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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 07.07.2005
Aktenzeichen: 2 StE 8/03-2 (1/04)
(1)
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 52 Abs. 1 | |
StPO § 55 Abs. 1 | |
StPO § 70 Abs. 2 | |
StPO § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 Nr. 1 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
2 StE 8/03-2 (1/04) StB 12/05
vom 7. Juli 2005
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung u. a.;
hier: Beschwerde des Zeugen S.
wegen Anordnung von Haft zur Erzwingung des Zeugnisses
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. Juli 2005 gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 Nr. 1 StPO beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Zeugen S. gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Naumburg vom 14. Juni 2005 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
I.
Das Oberlandesgericht Naumburg hatte den Beschwerdeführer am 16. Dezember 2003 von dem Vorwurf freigesprochen, von Anfang August 2001 bis Ende Mai 2002 Mitglied einer terroristischen Vereinigung gewesen zu sein und sich in dieser Zeit an zwei vollendeten sowie zwei versuchten Brandstiftungsdelikten beteiligt zu haben, die von Mitgliedern dieser Vereinigung begangen worden seien. Gegen den damaligen Mitangeklagten W. war dagegen in demselben Urteil wegen Brandstiftung und versuchter Brandstiftung in je zwei Fällen auf eine Jugendstrafe von zwei Jahren erkannt worden. Der Freispruch des Beschwerdeführers ist rechtskräftig geworden. Die Verurteilung des ehemaligen Mitangeklagten W. wurde dagegen auf dessen Revision wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (BGH NStZ 2005, 46). Dieses hat den Beschwerdeführer nunmehr in dem Verfahren gegen den Angeklagten W. als Zeugen vernommen. Der Beschwerdeführer hat hierbei lediglich Angaben zu seiner Person gemacht, die Beantwortung jeglicher weiterer Fragen dagegen umfassend verweigert, da er sich ansonsten der Gefahr erneuter Strafverfolgung nach Wiederaufnahme des gegen ihn gerichteten Verfahrens aussetzen würde. Das Oberlandesgericht hat die einschränkungslose Auskunftsverweigerung als unberechtigt angesehen. Es hat daher dem Beschwerdeführer die durch seine Weigerung verursachten Kosten des Verfahrens auferlegt, gegen ihn ein Ordnungsgeld - ersatzweise Ordnungshaft - festgesetzt sowie zur Erzwingung des Zeugnisses Haft bis zur Beendigung des ersten Rechtszuges, jedoch nicht über sechs Monate hinaus, angeordnet. Der hiergegen vom Beschwerdeführer eingelegten Beschwerde, mit der er sich allein gegen die Anordnung der Erzwingungshaft wendet, hat das Oberlandesgericht nicht abgeholfen.
II.
Das gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 Nr. 1 StPO statthafte (vgl. BGHSt 36, 192 zu § 304 Abs. 5 StPO) und auch im übrigen zulässige Rechtsmittel bleibt in der Sache ohne Erfolg. Zu Recht hat das Oberlandesgericht ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht des Beschwerdeführers verneint und ihn daher zur Erzwingung des Zeugnisses gemäß § 70 Abs. 2 StPO in Haft genommen.
1. Gemäß § 55 Abs. 1 StPO ist ein Zeuge grundsätzlich nur berechtigt, die Auskunft auf einzelne Fragen zu verweigern, deren Beantwortung ihn oder einen in § 52 Abs. 1 StPO genannten Angehörigen der Gefahr aussetzen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Nur ausnahmsweise ist er zur umfassenden Verweigerung der Auskunft befugt, wenn seine gesamte in Betracht kommende Aussage mit einem möglicherweise strafbaren oder ordnungswidrigen Verhalten in so engem Zusammenhang steht, daß im Umfang der vorgesehenen Vernehmungsgegenstände nichts übrig bleibt, wozu er ohne die Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit wahrheitsgemäß aussagen könnte (BGH NStZ 2002, 607; BGH, Beschl. vom 2. Juni 2005 - StB 8/05, zur Veröffentlichung bestimmt).
Eine das Recht zur Auskunftsverweigerung begründende Verfolgungsgefahr im Sinne des § 55 Abs. 1 StPO besteht indessen dann nicht mehr, wenn eine Strafverfolgung des Zeugen wegen des Lebenssachverhalts, zu dem er befragt werden soll, zweifelsfrei ausgeschlossen ist, weil insoweit bereits ein rechtskräftiges Urteil gegen ihn vorliegt und die Strafklage daher verbraucht ist (vgl. BGH NJW 1999, 1413). Stehen der Gegenstand, zu dem er befragt werden soll, und der von dem rechtskräftigen Urteil erfaßte Sachverhalt in einem Zusammenhang, ist daher abzugrenzen: Das Auskunftsverweigerungsrecht kann grundsätzlich nur in dem Umfang greifen, in welchem sich die Befragung auf Vorgänge richtet, die im Verhältnis zu dem von dem rechtskräftigen Urteil erfaßten Geschehen andere Taten im verfahrensrechtlichen Sinne des § 264 Abs. 1 StPO darstellen würden (vgl. BGH NJW 1999, 1413, 1414; BGH, Beschl. vom 2. Juni 2005 - StB 8/05).
Dies gilt im Grundsatz auch dann, wenn der Zeuge von dem gegen ihn gerichteten Tatvorwurf rechtskräftig freigesprochen wurde. Zwar besteht gemäß § 362 StPO die Möglichkeit, das Verfahren zu Ungunsten des Freigesprochenen wiederaufzunehmen. Wird er zu dem ihm früher vorgeworfenen Sachverhalt als Zeuge vernommen, darf er daher die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren wahrheitsgemäße Beantwortung die Gefahr einer Wiederaufnahme seines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens begründen könnte (vgl. BGH StV 1984, 408; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 55 Rdn. 9; Senge in KK 5. Aufl. § 55 Rdn. 4; Rogall in SK - Stand Juli 2003 - § 55 Rdn. 41). Dies ist insbesondere etwa dann der Fall, wenn die wahrheitsgemäßen Antworten des Zeugen ein glaubhaftes Geständnis im Sinne des § 362 Nr. 4 StPO darstellen könnten. Ein weitergehendes Schweigerecht steht ihm dagegen nicht zu.
2. Nach diesen Maßstäben ist die Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht zu beanstanden. Zutreffend ist es davon ausgegangen, daß sich der Beschwerdeführer hier nicht nach § 55 Abs. 1 StPO auf ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht berufen kann, welches ihm gestatten würde, die Antworten auf sämtliche Fragen des Gerichts und der weiteren Prozeßbeteiligten - abgesehen von denjenigen zu seiner Person (§ 68 Abs. 1 Satz 1 StPO) - zu verweigern.
Das versteht sich zunächst von selbst, soweit das Oberlandesgericht - wie sich dem angefochtenen Beschluß entnehmen läßt - durch die Befragung des Beschwerdeführers die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten W. aufzuklären sucht, da dieser, wie dem Senat aus dem Parallelverfahren StB 8/05 bekannt ist, auch hierzu keine Angaben macht. Es ist nicht ersichtlich, daß sich der Beschwerdeführer durch die Beantwortung entsprechender Fragen, die in keinerlei Zusammenhang mit dem ihm früher und dem Angeklagten W. weiterhin vorgeworfenen oder sonstigem denkbaren strafbaren Verhalten stehen, dem Risiko der Wiederaufnahme seines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens oder der Einleitung neuer strafrechtlicher Ermittlungen wegen solcher Taten aussetzen würde, deren Verfolgung durch die strafklageverbrauchende Wirkung des freisprechenden Urteils vom 16. Dezember 2003 nicht ausgeschlossen wäre.
Aber auch bezüglich des dem Angeklagten W. angelasteten Tatvorwurfs steht dem Beschwerdeführer ein Auskunftsverweigerungsrecht nur bezüglich solcher Fragen zu, deren wahrheitsgemäße Beantwortung entweder nach den Maßstäben des § 362 StPO die Gefahr der Wiederaufnahme des mit dem Freispruch abgeschlossenen Verfahrens oder die Einleitung eines neuen Ermittlungsverfahrens gegen den Beschwerdeführer wegen einer anderen Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO besorgen lassen könnte. Dies ist aber nicht etwa schon dann der Fall, wenn die Angaben des Beschwerdeführers Anhaltspunkte dafür ergäben, daß er Mitwisser der dem Angeklagten W. angelasteten Straftaten gewesen sein und sich daher nach § 138 Abs. 1 Nr. 9, Abs. 2 StGB strafbar gemacht haben könnte; denn auch ein derartiger Tatvorwurf wäre von dem durch den rechtskräftigen Freispruch bewirkten Strafklageverbrauch erfaßt (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 204; BGHSt 48, 183 ff.), so daß entsprechende Ermittlungen nicht mehr aufgenommen werden dürften.
Der Beschwerdeführer ist daher weitgehend zur Beantwortung der Fragen verpflichtet, die das Oberlandesgericht an ihn zur Aufklärung des Tatvorwurfs gegen den Angeklagten W. und dessen persönlicher Verhältnisse zu richten beabsichtigt. Daß das Oberlandesgericht die oben näher beschriebenen Grenzen der Auskunftspflicht des Beschwerdeführers respektieren will, hat es in dem angefochtenen Beschluß sowie seiner Nichtabhilfeentscheidung vom 20. Juni 2005 deutlich zum Ausdruck gebracht.
Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen bemerkt der Senat lediglich noch folgendes:
Ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht kann der Beschwerdeführer nicht daraus ableiten, daß die Ermittlungsbehörden - wie er ihnen unterstellt - den Inhalt seiner Aussage zum Anlaß nehmen könnten, trotz Fehlens von Wiederaufnahmegründen, also unter Mißachtung des Bestrafungs- oder Verfolgungshindernisses, erneute Ermittlungen gegen ihn wegen der Tatvorwürfe einzuleiten, die von der Rechtskraftwirkung des freisprechenden Urteils vom 16. Dezember 2003 erfaßt werden. Denn die Auslegung strafprozessualer Normen kann sich nicht an der Hypothese rechtswidrigen Verhaltens eines Verfahrensbeteiligten ausrichten.
Ob die Fragen, die an ihn gerichtet werden sollen, sachdienlich oder ungeeignet (vgl. § 241 Abs. 2 StPO) sind, obliegt nicht der Beurteilung des Beschwerdeführers, sondern allein derjenigen des Oberlandesgerichts. Der Beschwerdeführer kann daher nicht die Aussage mit der Begründung verweigern, die Beantwortung der an ihn gerichteten Fragen trage zur Klärung des Tatvorwurfs gegen den Angeklagten W. nichts bei, da eine Überprüfung seiner - des Beschwerdeführers - Glaubwürdigkeit bzw. der Glaubhaftigkeit seiner Angaben nicht möglich sei, wenn er zu seiner eigenen Einbindung in das Geschehen und damit zu der Grundlage seiner Erkenntnisse schweigen dürfe und schweigen werde.
Der Senat erachtet es nicht als unverhältnismäßig, daß das Oberlandesgericht die Höchstdauer der Erzwingungshaft auf sechs Monate festgesetzt und damit den durch § 70 Abs. 2 StPO eröffneten Rahmen voll ausgeschöpft hat. Maßgeblich für die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist hier weniger der Umstand, daß der Angeklagte W. wegen des Verschlechterungsverbots nicht zu mehr als zwei Jahren Jugendstrafe verurteilt werden kann. Entscheidend ist vielmehr - abgesehen davon, daß dem Angeklagten W. fünf Verbrechen angelastet werden (§ 358 Abs. 2 StPO stünde einer Verurteilung nach § 129 a Abs. 1 aF StGB nicht entgegen) - die zentrale Bedeutung, die der Aussage des Beschwerdeführers für die Klärung des Tatvorwurfs zukommt. Wie dem Senat, der mit vorliegendem Verfahren schon mehrfach befaßt war, bekannt ist, beruht der dringende Tatverdacht gegen den Angeklagten W. maßgeblich auf Indiztatsachen. Demgegenüber spricht vieles dafür, daß der Beschwerdeführer, der nach dem Ermittlungsergebnis in so engem Kontakt zu dem Angeklagten W. und dem - weiteren - früheren Mitangeklagten H. sowie deren Aktivitäten stand, daß er selbst in den dringenden Verdacht der Tatbeteiligung geriet, aus eigener unmittelbarer Wahrnehmung Angaben zur Berechtigung der Tatvorwürfe gegen den Angeklagten W. machen kann. Er ist daher zentrales Beweismittel sowohl für einen möglichen Tatnachweis als auch für eine eventuelle Entlastung des Angeklagten W. . Die entscheidende Bedeutung, die seinen Angaben für den Ausgang des Verfahrens gegen den Angeklagten W. zukommen kann, rechtfertigt es daher, ihn - falls erforderlich - auch unter Ausschöpfung des durch § 70 Abs. 2 StPO zur Verfügung gestellten Höchstmaßes der Erzwingungshaft dazu zu bewegen, seinen Zeugenpflichten nachzukommen.
Ende der Entscheidung
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