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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 30.04.2009
Aktenzeichen: 1 StR 90/09
Rechtsgebiete: StPO, AO
Vorschriften:
StPO § 344 Abs. 2 | |
AO § 386 Abs. 4 | |
AO § 400 |
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
am 30. April 2009
beschlossen:
Tenor:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 25. September 2008 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Ergänzend bemerkt der Senat:
Das Landgericht hat den Angeklagten am 25. September 2008 wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen der Strafkammer hat der Angeklagte insgesamt 2.439.888,-- DM an Einkommen- und Gewerbesteuer hinterzogen, betreffend die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998.
Die Strafkammer hat eine konventionswidrige Verzögerung des gerichtlichen Verfahrens von zwei Jahren festgestellt und deshalb bestimmt, dass acht Monate der erkannten Strafe als verbüßt gelten. Soweit der Angeklagte eine höhere Kompensation begehrt, genügt der Vortrag in der Revisionsbegründung nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 12. März 2009 zutreffend dargelegt hat.
Der der Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft vom 15. Januar 2009 zu entnehmende Ablauf des Ermittlungsverfahrens gibt jedoch Anlass zu dem Hinweis, dass es in Fällen dieser Größenordnung schon während des Ermittlungsverfahrens einer frühzeitigen Zusammenarbeit zwischen den Finanzbehörden und der Staatsanwaltschaft bedarf.
Hieran fehlte es im vorliegenden Fall:
Am 27. August 1999 leitete die Steuerfahndungsstelle das Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten wegen Verdachts der Umsatz-, Gewerbe- und Einkommensteuerhinterziehung für die Veranlagungszeiträume 1994 bis 1998 ein. Die Bekanntgabe an den Angeklagten erfolgte am 14. Januar 2000. Am 15. Februar 2002 stellte die Steuerfahndung den Prüfbericht fertig. Mit Schreiben vom 9. Juli 2002 wurde die Sache der Bußgeld- und Strafsachenstelle für die Finanzämter des Saarlands zugeleitet. Nach Steuerneuberechnungen und sonstigen (weitgehend vom Angeklagten bzw. seiner Verteidigung veranlassten und in der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft im Einzelnen dargestellten) Verfahrensvorgängen wurden die Akten am 18. März 2004 der Staatsanwaltschaft Saarbrücken zum Zwecke der Anklageerhebung vorgelegt, die am 6. Mai 2004 - erstmals - Anklage zum Landgericht Saarbrücken erhob.
Bis zum 18. März 2004 "war die Staatsanwaltschaft in die Ermittlungen nicht eingebunden" und - soweit ersichtlich - über die Existenz des Ermittlungsverfahrens auch nicht informiert. Im Bericht der Steuerfahndung vom 15. Februar 2002 findet sich vielmehr folgende Bemerkung (unter Punkt 23):
"Bemühungen des Prüfers, den Fall im Ermittlungsverfahren wegen seiner Bedeutung und Größenordnung an die Staatsanwaltschaft (Haftbefehl) abzugeben, sind bisher gescheitert."
Eine Praxis, wie sie im vorliegenden Fall zu Tage tritt, entspricht - unabhängig davon, ob ein Haftbefehlsantrag geboten erscheint - nicht der Intention der gesetzlichen Regelungen über das Zusammenwirken zwischen Finanzbehörden und Staatsanwaltschaften im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren.
Zwar hat die Finanzbehörde bei Verdacht einer Steuerstraftat (und Begleitdelikten gemäß § 386 Abs. 2 Nr. 2 AO) im Grundsatz eine eigenständige Ermittlungskompetenz ( § 386 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 399 Abs. 1 AO; vgl. auch Erb in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl. § 160 Rdn. 11). Zudem bestimmt § 400 AO: "Bieten die Ermittlungen genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage, so beantragt die Finanzbehörde beim Richter den Erlass eines Strafbefehls, wenn die Strafsache zur Behandlung im Strafbefehlsverfahren geeignet erscheint; ist dies nicht der Fall, so legt die Finanzbehörde die Akten der Staatsanwaltschaft vor." Hieraus könnte geschlossen werden, dass die Finanzbehörde in allen Fällen die Sache bis zur Anklagereife (bzw. Einstellungsreife) ohne Beteiligung der Staatsanwaltschaft selbständig ausermittelt.
Dies wäre mit der in § 386 Abs. 4 AO geregelten Rollenverteilung zwischen Finanzbehörde und Staatsanwaltschaft nicht vereinbar. Danach hat nicht nur die Finanzbehörde das Recht, eine Strafsache jederzeit an die Staatsanwaltschaft abzugeben ( § 386 Abs. 4 Satz 1 AO). Vor allem kann die Staatsanwaltschaft die Steuerstrafsache jederzeit von sich aus an sich ziehen (Evokationsrecht der Staatsanwaltschaft gemäß § 386 Abs. 4 Satz 2 AO). Dies bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft zwar in den steuerstrafrechtlichen Verfahren, die von den Finanzbehörden gemäß § 386 Abs. 2 AO autonom betrieben werden, abweichend von § 152 Abs. 1 GVG den ermittelnden Steuerfahndungsbeamten keine Weisungen erteilen kann. Die Staatsanwaltschaft bleibt aber auch in diesen Fällen (entsprechend dem den §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO i.V.m. § 385 Abs. 1 AO zu entnehmenden Grundsatz) insoweit "Herrin des Verfahrens", als sie -wenn z.B. bei Kontroversen über die Gestaltung eines bei der Finanzbehörde geführten Verfahrens kein Einvernehmen erzielt werden kann - dieses zur Durchsetzung ihrer Vorstellungen jederzeit gemäß § 386 Abs. 4 Satz 2 AO ü-bernehmen kann (vgl. OLG Stuttgart wistra 1991, 190; Randt in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 6. Aufl. § 386 AO Rdn. 4; Muhler in Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. § 15 Rdn. 14). Die Steuerfahndungsbeamten haben dann den Anordnungen der Staatsanwaltschaft als deren Ermittlungsgehilfen Folge zu leisten ( § 152 Abs. 1 GVG).
Mit dieser Stellung der Staatsanwaltschaft in allen steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren korrespondiert eine Unterrichtungspflicht der Finanzbehörden gegenüber der Staatsanwaltschaft (vgl. Randt aaO Rdn. 47). Allerdings besteht keine gesetzliche Pflicht, wonach die Finanzbehörden sämtliche von ihr eingeleiteten Ermittlungsverfahren dorthin mitzuteilen haben. Dies wäre auch nicht sinnvoll. Damit die Staatsanwaltschaft ihr Recht und ihre Pflicht zur Prüfung einer Evokation auch in jedem Einzelfall und in jedem Stadium des Verfahrens sachgerecht ausüben kann, muss sie aber in den "in Betracht kommenden Fällen" frühzeitig eingebunden sein. Die Finanzbehörden haben daher die Staatsanwaltschaft über alle bei der Steuerfahndung anhängigen Ermittlungsverfahren, bei denen eine Evokation nicht fern liegt, frühzeitig zu unterrichten, etwa bei regelmäßig stattfindenden Kontaktgesprächen.
Die Übernahme durch die Staatsanwaltschaft kann wegen der Bedeutung einer auch kleineren Sache - wegen einer besonderen öffentlichen Aufmerksamkeit etwa - im Raum stehen, jedenfalls dann, wenn Zweifel bestehen oder während des Gangs der Ermittlungen entstehen, ob die Sache zur Erledigung im Strafbefehlsverfahren geeignet ist, insbesondere wenn - oder sobald - wegen der Größenordnung oder der Bedeutung des Falls eine Anklage beim Landgericht zu erwarten ist. Die frühzeitige Einbeziehung der Staatsanwaltschaft ist gerade auch dann angezeigt, wenn sich die Beweislage - wie im vorliegenden Fall - zu Beginn als schwierig darstellt.
Für diese Sache ist - unabhängig von der fehlenden Zulässigkeit der entsprechenden Rüge - abschließend anzumerken, dass die fehlende frühzeitige Unterrichtung der Staatsanwaltschaft hier zu keiner (weiteren) konventionswidrigen Verfahrensverzögerung (während des Ermittlungsverfahrens) geführt hat. Dies wurde durch die rasche Anklageerhebung nach Eingang der Akten bei der Staatsanwaltschaft noch vermieden. Fehlende frühzeitige Abstimmung zwischen Staatsanwaltschaft und Finanzbehörden kann aber auch ohne konventionswidrige Verzögerung eine frühzeitige Aburteilung vereiteln. Eine damit verbundene Verfahrensverlängerung ist jedenfalls strafzumessungsrelevant. Dies gilt erst recht bei einer konventionswidrigen Verzögerung, wenn diese zu einer Reduzierung der Strafe führt (BGHSt 52, 124). Zu weiteren Konsequenzen für Amtsträger siehe BGHR StGB § 258 Abs. 1 Vollendung 1 (Verzögerung), die auch eine ausreichende Personalausstattung im Blick haben müssen.
Ende der Entscheidung
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