.07.2005
Aktenzeichen: 1 StR 78/05
Rechtsgebiete: StPO, BORA
Vorschriften:
StPO § 161a Abs. 3 Satz 4 | |
StPO § 199 Abs. 2 Satz 2 | |
StPO § 205 | |
StPO § 336 Satz 2 | |
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 | |
StPO § 406e Abs. 4 Satz 1 | |
StPO § 406e Abs. 4 Satz 2 | |
StPO § 406e Abs. 4 Satz 3 | |
StPO § 406e Abs. 2 Satz 2 | |
BORA § 19 Abs. 1 Satz 3 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 21. Juli 2005
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Betrugs
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Juli 2005 beschlossen:
Tenor:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 19. Oktober 2004 werden verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Die Angeklagten haben bis Anfang 2001 zahlreiche Anlagebetrügereien mit einem Gesamtschaden von über einer halben Million DM begangen. Deshalb wurde der Angeklagte G. unter Einbeziehung der Strafen aus mehreren, zum Teil einschlägigen Vorverurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten sowie zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten und die Angeklagte Z. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Die auf die unausgeführte Sachrüge und eine identische Verfahrensrüge gestützten Revisionen sind unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Auszuführen ist dies nur hinsichtlich der Verfahrensrüge, mit der eine nicht in der gebotenen Weise kompensierte Verfahrensverzögerung i. S. d. Art. 6 MRK geltend gemacht wird.
1. Die den Angeklagten im Sommer 2001 bekannt gewordenen polizeilichen Ermittlungen, die über 100 Geschädigte einzubeziehen hatten, waren, so auch die Revision, "zügig und konzentriert". Mit der Vorlage des polizeilichen Schlussberichts bei der Staatsanwaltschaft im Juni 2002 sei das Verfahren zwar anklagereif gewesen, jedoch bis zur Anklageerhebung im Februar 2004 "schlicht unbearbeitet" geblieben. Die Annahme, mit Eingang eines polizeilichen Schlussberichts könne schon Anklagereife vorliegen, verkennt die Funktion der Staatsanwaltschaft. Sie ist Herrin des Ermittlungsverfahrens (vgl. hierzu zusammenfassend Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 163 Rdn. 3 m. w. N.) und hat nicht nur einen Polizeibericht in eine Anklage umzuformulieren, sondern jedenfalls die Ermittlungsergebnisse umfassend in tatsächlicher Hinsicht auf ihre Tragfähigkeit zu überprüfen, wo nötig, ergänzende Ermittlungen zu veranlassen und das Ermittlungsergebnis rechtlich zu bewerten. Bei einer, wie hier, umfangreichen und komplexen Wirtschaftsstrafsache (planmäßige Verschleierung des kriminellen Vorgehens, viele Geschädigte, nicht geständige Beschuldigte) hat all dies besonderes Gewicht (vgl. zusammenfassend Laue, Jura 2005, 89, 93 m. w. N.). Auch wenn sich ein Prüfungsergebnis, wonach die polizeilichen Ermittlungen nicht ergänzungsbedürftig sind, meist nicht in den Akten niederschlägt, ist gleichwohl auch in der Rückschau nicht Anklagereife schon mit Vorlage des polizeilichen Schlussberichts anzunehmen.
2. Anklage hätte zu diesem Zeitpunkt aber ohnehin nicht erhoben werden können, da die Beschuldigten melderechtlichen Pflichten nicht nachgekommen und daher unbekannten Aufenthalts waren. Die Staatsanwaltschaft erwirkte Haftbefehle; erst im November 2002 (Z. ) bzw. Dezember 2002 (G. ) konnte der jeweilige Aufenthaltsort ermittelt werden, so dass die Haftbefehle letztlich nicht vollzogen (Z. ) bzw. außer Vollzug gesetzt (G. ) wurden. Bis dahin lag also nicht Anklagereife vor, sondern Einstellungsreife entsprechend § 205 StPO (vgl. Meyer-Goßner aaO § 205 Rdn. 4 m. w. N.). Ein Verfahren, in dem Haftbefehle erwirkt und die zuvor unbekannten Aufenthaltsorte der Beschuldigten ermittelt werden, bleibt nicht "schlicht unbearbeitet", sondern wird sachgerecht betrieben.
3. Da es zu den Tatvorwürfen keiner weiteren Ermittlungen bedurfte, wäre aber, so die Revision, jedenfalls im Januar 2003 "ohne weiteres" anzuklagen gewesen. Statt dessen hat die Staatsanwaltschaft zunächst Akteneinsichtsgesuche erfüllt, erst das eines Rechtsanwalts aus Essen, der mehrere Geschädigte vertrat und sich zuvor intensiv um die Akten bemüht hatte, dann das eines Verteidigers der Angeklagten Z. aus München.
Es ist keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, sondern Erfüllung rechtsstaatlicher Gebote, wenn die Staatsanwaltschaft nicht "ohne weiteres" anklagt, sondern zunächst solchen Informationsbegehren nachkommt.
Die Beachtung der Opferbelange ist Teil der zentralen rechtsstaatlichen Aufgaben des Strafverfahrens (vgl. BGH NJW 2005, 1519, 1520 m. w. N.). Hierzu gehört auch Akteneinsicht für einen Geschädigtenanwalt (§ 406e Abs. 1 StPO). Auch der Rahmenbeschluss der Europäischen Union über die Stellung des Opfers im Strafverfahren vom 15. März 2001 (ABlEG Nr. L 82/1 ff.; zu dessen Bedeutung für das nationale Recht vgl. EuGH Urteil vom 16. Juni 2005 - C - 105/03) hebt den Informationsanspruch des Opfers hervor, vgl. vor Art. 1 Abs. 8 und Art. 4 Abs. 1 Satz 1.
Akteneinsicht für einen Verteidiger (§ 147 StPO) ist eine Konkretisierung des gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützten Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. BVerfG NJW 1994, 3219, 3220; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren 3. Aufl. Rdn. 108 jew. m. w N.).
4. Auch die von der Revision ebenfalls hervorgehobene konkrete Dauer der Akteneinsicht führt letztlich zu keinem anderen Ergebnis.
a) Die Akten wurden dem Geschädigtenvertreter am 3. Februar 2003 für drei Tage übersandt, die interne Wiedervorlagefrist der Staatsanwaltschaft betrug einen Monat; nachdem die Akten nicht eingingen, wurde diese interne Frist wiederholt verlängert. Erstmals im April rief der Staatsanwalt bei dem Rechtsanwalt an, nachdem dieser am 7. April bei der Staatsanwaltschaft angefragt hatte, wo der Angeklagte einsitze, obwohl der Haftbefehl ausweislich der dem Rechtsanwalt vorliegenden Akten außer Vollzug gesetzt war (vgl. oben 2). Zwischen Mai und Juli 2003 mahnte die Staatsanwaltschaft die Aktenrückgabe mehrfach an, bis ihr die Akten Mitte Juli schließlich wieder vorlagen.
b) Es ist schon zweifelhaft, inwieweit es statthaft ist, die genannte Verfahrensrüge auch auf dieses Geschehen zu stützen.
Aus § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO folgt, dass dem Verletzten im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. Engelhardt in KK 5. Aufl. § 406e Rdn. 5; Burhoff aaO Rdn. 106) auch dann Akteneinsicht gewährt werden kann, wenn dies voraussehbar zu erheblicher Verfahrensverzögerung führt (vgl. Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 406e Rdn. 14). Entscheidet der Vorsitzende des mit der Sache befassten Gerichts, ist dies unanfechtbar, § 406e Abs. 4 Sätze 1 und 3 StPO. Entscheidet der Staatsanwalt, kann eine richterliche Entscheidung herbeigeführt werden - dies ist offenbar nicht geschehen -, die ebenfalls unanfechtbar ist, § 406e Abs. 4 Sätze 1 und 2 StPO i. V. m. § 161a Abs. 3 Satz 4 StPO. Für unanfechtbar erklärte Entscheidungen unterliegen nicht der Kontrolle des Revisionsgerichts, § 336 Satz 2 StPO (vgl. auch BGH NJW 2005, 1519, 1520 m. w. N). Angesichts dessen ist fraglich, ob das Vorbringen, die Verfahrensverzögerung durch Akteinsicht für den Geschädigtenvertreter sei wegen ihrer Erheblichkeit rechtsstaatswidrig, zu einer Überprüfung sämtlicher Details im Zusammenhang mit der Akteneinsicht durch das Revisionsgericht führen kann.
c) Letztlich kann dies aber offen bleiben, da sich aus den in Rede stehenden Umständen ohnehin kein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot ergibt. Die Revision hebt hervor, dass dem Geschädigtenvertreter die Akten nur für drei Tage übersandt worden seien. Hätte die Staatsanwaltschaft nur "nachdrücklich" agiert, hätte diese Akteneinsicht "innerhalb zwei Wochen durchgeführt werden können". Der Senat kann alledem nicht folgen.
(1) Mit der ursprünglichen Frist von drei Tagen für die Akteneinsicht hat die Staatsanwaltschaft diese Frist nicht im Wesentlichen unabänderbar verbindlich festgelegt, so dass ihre Überschreitung ohne weiteres dem Beschleunigungsgebot zuwiderliefe. Es gibt keine ausdrücklichen Regelungen über den einem Geschädigtenvertreter (oder Verteidiger) zuzubilligenden Zeitraum für Akteneinsicht (vgl. Burhoff aaO Rdn. 107). Es ist daher ein an der grundsätzlichen Bedeutung der Akteneinsicht (vgl. oben 3.) ebenso wie an den Umständen des Einzelfalls orientierter angemessener Zeitraum zuzubilligen, wobei insbesondere auch der - hier von der Revision nicht konkret mitgeteilte, ersichtlich aber nicht geringe - Aktenumfang von Bedeutung ist (vgl. BGH b. Herlan MDR 1955, 530; Burhoff aaO Rdn. 108). Hieran gemessen erscheint es fraglich, ob die dem Geschädigtenvertreter für die Akteneinsicht nur zugebilligten drei Tage noch als hinlänglich gewertet werden könnten. Jedenfalls ist die durch die internen Verfügungen vorgenommene Fristverlängerung im Ansatz keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, sondern eher die Korrektur eines zu knapp bemessenen Zeitraums.
(2) Der Senat braucht, zumal angesichts des fehlenden Vortrags zum damaligen Aktenumfang, nicht darüber zu befinden, welcher konkrete Zeitraum hier für die Akteneinsicht angemessen gewesen wäre. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Geschädigtenvertreter, wie seine Anfrage vom April 2003 (vgl. oben 4a) belegt, die Akten längere Zeit jedenfalls nicht intensiv bearbeitet hat. Er hat auch nicht um Verlängerung der Einsichtsfrist nachgesucht (vgl. Burhoff aaO m. w. N.), sondern sie sich unter Nichtbeachtung wiederholter Mahnungen eigenmächtig verlängert. So wenig ausreichend der ursprüngliche Zeitraum von drei Tagen erscheint, so wenig erscheint ein Zeitraum von fast einem halben Jahr noch vertretbar. Insgesamt liegt die Annahme einer Verletzung der in § 19 Abs. 1 Satz 3 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) statuierten Berufspflicht zu unverzüglicher Aktenrückgabe (eine "Selbstverständlichkeit", vgl. Hartung/Holl, Anwaltliche Berufsordnung 2. Aufl. § 19 BORA Rdn. 29) hier nahe.
(3) Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot setzt jedoch (unter anderem) eine Verzögerung voraus, die durch ein (im Sinne objektiver Pflichtwidrigkeit) schuldhaftes Verhalten eines mit der Strafverfolgung befassten Justizorgans verursacht worden ist (vgl. zuletzt Kammerbeschluss des BVerfG vom 22. Februar 2005 - 2 BvR 109/05 m. N.). Verursachung bedeutet, dass das Verfahren bei anderem Vorgehen des Justizorgans sicher oder zumindest wahrscheinlich zügiger verlaufen wäre. So wäre es gewesen, wenn der Geschädigtenvertreter die Akten früher zurückgeschickt hätte. Er ist jedoch kein Justizorgan im aufgezeigten Sinne. Hiervon geht auch die Revision nicht aus. Sie meint aber, die Staatsanwaltschaft habe schuldhaft nicht intensiv genug auf die Rückleitung der Akten gedrängt und so das Verfahren verzögert.
Dies kann hier nicht ohne weiteres bejaht werden: Von ihr anwendbare Zwangsmittel, mit denen die Rückgabe der Akten unmittelbar hätte durchgesetzt werden können, stehen der Staatsanwaltschaft nicht zur Verfügung, ebenso wenig Sanktionsmöglichkeiten wie etwa gegenüber einem säumigen Sachverständigen (vgl. z. B. § 77 Abs. 2 StPO). Bei Nichteinhaltung von Fristen zur Aktenrückgabe bestehen demgegenüber, hierauf weist auch die Revision hin, vor allem standesrechtliche Möglichkeiten, also eine Rüge durch den Vorstand der zuständigen Rechtsanwaltskammer (§ 74 Abs. 1 Satz 1 BRAO), oder in schwerwiegenderen Fällen ein Verfahren vor dem Anwaltsgericht (§ 113 Abs. 1, § 114 BRAO; vgl. zu alledem Hartung/Holl aaO § 19 Rdn. 27; Berufsrechts- und Werbe-ABC Stichwort "Akteneinsicht"). Die entsprechenden Verfahren hätte die Staatsanwaltschaft Landshut jedoch allenfalls bei den für Essen zuständigen Stellen (Rechtsanwaltskammer oder Generalstaatsanwalt, vgl. § 120 BRAO) anregen können. Ein derartiges, nur sehr selten notwendiges und daher ungebräuchliches Vorgehen wäre ersichtlich zeitaufwändig und hätte schon deshalb den Aktenrücklauf schwerlich beschleunigt. Es kann auch davon ausgegangen werden - anderes behauptet auch die Revision nicht -, dass dem Rechtsanwalt sowohl die generelle Eilbedürftigkeit von Strafsachen als auch seine berufsspezifischen Pflichten als auch die Möglichkeiten standesrechtlicher Ahndung bekannt waren. Trotzdem hat er die Akten monatelang nicht zurückgegeben und eine Reihe von Mahnungen unbeachtet gelassen. Angesichts dieses hartnäckigen und nicht leicht verständlichen Verhaltens, erscheint es nicht wahrscheinlich, dass eine Rückforderung mit Zusätzen wie "dringend" oder "eilige Strafsache", oder mit der Androhung, es werde auf die Erteilung einer Rüge hingewirkt werden, den Rücklauf der Akten tatsächlich beschleunigt hätte. Auch Erwägungen, wonach die Akten vielleicht im Mai zurückgekommen wären, wenn die Mahnungen im März eingesetzt hätten, da sie im Juli zurückkamen, nachdem die Mahnungen im Mai begannen, erscheinen hier nicht tragfähig.
d) Hinsichtlich des anschließenden Ablaufs der Akteneinsicht für den Verteidiger der Angeklagten Z. - Übersendung der Akten am 5. September für drei Tage; Mahnung am 6. Oktober, Rücklauf bei der Staatsanwaltschaft am 27. Oktober - ist im Ergebnis keine gewichtige Überschreitung der angemessenen Zeitdauer zu erkennen. Im Übrigen würden die Ausführungen bezüglich der Akteneinsicht für den Geschädigtenvertreter im Wesentlichen entsprechend gelten.
5. Der weitere Verfahrensgang ist durch insgesamt zügiges, keinesfalls aber unsachgemäß verzögertes Vorgehen gekennzeichnet.
a) Nachdem Ende Oktober 2003 die Akten der Staatsanwaltschaft wieder vorlagen, war die Anklage Anfang Februar 2004 fertig gestellt. Die Revision hebt demgegenüber hervor, dass die Staatsanwaltschaft schon früher, insbesondere gegenüber auswärtigen Gerichten, eine wesentlich schnellere Anklageerhebung angekündigt hatte; so hatte sie z. B. dem Landgericht Chemnitz im September 2002 mitgeteilt, die Anklageerhebung erfolge in acht bis zehn Wochen; hieran und an weiteren ähnlichen Ankündigungen im Laufe des Verfahrens müsse sie sich messen lassen. Dies geht schon im Ansatz fehl. Die genannten Erklärungen basieren nämlich erkennbar auf der Grundlage der Annahme, dass die Beschuldigten greifbar sind und die Akten wieder vorliegen. Eine Anklageerhebung gegen Beschuldigte, deren Aufenthalt unbekannt ist, wäre mit § 205 StPO unvereinbar, eine Anklageerhebung ohne Akten mit § 199 Abs. 2 Satz 2 StPO. Davon unberührt ist die Frage nach der Zweckmäßigkeit solcher scheinbar einschränkungsloser und daher missverständlicher Ankündigungen.
Ausgehend von Anklagereife ab Eingang der Akten Ende Oktober 2003 hat sich aber auch die Prognose einer notwendigen Bearbeitungszeit von etwa zehn Wochen, zumal angesichts des in den Wochen um die Jahreswende erfahrungsgemäß eingeschränkten Dienstbetriebes im Wesentlichen als richtig erwiesen. Im Übrigen richtet sich die Angemessenheit des Zeitraums für die Fertigung einer Anklage nach objektiven Kriterien, nicht nach einer Prognose des Staatsanwalts. Objektive Kriterien, die darauf hindeuten könnten, dass die Fertigung der Anklage ab Oktober 2003 unangemessen lang gedauert hätte, sind schon angesichts des Umfangs der Anklagevorwürfe, zu deren Beweis mehr als hundert Zeugen aufzuführen waren, nicht zu erkennen.
b) Das gerichtliche Verfahren verlief äußerst zügig. Bereits Anfang Mai 2004 wurde das Hauptverfahren eröffnet, schon im Juni 2004 begann die Hauptverhandlung, die angesichts von Schwierigkeit und Umfang des Falles nach zahlreichen Verhandlungstagen im Oktober 2004 mit einem Urteil endete.
6. Nach alledem sind Anhaltspunkte für eine Verfahrensverzögerung i. S. d. Art. 6 MRK nicht zu erkennen. Polizeiliche Ermittlungen und gerichtliches Verfahren wurden sehr zügig durchgeführt. Im Bereich der Staatsanwaltschaft hat der Zeitraum, in dem die Beschuldigten unbekannten Aufenthalts waren, außer Betracht zu bleiben, da insoweit die dem Verfahrensfortgang entgegenstehenden Gründe in der Person der Beschuldigten lagen (vgl. Laue aaO m. w .N.). Im Übrigen war der Zeitraum, in dem sich die Akten zur Einsicht bei dem Geschädigtenvertreter befanden, allerdings nicht unerheblich länger, als dies aus sachlichen Gründen geboten war. Dies war für die Staatsanwaltschaft jedoch weder voraussehbar noch verfügte sie über rechtliche Mittel, die es ihr bei der konkret gegebenen ungewöhnlichen Fallgestaltung mit Wahrscheinlichkeit ermöglicht hätten, Abhilfe zu schaffen. Unabhängig von alledem ist dadurch aber jedenfalls deshalb keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung eingetreten, weil im Hinblick auf die sonstige Intensität und Dauer der Bearbeitung der Sache durch die jeweils zuständige Stelle die Verfahrensdauer angesichts des Verfahrensgegenstands, seines Umfangs und seiner Schwierigkeit (vgl. insgesamt zusammenfassend Meyer-Goßner aaO Art 6 MRK Rdn. 7a m. w. N.) insgesamt keinesfalls unangemessen lang gedauert hat. Dies gilt umso mehr, als eine besondere Eilbedürftigkeit wegen des Vollzugs von Untersuchungshaft nicht vorlag (vgl. Meyer-Goßner aaO Art. 5 MRK Rdn. 9, BVerfG Kammerbeschluss vom 26. Januar 2005 - 2 BvR 62/05).
7. Der Senat bemerkt:
a) Der Generalbundesanwalt trägt vor, der Revisionsvortrag zum Verfahrensumfang entspräche nicht den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Revision (des Angeklagten G. ) hält dies im Ansatz für entbehrlich; da die Sache, wie sie meint, bei der Staatsanwaltschaft pflichtwidrig überhaupt nicht bearbeitet worden sei. Selbst wenn dies - was nicht der Fall ist - zuträfe, wäre Vortrag zum Verfahrensumfang nicht von vorneherein entbehrlich. Eine (etwaige) Verzögerung in einem Verfahrensabschnitt könnte durch besonders zügige Bearbeitung in anderen Verfahrensabschnitten im Ergebnis bedeutungslos bleiben. Ob eine Bearbeitung besonders zügig ist, kann jedoch ohne Kenntnis des Verfahrensumfangs nicht beantwortet werden Ordnungsgemäßer Vortrag i. S. d. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO verlangt, dass sich der Beschwerdeführer auch mit Umständen befasst, die seinem Vorbringen den Boden entziehen könnten (BGHSt 40, 218, 240; BGH NStZ-RR 1999, 26, 27; vgl. auch BVerfG NJW 2005, 1999, 2001 m. w. N.).
b) Eine von der Justiz verschuldete lange Verfahrensdauer führt um so eher zu einer Verletzung des Beschleunigungsgebots gemäß Art. 6 MRK, je schwerwiegender die Auswirkungen der Verfahrensdauer für den Betroffenen sind (vgl. zusammenfassend BGH NStZ 2004, 504, 505 m. w. N.). So kann etwa die Ungewissheit darüber, ob eine - insbesondere möglicherweise hohe - Strafe verhängt werden wird, für den Betroffenen zugleich Ungewissheit über sein weiteres Schicksal bedeuten; verstärkt sein kann dies, wenn neben den strafrechtlichen noch weitere, etwa schwerwiegende wirtschaftliche, soziale oder familiäre Konsequenzen drohen (vgl. Laue aaO m. w. N.). All dies könnte gegebenenfalls nur nach den individuellen Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Die forensische Erfahrung eines Angeklagten, die Beweislage, soweit sie ihm bekannt ist und die Art seiner Verteidigung kann für die Beurteilung der Frage bedeutsam sein, ob eine solche Unsicherheit im konkreten Fall anzunehmen ist. Ebenso wenig sind die sozialen, wirtschaftlichen und familiären Verhältnisse und daraus etwa resultierende Belastungen bei jedermann gleich, wie auch die hier getroffenen Urteilsfeststellungen verdeutlichen: Der Angeklagte G. hat, wie die nachträgliche Gesamtstrafenbildung und die Feststellungen zu seinen übrigen Vorstrafen zeigen, vielfältige gerichtliche Erfahrungen. Die Taten beging er unter Bewährungsbruch; er war vom Landgericht Chemnitz wegen zahlreicher Betrügereien und anderer Delikte zu zwei Jahren mit Bewährung verurteilt worden. Verteidigt hat er sich mit dem Vorbringen, er habe durch Geschäfte mit nicht zu nennenden Partnern die versprochenen Renditen (z. B. 1.400 %) erwirtschaft. Dafür dass keinerlei Zahlungen erfolgt seien, seien - nicht genannte - Andere mit verantwortlich. Von seiner Familie hat er sich 1985 getrennt; Unterhaltsverpflichtungen bestehen insoweit nicht. Der Angeklagte hat mit der Angeklagten Z. zwei noch jüngere Kinder, hat sich von ihr aber zwischenzeitlich ebenfalls getrennt. Nachdem es die Finanzberatungsgesellschaft, in deren Rahmen er die abgeurteilten Taten begangen hat, nicht mehr gibt, war er dann bis zur Hauptverhandlung "leitender Angestellter bei einer österreichischen Finanzberatungsgesellschaft". Die Angeklagte Z. , wesentlich seltener und nur mit Geldstrafen vorgeahndet, hat sich damit verteidigt, sie habe dem Angeklagten G. vertraut. Sie hat insgesamt vier Kinder, von denen drei noch minderjährig sind und bei ihr leben. Sie lebt nicht zuletzt von Sozialhilfe und Kindergeld. Es liegt auf der Hand, dass angesichts dieser vielfältigen Unterschiede die genannten Voraussetzungen einer besonderen Belastung wegen Verfahrensverzögerung nicht ohne weiteres in gleicher Weise angenommen werden können. Insbesondere hinsichtlich des Angeklagten G. erschiene die Annahme nicht so nahe liegend, als dass auf entsprechenden Revisionsvortrag verzichtet werden könnte (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH StraFo 2004, 356).
c) Wie dargelegt, stand der Angeklagte G. wegen der Verurteilung durch das Landgericht Chemnitz unter Bewährung (vgl. oben 7b). Das hier zu Grunde liegende Ermittlungsverfahren war dem Landgericht Chemnitz bekannt, es stand deshalb in Kontakt mit der Staatsanwaltschaft Landshut (vgl. oben 5b). Nachdem eine Anklageerhebung aus den dargelegten Gründen zunächst nicht möglich war, wurde die Strafe jedoch im Februar 2004 erlassen. Der Generalbundesanwalt meint, selbst wenn eine kompensationsbedürftige rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorläge, sei diese hinsichtlich des Angeklagten G. durch den Straferlass kompensiert. Die Revision meint dagegen, die Verfahren in Landshut und Chemnitz seien getrennt zu sehen. Auch wenn dies mangels kompensationsbedürftiger Verfahrensverzögerung hier keiner Entscheidung bedarf, neigt der Senat zur Auffassung des Generalbundesanwalts. Die Annahme, dass getrennt geführte Verfahren keine Wechselwirkung haben, widerspricht den Grundsätzen des sog. Härteausgleichs bei Unmöglichkeit einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung wegen vollständiger Vollstreckung der sonst einbeziehungsfähigen Strafe (vgl. hierzu G. Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 683 m w. N.). Bei dieser Fallgestaltung geht es ebenso wie hier um die Folgen, die sich in einem anderen Verfahren daraus ergeben, dass eine Tat nicht früher angeklagt bzw. abgeurteilt wurde. Warum dabei zwar Nachteile auszugleichen, Vorteile aber nicht zu berücksichtigen seien, ist nicht erkennbar.
Ende der Entscheidung
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