Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 11.02.1998
Aktenzeichen: 2 ARs 359/97
Rechtsgebiete: StPO, KostÄndG, GKG, BGB


Vorschriften:

StPO § 458
StPO § 462 a
KostÄndG 1957 Art. XI § 1
GKG § 5
BGB § 398
StPO §§ 458, 462 a; KostÄndG 1957 Art. XI § 1; GKG § 5; BGB § 398

Wird eine Geldstrafe durch Aufrechnung mit einem Kostenerstattungsanspruch vollstreckt, richtet sich die Zuständigkeit zur Entscheidung über Einwendungen gegen die Wirksamkeit der Aufrechnung nach § 462 a StPO.

BGH, Beschl. v. 11. Februar 1998 - 2 ARs 359/97 - AG Augsburg


BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

2 ARs 359/97

vom

11. Februar 1998

in der Strafsache

gegen

Az.: 10 Ds 203 Js 298/93 Amtsgericht Augsburg Az.: 423 VRs 40471/93 Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Augsburg Az.: 5 AR 66/96 Amtsgericht Bamberg

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts am 11. Februar 1998 gemäß § 14 StPO beschlossen:

Zuständig für die Entscheidung über die Einwendungen des Rechtsanwalts R. gegen die von der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Augsburg erklärte Aufrechnung ist das

Amtsgericht Augsburg.

Gründe:

I.

Dem Angeklagten steht gegen die Landesjustizkasse Bamberg ein Kostenerstattungsanspruch von 972,90 DM zu. Vom Amtsgericht Augsburg ist der Angeklagte andererseits zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Mit dieser Geldstrafe und den Verfahrenskosten hat die Staatsanwaltschaft Augsburg als Strafvollstreckungsbehörde gegen den Kostenerstattungsanspruch aufgerechnet. Dagegen wendet sich der in der zuerst bezeichneten Sache tätige Verteidiger. Er macht geltend, daß der Angeklagte den Kostenerstattungsanspruch an ihn abgetreten habe, und fordert Auszahlung des festgesetzten Betrages an sich.

Die Amtsgerichte Bamberg und Augsburg streiten darüber, welches Gericht über die erhobenen Einwendungen zu entscheiden hat. Das, Amtsgericht Augsburg vertritt die Auffassung, daß der Verteidiger gegen einen in der Aufrechnung liegenden Justizverwaltungsakt vorgehe; dafür sei nach Art. XI § 1 KostÄndG 1957 (BGBl. I S. 861) das Amtsgericht Bamberg als das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Landesjustizkasse ihren Sitz hat. Das Amtsgericht Bamberg hingegen meint, die Aufrechnung sei kein Verwaltungsakt; die erhobenen Einwendungen seien entsprechend § 5 GKG als Erinnerung zu behandeln; zuständig sei das Amtsgericht Augsburg. Dieses Gericht hat die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

Die Vorlage ist zulässig; gemäß § 14 StPO hat der Bundesgerichtshof zu entscheiden. Zuständig ist das Amtsgericht Augsburg als das Strafgericht des ersten Rechtszuges.

1. Die streitenden Gerichte können beide jeweils obergerichtliche Entscheidungen für ihre Ansicht in Anspruch nehmen.

Vielfach wird hinsichtlich der Entscheidung über die Wirksamkeit der Aufrechnung von Kosten, aber auch von Kosten und Geldstrafen - auch wenn diese im Wege der Strafvollstreckung geschieht - die Auffassung vertreten, daß es sich um die Anfechtung eines Justizverwaltungsakts auf dem Gebiet des Kostenrechts nach Art. XI § 1 KostÄndG 1957 (BGBl. I, S. 861) handele (z.B. OLG Karlsruhe Rpfleger 1986, 71; die Justiz 1994, 182; KG JurBüro 1978, 543 f.; SchlHOLG JurBüro 1979, 1525 f. und JurBüro 1997, 313; Hans-OLG AnwBl 1986, 42 f.; OLG Nürnberg JurBüro 1989, 1685 f.; OLG Düsseldorf JurBüro 1980, 88 f.; Fraunholz in Riedel/Sußbauer BRAGO 7. Aufl. § 96 a Rdn. 12; Göttlich/Mümmler BRAGO 17. Aufl. Freispruch Anm. 5.3; Hansen StV 1991, 44, 46; Madert in Gerold, Schmidt, v. Eicken, Madert, BRAGO 13. Aufl. § 96 a Rdn. 5; Hartmann Kostengesetze 27. Aufl. Rdn. 4 zu Art XI § 1 KostÄndG). Andere vertreten die Auffassung, die Aufrechnung sei eine allein zivilrechtlichen Regelungen unterliegende, jeglicher hoheitlicher Momente entbehrende Erklärung, die kein Verwaltungsakt sein könne. Die Einwendungen seien als Erinnerung analog § 5 GKG zu behandeln (OLG Bamberg JurBüro 1990, 1172; Lappe NJW 1988, 3130, 3136). Vertreten wird auch die Auffassung, daß der Kostenfestsetzungsbeschluß als Vollstreckungstitel durch die Aufrechnung selbst nicht berührt werde. Die Staatskasse müsse die Aufrechnung vielmehr mit der Vollstreckungsgegenklage durchsetzen (z.B. Schmidt MDR 1974, 951 f.). Wiederum andere meinen, daß jedenfalls dann, wenn mit einer Geldstrafe aufgerechnet wird, es sich um eine Maßnahme der Strafvollstreckung handele, über die nach § 458 StPO der Strafrichter zu entscheiden habe (LG Mannheim Rpfleger 1981, 411; LG Münster NJW 1971, 2002). In Rechtsprechung und Literatur wird desweiteren die Entscheidung über die Einwendungen gegen die Aufrechnung überwiegend als eine Zivilsache angesehen (vgl. SchlHOLG JurBüro 1979, 1525 f.; OLG Nürnberg JurBüro 1989, 1685; OLG Frankfurt/M. JurBüro 1982, 89 f.; HansOLG AnwBl 1986, 42 f.)

2. Es kann offenbleiben, ob und inwieweit den aufgezeigten Entscheidungen und Meinungsäußerungen zu folgen ist. Für den Fall der Aufrechnung durch die Vollstreckungsbehörde mit einer Geldstrafe ist nach Ansicht des Senats das in § 462 a StPO bezeichnete Gericht, hier also das Gericht des ersten Rechtszuges (§ 462 a Abs. 2 Satz 1 StPO), zuständig.

Entscheidend ist, daß die Staatsanwaltschaft Augsburg mit der Aufrechnungserklärung Strafe vollstreckt hat. Dieser Umstand verleiht den dagegen erhobenen Einwendungen eine andere Bedeutung als die eines bloßen Streits um das Erlöschen einer Kostenforderung. Mit der erklärten Aufrechnung soll eine vom Angeklagten verwirkte Geldstrafe getilgt werden. Ist die Aufrechnung wirksam, dann wirkt sich dies auf das dem Angeklagten drohende Strafübel aus; eine etwa zu vollstreckende Ersatzfreiheitsstrafe vermindert sich um die entsprechende Zahl der Tagessätze. Die Maßnahme der Staatsanwaltschaft greift mithin unmittelbar in die Rechtsstellung des Angeklagten ein. Dieser ist daher zwingend Verfahrensbeteiligter. Bloße Rechte auf Anhörung bei einem isolierten Streit um die Wirksamkeit der Aufrechnung, der zwischen dem Rechtsanwalt und der Staatskasse auszutragen wäre, sind damit ebenso unvereinbar wie etwa der Gedanke, daß der Kostenfestsetzungsbeschluß nach § 464 b StPO i.V.m. §§ 103 ff., 794 Abs. 1 Nr. 2, 795 ZPO ein Vollstreckungstitel ist, den der Rechtsanwalt möglicherweise auf sich umschreiben lassen könnte, und daß er eine Vollstreckungsklausel notfalls durch Klage erstreiten könnte (§§ 794 Abs. 1 Nr. 2, 795 Satz 1, 724 Abs. 1, 727 Abs. 1, 731, 732 ZPO), wobei dann inzidenter die Wirksamkeit der Aufrechnung geprüft würde. Da die Aufrechnung nicht nur den Kostenerstattungsanspruch berührt, sondern zugleich eine Strafvollstreckungsmaßnahme ist, kann er auch nach strafvollstreckungsrechtlichen Vorschriften sich - als neuer Gläubiger - gegen diese Maßnahme wenden. Ob dem Rechtsanwalt für eine Klärung der Wirksamkeit der Aufrechnung auch andere Möglichkeiten eröffnet sind, ist deshalb hier ohne Bedeutung.

Wäre der Streit über die Wirksamkeit der Aufrechnung allein in einem kostenrechtlichen Verfahren zwischen der Staatskasse und dem Verteidiger zu regeln, würde auch nicht der Tatsache Rechnung getragen, daß die Interessen des Angeklagten und die des Rechtsanwalts, der den ihm abgetretenen Kostenerstattungsanspruch einziehen will, durchaus gegensätzlich sein können.

Der Rechtsanwalt greift mit seinen Einwendungen deshalb sachlich eine Maßnahme der Strafvollstreckung an, welche er zu seinen Gunsten aufgehoben sehen will. Die mit zu vollstreckenden Verfahrenskosten spielen angesichts der Höhe der sich gegenüberstehenden Forderungen für die rechtliche Einordung des Geschehens hier keine Rolle.

3. Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung sind nach den §§ 458 ff. StPO geltend zu machen. Die Vollstreckung von Geldstrafen richtet sich zwar nach der Justizbeitreibungsordnung, welche in ihrem § 8 eigene Rechtsbehelfe vorsieht. Diese betreffen jedoch nicht den Fall, daß Geldstrafe zu vollstrecken ist; dafür bestehen eigene Regelungen, die den - insoweit subsidiären - Vorschriften der Justizbeitreibungsordnung vorgehen.

Nach § 458 Abs. 1 StPO ist, wenn Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung erhoben werden, die Entscheidung des Gerichts herbeizuführen. Daß vorliegend nicht der Angeklagte, sondern sein früherer Verteidiger gegen die Maßnahme der Vollstreckungsbehörde vorgeht, steht dem nicht entgegen, denn dieser ist von der Vollstreckung unmittelbar betroffen. Mit der Geltendmachung der Unwirksamkeit der erklärten Aufrechnung wendet dieser sich nämlich gegen die durch die Aufrechnung erfolgte Vollstreckung der Strafe als solcher, die Geltendmachung seiner Rechte fällt damit unter die Einwendungen, welche § 458 Abs. 1 StPO erfaßt (vgl. auch Fischer in KK StPO 3. Aufl. § 458 Rdn. 9; Wendisch in LR StPO 25. Aufl. Rdn. 29 zu § 458; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 43. Aufl. Rdn. 5 zu § 458; Pfeiffer/Fischer StPO Rdn. 5 zu § 458). Der Einwand richtet sich nicht gegen die Art und Weise der Vollstreckung, sondern die Zulässigkeit der Vollstreckung gegen einen anderen als den Verurteilten.

4. Über die Einwendungen entscheidet das in § 462 a StPO bezeichnete Gericht, hier das Gericht des ersten Rechtszuges (§ 462 a Abs. 2 Satz 1 StPO), also das Amtsgericht Augsburg, welches die Geldstrafe verhängt hat. Das Ergebnis entspricht dem in § 462 a StPO zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willen, der in dieser Vorschrift für Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren das Konzentrationsprinzip vorgesehen hat. Danach ist für den Streit um die Wirksamkeit der Aufrechnung grundsätzlich dasselbe Gericht zuständig, das auch über - u.U. vorgreifliche - Einwendungen des Verurteilten gegen die Strafvollstreckung zu befinden hat.



Ende der Entscheidung

Zurück